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107

SCHWÄBISCHES

DONNERSTAG, 19. AUGUST 1948

Passierscheine fallen weg

TAGBLATT

VERLAG UND SCHRIFTLEITUNG: TÜBINGEN, UHLANDSTRASSE 2

BADEN- BADEN. Der französische Oberbe- fehlshaber in Deutschland hat, im Einverneh- men mit dem amerikanischen und dem briti- schen Oberbefehlshaber, angeordnet, daß ab 20. August der Interzonenverkehr zwischen der französischen und der Bizone für alle Per- sonen, die in der französischen Zone wohnen, frei ist. Ausgenommen sind Staatenlose und verschleppte" Personen( DP), die der bis- herigen Regelung unterworfen bleiben. Die neue Anordnung berechtigt jedoch nicht zur Uebersiedlung von einer Zone in die andere.

Donaufrage vor die UN? BELGRAD. Der Verlauf der Donaukonfe- renz in den letzten Tagen unterscheidet sich von den vorangegangenen in keiner Weise. Die Paragraphen des sowjetischen Entwurfs werden mit 7 zu 3 Stimmen angenommen, die Abänderungsvorschläge der Westmächte mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt. Ein Sprecher des Quai d'Orsay erklärte, es sei durchaus möglich, daß die französische Dele- gation hinfort eine weitere Stimmabgabe ab- lehnen und die Donaufrage vor die UN brin- gen werde.

Westregierung aufgegeben?

Moskauer Besprechungen im Endstadium/ Sechste Unterredung mit Molotow

PARIS. Die Vertreter der Westmächte in Moskau wurden am Montagabend zum sech stenmal von Molotow empfangen. Sie waren im Besitz neuer Instruktionen ihrer Regierun- gen, über die sie am Tage vorher in der ameri- kanischen Botschaft beraten hatten. Die Aus- sprache mit dem sowjetischen Außenminister dauerte drei Stunden 40 Minuten. Dieses Mal hatte Molotow die Vertreter der Westmächte zu der Unterredung aufgefordert.

Zur gleichen Stunde, da in Moskau verhan- britischen Minister unter Vorsitz des stellver- delt wurde, traten die in London anwesenden tretenden Premierministers, Herbert Mor- rison, zu einer. Besprechung zusammen, an der auch Feldmarschall Montgomery teil- nahm. Am selben Tage wurde weiterhin be- kanntgegeben, daß am 1. September die sechs Westmächte zur Festlegung des Ruhrstatuts in Paris zusammentreten werden.

In eingeweihten Kreisen Londons ist man der Ansicht, daß auf die Unterredung vom Montag nur noch eine letzte entscheidende Aussprache zwischen den Botschaftern der

Auszahlung der zweiten Kopfquote

Besprechungen der Militärgouverneure und der Zweizonenbehörden in Frankfurt FRANKFURT. Am Montag vormittag um 11 Uhr trafen sich im Zweimächtekontrollamt die beiden Militärgouverneuere Clay und Ro- bertson mit ihren Stäben zu der üblichen, zweimal im Monat stattfindenden Besprechung. Sie beschlossen, sämtliche Lebensmittelzula- gen für politisch, rassisch und religiös Ver- folgte mit sofortiger Wirkung in der Doppel- zone aufzuheben, da die gegenwärtige Kalo- rienzahl, die im Vereinigten Wirtschaftsgebiet an die Normalverbraucher ausgegeben werde, Zulagen der erwähnten Art überflüssig mache. Um 14.30 Uhr fand im IG- Hochhaus eine Konferenz der drei Militärgouverneure Clay, Robertson und Koenig mit den Spitzenver- tretern der Zweizonenbehörden statt.

Die Militärgouverneure haben beschlossen, daß die zweite Rate des Kopfgeldes in Deut- scher Mark am 20. August ausbezahlt werden soll. Die Entscheidung über die Freigabe der zweiten Rate der Bankkonten in Höhe von 5%( 250 Deutsche Mark) des freigestellten Kontobetrages von 5000 RM wurde aufgescho- ben, da die Militärgouverneure der Ansicht sind, daß zurzeit genügend Geld im Umlauf sei. Wie aus einer Erklärung der Bank deut- scher Länder hiezu hervorgeht, wird jedoch die restliche Kopfquote voraussichtlich nur an diejenigen in bar ausbezahlt, die kein Bankkonto besitzen, während den Kontoin- habern der Betrag gutgeschrieben wird. Bei den Frankfurter Besprechungen wur-

