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SCHWÄBISCHES TAG BLATT
Koordinierung der Wirtschaft und der Finanzen
Ständiges Sekretariat für Zusammenkünfte der Wirtschafts- und Finanzminister
BADEN- BADEN. Im ,, Journal Officiel" vom 18. August wurde ein Kommuniqué des Ober- kommandierenden der französischen Zone, General Koenig, über die Einrichtung eines ständigen Sekretariats für Wirtschaft und Fi- nanzen der Länder der französischen Zone samt den Einzelheiten über die Zusammen- setzung dieses Sekretariats veröffentlicht. Kommuniqué und Organisationsplan haben folgenden Wortlaut:
Kommuniqué
Um den deutschen Regierungen einen wach- senden Anteil an den wirtschaftlichen Verant- wortungen und an der Regelung der für das Wohlergehen der Bevölkerung der Länder der französischen Besatzungszone entscheidenden Fragen zu gewähren, habe ich auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Finanzen am 17. März 1948 den deutschen Ministern die Genehmi- gung erteilt, in jedem Fach zur Prüfung der mehreren Ländern gemeinsamen Fragen unter sich zusammenzutreten.
Seit diesem Zeitpunkt sind den deutschen Behörden neue Machtbefugnisse übertragen worden. Andererseits sind durch die engere Gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der britischen, amerikanischen und französischen Besatzungszone gleichfalls die zur Koordinierung der Interessen der Länder notwendigen technischen Studiengebiete zahl- reicher geworden.
Aus diesem Grund habe ich die deutschen Minister bitten lassen, für jede der wichtig-
Eisenbahnen trizonal
FRANKFURT. Zwischen der Hauptverwaltung der Eisenbahnen der Bizone, der Betriebsgesell- schaft der südwestdeutschen Eisenbahnen( fran- zösische Zone), dem Bizonenkontrollamt und der Transportdivision der französischen Militärregie- rung haben Verhandlungen stattgefunden über eine Zusammenfassung der Hilfsquellen der Ei- senbahnen in den drei Westzonen( Wagenpark, Werkstätten usw.) und eine Vereinheitlichung der Betriebsleitung. Vorgesehen ist, daß zwar eine getrennte Wirtschaftsführung beibehalten, die Betriebsleitung jedoch bei der Hauptverwal- tung der Eisenbahnen für die Bizone in Offen- bach zusammengefaßt wird. Ein entsprechendes Abkommen soll vor dem Abschluß stehen.
Grenzausschuß in Mannheim MANNHEIM. Unter dem Vorsitz von Minister- präsident Lüdemann( Schleswig- Holstein) trat am Freitag der Ländergrenzenausschuß der Ministerpräsidenten Westdeutschlands zusammen. An den Beratungen, die im Mannheimer Stadt- ratsaal stattfinden und heute noch andauern, nehmen rund vierzig Sachverständige aus den elf westdeutschen Ländern teil. Die Konferenz befaßt sich mit dem am Dienstag in Karlsruhe angenommenen und am Mittwoch in Stuttgart von einem Redaktionsausschuß ohne Vornahme sachlicher Veränderungen überarbeiteten und paragraphierten Entwurf für den Staatsvertrag zwischen Württemberg- Hohenzollern, Südbaden und Württemberg- Baden, der nach Billigung durch den Ausschuß an die Ministerpräsidenten- konferenz weitergegeben wird.
sten wirtschaftlichen Sparten gemeinsam einen Sachverständigen und einen Stellvertreter aus- zuwählen.
Zur Erleichterung dieser verschiedenen Ar- beiten lade ich die Minister heute ein, für je- des in Frage kommende Ministerium einen ständigen Sekretär zu bestellen. Diese Sekre- täre werden in Verbindung mit den Verwal- tungen der Länder und den gemeinsamen Stu- dienausschüssen die Zusammenkünfte der Mi- nister vorbereiten und den Sachverständigen ihre Mitarbeit gewähren.
