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Nr. 138 —
Die „Clearing"-Konferenz
Von einem außenpolitischen Mitarbeiter
Die Konferenz von Genua ist tot und beinahe schon vergessen. Die Haager Konferenz steht noch nicht fest. Die Tagung des Morgan-Ausschusses ist abgebrochen. Was bleibt zu hoffen? Es mag nachgerade lächerlich wirken, wenn man sich von einer verkrachten Konferenz auf die nächste vertröstet. Und doch gibt es eine ernsthafte Hoffnung: Die Clearing-Konferenz. Damit soll nicht die nachhause gegangene Bankierkonferenz gemeint sein. Sie hat allerdings zur „Klärung" der Lage Außerordentliches beigetragen. Diese Mnanzleute haben durch das denkwürdige Dokument ihres Berichts mehr geleistet als alle Diplomatenarbeit der letzten Jahre. Aber das große, erlösende „Clearing" steht noch aus. Dieser finanztechnische Begriff stammt aus England und bezeichnet den Abrechnungsverkehr zwischen mehreren Banken aus ihren gegenseitigen Wechsel- und Scheckforderungen. Auf die internationale Politik übertragen wäre Clearing der beste Ausdruck für die Regelung der Kriegsschulden der Verbündeten untereinander in Verbindung mit den deutschen Entschädigungszahlungen.
Der Bankier-Ausschuß konnte die Schuldenregelung der Verbündeten nicht erörtern, weil er für diese innere Angelegenheit der Entente nicht zuständig war. Aber er hat in seinem Bericht keinen Zweifel gelassen, daß die Herabminderung der deutschen Zahlungen ohne die Abrechnung des Verbands nicht möglich ist. Das hat man sogar in Frankreich eingesehen. Das französische Urteil über den Bankierbericht findet sich nicht im Temps, nicht im Echo de Paris, dem Matin und allen diesen Zeitungen, die wie berauscht sind von dem „Sieg" des französischen Standpunktes, sondern merkwürdigerweise in der Sonntagsnummer des „Eclair", wo er von Jacques Roujon dargelegt wird. Der französische Vertreter im Anleiheausschuß, Sergent, wird dort zwar gelobt, daß er den Bericht nicht Unterzeichnete, aber die unerbittliche Logik der Finanzleute, daß alles von der allgemeinen Regelung der Verbands-Schuldner ab- hängt, wird anerkannt. Ebenso gibt Heroe in der „Victoire" zu, daß Frankreich jetzt für die Ansicht des englischen Pro- fessors Keynes gewonnen werde.
Und kann man mehr verlangen als die Rede des belgischen Ministerpräsidenten de Brocqueville, der sich plötzlich mit aller Schärfe gegen den Versailler Vertrag wandte und erklärte, dis Verfasser dieses Vertrags hätten ein Trugbild für Wirklichkeit genommen und dabei den Bestand alle? Verbündeten in Frage gestellt, um den Wahnvorstellungen einiger Staatsmänner Genüge zu tun? Dar war doch deutlich genug. Es besagte nichts anderes, als was der deutsche Vertreter Bergmann im Anleiheaus- schuß durchgesetzt hatte: das ausdrückliche Anerkenntnis der Unerfüllbarkeit der Ententeforderungen. Und wenn iw „Daily Cronicle", dem Organ Lloyd Georges, geschrieben steht, in England und Amerika könne die Frage der Verbands-Schulden nur erörtert werden als Folge einer befriedigenden Vereinbarung in der deutschen Entschädigungs- srage, so ist das wiederum nichts anderes als der Ruf nach der Clearingkonferenz. Vielleicht wird man sie auch die Welkschuldenkonferenz nennen.