Markos' Hauptquartier erobert ATHEN. Der Kriegsminister der griechi- schen Nationalregierung, Stratos, gab in einer Sitzung des Ministerrats bekannt, daß die Regierungstruppen das bisherige Haupt- quartier von General Markos erobert hätten. Weiterhin wird gemeldet, die Aufständischen

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REGIERUNGSTRUPPEN

zögen sich in ungeordneten Haufen nach Al- banien zurück. Um mehrere Schlüsselstellun- gen im Grammosgebirge wird noch gekämpft. Nach einem Heeresbericht des Generalstabs der Regierungstruppen hat die Regierungs- armee vom 31. Juni bis 14. August im Gram- mosgebirge 3950 qkm Gelände gesäubert und das von den Anhängern Markos' besetzte Ge- biet auf 350 qkm reduziert. Nach diesen Be- richten verloren die Regierungstruppen 551 Tote, 2830 Verwundete und 30 Vermißte, die Gegner 2685 Tote und 1133 Gefangene.

Immer noch Kämpfe in Jerusalem JERUSALEM. Die Kampfhandlungen nörd- lich und südlich von Jerusalem dauern un- unterbrochen an und werden von beiden Sei- ten mit Erbitterung geführt. Am Montag wurde in Tel Aviv Luftalarm gegeben. Wie aus Washington gemeldet wird, hat Saudi- Arabien einen von der Import- Export- Bank gewährten Kredit von 15 Millionen Dol- lar ,, in Anbetracht der araberfeindlichen Hal- tung der Vereinigten Staaten in der Palä- stinafrage" abgelehnt.

den außerdem folgende Fragen behandelt: der Europahilfsplan, die Lage in Berlin, das künf- tige Besatzungsstatut, die Neufestsetzung der Ländergrenzen und die Betriebsrätegesetze einzelner Länder. Die Militärgouverneure ver- traten den Standpunkt, daß ein Gesetz von solcher Tragweite wie das Betriebsrätegesetz erst von dem künftigen westdeutschen Ge- samtparlament angenommen werden sollte. In einer Pressekonferenz verneinte General Clay die Frage, ob er von der Ausübung sei- ner Funktionen zurücktreten werde, falls Washington infolge der Moskauer Verhand- lungen auf die Bildung eines westdeutschen Staates verzichten sollte.

Westmächte und Molotow oder vielleicht eine zweite Audienz bei Stalin folgen wird und mit einer baldigen Aufhebung der Nachrichten- sperre und Bekanntgabe der Verhandlungs- ergebnisse zu rechnen ist.

Die Erklärung General Clays in Frank- furt nahm man mit Genugtuung auf und wies darauf hin, daß Clay zum erstenmal zuge- geben habe, die Bildung einer westdeutschen Regierung hänge vom Ausgang der Moskauer Verhandlungen ab. Man will wissen, daß die schlossen haben, die Verwirklichung der Lon- drei Oberkommandierenden der Westzonen be- doner Beschlüsse zurückzustellen, um der halb sei auch eine für Montag anberaumte Zu- möglichen Entwicklung nicht vorzugreifen. Des- sammenkunft zwischen den Militärgouverneu- worden und würden die angekündigte Aende- ren und den Ministerpräsidenten abgesagt rung der Ländergrenzen und der Zusammen- tritt des Parlamentarischen Rats auf unbe- stimmte Zeit vertagt.

Westmächte beschlossen, keine Verhandlungen Einer weiteren Meldung zufolge haben die über die Bildung einer Westregierung wäh- rend der Dauer der Viermächtekonferenz zu führen.

In der Pariser Ausgabe der New York Herald Tribune" wurden Gerüchte bespro- chen, denen zufolge die Westmächte sich be- reit erklärt haben, die Möglichkeiten für die Zurückziehung der Besatzungstruppen aus Deutschland innerhalb eines Jahres nach Un- terzeichnung des Friedensvertrags zu prüfen. Falls sich diese Gerüchte bewahrheiteten, hät- ten die Westmächte einer der sechs Forderun- gen der Warschauer Konferenz der osteuro- päischen Staaten zugestimmt. Weiter wird be- richtet, die Westmächte hätten von der So- wjetunion zwei Gegenkonzessionen verlangt: föderative Staatsform Deutschlands bei wirt- schaftlicher Einheit und Aufrechterhaltung kleiner alliierter Besatzungen an strategisch besonders wichtigen Punkten.