Die neue Organisation für die Ministerzu- sammenkünfte ist vorliegendem Entscheid als Anlage beigefügt. P. Koenig
Organisation der Zusammenkünfte der Wirt- schafts- und Finanzminister der französischen Besatzungszone
A) Wirtschaft: 1 ständiger Sekretär. Angeschlossene Organe: Abteilung Marshall- Plan; Preisausschuß; Abteilung Statistik und Wirtschaftsstudien; Lochkartei;
1 Sachverständiger und 1 Stellvertreter für jede der obigen Sparten.
B) Arbeit: 1 ständiger Sekretär. Angeschlossene
Büro für Statistik;
Organe: Arbeitsausschuẞ;
1 Sachverständiger und 1 Stellvertreter für jede der folgenden Abteilungen: Arbeitskräfte; Sozialversicherung; Arbeitsgesetzgebung und
Löhne.
C) Finanzen: 1 ständiger Sekretär. Angeschlossene Organe: Steuerausschuß; Zollausschuß; Bankenausschuß; Ausschuß für Finanzstudien.
1 Sachverständiger und ein Stellvertreter für jede der vorgenannten Sparten.
D) Industrie- Produktion: 1 stän- diger Sekretär. Sachverständige: 1 planmäßiger Sachver-
ständiger und ein Stellvertreter für jede der folgenden Sparten: Stahl- und Gußeisen- In- dustrie; NE- Metalle und Mineralien; Chemie. 4 Sachverständige, von denen einer als Gruppenchef fungiert, werden für nach- stehende Unterabteilungen bestimmt: Anor- ganische Chemie; organische Chemie; Para- chemie; Düngemittel.
Mechanische und elektrische Industrien:
7 Sachverständige, von denen einer eben- falls als Gruppenchef fungiert, werden für die nachstehenden Unterabteilungen bestimmt: Metallbearbeitung; Schwere und mittlere Mechanik; Gießerei; Elektroindustrie; Werk- zeugmaschinen; Optik und Feinmechanik; Automobile und Fahrräder; Holz; Papier; Baustoffe; Kohle; Oeffentliche Dienste, Strom, Verschiedene Industrien; Textilien; Leder; Gas, Wasser; Treibstoffe; Industriebesitz.
E) Verkehr: 1 ständiger Sekretär, falls die Minister es nicht vorziehen, den des Ver- kehrsrats heranzuziehen.
Angeschlossene Organe: Verkehrsrat; Be- ratendes Büro für Straßenverkehr.
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F) Postwesen- Telefon Tele- graf: 1 ständiger Sekretär. Angeschlossene Organe: Höherer Postrat; Postzentralamt.
G) Landwirtschaft: 1 ständiger Se- kretär.*) Sachverständige: 1 planmäßiger Sachver- ständiger und 1 Stellvertreter für: Düngemit- tel( Bedarf und Verteilung); Saatgut; Produk- tionskontrolle und Bestimmung der Metho- den für die Ablieferung.
H) Ernährung: 1 ständiger Sekretär.*) Sachverständige: 1 planmäßiger Sachver- ständiger und 1 Stellvertreter für Rationie- rung; Ein- und Ausfuhr.
I) Forstwesen: 1 ständiger Sekretär.*) Sachverständige: 1 planmäßiger Sachver- ständiger und 1 Stellvertreter.
*) Die Funktionen des Sekretärs können gegebenenfalls entsprechend den Arbeitsbedingungen durch einen einzigen Beamten ausgeübt werden.
Nachrichten aus aller Welt
LUDWIGSHAFEN. Die russische Behauptung, die Explosion in den Badischen Anilin- und Sodafabri- ken Ludwigshafen sei auf die Herstellung von Hydrazin- Hydrat, einen V 2- Treibstoff, zurückzufüh-
ren, wurde von der durch General Koenig zugezo- genen internationalen Untersuchungskommission de- mentiert.
MUNCHEN. Vier Sitze im Parlamentarischen Rat beanspruchte die Bayernpartei. Ihr Landesvorsitzen- der verlangte alle Hoheitsrechte zurück, die Bayern im Laufe seiner Geschichte besessen habe. Wegen ihres allzu lebhaften Beifalls mußten einige seiner
Anhänger aus dem Saale entfernt werden. Der stell- vertretende bayerische Ministerpräsident hatte zu dieser Sitzung nicht rechtzeitig eintreffen können, da er durch einen Termin in einem Beleidigungs- prozeß aufgehalten worden war.
