Seite 2 Nr 76
in erblicken, daß der eine Teil des Volkes der völ- ligen Verelendung überlassen wird, während die anderen sich noch eines gewissen Wohlstandes erfreuen.
Die Stunde des„ Lastenausgleiches" muß kom- men, und sein Ertrag darf nicht zur Aufrechter- haltung einer unfruchtbaren Bürokratie, er muß zur Rettung der Ausgewiesenen verwendet wer- den. Immer aber ist die Stunde der Caritas. Je- der helfe nach dem Maß seines Vermögens! Und wenn nicht bei allen das Können gleich ist, so muß doch die Liebe gleich sein; denn die Frei- gebigkeit wird nicht gewogen nach dem Gewicht der Gabe, sondern nach der Größe des Wohlwol- lens. Wer aber nicht selbst in wirklicher Not ist, der überlasse die Gabe der Caritas denen, die ihrer dringend bedürfen. Und wer Hilfe erfährt, antworte auf Liebe mit Gegenliebe. Jene Seelen, welche sich mit Herzlichkeit ihrer Wohltäter er- innern, ihnen stets mit innerer Freude begegnen, sind ja nicht allzu häufig.
Es gibt eine Selbstsucht des Gebens, die den Nehmenden verletzt, weil die Liebe fehlt. Aber es gibt auch einen Egoismus des Nehmens, der aus seiner Kälte nicht herauszutreten vermag und und auf die Gabe der Liebe mit einer Bit- terkeit reagiert, die leicht zu Haß werden kann. Manche Menschen können nicht an Liebe glau- ben, weil sie selbst daran Schiffbruch gelitten ha- ben. Sie können sich nicht denken, daß jemand von dem Wenigen" gibt, und sagen daher von dem, der gibt: ,, Er hat's und hat's im Ueberfluß, sonst würde er nicht geben und er gibt wenig genug." Den Dienern der Caritas aber, die sich Tag und Nacht für andere plagen und von denen sie manche Hilfe, wenn auch nicht die Erfüllung aller ihrer Wünsche, erfahren, aber sagen sie nach:„ Sie behalten alles' oder doch, das Beste' für sich selbst." Wer so daherredet, spricht sich selbst das Urteil; er verrät seine eigenen Ge- lüste. Er vereitelt manche schöne Tat, die sich nimmer hervorwagt, weil es doch nie genug ist. Caritas kann nur bestehen, wo Menschen einan- der selbstlos und in Liebe begegnen im Glauben an Gott aber auch im Glauben an den Menschen.
Es ist noch ein weiter Weg, um aus der drän- genden deutschen Not und aus der Selbstsucht der durch die Verbrechen langer Jahre fast hoff- nungslos entzweiten Nationen emporzuführen zu jener Welt des Friedens, die gründet im Herois- mus der Liebe, Vor genau hundert Jahren suchte der große Mainzer Bischof Emanuel Freiherr von Ketteler die sozialen Energien der christlichen Welt aufzurütteln. Die Welt hat den anderen Weg gewählt. Möchte wenigstens heute seine Stimme gehört werden diesseits und jenseits des Rheins, diesseits und jenseits der Ozeane!
Preise zu hoch
-
Löhne zu niedrig BADEN- BADEN. In ganz Südbaden fanden am Donnerstagnachmittag von den Gewerkschaften veranstaltete Protestkundgebungen statt gegen überhöhte Preise und ungenügende Löhne.
In Baden- Baden forderte der Zonen- Gewerk- schaftssekretär Franke eine 30proz. Lohner- höhung, die das Minimum zur Sicherung eines einigermaßen erträglichen Lebensstandards ga- rantiere. Daraus dürfe aber nicht wieder eine neue Preiserhöhung entstehen, im Gegenteil müßten die Preise unbedingt noch gesenkt wer- den. Die Gewerkschaften verlangen die Kon- trolle der Preise. Verhaftung der Wucherer und Schließung ihrer Betriebe. Franke schloß mit der Drohung, daß die Gewerkschaften nicht mehr weiterhin die Verantwortung für das Verhalten der Verbraucher gegenüber dem Handel über- nehmen könnten, wenn diese Forderungen nicht erfüllt würden.
