7. Juni 1947

In heißen Sommerlagen zu lesen

Erlebnis der Landschaft

Von Franz Schneller

Im Badischen Verlag Freiburg erschien das ,, Brevier einer Landschaft" von dem mit dem Hebelpreis 1947 ausgezeichneten Dichter Franz Schneller mit Federzeichnungen von Helmuth von Geyer. Das von uns daraus entnommene Eingangskapitel spiegelt eindringlich die Liebe zu Landschaft und Heimat, die den Dichter be- seelt und die in Schilderungen seiner Schwarz- waldheimat ihren schönsten Ausdruck findet.

Große Städte erfrischen den Geist, stacheln eine Weile den Ehrgeiz an. Berühmte Stätten bezaubern den Blick, berauschen den Sinn. Aber Liebe entsteht nur und bleibt wach, wo unser junges Herz seine Nahrung fand, wo das Blau der Weite unsere Träume färbte, wo graue Wolken über unseren Häuptern wie Rauch verlorener Schlachten ziehn.

Dort, wo unter den Füßen des Menschen ge- wachsener Boden fehlt, dessen Atem durch die

JUNI

Junimond, Schnittermond.

Dengel die Sense blank und blink. Starke Arme, tatgewohnt,

Mäht die Gräser, scharf und flink. Ach, ihr schneidet mit raschem Schnitt All meine bunten Blumen mit.

*

Im Juni mußt du still zur Nacht Einsam des Lebens Puls belauschen, Wenn aus der vollen Zweige Pracht Die schweren Tropfen dunkel rauschen.

Wie Leben rings und Segen quillt Aus warmer Wolke träufelnd nieder ind dankbar Frucht und Samen wieder Der Reife still entgegenschwillt.

( Aus Der Kreis" von Ernst Stemmanni Verlag K. P. Hofmann, Zella)

Sohlen ins Blut dringt, zersetzt sich die Seele. Dort zerfällt die Hoffnung, die in der Furche zwischen Traum und Wirklichkeit ihre golde- nen Achren erhebt und allen Wandlungen der Zeit zum Trotz als fruchtbarer Ausgleich bleibt.

Mit jedem Blick zum Himmel und zur Erde verästeln sich die Wurzeln seines Wesens ver- wachsen sie inniger mit der Heimat. Mit je- dem Atemzug dringen sie zu tieferen Que'len. betten sie sich wärmer im dunkeln Schoß. schaffen sie reichere Nahrung dem Menschen, der reifer wird in seinen Wandlungen, und dessen Auge, heller werdend, nur noch ein Ziel zu sehen vermag, das sein Sehnen er- füllt: das große Unaussprechliche, in Mensch und Erde kreisend, dessen Licht ihm schonend der Welten Horizont verhüllt.

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im Traum eine Hand in die Mähne des sa- genalten Pegasus. Denn jedes Menschen Herz, erfüllt vom Wunder der Landschaft, ist Herz eines Dichters, wenn auch seine Stimme ihm versagt ist, auch wenn der Glanz seiner Worte nicht mehr ist als ein Nimbus aus Goldpapier.

Wird der Mensch draußen, im Angesicht der Weite, nicht größer, reiner? Klingt nicht in ferner Stunde der Schritt erzen wie heiliges Wort? Werden dann, zum Hause wiederkeh- rend, nicht plötzlich alle Tore enger, dunkler alle Räume, schief die noch so verstandesmäßig ausgerichteten Begriffe?

Draußen trägt alles den großen Zug. Da zerreibt die mächtige Hand der Zeit langsam Fels, Pflanze, Tier und Mensch. Da verweht im Staub Fels, Pflanze, Tier und Mensch. Da düngt der Staub der Vernichtung neue Keime. Da vergeht im Bach die Welle, indes sie eine andere ins Leben stößt. Da besteht von allem Tun des Menschen nur das Lied, leicht und licht wie die Blüte, wie die Flocke des Schnees, Draußen ist alles Wissen nichts und darum der Glaube so leicht.