Von wem soll die Einladung dazu ausgehen? Die Antwort kann nur lauten: Von Amerika! Die Vereinigter Staaten sind der letzte Gläubiger am Ende der Schuldenkette. Wenn in Washington nicht das erlösende Wort gesprochen wird) wann und woher soll es kommen? Der Bankierbericht hat mit voller Absicht angedeutet, worin das Interesse Amerikas am Kriegsschulden-Clearing begründet ist: in der Wiederaufnahme normaler^ Handelsbeziehungen und in der Festigung der Währungen? An anderer Stelle des Berichts wird auf die ungeheuren Summen flüssigen Geldes hingewiesen, die in der feiernden Wirtschaft Amerikas, Englands und der neutralen Länder brach liegen und sich die Zinsen gerne in dem arbeitenden Deutschland suchen möchten. Diese wirtschaftliche Spannung wird stärker sein als der politische Eigensinn Frankreichs. Freilich will Amerika gebeten sein. Es fiele ihm schwer, aus eigener Anregung heraus zu kommen. Aber auch hier gibt der Bankierbericht einen Wink: Deutschland soll „den Wunsch aus- drücken, seinen Verpflichtungen zu entsprechen", nämlich wenn man ihm durch Las große Clearing hilft. Die deut- sche Diplomatie steht vor neuen schweren Arbeiten. Es wird ein hartes letztes Ringen mit der Entschädigungskommission geben. Ohne Anleihe kein Abbau unserer Papiergeldflut. Ein neuer Marksturz ist eingetreten. Die Zeit drängt. Auch die Weltbankiers warten nur auf eine neue Einladung zur Clearing-Konferenz.
Die Volksgemeinschaft
Als nach dem Zusammenbruch der Jahre 1918/19 die bedrohten Grenz- und Ausländsdeutschen sich Pfingsten 192l zum ersten Mal unter dem Gedanken der Selbsthilfe al- „Deutscher Schutzbund" im Reichstagsgebäude zusammenfanden, standen sie unter der erdrückenden Last eine, Not, deren Schwere nur durch die Gemeinsamkeit des Erlebens eine erste Milderuna erkubr. Als sie wi Vsinallei-
Freitag den IS. Juni 1922
1921 , aus allen bedrohten Gebieten herbeigeeilt, in das südliche deutsche Grenzland Kärnten fuhren, das ihnen sehnsüchtig seine Arme entgegenstreckte, da.erlebten sie schon während dieser Fahrt, daß sie eine Einheit gemeinsamen Wol - lens geworden seien. Und als sie jetzt zu Pfingsten 1922 nach dem abgeschnittenen Ostpreußen fuhren, da war aus dem Erlebnis gemeinsamer Not und gemeinsamen Wollene bereits das Erlebnis gemeinsamen Könnens geworden Größer denn je war die Zahl der vertretenen Gebiete des Grenz- und Auslanddeutschtums. Die europäischen waren wohl sämtlich vertreten, von den ehemals russischen Randstaaten, dem Wolgagebiet und der Ukraine bis nach Elsaß- Lothringen, der Saar und der Maas, von den südlichen Alpen bis zum Belt hinauf, und aus Süd- und Nordamerika kamev Grüße, die dartaten, daß auch dort der Gedanke der deutschen Volksgemeinschaft aufs neue Wurzel geschlagen hat und das man zu gemeinsamer Arbeit neue Wege sucht.
Dieses Erleben der V o l ks e i n h e i t in allen ihren weitverzweigten, sich bislang kaum dem Namen nach bekannten Gliedern und Stämmen ist vielleicht das stärkste, unmittelbarste Ergebnis'auch der diesjährigen Schutzbundtagung gewesen. Seine Echtheit aber hat sich gerade an Ostpreußen selber bewährt. Wom feindlichen Ausland — besonders in Polen — vermutete man, daß in Allenstein und Marienburx eine heimliche Verschwörung geschmiedet und wildes Rachegeschrei ertönen werde. Aber nichts von alldem geschah Was auf der Tagung der Grenz- und Ausländsdeutschen in Ost- und Westpreußen gesprochen worden ist, hat jeder hören dürfen, Republikaner oder Monarchist, Pole, Franzose oder U.-S.-P.-Mann. Und wenn mancher Ostpreuße sein freudiges Erstaunen ausgedrückt hat, daß auf dem heißen Boden Königsbergs eine Riesenversammlung von vielen Tausenden die Gäste aus allen Teilen des deutschen Siedlungsgebietes begrüßt hat und daß dabei alle Parteien, dis Spitzen der Behörden u. Führer der Verbände einmütig vor diesen Gästen den Glauben an die deutsche Volksgemeinschaft bekannt haben, ja, daß nicht ein leiser Mißklang — vielt, zum 1. Mal — diese wirklich rein Nation. Königsberger Volksfeier störte, — so ist es ein Beweis für die Echtheit, die Richtigkeit jenes von den bedrohten Grenzen auferstandenen Gedankens der Volksgemeinschaft, auf dem alle Schützbundarbeit ruht.
