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Nr. 137

Donnerstag den 15. Juni 1922

96. Jahrgang

Die polnische Krise

Bismarcks Bündnisversuch mit England

Die Reichsregierung hat 6 Bände von Akten des Aus- wärtigen Amts soeben veröffentlichen lassen (Deutsche Ver lagsgesellschaft für Politik und Geschichte, Berlin W 8). An­dern überaus interessanten Stoff erfährt man nun (Band 4) daß Bismarck seit Ende des Jahrs 1887, nachdem er bi- dahin einem ernsthaften Bündnis mit England wegen besser Neid auf die Kolonialerwerbungen Deutschlands recht zwei' felnd gegenübergestanden u. sogar ein gegen Deutschland ge richtete englisch-russische Verständigung in Rechnung ge stellt hatte, einen Bündnisvertrag mit England als Gegen- gewicht gegen die französisch-russische Gefahr ernsthaft in- Auge gefaßt hat. Schon ein Brief an den damaligen briti- scheu Ministerpräsidenten Salisbury vom 22. Nooembei 1887 kann als Einleitung dafür angesehen werden. Am 11 Januar 1889 entwickelte Bismarck dann in einem Schreiber an den deutschen Botschafter in London ausführlich all« Gesichtspunkte, die dieses Bündnis im Interesse des euro päischen Friedens als vorteilhaft und notwendig erscheinen ließen:

England und Deutschland sind von einem anderen als einem französischen Angriffe nicht bedroht. Nur durch öfter' reichrsch-russischs Verwicklungen würde Deutschland in einer russischen Krieg hineingezogen werden können, und da letz> terer für Deutschland auch im günstigsten Fall keinen annehm> baren Kampfpreis hat, so werden wir bestrebt sein müssen den österrÄchischen Krieg nach Möglichkillt zu verhüten.

Ein bedrohliches Element für beide befreundete Mächte Deutschland und England, ist nur der einzige beiderseitig« Nachbar Frankreich; einen anderen gemeinsamen Nachbai bedrohlicher Natur haben beide nicht. England hat, auße; mit Frankreich, widerstreitende Interessen mit Rordamerikc und mit Rußland. Aber ein Krieg mit einer dieser Mächte selbst ein gleichzeitiger mit beiden, kann für England lebens- gefährlich nur werden, wenn Frankreich der Bundesgenoss« der Feinde Englands ist. Zu hindern, daß Amerika im Streb mit England auf Frankreich rechne, gibt es kein wirksameres Mittel als die Gewißheit, daß Frankreich einen Angriff au' England nicht würde unternehmen können, ohne seinerseits durch ein deutsches Heer von mehr als 1 Million angegriffer zu werden. Die auswärtige englische Politik würde nach allen Seiten freie Bewegung haben, wenn sie nur gegen dis französisch« Kriegsges hr durch ausreichende Bündnisse gedeckt wäre. Es handelt sich dabei nicht um das Stärkersein im Fall des Kriegs, sondern um das Verhindern des Kriegs. Weder Frankreich noch Rußland werden den Frieden brechen, wenn sie amtlich wissen, daß sie, wenn sie es tun, auch England sicher u. sofort zum Gegner haben. Sie werden ihn nur brechen, wenn sie hoffen dürfen, die friedliebenden Mächte in Europa eine nach der andern angreifen zu können. Wenn nur fest- gesteAk wird, daß England gegen einen französischen Anfall durch ein deutsches und Deutschland gegen einen französi­schen Anfall durch ein englisches Bündnis gedeckt sein würde, so Halle ich dm europäischen Frieden für gesichert auf die Zeit der Dauer eines solchen öffentlich verlautbaren Bündnisses.

Mein Gedanke ist der, daß, wenn Seine Majestät es ge­nehmigt, zwischen der englischen und der deutschen Regierung ein Vsrtrag'geschlossen werden sollte, durch welchen beide sich zu gegenseitigem Beistände verpflichten, wenn Frankreich im Lauf der nächsten ein, zwei oder drei Jahre, je nach Befinden, einen der beiden angreifen sollte, und daß dieser Vertrag, der für das Deutsche Reich auch ohne Parlamentsbeschluß bin­dend sein würde, dem englischen Parlament zur Genehmi­gung vorgelegt und dem Deutschen Reichstage öffentlich mit­geteilt würde.