HANNOVER. Aus dem polnischen Internierungs- lager Myslowitz in Oberschlesien geflüchtete Deut- sche gaben an, im Oktober des vérgangenen Jahres hätten sich noch mehr als 3000 deutsche Männer,
Frauen und Kinder aus dem ehemaligen„, General- gouvernement" und" Warthegau" in diesem Lager befunden. Täglich seien 70 bis 120 Menschen ge- storben und insbesondere frühere Amtsträger der NSDAP erschlagen worden.
KIEL. In einem Memorandum an die westdeut- schen Ministerpräsidenten und die Kommission für die Revision der Ländergrenzen wendet sich die
in
SPD zieht sich zurück TÜBINGEN. Der erweiterte Landesvorstand der SPD beschloß in seiner Sitzung vom 25. Au- gust, die Vertreter der SPD aus sämtlichen poli- tischen Säuberungsinstanzen in Württemberg- Ho- henzollern zurückzuziehen ,,, um der Staatsregie- rung und auch der französischen Militärregierung den ganzen Ernst der Lage zu zeigen, der durch die Ungerechtigkeiten im Entnazifizierungsver- fahren entstanden ist". Man hoffe, daß dieser Schritt zur schnellen Verabschiedung eines durch- greifenden echten Amnestiegesetzes führe. Durch verschiedene Umstände habe die politische nischen Druck wirtschaftlich stärken zu können. Säuberung ihren Sinn verloren und ein allge- meiner Schlußstrich sei daher geboten. Die kürz- Hich von der französischen Militärregierung ver- kündeten Amnestievorschriften erfüllten nicht die Ansprüche, die an ein wirkliches Schlußge- setz für die politische Säuberung gestellt werden müßten, da sie mit zu vielen Einschränkungen und Verfahrensmängeln behaftet seien.
schleswig- holsteinische Regierung gegen eine Ab- trennung Südschleswigs von Holstein, die vom pro- dänischen Südschleswigschen Wählerverband einem Schreiben an die alliierten Oberbefehlshaber gefordert worden war. Ziel der Abtrennung sei die Errichtung eines autonomen Staates Südschleswig. Lüdemann hofft dagegen, Schleswig- Holstein durch eine Vereinigung mit Hamburg gegenüber dem dä-
Staatspräsident wieder in Tübingen TÜBINGEN. Staatspräsident Dr. Gebhard Mül- ler, der sich seit seiner Wahl krankheitshalber in Bad Ditzenbach bei Göppingen aufhielt, kehrt am Montag wieder nach Tübingen zurück.
Dee Hare non Sigestissen
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VON KARL FUSS
Auch ein paar alte Zeitungsblätter stöberte ich auf, die seinerzeit ausführlich über den Prozeß Wetzel geschrieben hatten. So glaube ich einigermaßen richtig wiederzugeben, was sich damals ereignet hat.
Der junge Lorenz Wetzel saß auf dem reichsten Hof von Sigertissen. Ein gutgewach- sener, frischer, umtriebiger Mann, verstand er nicht nur sein bäuerliches Handwerk aufs
erbe von seiner Mutter her
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TRAVEMÜNDE. Die vor einem Jahr gewählte Vertretung der Freien Stadt Danzig forderte auf einer Tagung in Travemünde den Schutz der Ver- einten Nationen für die Freie Stadt, da deren Ver-
fassung seinerzeit vom Völkerbund garantiert wurde. Der polnische Staat habe Danzig unter Verletzung der geltenden Norm des Völkerbundes widerrecht- lich einverleibt.
BERLIN. Der amtierende Oberbürgermeister von Berlin, Frau Louise Schröder, ist zu einer Magen- operation nach Hamburg abgeflogen.
