SCHWÄBISCHES TAGBLATT

DIENSTAG, 16. DEZEMBER 1947 VERLAG UND SCHRIFTLEITUNG: TUBINGEN, UHLANDSTRASSE 2

Die Konferenz hängt an einem seidenen Faden

Molotow greift einmal mehr die Westmächte an Außenminister Gruber zur Lage Oesterreichs

LONDON. Die Außenministerkonferenz setzte am vergangenen Donnerstag die Prüfung der wirtschaftlichen Fragen Deutschlands fort. Der Rat stimmte der Festsetzung der deutschen Stahlproduktion auf 11% Mill. t zu.

Im Verlauf der Sitzung hat Marshall sei- nen Widerstand gegen den französischen Vor- schlag, Maschinen aus den in Deutschland verbleibenden Fabriken zu entnehmen, aufge- geben. Bidault hatte hierzu ausgeführt, daß für die Verarbeitung der vorgesehenen Stahl- produktion der deutsche Maschinenpark zu groß sei.

In der Freitagsitzung vertrat Außenminister Molotow die Ansicht, daß die Bekanntgabe der Liste aller in den einzelnen Zonen bereits durchgeführten Entnahmen erst nach Abschluß eines Repartionsabkommens vorgenommen werden könne, während Staatssekretär Mar- shall der Meinung war, daß diese Liste als Voraussetzung zur Erreichung eines Abkom- mens anzusehen sei.

Damit wurden fürs erste die Beratungen über die wirtschaftlichen Grundsätze für Deutschland abgeschlossen.

Molotow unterstrich anschließend in einer längeren Rede die moralischen Ansprüche der UdSSR auf Reparationen. Reparationsleistun- gen aus der laufenden Produktion würden für Deutschland von Vorteil sein, vor allem da- durch, daß sie eine beträchtliche Erhöhung des Industrieniveaus zur Folge haben müßten. Die Westmächte verschafften sich zurzeit getarnte Reparationen und brächten dadurch die deut- sche Industrie in eine beklagenswerte Lage. Die Amerikaner führten in ihre Zone Fertig- waren ein, die die Deutschen selbst herstellen könnten. Das bringe eine Verschuldung Deutsch- lands mit sich und mache die Deutschen mehr und mehr von den USA abhängig. West- deutschland solle in das strategische System, das gegen die demokratischen Staaten Europas gerichtet sei, eingeschaltet werden. Marshall erklärte in seiner Antwort:" Ihre

2 Tage Generalstreik in Rom ROM. Die römische Gewerkschaftszentrale proklamierte am vergangenen Mittwoch für Donnerstag den Generalstreik. Sie hatte ulti- mativ von der Regierung die Eröffnung eines Kredits von 10 Milliarden Lire zur Finanzie- rung von öffentlichen Arbeiten, der der Be- kämpfung der Arbeitslosigkeit dienen sollte, verlangt.

Bereits am Freitag wurde die Beendigung des Generalstreiks beschlossen, obwohl kein Abkommen mit der Regierung erreicht wurde. In ausländischen Kreisen ist man geneigt, eine Parallele zwischen den Ereignissen in Italien und Frankreich zu ziehen und von einem Ge- samtoffensivplan der europäischen kommuni- stischen Parteien gegen die amerikanische Hilfspolitik für Europa zu sprechen.

Aus Washington wird gemeldet, Präsident Truman habe am vergangenen Samstag er-

klärt: Obwohl die USA ihre Truppen ent- sprechend den Klauseln des Friedensvertrags abziehen, sind sie auch weiterhin an der Schaf- fung eines freien und unabhängigen Italiens interessiert. Sollte es sich daher erweisen, daß die Freiheit und Unabhängigkeit Italiens direkt oder indirekt bedroht wird, behalten es sich die USA vor, als Signatarmacht des Friedens- vertrags und Mitglied der UN die notwendigen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Frie-

den und Sicherheit zu treffen."

ALCIDE. Der italienische Ministerpräsident

Ausführungen sind an ein anderes Auditorium als das unsrige gerichtet. Sie verfolgen ein an- deres Ziel. Es handelt sich hier um eine Pro- pagandarede. Ich habe nichts hinzuzufügen. Molotow muß verstehen, daß die von ihm an- gewandten Verfahren es schwierig machen, Respekt vor der sowjetischen Regierung zu behalten."

Bevin sprach sich in demselben Sinne aus: Wir glaubten Argumente hören zu können. Statt dessen haben wir nur Beleidigungen und Schmähungen vernommen. Sie können uns für unsere Höflichkeit danken, daß wir Ihnen bis zum Schluß zugehört haben."