England bedarf jetzt sowohl usie immer im letzten Jahr­hundert eines festländischen Bündnisses und dieses Bündnis ist durch die Ungeheuerlichkeit des Anwachsens der militäri­schen Rüstungen auf dem Festland noch stärker geworden, als es früher war. Ohne ein solches ist bei den heutigen Ver­bindungsmitteln

die Möglichkeit eines französischen Eindringens nach England eine Frage, die von Zufälligkeiten der Witte­rung, der Erregung und der augenblicklichen Streitkräfte im Kanal abhängt. Mit einem englisch-deutschen Bündnis ist Frankreich gar nicht imstande, ein wirksames Unternehmen gegen England gleichzeitig mit der Abwehr eines deutschen Angriffs an der Ostgrenze zu planen."

Bismarcks Bündnisangebot wurde von Lord Salisbury und Chamberlain zwar mit freundlichen Worten ausgenom­men, praktische Folgerungen haben die englischen Staats­männer aber nicht daraus gezogen.

An dieser englischen Untätigkeit ist der Bündnisplan ge­scheitert.

Das Geheimnis Mfudfkis

Unser Berliner Mitarbeiter erhält aus Warschau folgen­den interessanten Bericht über den eigentlichen Hintergrund des neuen Ministerwechsels und die gegenwärtige Krise in Polen.

Ui.: hinter das von der polnischen Regierung ängstlich gehütete Geheimnis dFr neuen Kabinettskrise zu kommen muß man das Kampffel- scharf ins Auge fassen: Auf de; einen Seite steht der Staatschef Pilsudski, beraten uni unterstützt von dem früheren Ministerpräsidenten Witos Ihre Heerbanner sind das Zentrum und die Linksparteien. Auf der Gegenseite rücken die Nationaldemokraten an unter Führung Adam D m o w s k i s. Dazwischen das Kabinek Ponikowski. Alles leidet schon unter Wahlfieber. Man hat auch Pan Korfanty als kommenden Mann in der Regierung bezeichnet. Aber dieser ist ja Vorsitzender des Aussichtsrats der französisch-polnischen Gesellschaft in Ober­schlesien geworden und erhält 20 000 französische Franker Monatsgehalt. Er hat es nicht mehr nötig, in - Politik zu machen.

Den ersten Zug im neuen Spiel tai nun Pilsudski, der Staatschef. Er möchte um jeden Preis die polnische Außen­politik in die Hand bekommen. Er braucht für die Neu­wahlen ein Kabinett, das mehr auf seiner Seite steht. Pil­sudski übte deshalb an der Politik usid Verwaltung Poni- kowskis solange heimliche und offene Kritik, bis dieser sei­nen Rücktritt anbot. Nun macht die Opposition den Gegen­zug. Sie setzt es durch, daß Pilsudski vor den Aeltestenaus- schuß des Sejm (Reichstag) geladen wird. Die Abgeordne­ten nehmen ihn in ein Kreuzverhör und man erkennt deut­lich, daß die Absicht besteht, den Widerstreit zu verschärfen und Pilsudski zu stürzen. Man fragte ihn, ob der Streit mii Ponikowski dadurch entstanden sei ,daß er, der Staatschef die Erhöhung der Militärausgaben und die Verstärkung der Macht der militärischen Stellen verurteile. Pilsudski ver­neint, aber doch nur mit halbem Ton. Und hier steckt eben das Geheimnis.