Der rechte Liebende lebt mehr in dem, was er liebt, als in sich selbst. So sieht der heimat- fromme Mensch hinter allem Tun sein Land. Selbst zwischen den Zeilen der Gebete strahlt das blonde Laub seiner Reben. liegt das warme Braun vom Pflug gestrählter. Erde. Und wenn er müde die Augen schließt, wiegen sich die

Wipfel der Wettertannen. Seine Freude ist holder Schein eines auserwählten Himmels, sein Glück die Musik überreicher Erde, die bald feierlich und erhaben, innig und voller Feuer klingt.

Der rechte Liebende empfindet eine unauf- hörliche Wonne beim Uebergehen dieses Stro- mes von dem, was er liebt, auf sein Herz. Und stolz bekennt er sein Ergriffensein So auch der Freund der Landschaft. Was er liebt, ist kein äußerliches Bild. Was er liebt, ist sein Paradies, ist Reich Gottes, Seinstiefe. Gott selbst. Das klingt aus den Wiesengründen, die hell zur Höhe ziehen, klingt aus den dunkeln Wäldern, die von den Gipfeln rauschen, klingt selbst und rein wie goldener Hörnerklang aus dem, was ihm der Herbst mit klar- besonnten Händen in seine winterlichen Be- cher drückt!

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zum

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Einmal, in ferner, ferner Zeit, wird alles nicht mehr sein: Himmel Tal Volk und diese blauen, äthersatten Berge. Wie Schall großen Schweigen irrt, wird sich dies alles einmal lösen und Stück um Stück hin- übergehen ins Spiegelbild, wird eingestaltet werden einem anderen Sein. Um eine andere Mitte wird dann alles schwingen. Sinn hier, von einem mächtigen Geist gezeugt, wird dort sich selbst nicht widersprechen. Wie oft, in sternenloser Nacht, erhebt in uns sich eine Stimme, die will, daß dem so sei Und sie ist von ihm gewollt, der uns in dem, was für uns Heimat ist, im Endlichen mit Himmel, Tal, mit Strom und Berg den Glauben zur Antwort gibt!

Die Fußspur

Von Georg von der Vring

Die Erzählung Die Fußspur" ist dem Novel- lenband ,, Die Umworbenen" von Georg von der Vring entnommen, der kürzlich im Piper- Ver- lag München erschienen ist. Dem auch als Ma- ler bekannt gewordenen Verfasser eignet be- sonders die Gabe, in wenigen Strichen das Charakteristische der Menschen und der Land- schaften dem Leser aufzuzeichnen.

Der Weg führte mich einen Hügel hinan, dessen Felder mit Mohn bebaut waren. Der Mohn blühte weiß. Ein herber Duft trieb über die Felder daher. Mir war, als verbreite er sich, um die Herzen zu verwirren, die ja stets das Ihre suchen, dann aber, wenn etwas auf sie zukommt, nicht immer begreifen, ob dies das Erwartete ist. Als ich weiterschlenderte und in einen breiteren Feldweg einbog, stieß ich auf einen Mann. Er kniete am Boden und beobachtete mit großer Aufmerksamkeit die Erde. Er mochte meinen Schritt gehört haben, denn jetzt hob er den Kopf Eine Sekunde lang starrte er mir forschend ins Gesicht. Be- vor ich ihn anreden konnte, sprang er auf

Immer faßt beim Gang durchs Land wie die Füße und ging davon. Ich schätzte den

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Sich Zeit lassen!

Ein Roman in 100 Zeilen von Wendelin Ueberzwerch

Der Fidel und der Alban waren schon als Buben gute Kameraden, und das nicht nur, weil die väterlichen Höfe nebeneinander lagen. Und Freunde sind sie zeitlebens geblieben, so seltsam sich ihre Schicksale auch verflochten. Aber gerade das soll ja erzählt werden.