Bidault erklärte, die in der Rede Molotows enthaltenen Behauptungen über die Politik Frankreichs hätten mit der Wahrheit nichts zu tun.

Am Samstag fand keine Sitzung der Außen- minister statt.

Der Zusammenstoß zwischen den Ost- und Westmächten dürfte wohl der bisher schärfste gewesen sein. Als ein Versuch, die Konferenz doch noch um jeden Preis zu retten, kann die Einladung Molotows und Wyschinskis in die Botschaft der USA gewertet werden. Allgemein herrscht der Eindruck vor, daß die Konferenz zurzeit wieder an einem seidenen Faden hängt. Der österreichische Außenminister Dr. Gru- ber erklärte bei einem Presseinterview,

Oesterreich werde unter keinen Umständen einen Sondervertrag mit den Westmächten ab- schließen. Die Westzonen Oesterreichs könnten keinen lebensfähigen Staat bilden.

Ein Anschluß der österreichischen West- zonen an entsprechende Zonen Deutschlands wäre nichts anderes als eine Wiederholung des Anschlusses vom Jahre 1938. Oesterreich sei bereit, mit Deutschland normale Wirt- schaftsbeziehungen zu pflegen, jedoch nicht ge- willt, auch nur eine Zollunion in Betracht zu ziehen.

Er sehe keine Möglichkeit für die rasche- sung des Problems des deutschen Eigentums in Oesterreich.

Oesterreich wartet

LONDON. Der österreichische Außenmini- ster Dr. Gruber, der noch immer in London darauf wartet, daß die Konferenz der Außen- minister bei der offiziellen Beratung über den Friedensvertrag mit Oesterreich ihn anhört, hat den vier Außenministern einige Flaschen österreichischen Weines zukommen lassen.

Diese Sendung begleitete ein Schreiben, in dem es hieß ,, Diese bescheidene Gabe ist ein Erzeugnis der österreichischen Erde. Möge es Ihnen Freude bereiten und Sie außerdem daran erinnern, daß Oesterreich noch immer auf den Abschluß seines Friedensvertrages wartet."

Währungsreform in der UdSSR

MOSKAU. Der sowjetische Rundfunk ver- breitete am vergangenen Sonntag den Wort- laut eines Erlasses der sowjetischen Regierung und des Zentralkomitees der kommunistischen Partei der UdSSR, in welchem eine Währungs- reform sowie die Aufhebung der Rationierung von Lebensmitteln und Bedarfsgütern bekannt- gegeben wurde. Am 16. Dezember werde in der UdSSR ein neuer Rubel ausgegeben. Der sowjetische Ministerrat habe in einem Kommuniqué bekanntgegeben, daß ab diesen Datum 10 alte Rubel gegen einen neuen ein- getauscht würden.

Die augenblicklich noch im Umlauf befind- lichen Rubel sollen bis zum Abschluß des Wäh- rungsumtausches am 29. Dezember d. J. ge- setzliches Zahlungsmittel bleiben. Nach diesem Zeitpunkt würden alte Banknoten nicht mehr umgetauscht. Die Währungsreform werde sich auf die Finanz- und Handelsabkommen zwi- schen der UdSSR und ausländischen Staaten nicht auswirken. Wortlaut und Umfang dieser Abkommen blieben unverändert. Die Wäh- rungsreform habe sich als notwendig erwiesen, um den Umlauf von gefälschten Noten, die während der Besatzungszeit in den verschiede- nen Gebieten der UdSSR in Verkehr gebracht worden seien, zu unterbinden.

Nach dem Artikel 1 des Erlasses über die Währungsreform und den freien Warenverkehr werden die Löhne der Arbeiter, der Angestell- ten und Kolchosenbauern, die nach dem 16. De- zember ausbezahlt werden, von der Reformn nicht berührt und zu den gültigen Tarifen in neuen Rubeln ausbezahlt. Die Bankkonten und die laufenden Rechnungen sollen bis zu 3000 Rubel im Verhältnis 1: 1 umgetauscht werden. Ueber 3000 Rubel ist das Tauschverhältnis 2: 1. Die Guthaben von Kooperativen und Kolchosen werden auf der Basis 5: 4 umgetauscht. Die im Verlauf der drei Fünfjahrespläne ausgegebe- nen Obligationen werden in neue Schuldver- schreibungen auf der Basis 3: 1 konvertiert. Die Anleihe 1947 unterliegt nicht dieser Konver- sion.