Pilsudski sieht ein, daß es mit dem französischen Kurs nicht mehr lange weiter gehen kann, daß dieses Treiben in den Abgrund führt. Er kämpft mit anderen Worten: gegen den Einfluß Poincares. Als BrianL noch in Frankreich am Ruder war, hatte Pilsudski an die­sem jedesmal einen Bundesgenossen. Jedesmal, wenn die Nationaldemokraten zum entscheidenden Schlage gegen Pil­sudski ausholten, fiel ihnen Briand in den Arm. Das ist unter Po in ca re anders geworden. Der nationalistische Block Frankreichs hält es mit den polnischen Nationaldemo­kraten und möchte ihnen die Wege zur Erlangung der poli­tischen Macht ebnen. Pilsudski sieht dieseGefahr" deut- » lieh voraus. Er weiß, daß die Nationaldemokraten an seine Stelle am liebsten den bekannten General Haller oder den Sejmmarschall v. Trampczynski setzen möchten. Die außerhalb des Parlaments stehende Regierung Ponikowski soll einem Kabinett der starken Hand Platz machen. Die erste Amtshandlung des neuen Kabinetts wäre die Ausschreibung der Wahlen, wobei man erwartet, daß es dem ganzen pol­nischen Staatsleben für die Zukunft einen entschieden nach Frankreich gerichteten Kurs geben werde. Der Kampf der Nationaldemokraten und der Nationalen Arbeiterpartei gilt der Pilsudski'schen Föderativpolitik, die sich mit den Rand- staaten in Güte verständigen will. Pilsudski wünscht die Selbstverwaltung für Ostgalizien, Weißrußland und Wilna. Seine Gegner aber wünschen die schärfere Betonung des großpolnischen Gedankens, die sich äußern soll in einer schär­feren Stellungnahme gegenüber Deutschland Oberschlesien. Ostpreußen, Danzig und Memel und den Randstaaten, besonders Litauen. Alle diese Gebiete schließlich dem groß­polnischen Staat einzuverleiben, ist ja der alte Traum der Nationaldemokratie. Das Programm Dmowskis sucht, ge­stützt auf das frühere Verhältnis Frankreichs zu Rußland» einen Ausgleich der Interessen Polens mit dem wieder­erwachenden Rußland, nicht aber (Frankreichs wegen) mit Deutschland. Es möchte den Bestand des polnischen Staats allenfalls unter Verzicht auf die englische Freundschaft durch ein französisch-polnisch-russisches Zusammengehen, ergänzt durch Bündnisse mit Tschechen und Rumänen, sichern und so die vom Rapallovertrag eingeleitete deutsch-russische Ver­ständigung stören. Pilsudski erkennt in dieser von Poincarö begönnerten Politik eine Gefahr für die friedliche Entwick­lung und setzt nun durch die von ihm hervorgerufene Krise alles auf eine Karte. Es ist aber die Frage, ob er das Spiel gewinnen wird.

Der Zusammenbruch Oesterreichs

Wien» 14. Juni. Die jetzige Regierung hat von dem bisherigen Bundeskanzler Schober eine schlimme Erbschaft imgetreten. Nach vorsichtigen Schätzungen beläuft sich der Fehlbetrag im Staatshaushalt auf über 600 Milliarden Krä­ften. Das Schlimmste aber ist, daß die Staatskassen ohne iede Barmittel sind. Die Nationalversammlung hat nun, wie berichtet, einen Kredit von 220 Milliarden Kronen bewilligt, sie Lage wird dadurch aber nicht weniger verworren, denn noch weiß niemand, woher der Kredit zu bekommen sei. Die

Wiener (Sroßvanren haben nun zwar oer viegrerung angevo- len, sie wollen gegen gewisse Entschädigung und Sicherhetten -ine österreichische Notenbank gründen, die im Umlauf befindlichen Noten übernehmen und für ihr« Deckung durch mtsprechende Auslandswechsel- und Goldzufuhr aus eigenen Mitteln Sorge tragen. Aber selbst wenn damit, wie versichert wird, keine Notenabstempelung (d. h. Ungültigerklä­rung eines Teils des Notenumlaufs) verbunden wäre, so würde das Geschäft doch jedenfalls sehr teuer zu stehen kom­men und den ganzen Staatsbesitz und Las Auslandgeschäst Werhaupl unter die Gesetze der Banken bringen. Di« Regie- rrmg hat nun auch mit dem englischen Finanzwachtmeister Noung wiederholt Rücksprache genommen und ihm die be- »ingungslose Leitung und Ueberwachung der Staatsfinanzen ^Diktatur) angeboten, was Uoung jedoch abgelehnt haben soll. Weiterhin 'mt die Reaieruna mit den Parteiführern beraten rnd es soll von Einstellung der Auslandszahlungen auf eine zewisse Zeit, Verbot des Börsenspiels in Auslandswechseln rsw. die Rede gewesen sein. Tatsache ist, daß die Regierung run mit einem größeren Wirtschaftsplan vor die National- rersammlung treten und einen Wohlfahrtsausschuß »der ein Wirtschaftsparlament einsetzen will, in das die fähig- ten Leute des Wirtschaftslebens berufen werden sollen.