Bundestag und Bundesrat

Verfassungsausschuß von Herrenchiemsee empfiehlt Zwei- Kammer- System HERRENCHIEMSEE. Die von dem auf Her- renchiemsee tagenden Verfassungsausschuẞ gebildete Kommission für Organisationsfragen schloß am Montag ihre Beratungen ab. Sie empfiehlt, den vorgeschlagenen Bundesrat ne- ben dem Bundestag als voll ausgebaute Zweite Kammer mit allen legislativen Vollmachten auszustatten. Neue Gesetze, die den föderati- ven Grundcharakter des Bundesstaates berühr- ten, müßten vom Bundesrat einstimmig gebil- ligt werden.

falls er sich durch ein staatliches Organ in sei- nen staatsbürgerlichen Rechten eingeschränkt fühlt.

Der Bundespräsident sei vom Bundesrat und vom Bundestag getrennt zu wählen. Falls die empfohlene absolute Mehrheit bei der Wahl nicht zustande kommen sollte, wird ein zwei- ter und dritter Wahlgang vorgeschlagen.

Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung wird empfohlen, Bundesaufsicht und Bundesexeku- tive zur Sache des Bundesrates zu machen. Der Bundespräsident allein soll nicht das Recht haben, Notverordnungen zu erlassen. Diese sollen nur im Einvernehmen mit dem Bun-

desrat Gesetzeskraft erlangen können. Der Bundeskanzler solle ausschließlich vom Bun- destag gewählt werden und der Bestätigung durch den Bundespräsidenten bedürfen.

Man kam überein, die Zahl der Ministerien müsse verfassungsmäßig festgelegt werden ( vorgesehen ist auch ein Außenministerium). Außerdem sollen ein Bundesgericht, ein Bun- desverfassungsgerichtshof, eine Bundesdiszipli- narkammer und ein Bundesverwaltungsge- richt geschaffen werden. Jeder Bürger soll Verfassungsbeschwerden einreichen können,

Der Justizminister von Rheinland- Pfalz, Dr. Adolf Süsterhenn, schlug für das provi- sorische westdeutsche Staatsgebilde die Be- zeichnung Union deutscher Länder" vor. Dem künftigen vollsouveränen deutschen Gesamt- staat könnte nach Ansicht Süsterhenns die Be- zeichnung ,, Deutsche Bundesrepublik" vorbe-

halten bleiben.

In der Dienstagsitzung der Kommission für ,, Grundsatzfragen" bekannte sich die überwie- gende Mehrheit zu dem Standpunkt von Staatsrat Prof. Dr. Karl Schmid, der die These vertritt, der deutsche Staat sei als fort- bestehend anzusehen, im Gegensatz zu der Meinung, er müsse, da vernichtet, neu errich- tet werden. Einmütig wurde vertreten, daß die zu schaffende Verfassung vorläufig und befristet sein dürfe, die außer Kraft zu treten habe, sobald sich das gesamte deutsche Volk in freier Entschließung eine neue Ver- fassung geben könne.

Bei den Beratungen im Zuständigkeitsaus- schuß", der sich mit Fragen der Kompetenzen in der Gesetzgebung zwischen Bund und Län- dern befaßte, trat man dafür ein, daß die Ge- setzgebung ausschließlich dem Bund zufallen solle. Unklarheit herrscht noch über Finanzge- setzgebung und Finanzverwaltung. Die Ein- nahmen der Post und der Eisenbahn sowie Zölle und Verbrauchssteuern sollten auf jeden Fall dem Bund zukommen.

Vertrauensvotum für André Marie

Zweidrittelmehrheit im Rat der Republik/ Amerikareise Reynauds? PARIS. Die Nationalversammlung hat das Gesetz zur wirtschaftlichen und finanziellen Gesundung mit den vom Rat der Republik vorgenommenen Abänderungen am Dienstag gebilligt. in zweiter Lesung mit 358 gegen 202 Stimmen

Wie jetzt erst bekannt wird, hat die erste Abstimmung über die Ermächtigungsgesetze in der französischen Nationalversammlung ernsthafte Zwistigkeiten in der Gruppe der Abgeordneten, die der Sammelbewegung Ge- neral de Gaulles angehören, ausgelöst. Nur ein Teil der Gruppe gehorchte dem Opposi- tionsbefehl, einzelne Mitglieder enthielten sich der Stimme oder bejahten die Regierungsvor- lage.