Der zweite Teil des Reformerlasses betrifft die Aufhebung des Rationierungssystems für gewisse Lebensmittel. Die Lebensmittelkarten werden ab 16. Dezember 1947 abgeschafft. Der Preis für Getreide in Mehl wird um 12 v. H. gegenüber dem derzeitigen Preis gesenkt. Die Preise für Fleisch, Fisch, Fette, Kartoffeln und Gemüse bleiben ebenso unverändert wie die Preise für Wein und Wodka. Die Preise für Milch, Eier, Tee und Früchte werden den an- deren Lebensmitteln angeglichen.

Russisches Getreide für England

LONDON. Nach Rückkehr des britischen Handelsministers Harold Wilson aus Mos- kau wird bekannt, daß die britisch- sowjetischen Handelsbesprechungen zu einem Ueberein- kommen in allen Hauptpunkten geführt hat. England soll im Laufe der nächsten drei Jahre Millionen Tonnen russisches Getreide er- halten. Die ersten Lieferungen sind in den nächsten Wochen zu erwarten. Nach Erklärun- gen Wilsons wird die UdSSR außerdem vor allem Holz nach England exportieren. Für Mal 1948 seien neue Besprechungen zur Vorberei- tung langfristiger Abkommen beabsichtigt.

Der britische Handelsminister erklärte außer- de Gasperi führte in den letzten Tagen dem am vergangenen Wochenende in einer eine Reihe von Besprechungen mit italieni- Versammlung der Labour Party, er hoffe, daß schen Parteiführern, die eine Regierungsum- der Außenminister der Tschechoslowakei dem- bildung zum Ziel hatten. Am vergangenen nächst zur Aufnahme von Handelsbesprechun- Montag schlug de Gasperi der italienischen gen nach England kommen werde. Die bilate- Nationalversammlung die Bildung eines neuen Kabinetts vor, in dem die Christlichen Demo- kraten mit 8, die Minderheitssozialisten und die Unabhängigen mit je 3 und die Republi- kaner mit 1 Minister vertreten sind.

Albanische Regierung besucht Dimitroff SOFIA. In Sofia traf am vergangenen Sonn- tag eine albanische Regierungsabordnung un- ter Führung ihres Ministerpräsidenten ein Beim Empfang erklärte der bulgarische Mini- sterpräsident Dimitroff, daß das albani- sche und bulgarische Volk die gemeinsame Aufgabe hätten, vom Roten Meer bis zur Adria eine ,, Granitfront der Freiheit, der Volks- demokratie und des Friedens" zu errichten.

Oesterreichische Besatzungssorgen WIEN. Bundeskanzler Figl richtete an das Wirtschaftsdirektorium des Alliierten Rates in Oesterreich die Anfrage, ob jemals ein Vier- mächtebeschluß gefaßt worden sei, der die österreichische Regierung zwinge, der Wirt- schaftsabteilung der russischen Besatzungs- macht in Oesterreich Informationen über In- dustrien in allen vier Besatzungszonen zu er-

teilen.

Die russische Handelskammer verweigere die Genehmigung für zahlreiche Lieferungen lebenswichtiger Güter aus der russischen Zone in die anderen Teile Oesterreichs, nachdem ihr die verlangten Auskünfte über Erzeugungs- kapazität, Verkauf, Anteil der Rohstoffe usw. in allen Besatzungszonen nicht gegeben wurden.

ralen Handelsbesprechungen schüfen am ehe- der englischen Wirtschaftskrise. sten die Voraussetzungen zur Ueberwindung

Europahilfe vor der Verwirklichung WASHINGTON. Das Repräsentantenhaus der USA hat den Gesetzentwurf über die Frank- reich, Italien, Oesterreich und China zu ge- währende Soforthilfe gebilligt und an die ge- mischte außenpolitische Kommission überwie- sen, die einen endgültigen Gesetzentwurf, der sich auf die beiden vom Repräsentantenhaus und vom Kongreß getrennt angenommenen Entwürfe stützt, ausarbeiten soll. Die gemischte Kommission des Parlaments der USA hat sich inzwischen ebenfalls ein- stimmig für das Soforthilfeprogramm in Höhe von 597 Mill. Dollar ausgesprochen.