Es war wohl das geheimnisvolle Gesetz des Gegensatzes, das die zwei zusammenführte und-hielt. Fidel nämlich war gar nicht nach seinem Namen geraten, wie dessen Sinn ge- meinhin aufgefaßt wird: er war ein schwer- blütiger Bursche, wortkarg, unbeholfen, aber er hatte es in sich, wie man wohl zu sagen pflegt, war treu und zuverlässig, so ganz das Gegenteil eines Blenders; Alban hingegen war ein quicklebendiges Kerlchen, pfiffig, munter, umtriebig, ein ,, Strick". In der Schule saß er immer über Fidel, weil er gewandt von die- m abschrieb, nicht aufs Maul gefallen und ak seiner frischen Art immer der Liebling des Lehrers war. Doch hing er sehr an seinem Freunde Fidel, ließ sich von seinen derben Fäusten bei den Schulbalgereien beschützen, stellte den Gegnern ein Bein und log Fidel notfalls heraus. Der ließ sich die Anhänglich- keit des verschmitzten Nachbarbuben gefallen und zeigte gelegentlich, daß er dieses Gefühl erwiderte.

Als sie in die Jahre kamen, wo man den Mädchen auf die Brust guckt und es einem dabei um die eigene eng wird, war der Alban natürlich überall Hahn im Korb, während der verschlossene Fidel nur scheue Blicke auf das langhaarige Geschlecht warf.

Poß ein paar Mal sah man ihn bei einer Kihweih schüchtern bei der schönen Kreszenz stehen, aber das hatte wohl nicht viel zu sa- gen, denn der Alban gesellte sich allemal gleich dazu und holte sie zum Tanz. Tanzen aber konnte Fidel natürlich nicht, er hätte wirklich nicht gewußt, wohin mit den Armen und

Beinen.

Als vollends Alban sich mit der Kreszenz verlobte, verstummten alle Schwätzereien, als habe der Fidel sich je um das Mädchen be- werben wollen im übrigen: wie hätte er auch seinem Freunde dazwischenkommen- gen, nein, so etwas tat ihm der getreue Fidel nicht an!

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Fidel blieb Junggeselle. Die Leute sagten, er sei halt zu schwerfällig zum Heiraten, und das, obschon manche jungen und älteren Weibsbilder den handfesten tüchtigen Bauer gern genommen hätten und ihm das auch deut- lich zeigten. Auch hatte sich seine Unbehol- fenheit doch im Laufe der Zeit etwas abge- schliffen und das eine oder andere Mädchen konnte sich immerhin rühmen, daß sein Blick sehr prüfend auf ihr geruht hatte. Auch die Verwandten bemühten sich eine Zeitlang, ihm

eine Frau anzuschaffen, aber ohne Erfolg. Bis er dann in das Alter kam, wo die Sippe in solchen Fällen keinen Wert mehr darauf legt, einen voraussichtlichen Erbonkel noch ,, weg- zuschenken".

So blieb also alles beim alten. Alban und idel waren, wie gesagt, immer gut Freund iteinander in diesen Jahren. Ein Sohn und

eine Tochter, diese der Mutter Ebenbild, wuch- sen auf Albans Hof heran.

Als die Monika, der Kreszenz und des Alban Kind. mannbar geworden war, da wisperte es sich im Dorf herum, der Fidel, der ja nun ein gestandener Mann von etlichen vierzig Jahren war, habe es mit dem Mädchen. Schließlich kam es auch dem Alban zu Ohren. ,, Fidel", sagte er eines Abends zum Freund, als sie miteinander auf der Hofbank eine Pfeife rauchten, Fidel, die Leute sind verrückt, sie sagen, du und meine Monika-!" Und schüt- telte sich vor Lachen.

Da hatte der Fidel die große Stunde seines Lebens. Er nahm sogar die Pfeife aus dem Mund, als er erwiderte:

Mann auf etwa dreißig Jahre. Er war klein und mager. Er trug Hemd und Hose und kei- nen Hut. Das schwarze Haar fiel ihm ins Ge- sicht und klebte ihm streifig an den schweiß- nassen Schläfen. Ich sah ihn eilig den Weg zum Wald hinuntergehen und dabei die Arme schwenken; die Fäuste hielt er geballt. Dicht vor mir befand sich die Stelle am Boden, die er sich so aufmerksam betrachtet hatte. Es gab dort eine feuchte Vertiefung. Mitten in dieser weichen Stelle hatte sich der Absatz eines Frauenschuhes eingedrückt. Der Ab- druck war deutlich und frisch. er stammte von diesem Tage.