Aus Protest zurückgetreten FREIBURG. Die Vorsitzenden der industriel- len Fachkommissionen Südbadens haben aus Protest gegen die angeordnete Demontage ihren Rücktritt erklärt. Von den industriellen Fach- vereinigungen wird dazu erklärt, daß schon durch die bisherigen Demontagen die industrielle Gesamtkapazität des Landes wesentlich unter den Stand der übrigen Länder der Westzone gedrückt wurde. Die Wirtschaft finde es unver- ständlich, daß es bis jetzt nicht gelungen sei, die französische Militärregierung davon zu überzeu- gen, daß in Baden das Demontagemaximum schon längst erreicht sei.
WASHINGTON. Ein amerikanisches Ge- schwader von 15 Kriegsschiffen( der Flug- zeugträger Franklin D. Roosevelt", zwei schwere und zwei leichte Kreuzer, sowie 10 Torpedojäger) werden die bisher im Mittel- meer stationierte amerikanische Flotte( 1 Flugzeugträger, 3 leichte Kreuzer und 9 Tor- pedojäger) ablösen.
SCHWÄBISCHES TAGBLATT
Zwischen Neapel und Konstantinopel
Von Dr. Friedrich Karl Dörner
An Bord der ,, Istanbul". Mehrfach hatte mein türkischer Kabinennachbar mich schon prü- fend betrachtet, bevor er die von mir schon ins- geheim lange erwartete Nationalitätenfrage an mich richtete. Fast ungläubig musterte er mich einen Augenblick, als ich antwortete„ Ich bin Deutscher". ,, Und Sie fahren nach Istanbul?" Dann, als ich bejahte, setzte er erstaunt hin- zu:„ Und warum fahren Sie dann von Deutsch- land nicht direkt mit dem Zug nach Istanbul, sondern wählen den Umweg über Italien und den weiten Schiffsweg von Neapel?" Damit wa- ren wir mitten im Gebiet der hohen europäi- schen Diplomatie gelandet.
-
Wohl verkehrt heute der Orientexpreß wieder und verbindet unmittelbar Europa mit Asien. Der Reisende kann wie vor dem Kriege in Paris einsteigen, um zwei Tage später in Istanbul den
nensegel ist gespannt. Darunter spielt sich heiter und friedlich das Volksleben des Orients ab. Ge- mütlich hat sich alles auf dem Boden niederge- lassen, viele im Türkensitz mit untergeschlagenen Beinen, Der Wandel der Zeit zeigt sich am auf- fälligsten in dem vertrauten Umgang der beiden Geschlechter. Jung und alt, Männer und Frauen liegen in einzelnen Gruppen im malerischen Durcheinander auf den Planken, ein buntes Bild trotz der Farbenarmut der vorwiegend euro- päischen Stoffe. Ueberall wird lebhaft disku- tiert, erzählt und viel gelacht. Wirkungsvolle Gebärden unterstreichen die Reden. Gebärden beherrschen im Orient die gegenseitige Verstän- digung. Ich bewundere es immer wieder, wie man sich wirkungsvoller mit einer einzigen Hand- bewegung, mit einem wegwerfenden Kopfschüt- teln durchsetzt als mit einer langen erklärenden
Zug zu verlassen oder den Anschluß an die ,, Bag- Rede. Gefesselt folge ich dem Gebärdenspiel ei-
dadbahn" zu finden. Aber die meisten, die heute eine Fahrt in den Nahen Orient unternehmen müssen( oder können!), legen wenig Wert darauf, mühsam die Visen von sieben Ländern zu erbit- ten, deren Gebiet der Zug in zwei Tagen und drei Nächten passiert, und die Kontrollen und die Unberechenbarkeiten der Balkanvölker über sich ergehen zu lassen.
So wählte auch ich lieber die bequeme tür- kische Dampferverbindung, um Istanbul, mein erstes Reiseziel, zu erreichen. Die ,, Istanbul", ein stattlicher 10 000- t- Dampfer, macht alle drei Wo- chen die Fahrt Istanbul- Marseille und zurück. Ich steige erst in Neapel an Bord und sofort umfängt mich vertrautes türkisches Leben. Es ist immer wieder ein erregendes Erlebnis, wie sehr alle Schiffe trotz größter internationaler techni- scher Uebereinstimmungen das Gepräge ihres Heimatlandes tragen.