Und als in Allenstein das ganze Volk sich zu einem Fest vereinte, das Ostpreußens Entstehung aus der Kolonisation aller anderen deutschen Stämme zeigte, als ein Festspiel die Zeiten der Ordensritter lebendig machte, als aus dem Wald heraus die weißen Mäntel mit den schwarzen Kreuzer auf der Schulter hervorbrachen und alte Urkunden zur Gründung erster deutscher Städte, erster Keimzellen christlicher Kultur und Sitte verlesen wurden, da erlebten der Siebenbürge: Sachse, der Elsaß-Lothringer, der Nordschleswiger, der Sudetendeutsche und alle die anderen, daß hier Blut von ihrem Blut und Geist von ihrem Geist fruchtbar gewesen sind durch die Jahrhunderte.
Abschluß und Besiegelung aber fand dieses Erleben, als am Dienstag nach Pfingsten im großen Remter der M a - rienburg der Schutzbund eine letzte Sitzung veranstaltet« und zum ersten Mal ein Deutsch-Oesterreicher in den geheiligten Räumen dieser Hochburg deutscher Kultur- und Staatsmission zum Voll Ost- und Westpreußens sprach. Auf ihm. dem Oesterreicher, lyg die Bedeutung dieses historischen Augenblicks wie eine schwere Last der Verantwortung, und es kam dann heraus aus ihm wie ein Ruf eines lange, lange Jahre hindurch Mißachteten, Verstoßenen, Verkannten, der all die Zeit hindurch, wo wir in Deutschland kaum wußten, daß die deutschen Alpenlänüer und wir e i n Volk sind, vergebens gegen slawische Bedrückung und Ueberschwemmung gerungen und vergebens an unsere reichsdeutschen Tore geklopft hat. Was nützt es heute, die Schuldfrage zu erörtern? -- Und als ein wunderbarer Cb-- '"cb dem Lied: „O heil'ser welst, reyr' bet uns ein" zum Schluß dag „Wach' auf, es nahet der Tag" sang und diese beiden wahren deutschen Pfingstlieder in den schlanken Gewölben des Remäters verklangen, — da schloß die Schutzbundtagung der in Not de- findlichen Grenz- und Ausländsdeutschen wie ein wahrer nationaler Gottesdienst. . ^
Zur Kriegsschuld Frankreichs
Das russische Staatsarchiv ist eine kostbare Fundgrube von Aktenstücken, die zur Enträtselung und Entschleierung der politischen und diplomatischen Vorgänge vor dem Krieg die- nen. Leider sind bei weitem nicht alle derartigen Doku- mente, deren Veröffentlichung im Interesse der wahrheits- gemäßen Darstellung der Politik jener Zeit so dringend wünschenswert wäre, ans Tageslicht gekommen, aber was man in Petersburg entdeckt hat, reicht schon hin, um sich ein Bild von den Umtrieben zu machen, durck, die Deutschland
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96. Jahrgang
mit seinen— man möchte fast sagen — tölpelhaften Diplomatie besonders unter einem Bethmann Hollweg sich ins Netz locken ließ. Frankreich und England hüten sich wohl, die Geheimschränke ihrer Auswärtigen Aemter zu öffnen, während Deutschland in fast zu offenherziger Weise seine Kästen bis auf das letzte Lädchen hinaus der Einsicht aller Welt freigegeben hat und nun allerdings auch mit Befriedigung feststellen kann, daß die deutsche Politik von 1871 bis 1914 ausschließlich auf die Erhaltung des Weltfriedens eingestellt war. Wie wenig das bei der sogenannten „Entente" der Fall gewesen, lassen unter anderen Zeugnissen die Berichte der russischen Botschafter in Paris an ihre Regierung in Petersburg erkennen, wobei zu bemerken ist, daß damals in Frankreich die radikal-sozialistische Richtung am Ruder war, zu deren Mitgliedern ja eigentlich auch die jetzigen Machthaber wie Clemenceau, Millerand, Briand, Poincare. Tardieu, Petain, Vivia-ni, Barreres usw. gehörten, nur daß sie heute unter anderer Flagge segeln
So berichtete der Botschafter Nekludoff unter dem 31. März 1910, zu einer Zeit wo Frankreich an Rußland bereits 11 Milliarden Francs zu Kriegsrüstungen, zum Bau von militärischen Aufmarschbahnen usw. ausgeliehen hatte und nun die Sorge um die französischen Rentner und Sparer die Pariser Politiker gegenüber Rußland äußerst ge- fügsam machte, folgendes: „Ein Clemenceau, der uns (Russen) täglich in seinem Blatt mit Kot bewarf, bot uns bei seinem Amtsantritt als Minister des Innern sofort seine ergebensten Dienste an und teilte mit, daß die französische Polizei alle russischen Verschwörer und Anarchisten sorg- famst überwachen werde. Alle französischen Minister finden die politische Hetze gegen Rußland wegen Polen, Finnland und der Judenfrage äußerst lästig und bedauerlich."