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Hier war also vor kurzem eine Frau ge- gangen. Befand sich der Mann auf der Suche nach dieser Frau? Beabsichtigte er, sie drüben am Wald zu treffen? Hatte er sich mit ihr ver- abredet? Lauter Fragen, die mich nichts angingen. Als ich ihm nachspähte, wie er über den Hügel auf den Wald zueilte, und seinen wildstürmenden Schritt sowie den überaus finsteren und miẞtrauischen Blick in Rechnung zog, kam mir ein Gedanke: Dieser Mann war eifersüchtig! So stampfte ein Eifersüchtiger dahin und keiner, der sich auf ein Stelldich- ein freute. So schaute ein von der Ungewiß- heit Gepeinigter drein und kein Frohverlieb-

ter!

Eben, als ich dies dachte, tauchte ganz in der Nähe hinter all dem Weiß der Mohnblü- ten ein größerer weißer Fleck auf, der sich zum Feldweg hinüberbewegte. Es war die weiße Kappe eines Autofahrers. Er betrat den Weg. Es war ein junger gebräunter Mann im hellen Sportanzug. Er sah mich stehen und nahm von meiner Anwesenheit Notiz. Sodann drehte er den Kopf zur anderen Seite und beobachtete zum Wald hinunter. In diesem Augenblick schob sich hinter dem Blütenmeer der brandrote Schopf einer Frau hervor, gleich darauf erschien sie selbst neben dem braun- gesichtigen jungen Mann.

Der kleine Mann drüben vor dem Wald wandte sich plötzlich um. Er stand und be- obachtete herüber. Da jetzt auch die Frau auf

len, aber du bist mir damals zuvorgekommen. der Wegmitte erschien, mochte ihm das, was

,, Ich hab' einst deine Kreszenz heiraten wol- Diesmal will ich nicht zurückstehen."

Dem Alban blieb der Mund offen, so ver- dutzt war er.

,, Und die Monika?" hauchte er.

,, Ist einverstanden, Alban, wir haben schon alles beredet. Sie mag mich.' s ist ja schon ein bißchen komisch, daß du mein Schwiegervater. werden sollst, aber das soll unsere alte Freund- schaft nicht stören, gelt?" Und hielt dem Alban die Hand hin.

Der schlug ein, etwas zögernd, das alles war fast zu viel auf einmal, selbst für seinen knitzen Kopf.

,, Also die Kreszenz hast du damals-?"

,, Ja, aber ich bin jetzt mit der Monika noch mehr zufrieden", anwortete Fidel auf die nicht ausgesprochene Frage und schmunzelte, fast ein wenig schadenfroh.

,, Du bist ein Genießer, Fidel", lachte Alban kopfschüttelnd ,,, du alter Knabe!"

Da stand der Fidel auf und vor den andern hin: ein breiter Baum mit festen Wurzeln und knorrigen Aesten, aber lebfrisch. Im Vergleich zu ihm sah der Alban, zugegeben, ein bißchen mitgenommen und älter aus. Tu mir nur nix!" rief der nun ,,, ich glaub's dir schon, daß du noch zu was taugst!" Und wieder schüttelte er den Kopf: ,, Nein, du und meine Monika!" ,, Meine!" sagte Fidel ruhig.

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,, O du Schlaumeier, du verdammiger! Ja, ja, schon in der Schule warst du eigentlich gescheiter als ich

,, Jetzt hab' ich mal von dir abgeschrieben", lachte der Fidel jungenhaft,' s hat halt zwan- zig Jahre gebraucht, bis es so weit war!" ,, Bis sie so weit war, Fidel!" Und lachten

beide zusammen.

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Nun sind sie schon lange Mann und Frau, der Fidel und die junge Monika. Und siehe da: fast jedes Jahr purzelt ihnen ein kleines Unterpfändchen ihres häuslichen Glücks ins Nest. Der Fidel ist sogar zu einem recht lebigen Mann aufgeblüht, so daß der Großvater Alban bisweilen fast ein bißchen neidisch wird.