Als bei der Behandlung des Gesetzentwur- fes im Rat der Republik ein Mitglied der Volksrepublikanischen Bewegung( MRP) ei- nen Zusatzantrag stellte, der jede Reform der Sozialversicherung unmöglich gemacht hätte, stellte der Ministerpräsident André Marie die Vertrauensfrage und erhielt eine Zwei- drittelmehrheit. Diese höfliche Geste des Re- gierungschefs gegenüber dem zweiten Parla- ment wird als der Wunsch gedeutet, man möge nach dem Beispiel der dritten Republik den Rat der Republik wieder dem früheren Senat gleichstellen.

In unterrichteten Kreisen von Paris rechnet man damit, daß sich Finanz- und Wirtschafts- minister Reynaud demnächst zusammen mit dem britischen Schatzkanzler, Sir Stafford Cripps, nach den USA begeben wird, um an der Jahresversammlung des internationa- len Währungsfonds teilzunehmen. Gleichzeitig wird behauptet, Reynaud beabsichtige bei die- ser Gelegenheit, die endgültige Stabilisierung der französischen Währung und ihre Umstel- lung auf den Goldfranc durchzuführen.

Nach Mitteilungen des französischen Land-

wirtschaftsministeriums ist die französische Getreideernte von 1948 die beste seit 1939. Trotzdem seien die im ERP vorgesehenen Importe notwendig.

Maulkorb für LDP- Politiker BERLIN. Der stellvertretende Vorsitzende der LDP der Sowjetzone, Arthur Lieute- nant, und eine Reihe weiterer führender Mitglieder der Ostzonen- LDP haben von der SMA Redeverbot erhalten. Der sächsische LDP- Abgeordnete Mundt wurde wegen eines im Sächsischen Tageblatt" veröffentlichten Ar- tikels mit dem Titel ,, SOS- Volk in Not" zur Niederlegung seiner sämtlichen Aemter ge- zwungen, das Blatt wurde zu einer Strafe von

16 000 Mark verurteilt

4. JAHRGANG/ NUMMER 69

Die Preise

Von Joseph Klingelhöfer

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Die Preise nach der Währungsreform sind Ge- genstand lebhafter Diskussionen. Der Unwillen über die Entwicklung ist so allgemein und stark, daß er Kollektivhandlungen Protestdemon- strationen und Käuferstreiks auszulösen im- stande ist. Eine bemerkenswerte Tatsache, wenn man bedenkt, daß vordem selbst der empfind- lichste Mangel an Verbrauchsgütern jeder Ari nicht zu so lebhaften und entschiedenen Massen- protesten zu führen vermochte.

Was ist aber geschehen? Ist die Versorgung schlechter als vor dem Währungsschnitt? Keines- wegs, denn das Warenangebot ist bei weitem brauchsgüter lagen zum Teil vor der Währungs- reichlicher. Die Preise für die wichtigsten Ver- reform wohl niedriger, aber viele von ihnen wa- ren nicht erhältlich. Auch die Löhne sind nicht gesenkt worden, eher trifft schon das Gegenteil den Ausnahmeerscheinungen. Die Kaufkraft der zu. Kurzarbeit gehört erfreulicherweise noch zu ten" Reichsmark auf einer unvergleichlich höhe- D- Mark liegt gegenüber derjenigen der ,, schlech- ren Ebene. Gestiegene Kaufkraft des Geldes be- deutet bei gleichbleibenden Löhnen Erhöhung des Realeinkommens. Eine solche ist auch zwei- schreitbare unterste Stufe erreicht. fellos gegeben, denn das Realeinkommen hatte vor der Geldreform ja die nicht mehr unter-

Es hat sich also seitdem manches recht fühlbar gebessert. Wenn dennoch Unzufriedenheit sich in so drastischer Weise äußert, wie dies gegenwär- tig geschieht, so sind nach dem hier Festgestell- ten die Gründe offenbar nicht in einer Ver- schlechterung unserer Lebenshaltung zu suchen. Hier müssen andere Kräfte wirksam sein, die den Menschen, dieses Gebilde aus Wünschen, Hoffen und Wollen, in Erregung versetzen. Wen- den wir unsere Aufmerksamkeit den eigentlichen Vorgängen zu.