Die Sozialdemokraten veranstalten am 16. Juni Der- ammlungen, in denen die Regierung, die Unternehmer und sie bürgerlichen Parteien durch Entschließungen darauf auf- nerksam gemacht werden sollen, daß die Geduld der Massen >u Ende, wenn nicht schleurttgskder Entwertung des Gelds Schranken gesetzt werden. Seit 1>L Jahren halte die Entente bas Volk durch Versprechungen hin; wertn die Welt nicht helfen wolle, dann könne sie Oesterreich nicht hindern, bei Deutschland Hilfe zu suchen. Die Arbeiterschaft sei bereit, nötigenfalls den Kampf um den wirtschaftlichen Anschluß aufzunehmen.

Von der ReichsgetreidesteNe

DieWestfälische Wacht" schreibt: Die Landwirte des Kreises Oschersleben hatten die Getreideumlage nicht nur restlos erfüllt, sondern es blieben aus dem gesetzlich vorge- schriebenen Vorrat von 10 Prozent, die bekanntlich über die Umlagemenge hinaus zur Erhebung gelangt, noch 5 000 Zentner übrig. Auf diesen Vorrat hat die Reichsgetreide­stelle keinenAnspruch, sondern nach dem Gesetz vom 21. Juni 1921 soll sie zum Ausgleich von Abmangel dienen, und die restliche Menge den Landwirten im Verhältnis zu ihrer Umlage zur Verfügung gestellt werden. Auf Wunsch des Kreis- ausschusfes verzichten nun sämtliche Landwirte auf ihre«' An­teil, damit die Brotmenge von 1900 auf 2000 Gramnr jo Woche zu billigem Preis erhöht werden könnte. Trotzdem! verlangte die Reichsgetreidestelle anVerwaltungskosten" je den Zentner Roggen 157 -ft und je den Zentner Weizen 168 Mark. Also ein Extrageschäft von 815 000 -ft ohne Arbeit! und Rechtsanspruch. Während der Erzeuger für Roggen! 105 und für Weizen 115 -ft erhält, streicht die Verteilungs­stelle 157 bzw. 169 -ll für Verwaltuftgskosten ein.

Deutscher Reichstag

Berlin, 13. Juni.

Der Reichstag, der heute nachmittag nach den Psingst» ferien seine Sitzungen wieder aufnahm, trat nach Erledi­gung kleiner Anfragen in die erste Beratung des Gesetzent­wurfs zur Ausführung des Artikels 18 der Reichsverfas­sung, der sich auf Reugliederungswünsche der Land« be- zieht, ein-. Abg. Dr. Gradnauer (Soz.) bezeichnet,; das Gesetz als notwendig, besonders im Hinblick auf Oberschle- sien. Abg. Dühringer (D.Nat.) äußerte Bedenken gegen das Recht der Regierung, von sich aus Neugliederun­gen der Länder vorzunehmen. Dr. Levy (U.S.P.) be­grüßte von seinem Standpunkt aus die Borlage, ebenso Abg. Koch - Neser (Dem.). Graf Bernstorff (D.Hannov.) brachte Sonderwünsche seiner Partei vor, während Aba. von Kardorff (D.B.P^) Vorkehrungen gegen einen Miß­brauch des Gesetzes zur Zersplitterung Preußens verlangte. Schließlich wurde die Vorlage dem Rechtsausschuß über­wiesen.

Es folgte die Beratung des Reichsjugcndrvcchlfahrtsge- selzes. Dazu beantragte der Ausschuß folgende neue Fas­sung des ersten Paragraphen: Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesell­schaftlichen Tüchtigkeit. Wo dieser Anspruch durch die Fa­milie nicht erfüllt wird, M, unbeschadet der Mitarbeit frei­williger Tätigkeit, öffentliche Jugendhilfe eintreten. Abg. Frau Neukzus (Zentr.) trat für unveränderte Annahme der Vorlage ein. Abg. Hensel (D.Nat.) betonte die Not­wendigkeit der Aamilianerziehung und die Sicherstellung der konfessionellen Erziehung. Auch Abg. Leutheusser (D.V.P.) sieht in der Familie die beste Grundlage der Jugenderziehung, hält im übrigen aber das Gesetz für nö­tig, um die in den verschiedensten Gesetzen zerstreuten Be­stimmungen über die Jugcndwohlfahrtspflcge zu sammeln. Während dieser Rede brach der Abgeordnete Däumig (U.S.P.) ohnmächtig zusammen. Die Sitzung wurde unter­brochen und später die WLite^eratung dos Gesetzes auf Mittwoch nachmittag vertagt.