Der Vorsitzende des Kreditausschusses des Senats, Bridges, erklärte in einer Rund- funkansprache, daß der Senat von der Regie- rung der USA gewisse Garantien, das Wirt- schaftsstatut für Deutschland betreffend, ver- langen werde, bevor der Kongreß sich für den europäischen Wiederaufbauplan auszusprechen bereit sei. Folgende Maßnahmen seien als un- erläßlich anzusehen:

Einstellung der Lieferung von Werkaus- rüstungen an die UdSSR und die als Satelli- tenstaaten anzusehenden Länder sowie Aus- nutzung aller für die Produktion ziviler Güter geeigneten deutschen Werke im Rahmen des Wiederaufbaus Westeuropas.

Das Foreign Office bestätigte nunmehr Mit- teilungen, wonach England teilweise auf die Wirtschaftskontrolle in der Bizone verzichtet, vor allem auf dem Gebiet der Außenhandels- politik. Amtliche englische Kreise erklären je- doch hierzu. daß dieser Verzicht auf wirtschaft- lichem Gebiet keineswegs auch die Uebergabe der politischen Kontrolle Englands in seiner Zone an die USA nach sich ziehen würde( Mel- dungen aus Washington scheinen ähnliches ausgedrückt zu haben).

Das englische Unterhaus nahm in der ver- gangenen Woche den Gesetzentwurf zur Re- form des Oberhauses mit 340: 186 Stimmen an.

3. JAHRGANG/ NUMMER 10

Nur Zuschauer?

Von Dr. A. C. Halm

Wo wird wohl über die Zukunft Europas entschieden? In London, wo die Außenminister tagen, oder in den Herzen der Europäer?

Es ist selbstverständlich, daß wir mit größ- ter Spannung die Verhandlungen im Lanca- ster House in London verfolgen, steht doch die deutsche Frage dort auf der Tagesordnung Und vielleicht sind wir um das Ergebnis um so ängstlicher besorgt, weil wir, die Deutschen selbst, von der Mitwirkung an der Lösung dieser Frage ausgeschlossen sind. Ja, sind wir das? Insofern schon, als keine deutschen Ver- treter dort am Konferenztisch sitzen. Aber ist nicht das deutsche Volk, wenn auch unsicht- bar, so doch auf eine sehr eindringliche Weise spürbar, in jedem Augenblick im Saale gegen- wärtig? Wir sind nicht nur Zuschauer. Odei besser gesagt, hier spielt wie so oft der Zu- schauer wieder einmal eine der Hauptrollen.

Die andere Beobachtung, die sich dabei auf- drängt, ist die, daß es zwar die deutsche Frage ist, die auf der Tagesordnung steht, daß es sich aber um viel mehr dreht als bloß um Deutschland, nämlich um die unsere Gegen- wart beherrschende Auseinandersetzung zwi- schen Ost und West.

Nun ist es immer schon eine Schwäche un- ter den Deutschen gewesen, sich darüber zu erhitzen, ob es besser sei, für den Osten zu optieren oder für den Westen. Das ist in er- ster Linie eine Folge unserer geographischen Lage in der Mitte von Europa. Es ist aber auch zu einem erheblichen Teil im deutschen Charakter begründet, in einer unter anderen Völkern nicht in diesem Maße anzutreffenden Vorliebe für grundsätzliche Entscheidungen. Hier also, in London, scheint nun wieder eine grundsätzliche Entscheidung zur Debatte zu stehen, eine Entscheidung zwischen zwei Ideologien, und es möchte so scheinen, es bliebe uns gar nichts anderes übrig, als diese Entscheidung auch für unseren Teil mit einem Entweder- Oder zu vollziehen, denn der Ge- gensatz zwischen Ost und West scheint un- überbrückbar.

Worin besteht er? Das ist nicht auf einen Nenner zu bringen. Was heute als grund- sätzliche Verschiedenheit, als theoretische An- tithese auftritt, ist das Ergebnis einer lan- gen geschichtlichen Entwicklung, die wir hier in Einzelheiten nicht aufzeigen können. Aber der Widerspruch ist so kraß, daß wir es als Zynismus empfinden, wenn beide für sich in Anspruch nehmen, die Verfechter der Demo- kratie zu sein. Wir spotten darüber, weil whi darin nur einen Beweis dafür sehen, welcher Zumutungen eine politische Propaganda fähig ist. Aber es ist beiden ernst damit, nur daß eben- und das ist gerade aus der Geschichte die der beiden Nationen leicht erklärbar Amerikaner unter Demokratie vornehmlich die politische Freiheit, die Russen dagegen die soziale Gleichheit verstehen. Das Leben aber reagiert nun so, daß Freiheit notwendig Un- gleichheit erzeugt, während Gleichheit nur auf Kosten der Freiheit zu erzielen ist. Wa- rum? Weil weder Freiheit noch Gleichheit den natürlichen Lebensbedingungen entspricht, weil beide aus dem Reich der Ideen stammen und der Versuch ihrer Verwirklichung mit dem Leben in Widerstreit geraten muß.