Mit mir gehen viele Passagiere an Bord. Laut gestikulierende Agenten der italienischen Vertre- tungen rennen umher. Der Kapitän der„ Istan- bul" drängt auf pünktliche Abfahrt seines Schif- fes. Die Verladung der Güter wird aber noch längere Zeit dauern. Neugierig sehen alle Passa- giere den Manövern zu. Eine bunte Mischung aus aller Welt, darunter ich, wie ein schneller Blick in die ausliegende Liste zeigt, als einziger Deutscher. Leise Tafelmusik aus dem Speisesaal der ersten Klasse mischt sich mit dem Rufen und Stampfen der eifrig arbeitenden Matrosen.
Während die 1. Klasse das übliche buntge- mischte Bild der internationalen Gesellschaft bie- tet, sieht es auf dem Vorderteil des Schiffes viel einheitlicher aus. Es ist für die 3. Klasse reser- viert, die zwar die meisten Passagiere, aber da- für auch nach ungeschriebenen Gesetzen auf al- len Schiffen der Welt den geringsten und schlech- testen Platz zur Verfügung hat. Ein großes Son-
ner jungen Türkin, die eine spannende Geschichte einem größeren Hörerkreis vorliest und sie erst damit richtig lebendig gestaltet.
Auch ich werde immer wieder ins Gespräch gezogen, denn Deutsche sind heute eine seltene Erscheinung geworden. Um so mehr interessiert aber überall die ,, deutsche Frage". Immer wieder werde ich gefragt. was ich während des Krieges gemacht hätte, ob ich Soldat gewesen sei und wie es heute bei uns in Deutschland aussieht. Wird es mir zu anstrengend, die vielen Neugierigen zu befriedigen, flüchte ich mich auf den Ausguck zu dem Matrosen am Bug des Schiffes. Das Meer ist wundervoll ruhig. Eine kühle Abend- brise weht, während unser Schiff auf die Meer- enge von Messina zusteuert. Aber natürlich in- teressiert auch den Matrosen meine Person. Als er mit zwei Glockenschlägen einen nahenden Dampfer anzeigt, komme ich mit ihm ins Ge- spräch. Nur daß ich Deutscher bin, will er abso- lut nicht glauben, da ich im Gespräch einige Wendungen gebrauche, die aus der östlichen Tür- kei stammen. Und als er hört, daß mich meine Reise nach Kleinasien führt, ist er gleich Feuer und Flamme und bittet mich, ihn al's Diener und Begleiter mitzunehmen. Er ist anscheinend die gleichförmige Reise zwischen Istanbul und Marseille satt und sehnt sich nach Veränderung. Aber ich kann sie ihm leider nicht bieten.
Bei sinkender Nacht lockt der feuerspeiende Stromboli alle Passagiere an Deck. Uns zu Eh- ren läßt er mächtige Feuergarben in den Himmel steigen und die Reisenden brechen in entzük- kende Bravorufe aus. Ich stehe abseits und an- dere Gefühle, Erinnerungen an vergangene flam- mende Nächte steigen in mir auf. Möge die Welt in Zukunft von ihnen bewahrt bleiben. Möge sie es sich genug sein lassen an dem eindrucks- vollen Schauspiel eines flammenden Kraters.
Nachrichten aus aller Welt
HEIDELBERG. Wie ein Sprecher der amerikani- schen Militärregierung mitteilte, wurde dem Mit- herausgeber der„ Rhein- Neckar- Zeitung", Prof. Dr. Agricola, die Lizenz entzogen, weil er seinen stän- digen Wohnsitz nach Halle verlegt und seine Pflich- ten als Verleger vernachlässigt habe.
MUNCHEN. Der seit einem Jahr von der bayeri- schen Polizei gesuchte Landesvorsitzende der WAV und ehemalige bayerische Säuberungsminister Al- fred Loritz hatte am Donnerstag in der Landes- geschäftsstelle seiner Partei eine halbstündige Be- sprechung mit seinen Mitarbeitern.
FRANKFURT. Eine von einem amerikanischen Verlag verbreitete Broschüre ,, Lebt Hitler noch?" war an einem Vormittag ausverkauft. Auf dem Um- schlag befand sich ein Bild Hitlers- das erste, das nach Kriegsende in Deutschland veröffentlicht wurde.
DÜSSELDORF. Seit Kriegsende fanden nach einer Aufstellung des Ernährungsministeriums in Nord- rhein- Westfalen rund 2000 Bau-, Land- und Forst- arbeiter den Tod durch Minenexplosionen.