Die Großmutter Kreszenz aber, die in lan- gen Jahren viel überlegt und viel geschwiegen hat, streicht jetzt liebevoll den Enkelkindern über die strubeligen Schöpfe. Sie geraten hef- tig nach Fidel, und das freut sie im stillen.

er sah, genügen. Er kam eilig zurückgegangen. ,, Einmal erfährt er es ja doch", hörte ich den Jungen in der Autokappe zu der Frau sagen. ,, Auf daß du ihn verprügeln mußt", er-

Nr. 45/ Seite 3

DIE SILBERNE GEIGE Steh in der Nacht, in der tiefen Nacht, nur der Mond seine Runde zieht. Meine silberne Geige erwacht, erwacht, und sie spielt ihr Liebeslied.

Steh in der Nacht, und mein Angesicht durchschaut ihren schattigen Grund. Meine silberne Geige im Sternenlicht küßt einen Rosenmund,

Steh in der Nacht, und mein Himmel wird wahr und brüderlich Blüte und Baum.

Meine silberne Geige so wunderbar singt ihren ewigen Traum.

Steh in der Nacht, zwischen Wolken und Meer, und mein Herz schwimmt als Kahn dahin. Meine silberne Geige, süß und schwer, weiß meines Lebens Sinn.

Steh in der Nacht, und der Mond versinkt und löscht die Laterne aus. Meine silberne Geige verklingt, verklingt und weint in die Welt hinaus.

Werner Wolf Schrader

widerte die Frau unwillig. Der kleine Mann verlangsamte den Schritt, so als überlege er oder als sammle er Kraft. Ich war gespannt, wie es ausgehen würde. Jener, der dort mit geballten Fäusten herankam, war also der Betrogene. Solchen verleiht ihr Zorn viel Kraft. Dennoch gab ich ihm, nun ich mir die preite und straffe Gestalt des Jünglings be- trachtete, wenig Aussicht. Plötzlich, als der kleine Mann auf etwa zwanzig Schritte an die beiden herangekommen war, kniete er mit einer seltsam torkelnden, aber blitzschnellen Bewegung nieder. Was jetzt geschah, dauerte drei Sekunden. Die Frau schrie auf. Der Jüng- ling warf sich zu Boden. Auch mir gab es

einen Ruck.

Der kleine Mann hielt nämlich, nun er dort kniete, eine Pistole gegen den Jüngling und Nebenbuhler gerichtet, und er zielte sorg- fältig. Gleich darauf, nun der Junge sich zu Boden geworfen hatte, ließ der Mann die Pi- stolenmündung folgen und zielte ein wenig tiefer. In der dritten Sekunde jedoch, als wir alle den Schuß erwarteten, sprang er auf die Füße. Und seltsam, in seinem bleichen und verquälten Gesicht erschien ein lautloses La- er schleu- chen und ein strahlender Spott derte die Waffe seitwärts in das Mohnfeld und rannte wie der Wind an uns dreien vor- über, dem Dorfe zu. Gleich darauf sah ich ihn nicht mehr. Der in der Autokappe und die Frau brauchten einige Zeit, um sich von dem Schreck zu erholen. Der junge Mann erhob sich vom Boden und begann seinen Anzug zu säubern. Die Frau eilte. ohne ihrem Liebhaber noch ein Wort zu sagen, dem Manne nach. Der Junge warf mir einen prüfenden Blick zu. Darauf entfernte er sich durch die Felder, zur Autostraße hinunter. Ich stand allein und grübelte. Das war gut ausgegangen. Warum aber hatte es nicht geknallt? Das strahlende Lachen, das sich auf dem Gesicht des betro- genen Mannes gezeigt hatte, schien diese beantworten. Ich Frage ganz eindeutig zu denke mir so: Solange der Mann nur vermu- tete, daß die Frau ihn betrog und sich mit einem anderen traf, war er zu einem Schuß fähig gewesen. In dem Augenblick aber. als er die volle Gewißheit erlangte, war die Frau ihm nichts mehr wert. Sie war aus seinem Herzen davongeflogen Der Schuß lohnte sich also nicht mehr. Der Mann war erlöst, ein ganzer Berg fiel ihm von der Seele. Und weil er dies rechtzeitig begriff, schleuderte er die Waffe, die ihn und die beiden andern ins Un-

glück gebracht haben würde, von sich. Ein gescheiter Mann also, der nichts vom Leben begehrte als Klarheit. Und die Frau? Wie würde diese maßlose Frau sich von jetzt an benehmen?