INNSBRUCK. Der Mitgliederschwund innerhalb der kommunistischen Partei Oesterreichs hält an. Es sind Tendenzen bemerkbar, daß sich Teile der
österreichischen KP von deren Moskauhörigkeit distanzieren. Eine Tiroler Zeitung berichtet, die als Werkschutz in Zistersdorf bei Wien getarnte ,, Pri- vatarmee" der Kommunistischen Partei Oesterreichs
sei besser bewaffnet als die österreichische Polizei
in der von den Sowjets besetzten Ostzone Oester-
reichs.
DEN HAAG. Zu den Feierlichkeiten aus Anlaß des
Thronwechsels treffen seit Tagen in der holländi- schen Hauptstadt die Gäste aus aller Welt ein. Aus
der Umgebung der abdankenden Königin Wilhel- mine wird berichtet, daß diese nach 50jähriger Herr- schaft überzeugt sei, für die Lösung der heute ge- stellten Aufgaben nicht mehr die rechte Person zu sein. Es sei ihr unerträglich, auf die traditionelle Herrschaft ihres Hauses über Java zu verzichten
und mit Vertretern der Republik von Djokjakjarta
zu verhandeln.
MADRID. Eine dritte Gruppe amerikanischer Ver- kehrssachverständiger besucht zurzeit die bedeu- tenästen Einrichtungen der spanischen Eisenbahnen. STOCKHOLM. In der 19jährigen Russin Lydia Makarowa hat Schweden nun eine eigene ,, Kosen- kina", die gleichfalls unter Nachstellungen durch ihr Konsulat gegen ihren Willen nach Rußland zu- rückgebracht werden sollte.
MOSKAU. Da die USA und Großbritannien im
Begriff seien, den Friedensvertrag zu verletzen und den im Außenministerrat getroffenen Entscheidun- gen über Triest offen zuwiderhandelten, wollen die russischen Satellitenstaaten u. U. eine ,, direkte Ak- tion" in der Triester Frage ins Auge fassen.
JERUSALEM. Der jüdische Militärgouverneur von Jerusalem unterrichtete den Vorsitzenden der Waf- fenstillstandskommission über 52 Waffenstillstands- verletzungen durch arabische Streitkräfte während der letzten drei Tage.
PRETORIA, Der Innenminister des neuen süd- afrikanischen Kabinetts hat die von der früheren Regierung Smuts erlassenen Ausweisungsbefehle für 193 Deutsche zurückgezogen.
WASHINGTON, Von 3 Millionen im Jahre 1947 in den USA beschlagnahmten gefälschten Dollarnoten sind mehr als zwei Drittel in Europa, insbesondere in Marseille, gedruckt worden.
OTTAWA. Fast 19 000 verschleppte Personen aus ganz Europa wanderten in den ersten sechs Mo- naten des Jahres 1948 in Kanada ein.
NANKING. 21 Millionen Menschen sind in Mittel- und Südchina infolge der großen Ueberschwemmun- gen obdachlos geworden.
Hochzeit teilzunehmen. Erst an diesem Tage lernte sie ihren Schwager kennen. Sie war jahrelang in der Stadt gewesen, um einem alten schrulligen Verwandten den Haushalt zu führen. Es war der„ Erbonkel" der Ort- liebs, da hatte man nicht nein sagen können, als er einst bei seiner Verwitwung um die Hilfe Justines gebeten hatte.
Von der zauberischen Macht einer plötzlich Mann oder Frau oder beide überfallenden Liebesleidenschaft erzählen manche alte und neue, berühmte und namenlose Geschichten, aber der Hörer lächelt wohl etwas ungläubig, hält sie für dichterische Uebertreibung und dünkt sich selber dagegen gefeit. Mit Justine und Lorenz aber begab sich eine solche Mär. Sie sahen sich und wurden jählings von Liebe füreinander ergriffen, als stoße ein rasender Sturm ihre Leiber und Seelen zusammen.
Strafbar?