LONDON. Nach einer Meldung der„ Daily Mail" wurde dem Staatsdepartement der USA durch den britischen Vertreter bei der ständigen Organisation der Signatarstaaten des Brüsseler Pakts eine Bot- schaft des britischen Außenministers Bevin über- reicht, in der angefragt wurde, in welchem Zeit- punkt Großbritannien im Kriegsfalle mit einer be- waffneten Hilfe der USA für Westeuropa rechnen könne.
LONDON, 15 Passagiere eines Flugzeugs der„ Pan- americain- airways" befinden sich seit Donnerstag- abend im Sitzstreik auf dem Flugplatz von Shan- non. Als der Flugzeugführer nach Meldung heftiger Gegenwinde über dem Atlantik durch eine Zwi- schenlandung auf dem irischen Flugplatz 15 Passa- giere absetzen wollte, um eine Gewichtsvermin- derung zu erreichen, weigerten sich die Fluggäste, die Maschine zu verlassen und verschlossen die Türen.
Zwischen Würzburg und Java Zum 30. Todestag Dauthendeys am 4. September K. H. Max D authendey ist einmal einer der leuchtendsten Sterne im Dichtersternbild der Geburtsgemeinschaft um Stefan George gewesen. Und zwar steht er, 1867 geboren, auf der Grenze zwischen der Dichtergruppe, die zeitlich angeführt wird von dem 1868 gebore- nen Stefan George( Rilke und Hofmanns- ,, Simplizissimus" anwünschen mochte. thal, geboren Mitte der 70er Jahre, sind in ihr besonders klingende Namen) und jener Ge- burtsschicht der 60er Jahre, der Dehmel, Hart- leben und Bierbaum angehören. So betritt denn Dauthendey Anfang der 90er Jahre ge- meinsam mit Rilke und George als Lyriker die von einer wild gärenden Neuromantik gestal-
frau und, in der Kriegsinternierung auf Java, nach der unvergeßlichen Heimat. So wird im- mer wieder der Romantiker und Ekstatiker, fernen Seelen und Räumen, zum Idylliker des der sich berauscht am Traum von fremden, heimatlichen Getriebes, etwa des lieb gehalte- nen Würzburgs, ja zum Bänkelsänger des All- tags in volkstümlichen Hans- Sachs- oder Wil- helm- Busch- Tönen, den man dem Münchner
Die Polarität von Würzburg und Java ergab sich für Dauthendey schon aus Familienerbe und Schicksal der Jugend. Er hat selbst sehr reizvoll geschildert, wie den Vater seine Pio- nierleidenschaft für die ersten Anfänge der Photographie( Daguerreotypie) und seine Wan- derlust hinaustrieb nach Petersburg, wo er sich mit einer jungen Rußlanddeutschen ver- mählte, die er nach 20jährigem Petersburger Aufenthalt nach Würzburg erst drei Jahre vor der Geburt unseres Poeten heimführte. Aber durch Familienbande und durch mancherlei russische Lebensgewohnheiten blieb im Eltern- haus die Verbindung zur östlichen Ferne leben- dig. Die Familie des Vaters war übrigens nord- deutsch, da sie aus der Harzlandschaft stammte. Wie dem Vater in seiner Jugend in Petersburg beinahe, so ist die Wanderlust dem Sohn in seinem Alter tatsächlich zum Verhängnis ge- worden. Vom Kriegsausbruch 1914 in Hinter- indien überrascht, durfte Dauthendey, auf Java in erbarmungsloser Tropensonne festgebannt, die vier Jahre lang ersehnte Heimkehr nicht mehr erleben.