Eine Unbekannte

Von Anton Schnack

Mit einer Fülle feinempfundener kleiner Skizzen beschenkt uns Anton Schnack in seinem Buch Die Angel des Robinson"( Verlag Kurt Desch, München). Die heiteren oder von leiser Schwermut überschatteten Stücke, von denen wir eines abdrucken, atmen fast alle den Geist der fränkischen Landschaft, der Heimat des Dichters.

Ich erinnere mich noch unverblaßt ihres schönen Mundes: man sieht manchmal Früchte, überreif und saftvoll, sie warten auf die ersten Regentropfen, um aufzuplatzen.

Es war eine Juninacht, vielleicht auch eine Julinacht, ich weiß es nicht mehr genau. Es war warm, eine überwache, unruhige Wärme, in der Gewitter entstehen, aber nicht kommen. Ein aufgeschossener Knabe, spielerisch hin- gegeben allem, was Phantasie und Einfälle brauchte, aber allem sich entziehend, was Wille und Ehrgeiz zum Zweckmäßigen ver- langte, lag im langsam sich verdunkelnden Abend auf einer alten Steinbrücke. Ihre Qua- dern waren noch von der Mittagshitze er- wärmt; um die Pfeiler gurgelte der Fluß mit wilden Wirbeln. Traumhafte Gedanken und Vorstellungen ließ ich mit den Wellen schie- Ben: Schiffe, die zum fernen Meere glitten, das ich damals noch nicht gesehen hatte und von dem ich mir ungeheure Vorstellungen machte. Ich trieb im Schicksal des Wassers mit, von Stein zu Stein, von Wehr zu Wehr, von Wei- denbusch zu Weidenbusch, von Mühle zu Mühle, von der fränkischen Saale zum Main, zum Rhein und hinein in den Salzstrom des Meeres.

Plötzlich stand ein Mädchen neben mir, sich mit überkreuzten Armen auf die Steinbrüstung lehnend. Ich hatte sie nie vorher gesehen und ich sah sie auch nicht mehr nachher. Sie schien ein Mädchen aus den Bauerndörfern der Um-

gegend zu sein, die Tochter eines Bürgermei- sters oder eines Wirtes.

Ich hätte es nie gewagt, sie tat es von selbst. Und später fiel mir ein, daß ich die Liebe mit ihren vielen Beweggründen kennengelernt hatte, daß es ein reines, vollkommenes Ge- schenk war. Es war mir unbegreiflich. Ich dachte damals, ich würde geliebt, weil ich Kla- vier spielte, besonders die Ungarische Rhapso- die von Liszt, deren Läufe ich wie glitzernde Perlen herunterfegte, oder weil ich die Gold- litzen eines Schülers des königlichen Gym- nasiums an der Kappe trug, oder weil ich Ge- dichte mit roter Tinte schrieb, oder weil ich am besten den Ball im Schlagballspiel warf. Aber diese liebte mich, weil ich ein Junge war. Vielleicht gefielen ihr meine etwas traurigen, aber zugleich großen Augen, vielleicht hatte sie Gefallen an meinem widerborstigen Haar gefunden, vielleicht hatte sie nur Sehnsucht, die sie nicht mehr bemeistern konnte und es war ihr gleich, wer ihr in den Weg kam.

Es gab keinen Schnittpunkt des Schicksals mehr mit ihr. Alles hatte sich in der ein- maligen Umarmung erschöpft. Ich werde mich

nie mehr dem warmen roten Fruchtfleisch ihres Mundes hingeben. Sie wird vielleicht noch immer den Weg über diese Brücke gehen, an der staubigen Bank vorbei, auf der wir saßen. Vielleicht wird sie jedesmal lächeln und das Körbchen mit Kathreiners Malzkaffee

oder voll wohlriechender Walderdbeeren auf das alte vergessene Holzbrett stellen. Ich

möchte einen Kranz auf ihr Grab legen, wenn sie schon gestorben sein sollte.

,, Sie merken nicht auf, Schnack", sagten zu mir um jene Zeit immer die Lehrer, wenn sie über griechische Verben oder mathematische Gleichungen sprachen. Ich konnte nicht. Denn damals stand ich mitten in der Verwirrung und im Geheimnis der Liebe.