Läden mit einem Warenangebot auf, von dem Sofort nach der Währungsreform warten die sich auch der optimistischste Verfechter des Re-

formgedankens wohl kaum hat träumen lassen. Die begehrten Dinge sind auf einmal da, man kann viele von ihnen frei kaufen. Das tut man auch, ein wahrer Sturm auf die Läden setzt ein. Man kauft und zählt das Geld zunächst nicht all- zusehr. Die Verlockung ist bei dem ungeheuren Warenhunger gar zu groß. Nach anfänglicher Unsicherheit stellen sich Preise ein, die der gro- Ben Nachfrage entsprechen. Zunehmend, von Woche zu Woche mehr, erfahren die verarmten und nun enttäuschten Konsumenten, daß sie mit ihren Geldmitteln, auch wenn sie wie bisher re- gelmäßig fließen, das bestehende Warenangebot immer auszuschöpfen vermögen. Sie finden die zu einer ausreichenden Bedarfsdeckung nicht Preise ,, zu hoch". Da gibt es diese schönen Kauf- möglichkeiten, man könnte endlich so lange und bitter Entbehrtes wieder erstehen und nun fehlt das Geld. Die Dinge liegen in Greifnähe und locken I aber das Unvermögen hindert,

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gleich einer gläsernen Wand. Verständlich, daß die scheinbare Greifbarkeit so dringend entbehr- sich Enttäuschung und Zorn einstellen, denn erst ter Dinge läßt die Entbehrung unerträglich wer- den. Wer vorher nichts hatte, will nach jahre- langem Mangel nun nicht mit Wenigem zufrie- den sein. Hier haben wir die Erklärung für die zunächst widerspruchsvoll erscheinende Tatsache, daß die Menschen heute, bei gebesserten Versor-

gungsmöglichkeiten, weit unzufriedener sind als

vordem bei schlechteren.

immer

Und nun wird gegen die Preisentwicklung recht nachdrücklich. In Presse- und Rundfunk- Sturm gelaufen. Die Formen der Proteste sind kommentaren wurden scharfe Worte gebraucht: man sprach von Wucher. Dagegen ist festzu- stellen, daß von wirklichem Preiswucher nur in seltenen Fällen die Rede sein kann. Wo er sich zeigt, muß scharf zugegriffen werden noch haben wir ja unsere Preisüberwachung. Mißbräuche der Marktfreiheit, wie sie in dieser Uebergangszeit bei Obst und Gemüse beispiels- weise nicht selten zu konstatieren sind, müssen streng verurteilt werden. Der diszipliniert durch- geführte Käuferstreik ist ein wirksames Mittel zu ihrer Behebung. Produzenten und Ver- teilern aber kann nur in ihrem eigenen Interesse empfohlen werden, Selbstdisziplin zu üben und Verantwortungsbewußtsein zu zeigen.

für zahlreiche Warengruppen untereinan-

Im übrigen werden und müssen sich die Preise der verschieben. In diesem Prozeß, der schon begonnen hat und der uns harte Zumutungen stellen wird, vollzieht sich die Anpassung an die Weltmarktpreise. Sie wurde durch den Preisstopp bisher künstlich verhindert. Textile Fasern und Häute etwa müssen zu einem überwiegenden Teil zu teueren Weltmarktpreisen eingeführt wer den. Die Preise für Schuhe und Kleider werden zunächst also noch ansteigen, und das wird ganz allgemein so lange anhalten, bis eine wachsende Weltproduktion die Märkte einigermaßen zu sät- tigen vermag. Die Kosten der Inlandsproduktion sind durch mangelhafte Kapazitätsausnützung bedeutend angestiegen.

Auch sonst wird es an Gefahren für die Preis- entwicklung nicht fehlen. Als eine solche ernste Gefahr sehen wir die bevorstehende Auszahlung der restlichen Kopfquote an, die stürmisch ge- fordert wird. Dieser zusätzlichen und plötzlich auftretenden Kaufkraft von rund 1 Milliarde D- Mark dürfte ein nur unzureichendes Waren- angebot gegenüberstehen. Deshalb muß befürch- tet werden, daß die damit auftretende erhöhte Nachfrage das Preisniveau so ansteigen lassen wird, daß die Lohnempfänger in der darauf- folgenden Zeit mindestens um die gleiche Summe werden weniger kaufen können.

Ferner hat man uns die Währungsreform un- glücklicherweise verordnet, als das Gefüge der Preise und Löhne gerade erst im Bewegung ge- raten war. Wir sind also mit relativ niedrigen anstatt mit hohen Preisen in die Reform gegan- ein schwerwiegender Konzeptionsfehler, Geldneuordnung liegt. Nun ist diese ganze Ent- für den die Verantwortung bei den Vätern der wicklung und Anpassung nachzuholen, und zwar im denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.

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Zu hohe Preise? Vom wirtschaftlichen Stand- punkt aus gesehen: nein. In der freien Markt-