Ein Leser schreibt uns:
28. August 194$
Im Schwäbischen Tagblatt Nr. 71 vom 24. Au- gust 1948 findet sich in dem Artikel„ Die De- montagen laufen an" folgender Passus:
,, Die vorgesehenen Erleichterungen die Uhrenfabriken Mauthe und Kienzle sollten beispielsweise ganz von der Liste abgesetzt werden- sind fortgefallen. Sprecher der Mi- litärregierung bezeichnen Regierungsrücktritt und Proteststreik als Anlässe für die Ver- schärfung."
bemüht, uns immer tiefer in das Wesen der De- Seit der Beendigung des Krieges ist man sehr mokratie einzuführen und uns mit ihren Mitteln vertraut zu machen. Zu diesen Mitteln gehören einer Regierung, falls sie das, was sie für rich- unter anderem auch der Streik und der Rücktritt tig hält, nicht durchzusetzen vermag. In einem Streikfall kann dann der Gegenspieler entweder nachgeben, sich zu einem Kompromiß bereitfin- den, oder den Streik einfach unberücksichtigt lassen.
Aus dem oben zitierten Passus aber geht her vor, daß der doch erlaubte Streik und der de- mokratisch durchaus vertretbare Rücktritt der Regierung ,, als Anlässe für die Verschärfung" bezeichnet werden. Zu deutsch heißt das, daß der Streik und der Regierungsrücktritt bestraft werden. Natürlich hat eine Militärregierung die Macht, einen Streik zu bestrafen. Damit aber bestraft sie die Ausübung eines der Grundrechte des demokratischen Staates. Neben der rein theo- retischen Belehrung über das Wesen der Demo- kratie werden wir immer wieder gerade auf dieses uns in der Praxis wiedergeschenkte Streik- recht hingewiesen.
Meine Frage, für deren Beantwortung ich sehr dankbar wäre, ist nun ganz schlicht die: Gibt es auch eine Praxis, die nur theoretisch ist?
Herrenjacken aus Zuckersäcken
AH.
H. G. M. In der Ausgabe der in Zwickau er- scheinenden ,, Freien Presse" vom 7. August d. J., dem Organ der SED für den Bezirk Südwest- sachsen, einem also gewiß unverdächtigen Zeu- gen, finden sich unter der Ueberschrift ,, Die Qua- lität verbessern, um den Export zu steigern" in- teressante Einzelheiten über die Ergebnisse so- zialistischer Planwirtschaft". Es wird darin be- klagt, daß viele der neu erzeugten Gebrauchs- güter hinsichtlich des Materials, der Verarbei- tung und im Preise den einfachsten Anforderun- gen nicht genügen. Kinderschürzen werden aus Windelmull, Gardinen aus Verbandstoff her- gestellt. Aus Zuckersäcken fertigt man Herren- jacken. Hauskleider sind aus fehlerhaft geweb- tem Scheuertuch geschneidert worden.
Bei lackierten Eẞlöffeln und Brotschneidern er- gab sich, daß der Lack nur verbergen sollte, daß es sich um durch und durch verrostetes Material handelte. Kochplatten waren aus Materialresten hergestellt und an fünfzig Stellen geschweißt. Wäschetruhen aus Pappe werden zu 36 Mark an- geboten. Solche und ähnliche Schundwaren wur- den auf einer von der temperamentvollen Gat- tin des Ministerpräsidenten des Landes Sachsen, Frau Ruth Seydewitz, veranstalteten Ausstellung gezeigt, die den Zweck verfolgte, den ,, Leitern" der volkseigenen Betriebe, den Betriebsräten und den Gewerkschaftsfunktionären begreiflich zu machen, daß eine solche Produktion unerwünscht sei.
Daß die tieferen Ursachen für die Produktion solchen Schunds darin liegen, daß unvernünftige ,, Pläne" trotz großen Rohstoffmangels den Be- trieben ohne Rücksicht auf die Qualität eine be- stimmte Produktionshöhe auferlegen, wurde frel- lich in der Diskussion nicht gesagt. Der Bericht sollte den Werktätigen, bei denen die Empörung besonders, über solchen Schund allgemein ist da diese Waren zum Teil auf Bezugscheine durch selbstverständlich gegen teures den FDGB Geld verteilt wurden, zeigen, wie die soziali- stische Regierung egen die Mißstände kämpft.