Aus den Geheimberichten seines Nachfolgers, des Botschafters Jswolski. spricht -i-s-Ms Nsrnchti.ng d->r Heuchelei der- französischen Politiker. Er fand das damalige Kabinett Monis zuerst für Rußland unbefriedigend. Aber am 3. März 1911 meldet er bereits nach Petersburg: „Minister Cruppi war bei mir und bemühte sich, die radikale Richtung des Kabinetts als bloßes innerpolitisches Manöver hinzustellen. Vor allem handle es sich um das Ansehen Frankreichs nach außen, und da müsse das Bündnis mit Rußland in unzerstörbarer und herzlichster Art ausgebaut werden." — Sofort nach Cruppi kam Delcassö angesegelt: Delcasse erklärte mir wörtlich: „Als Marineminister verbürge ich Ihnen (Jswolski) den denkbar stärksten Ausbau der Flotte, und ich kann auch versichern, daß betreffs Ausrüstung und Schlagkraft der Landftreitkräfle das neue Kabinett eine verdoppelte Tätigkeit entfalten wird." — In einem Bericht vom 14. März desselben Jahrs meldet Js- wolsky: „In neuerlichen Besprechungen mit Monis und Caillaux erhielt ich bestimmte Zusicherungen der unbedingtesten Treue zum Bündnis mit Rußland. Delcassö Hai mir gesagt, daß trotz der Berufung von „Zivilisten" in Marine und Kriegsministerium die ausschlaggebende Verwaltung ganz in den Händen der Militärs verbleibt." Am 6. Juni 1911, nach dem tödlichen Unglücksfall des Kriegsmini, sters Verteaux (einstiger Börsenagent, der auf dem Flugplatz im Bois verunglückte), schreibt Jswolsky über die Berufung eines Generals als Kriegsminister: „Dieser Entschluß des Präsidenten wird im Kabinett bekrittelt werden, aber Monis, von Caillaux, Delcassö und Cruppi unterstützt, beries den General Goirand, dem aufgetragen wurde, zum Ches des Generalstabs den (Keneral Dubai! zu wählen."
Wir sehen schon an diesen wenigen Beispielen die Komödie der Regierungspartei, die sich dem Volk als Pazifisten vorstellten, während sie in Wirklichkeit alles locken, um Frank- reich auf den Krieg vorMberelten. Roch interessanter wird aber das Lesen dieser Geheimakten, wenn J«volsky aus das Treiben der Finanzkreise zu sprechen kommt. Die abgefeimten Abmachungen betreffs Marokko, Kleinasien, Persien, das Konsortium für die chinesische Anleihe und dergleichen mehr zeigen die Regierung völlig in den Händen -er Hochfinanz. Am 11. April 1912 schreibt Jswolsky: „P o i n- car 6 gesteht, daß in der Frage der chinesischen Anleihe dem Bankenkonsortium eine gar zu große Bewegungsfreiheit eingeräumt wurde, und daß Rußland berechtigt ist, wenn es sich besonders über die Vorrechte der amerikanischen Finanz aufregt. Poincarö versprach mir, diese Frage zu studieren und ist überzeugt, daß nur ein gemeinsames Vorgehen mit Frankreich uns zum Vorteil gereichen kann. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die französische Regierung gegenüber den Banken sehr abhängig ist, und daß es sehr häufig nichl die Banken'sind, die sich in den Händen der Regierung be- kinden, sondern umaekebrt. . ."
In welcher Art Jswolsky der Pariser Presse tributpflich« tig wurde, sei ebenfalls an einigen Beispielen erläutert. Seil 1910 verlangt Jswolsky in jeder zweiten Deoelckie. di« er