tete literarische Szene, mit der höchst künst- lichen Sammlung ,, Ultra Violett"( 1893), die der jugendlichen Ekstatik des der Landessprache unkundigen, auf sich selbst zurückgetriebenen Fremdlings im Pfarrhaus eines einsamen schwedischen Dorfes entstammte. Freilich, wäh- rend in ihrem Schaffensbeginn die beiden Al- tersgenossen vom Rhein und vom Main, von Bingen und Würzburg, George und Dauthen- dey, in enger Werknachbarschaft, und zwar nirgends anderswo als in den Blättern für die Kunst", stehen, führt auch Dauthendey sein Wesen und Werk später ebenso weit weg von George wie etwa Hofmannsthal oder Rilke. Aber er bleibt geschichtlich hinter diesen allen zurück, indem er auch in der Selbstfindung der Reife einem impressionistischen Weltbild ver- haftet bleibt, das in der sanguinisch erlebten Weltfestlichkeit" der Natur-, will hier heißen: Manche wesentlichen Teile von Dauthendeys Landschaftsmalerei und Liebeslyrik seiner Gesamtwerk gehören heute der Dichtungs- höchsten Beseligungen gewiß ist; während er geschichte an: etwa die Dramen, auch die auf sich einerseits weltenbummlerisch der ganzen der Bühne erfolgreichen Spielereien einer Breite der Erdoberfläche von Europa über Kaiserin"( Katharina I. von Rußland, 1910). Mexiko, Japan, Hinter- und Vorderindien ge- Das lyrische und erzählerische Werk liegt zwi- staltend und genießend bemächtigt, sehnt er schen jenen Polen Würzburg und Java. Einer- sich zugleich doch sehr im Gegensatz zu Ril- seits wird die weltweite Erscheinungsfülle der kes erhabener Heimatlosigkeit- heimelig- bie- Ferne in Landschaften wie Menschen beschwo- der und gefühlvoll, ja gefühlsselig nach den ren: besonders in der kurzen Erzählung Toten der Kindheit. nach der geliebten Ehe-( Die acht Gesichter am Biwasee: Japan); aber
-
MADRID. Zum ersten Male seit Bestehen des
Francoregimes wird die spanische Bevölkerung zu einer Wahl, und zwar zu der der Gemeinderäte,
aufgerufen. Offenbar soll durch diese Geste das Verlangen jener Länder unterstützt werden, die Spanien wieder in die Gemeinschaft der Nationen
aufnehmen möchten.
ATHEN. In Griechenland ist eine heftige Presse- kampagne im Gange, bei der Großbritannien vorge- worfen wird, Waffen und Munition an General Markos geliefert, zu haben.
HELSINKI. Finnland hat sich bereit erklärt, die deutschen Soldatengräber zu pflegen und sorgfältig zu registrieren. Allerdings kann von finnischer Seite keine Auskunft beschafft werden, was mit Gräbern in dem an die Sowjetunion abgetretenen Gebiet geschieht,
MOSKAU. In einigen sowjetischen Ministerien er- folgten Neubesetzungen. Es wurden neue stellver- tretende Minister für Eisenbahn, Außenhandel, In- neres, Finanzen, Schiffsbau und Verkehr ernannt. WASHINGTON. Das amerikanische Verteidigungs- ministerium prüft, wie der Ausschluß der Kommu- nisten von der Truppenaushebung und dem frei- willigen Heeresdienst ermöglicht werden kann.
WASHINGTON. Anläßlich des dritten Jahrestages des Sieges über Japan erklärte Präsident Truman, er sei davon überzeugt, daß die Welt einen dauer- haften Frieden finden werde.
NANKING.
Der kommunistische Rundfunk gab die Bildung, einer kommunistischen Einheitsregie- Volksregierung für ganz China vorbereiten soll. rung für Nordchina bekannt, die eine zukünftige
NANKING. Die chinesische Regierung hat das seit 1939 bestehende Luftfahrtabkommen mit der So- wjetunion nicht erneuert. Damit erfolgt die Ein- stellung der einzigen direkten Luftverkehrslinie, die China mit der Sowjetunion verbindet.
auch etwa in der großen Versdichtung( Die geflügelte Erde. Ein Lied der Liebe und der Wunder um sieben Meere). Andererseits er- fabulierfreudigen Vaters und in den eigenen steht das vorige Jahrhundert im Leben des Wanderjahren der 90er Jahre in höchst reiz- voller Gestalt( Der Geist meines Vaters. Ge- dankengut aus meinen Wanderjahren).
Aber womit Dauthendey vor allem fortleben wird, das sind seine Gedichte. Da war er ein lyrischer Musikant, dem die Eindrucksbilder in reicher Ueberfülle zuströmten. Auch er mußte Künstelei und Ueberschwang seiner An- fänge erst überwinden. Aber später finden sich Gebilde, die es wert sind, dem ewigen Schatz deutscher Lyrik eingeordnet zu werden. Sinn- liche, bildhafte Anschaulichkeit, eine gewisse spielerische gedankliche Grazie, aber auch see- lische Zartheit vereinigen sich in Dauthendeys Gedichten, zu deren schönsten wir sein ,, Laẞ mich in deinem stillen Auge..." zählen dürfen. Laß mich in deinem stillen Auge ruhen, Dein Auge ist der stillste Fleck auf Erden. Es liegt sich gut in deinem dunkeln Blick, Dein Blick ist gütig wie der weiche Abend. Vom dunkeln Horizont der Erde
Ist nur ein Schritt hinüber in den Himmel, In deinem Auge endet meine Erde.