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Wenn private ernehmer derartige Waren herstellten und zu solchen Wucherpreisen anbö- ten, würden sie mit Recht wegen betrügerischer Machenschaften verfolgt werden können. Staats- betrieben kann man bei solchen Betrügereien nur gut zureden und damit drohen, den einen oder anderen„ Genossen" wegen ,, Unfähigkeit" oder Sabotage am sozialistischen Aufbau" zu belan-
gen.
Herausgeber und Schriftleiter: W. H. Hebsacker( z. Zt. in Url.) Dr. Ernst Müller und Alfred Schwenger Weitere Mitglieder der Redaktion: Dr. Helmut Kiecza und Joseph Klingelhöfer Monatlicher Bezugspreis einschl. Trägerlohn 1.80 DM, durch die Post 2.16 DM. Einzelverkaufspreis 20 Pf. Erscheinungstage: Dienstag, Donnerstag, Samstag
hinzu:„ Auf dich allein hab' ich gewartet“.
Was
an diesem schicksalhaften Tage im Hause Ortlieb alles geschah, das läßt sich hinterher nicht mehr so genau auseinander- legen. Es scheint festzustehen, daß Lorenz, mit dem Einverständnis Justines, im Ernst daran dachte, die Verlobung mit Pia zu lösen, um ihre Schwester zu heiraten. Wie in den Vorzimmern und Staatsgemächern eines fürst- lichen Hofes während einer politischen Kri- senzeit gab es Besprechungen und Verhand- lungen hin und her: zwischen Lorenz und Pia, Pia und Justine, zwischen den Brauteltern und Lorenz, diesem und seiner Mutter, zwi- schen der Brautmutter und ihren Töchtern einzeln und zusammen, zwischen der alten Frau Wetzel und Justine und deren Eltern
Daß er durchaus kein Stadtmensch, kein ,, Doktorbauer" geworden war, bewies auch seine Brautwahl. Er ließ sich Zeit damit, und manches Mädchen mochte sich schmeicheln, Lorenz habe sein Auge auf es geworfen wenn Frau Agathe, Freund Willibalds Gattin, an jenem Abend errötet war, so nicht ohne Grund: auch sie nämlich, die damals ein blut- junges Ding war, Tochter eines Domäneren- danten in der Umgebung, hatte es Lorenz Wetzel eine Zeitlang angetan, und sie war nicht die einzige aus gehobeneren Ständen, der der schmucke Bursche zugesagt hätte. beste, sondern er war auch intelligent und Aber seine Wahl fiel schließlich doch auf eine für geistige Dinge aufgetan. Das war Blut- Bauerntochter. In seinem dreißigsten Lebens- die Liebe der jahre erst, das ist spät nach dortigen Begrif- evangelischen Pfarrerstochter zu dem katho- fen, verlobte sich Lorenz Wetzel mit Pia Ort- lischen Wetzelbauer war ein Roman für sich lieb, die von einem großen Hof in Iggersreute, von ihr hatte er insbesondere eine leiden- in der Nähe von Sigertissen, stammte. Nun: schaftliche Neigung zur Musik mitbekommen, ,, wem's Glück wohl will, dem kälberet der die die Frühverwitwete nach besten Kräften Dreschflegel auf der Tenne", sagt man im gepflegt hatte, eine so treffliche Bäuerin sie Schwäbischen, denn Pia war nicht nur schön auch, entgegen allen Voraussagen entsetzter anzusehen und tüchtig in Haus und Hof, son- Anverwandter, geworden war. Noch der alte dern auch reich. So gab's ein stattliches Paar, Wetzelbauer, der seiner tapferen Frau nicht die Pia und der Lorenz, und alle Vorzeichen für leicht etwas abschlagen konnte, hatte kurz diese Ehe schienen günstig. Man sagte den vor seinem allzufrühen Tode ein gutes Kla- Ortliebs zwar eine Tatkraft nach, die Böswillige Der junge Wetzel ging den Tönen nach und vier gekauft. Mutter Wetzel war ihrem Sohn Eigensinn nannten, insofern paßte sie ganz betrat das„ gute" Zimmer, wo ein Mädchen zuerst selbst die beste Lehrerin, scheute aber gut zu Lorenz, der