-

Das Leben kennt keine Freiheit. Alle Krea-

tur steht in gegenseitiger Abhängigkeit und wenn der amerikanische Siedlerpionier im Westen sich noch einbilden konnte, sein Le- ben ganz auf seine eigene Kraft gestellt zu haben, so müssen wir Menschen der Zivilisa- tion mehr und mehr einsehen, daß wir im Fortschritt der Arbeitsteilung in zunehmen- dem Maße voneinander abhängig werden. Eine Tatsache, an der kein noch so hoch ge-

Damit wird das Aufschubrecht der Lords auf spanntes Ideal von Freiheit etwas ändern ein Jahr reduziert.

Diese Maßnahme ermöglicht es der Re- gierung unter Umständen, ungeachtet des Widerstandes des Oberhauses, das Verstaat- lichungsgesetz für die Stahlindustrie noch mit dem jetzigen Unterhaus, vor den Neuwahlen, durchzuführen.

Die Lage in Palästina JERUSALEM. In der Zeit vom 1. bis 10. De- zember wurden bei den Unruhen in Palästina 109 Menschen getötet und 342 verletzt.

Der Präsident der jüdischen Legion, Major Weiser, der an der Spitze eines aus 6000 britischen Juden bestehenden Expeditionskorps sich an der Verteidigung Palästinas beteiligen will, erklärte bei einer Pressekonferenz in London am vergangenen Freitag, in Frank- reich, in Südamerika und in Südafrika wür- den gegenwärtig jüdische Formationen gebil- det, deren Stärke 100 000 Mann betrage.

Die Regierungschefs der arabischen Liga tagten auch noch Anfang dieser Woche. Ueber ihre Beschlüsse ist nichts bekannt geworden König Ibn Saud hat dem Mufti von Jerusa- lem die gesamten Waffendepots seines Landes Artillerie, Panzerspähwagen und Flugzeuge, die ihm von den Amerikanern überlassen wor- den sind zur Verfügung gestellt. Der Mufti soll das Angebot angenommen haben.

-

Aus Damaskus wird gemeldet, daß das syri- sche Verteidigungsministerium seinen Panzer- streitkräften den Befehl gegeben habe, sich in der Nähe der Grenze von Palästina zu kon- zentrieren. Das Thema der Gebete in allen Moscheen sei ,, der heilige Krieg für Palä- stina".

kann.

Aber ebenso ist es eine biologische Tat- sache, daß es keine Gleichheit gibt unter den Menschen und daß jeder Versuch, sie herbei- zuführen, zu einer Vergewaltigung des Le- bens führen und darum zum Scheitern verur- teilt sein muß.

Was die Gefahr so akut macht, ist nun nicht so sehr die Tatsache, daß die Ideologien von Ost und West gegensätzlich sind, als das ge- genseitige Mißtrauen, der andere strebe für seine Idee nach der Weltherrschaft. Nun sa- gen die, die vor dem Gedanken an einen neuen Krieg mit Grauen zurückschrecken, nicht mit Unrecht, es müsse doch möglich sein. daß zwei verschiedene Weltanschauun- gen friedlich nebeneinander bestehen. Aber so lange diese Verschiedenheit eben nicht nur ein gradmäßiger Unterschied ist, sondern nach diametral entgegengesetzten Richtungen aus- einanderstrebt, wird dieses Mißtrauen nie verschwinden.

Da mag es nun wie eine weltfremde Ge- dankenspielerei anmuten, wenn wir darauf verweisen, daß der alte Kampfruf der demo- kratischen Revolution lautet: Freiheit, Gleich- heit, Brüderlichkeit! Wie wäre es nun, wenn wir die Brüderlichkeit zu Hilfe riefen?

Das ist nicht einfach eine andere lebens- fremde Idee. Das ist ein Schluß, zu dem uns die Beobachtung des Lebens und zwar gerade unsere eigene gegenwärtige Erfahrung hin- führt. Es ist eine Lehre des Zeitalters der Atombombe.

Wir sind noch nicht dazu berufen, im Rat der Nationen mitzusprechen. Je entschlossener wir den Weg beschreiten, den unsere Lage heischt und der verbindend zwischen Indivi-