Zeitgenössische Musik in Pyrmont
Im Monat August vermittelten während der In- ternationalen Musikwochen in Bad Pyrmont deutsche und ausländische Dirigenten und Solisten mit der Nordwestdeutschen Philharmonie neben Werken der Klassik und Romantik bezeichnende Proben aus dem zeitgenössischen Schaffen.
Den Reigen der Sinfoniekonzerte begann der amerikanische Schweizer Walter Ducloux mit der vitalen und elastischen Wiedergabe von Stra- winskys„ Feuervogel" und Debussys„ Meer", dem er die Erstaufführung der Suite„ Der unglaubliche ließ, ein Ballett, dessen hemdsärmeliger Witz bia Flötist" von dem Amerikaner Walter Piston folgen
zur rasselnden Mordsgaudi mit Zirkuslärm reicht. Ernest Bour, der Chefdirigent von Radio Paris, brachte zwei Franzosen in großartiger Gespannt-
4. September 1948
Der Fall Schacht
STUTTGART. Dr. Schacht, der am Don- nerstagnachmittag aus dem Internierungslager Ludwigsburg entlassen worden ist, erklärte,
daß er sich zunächst zu seiner Familie in die britische Zone begeben wolle. Anschließend werde er sich in den Bergen von den Strapa- zen seiner Haft erholen. ,, Ich habe nicht vor", so erklärte Schacht, ,, auch nur das geringste zu arbeiten, bevor ich mich nicht ganz über die Verhältnisse auf Grund der statistischen und wirtschaftlichen Unterlagen orientiert habe."
Noch selten hat das Urteil einer Spruchkam- mer so heftigen Widerspruch hervorgerufen wie das gegen den ehemaligen Reichsbankprä- sidenten und Wirtschaftsminister. Auch Ver- treter der amerikanischen Militärregierung äußerten zunächst ihre Bedenken wegen des Freispruchs. Doch haben die Amerikaner ge- gen die Entlassung Schachts keine Einwen- dung erhoben, obwohl sie sich seinerzeit die Entscheidung über seine Internierung vorbe- halten hatten. Das Befreiungsministerium wird nun zunächst das Urteil nach Eingang der schriftlichen Begründung überprüfen, doch ist kaum anzunehmen, daß es zu einer Aufhebung der Entscheidung kommt.
Die KPD und die SPD haben sehr entschie- den gegen das Spruchkammerurteil Stellung genommen. Der Landesvorsitzende der CDU dagegen, Minister a. D. Josef André, er- klärte, daß er sich hinter das Urteil der Spruchkammer stelle, da in der Verhandlung alle Einzelheiten überprüft worden seien und das öffentliche Interesse die Beachtung der Spruchkammerurteile verlange. Seiner Mei- nung nach wäre es allerdings besser gewesen, wenn man Schacht nach seinem Freispruch im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß erst gar nicht verhaftet hätte. Der Landesausschuß der VVN Württemberg- Baden erklärte, der Frei- spruch Schachts beweise, daß man ein politi- sches Vergehen nicht allein mit juristischen Mitteln bereinigen könne.
Ein politisches Verbrechen werde nicht durch eine spätere gute Tat aus der Welt geschafft. Wenn die Berufungskammer den Argumenten Schachts Glauben geschenkt habe, so sei darin eine politische Instinktlosigkeit zu sehen.
Noch schärfer urteilt die Berliner Presse. Der ,, Telegraf" vertritt die Meinung, daß ein bereits stark diskreditiertes Spruchkammer- verfahren den Todesstoß erhalten habe. Es wäre ein tragisches Symptom für die Unreife des deutschen Volkes, wenn die Revision die- ses Urteils lediglich einer späteren Geschichts- schreibung überlassen wird. Der Tagesspie-
gel" schreibt, es scheine fast, als ob Promi- nenz im Entnazifizierungsverfahren heutzu- tage als Entlastungsgrund gelte. Die Entnazi- fizierung diene nicht mehr der Säuberung des öffentlichen Lebens, sondern der Rehabilitie- rung prominenter Nationalsozialisten. Die ein- zige Konsequenz, die sich noch ziehen lasse, sei, daß endlich Schluß gemacht werde mit dem verfahrenen Vorgehen bei der Entnazi- fizierung.