auch genau wußte, was er am Klavier saẞ. ,, Weitermachen!" winkte er auch keine Kosten, ihm später eine musika- wollte. Denn zwei eigenwillige Pferde geschir- ihr nur zu, berückt von einer Mozart- Melodie. Es war auch Polterabend, und er verlief lische Ausbildung zu verschaffen, wie sie zu ren besser zusammen als ein sanfter und ein Sie lächelte und gehorchte. Und spielte, spielte. schließlich, dank Speis und Trank, so geräusch- jener Zeit auf dem Lande sonst so gut wie bockiger Gaul, sagen die Leute, und sie wer- Lorenz war neben sie getreten und wandte voll und lustig, wie es sich bei der Vorhoch- nicht vorkam. Nicht als ob nun aber aus Lo- den recht haben. Zudem: zwischen Donau die Notenblätter um, bis das Rondo beendet zeit reicher Bauersleute gehört, und zudem renz ein ,, Herrenbauer" geworden wäre und Bodensee wachsen halt nun einmal, man war. Dann blickten sie sich lachend an, er- ist ja der Polterabend mehr das Fest der Musik und sonstige geistige Beschäftigung weiß es, die dickschädeligsten Manns- und röteten, wurden still, eine selige Beklom- Brautführer und Brautjungfern, überhaupt liefen sozusagen nebenher; der alte Wetzel, Weibsbilder, und sie haben einander immer menheit ergriff sie. der Kameraden und Gespielinnen der Hoch- der als schaffiger und umsichtiger Landwirt geheiratet und Kinder in die Welt gesetzt, Der Schatten des Schicksals hatte sich über zeiter. Lorenz war nicht umsonst durch eine bekannt war, hätte seine Freude an der Ent- die grad solche Dickköpfe wurden, und die sie gelegt. gute geistige Schulung gegangen, er wußte wicklung seines Sohnes gehabt, der durch- Welt ist drum nicht auseinandergegangen. Am aus in seine Fußstapfen trat. Er war ein Tag vor der Hochzeit aber trat jenes Ereig- ,, Du bist es!" Und sein Herz, schwimmend Er saẞ neben seiner Braut Pia, die totenbla ,, Du also bist die Justine!" sagte er endlich. sich selbst an diesem Abend zu beherrschen. Bauer und war stolz darauf, einer zu sein, nis ein, das Lorenzens Lebensweg die ent- auf einer Woge von Glück und Verzweiflung, war und mit den Augen herumfunkelte, als aber als reicher Wetzelhöfer konnte er scheidende Wendung gab. Und damit beginnt schrie dazu:„ Dich hab' ich erwählt, nur wollte sie jeden erdolchen, der die schimpf- sich immerhin leisten, auch einmal seinem eigentlich erst unsere Geschichte. Gelüste nachzugeben, wenn es ihn ans Kla- liche Behauptung wagen würde, Lorenz habe Erst an diesem Tage kam Justine, Pias Justine versuchte ein Lächeln: ,, Und du bist sie um einer andern, um ihrer Schwester wil- vier trieb. einzige Schwester, nach Hause, um an der der Schwager Lorenz!" Und ihr Herz fügte len, verschmäht. ( Fortsetzung folgt)
-
es
kurz, es war ein Tag voller Spannungen. Bald raunte es sich auch überall herum, Es begann damit, daß Lorenz, als er am halb geglaubt, halb bezweifelt: Lorenz wollte Morgen ins Haus seiner Braut kam, Klavier- in letzter Stunde die Schwestern ,, tauschen". spiel hörte- in manchen reichen Höfen stan- Und wie nach dem Intrigenspiel diploma- den jetzt schon Instrumente, das ihn still- tischer Verhandlungen ein nichtssagendes stehen ließ. Wer denn da spiele, fragte er„ amtliches Communiqué" die erregten Gemüter eine Magd.) ,, Das Fräulein Justine ist gestern beruhigen soll, so wurde von den Familien abend gekommen." Ortlieb und Wetzel ausgestreut, was da ein paar böse Zungen sich zurechtgeklügelt hät- ten, das sei natürlich blanker Unsinn. Und überhaupt sei heut ja Polterabend.
dich."