Schdanow beigesetzt
MOSKAU. Bei dem Staatsbegräbnis für den verstorbenen Sekretär der Kommunistischen Partei, Andrej S chdanow, am ver- gangenen Mittwoch zogen etwa 1½ Millionen Menschen an dem Katafalk, auf dem der Leichnam aufgebahrt war, vorbei. Mitglie- der des Zentralkomitees trugen den Sarg auf den Roten Platz. Nach einer Trauerkund- gebung, in deren Verlauf u. a. auch Außen- minister Molotow das Wort ergriff, wurde der Sarg im Lenin- Mausoleum auf dem Ro- ten Platz beigesetzt. Das diplomatische Korps nahm an dem Staatsakt teil. Der Botschafter' der USA, Bedell Smith, allerdings war nicht anwesend.
An der Totenwache in der Nacht vor der Beisetzung hat sich neben anderen Mitglie- dern des Politbüros auch Generalissimus Stalin beteiligt.
Herausgeber und Schriftleiter: W. H. Hebsacker( z. Zt. in Url.) Dr. Ernst Müller und Alfred Schwenger Weitere Mitglieder der Redaktion: Dr Helmut Kiecza und Joseph Klingelhöfer Monatlicher Bezugspreis einschl Trägerlohn 1.80 DM, durch die Post 2.16 DM. Einzelverkaufspreis 20 Pf. Erscheinungstage: Dienstag, Donnerstag, Samstag
heit: die Suite in F von Roussel, ein frisches, etwas geräuschvolles Stück der gemäßigten Moderne; so- dann die 3. Sinfonie von Rivier, die bezwingend
echte Kammermusik eines Mannes von persönlich-
ster Handschrift.
Drei Engländer vermittelten Arbeiten ihrer Lands- leute. Die vorzügliche Sopranistin Emelie Hooke sang den sehr geistigen und expressiven Rimbaud- Zyklus„ Les Illuminations" von Britten. Der Cellist Wykeham- George spielte das recht verblaßte Elgar-
Konzert
Wolfgang Fortner stellte als Uraufführung die erste Sinfonie seines Schülers, des 22jährigen hoch- begabten Hans Werner Henze heraus.
Als zweite Uraufführung gab es zum Tanzspiel der von Trude Pohl geleiteten Folkwang- Gruppe
„ Das Gespenst von Canterville"( nach Wilde) von
Peter Evers: eine einfallsreiche, rhythmisch
aparte, lyrisch ergiebige, intelligente Gebrauchsmu-
sik.
Dr. Günter Schab
Kulturelle Nachrichten
Dank den Bemühungen des Direktors des anthro- pologischen Institutes der Universität Kiel, Prof. Dr. Weinert, ist die alte Deutsche Anthropologische Gesellschaft unter dessen Leitung wieder ins Leben gerufen worden und wird vom 14. bis 17. September in Weinheim ihre erste Tagung abhalten. Prof. Dr. R. R. Schmidt, der Gründer und vorbildliche Aus-
gestalter des urgeschichtlichen Institutes der Uni- versität Tübingen und der Organisator der urge- schichtlichen Erforschung des Federseegebietes in Oberschwaben, wird über die Geschichte der Deut- schen Anthropologischen Gesellschaft seit Rudolf Virchow sprechen.
-
In der vergangenen Woche wurde vor amerika- nischen Hochschullehrern, die in Tübingen zu Gast waren, deutschen Wissenschaftlern und Schauspie- lern von Studenten des Leibniz- Kollegs Paul Ohle- meyers Drama ,, Odilo der Mensch" aufgeführt. Die sechs Personen des Stückes fünf junge Männer und eine Frau suchen in ihren Gesprächen die Fragwürdigkeit der menschlichen Existenz in un- serer Gegenwart zu durchdringen. Sie sind Gefan- gene der Macht und stürzen ins Chaos, weil sie als bloß funktionierende Menschenwesen ihre Seele verloren haben. Nur Eva, die einzige Frau neben diesen typisierten Männern überwindet die Krise, weil sie Liebe, Wahrheit und Demut in sich trägt. A. P.