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tung zur Folge gehabt, so ist der Denunziant, wenn er mit einem solchen Schlußergebnis zu rechnen hatte, wegen Beteiligung an einem Morde zu bestrafen.
In Nordhausen hat das Schwurgericht vor einigen Monaten den ehemaligen Jusitzange- stellten Puttfarken wegen Beihilfe zum Morde verurteilt. Er hatte einen gewissen Göttling denunziert, weil dieser im Gerichtsgebäude einen Zettel angeheftet hatte, auf dem geschrie- ben stand, Hitler sei ein Massenmörder und schuld am Kriege. Auf Grund dieser Anzeige ist Göttling im Jahre 1942 von einem Sonder- gericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden.
Strafverfahren der vorliegenden Art finden zweifellos zum ersten Male statt. Das spricht nicht gegen ihre Rechtmäßigkeit. Für solche neuartigen Strafverfahren gilt das, was der amerikanische Hauptankläger Jackson im Nürn-
SCHWABISCHES TAGBLATT
Neue Phase des Gewerkschaftslebens
Ein Interview mit Louis Saillant/ Vertreter der Sowjetzone äußern sich
Nach Beendigung der Konferenz der Ge- werkschaftsvertreter aller vier Besatzungs- zonen in Mainz( siehe auch Seite 1) gab der Generalsekretär des Weltgewerkschaftsbunds, Louis Saillant, einem Rheinakorrespon- denten ein Interview, in dem er die nach- stehenden Fragen beantwortete:
Erste Frage: ,, Welche Eindrücke haben Sie, Herr Generalsekretär, von der Tagung bekommen?"
Antwort:„ Diese Tagung war schon lange vorgesehen. Im letzten Jahr konnte ich jedoch noch nicht sagen, wann und wo sich eine solche Tagung ermöglichen ließe. Ich hätte damals vielleicht gezögert zu bejahen, ob überhaupt eine solche Tagung unter den
Antwort: ,, Die deutschen Gewerkschafts- bewegungen können und müssen dazu bei- tragen, im deutschen Volke die demokrati- sche Gesinnung zu wecken, wachzuhalten und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern. Die Rolle der deutschen Gewerkschaften wird sich nicht allein auf die
Regelung materieller Fragen beschränken dürfen, sie muß sich darüber hinaus ein neues Ziel setzen, das Ziel einer internationalen Zusammenarbeit, um im Verfolg dieses neuen Ideals der großen Rolle gerecht zu werden, die die Gewerkschaftler der Welt vom deut- schen Volk erwarten. Dieser Weg muß fun- diert sein auf neuer Auffassung über die Rechte und Pflichten des deutschen Volkes ge-
12. November 1946
Schwundland
Der letzte Krieg hat manche Aufblähung zum Schwinden gebracht: dicke Bäuche haben sich auf Normalmaß reduziert, geschwollene Erwartungen sind dahin und sogar das Großdeutsche Reich ist eingeschrumpft. Diese Vorgänge können wir ver- stehen: Sie stehen in kausalem Zusammenhang. Weil der Herr Oberfinanzrat auf Karten lebt, weil sich das Dritte Reich übernommen hatte.
Auch die Wirtschaft kennt den Schwund, das Dahingehen ins Nichts. Aepfel haben im Frühjahr ein geringeres Gewicht als im Herbst. Das ver- stehen wir auch noch. Der Nahrungsmittelchemiker kann uns beweisbare Auskünfte darüber geben. Aber welche geheimnisvollen Kräfte mögen die Ursache sein, daß in Südbaden innerhalb von sie- ben Jahren 26 609 Hektar Land verschwunden sind. Ohne Versailler Vertrag, ohne Grenzberich-
berger Prozeß den Verteidigern entgegengehal- heutigen Umständen stattfinden könne. Heute genüber der Weltgemeinschaft. Ich bin der tigung, ohne Annexion, ohne Erfüllungspolitik,
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ten hat. Jackson sagte: ,, In der Tat gibt es hier keinen Präzedenzfall. Aber daraus folgt nicht, daß der Verbrecher frei von Strafe sein kann nur deshalb, weil die Rechtsgrundsätze, die er verletzt hat, noch nicht Gegenstand eines Präzedenzurteils geworden sind."
Was für das englische und für das inter- nationale Recht gilt, gilt mehr oder minder auch für das Recht jedes einzelnen Kultur- staates und somit auch für das deutsche Straf- recht.
Demontage in Leipzig
LEIPZIG. Drei große Verlagshäuser in Leip- zig, Philipp Reclam, Oskar Brandstet- ter und J. E. Weber, sind von den sowje- tischen Behörden benachrichtigt worden, daß ihre Einrichtungen als Reparationsleistung ab- montiert werden sollen. Die Gebäude wurden
geschlossen und unter militärische Bewachung gestellt.
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BERLIN. Der Leiter der Versuchslabora- torien der Leuna- Werke bei Leipzig, Dr. Herold, der sich durch seine Erfindungen auf dem Gebiete der Ersatzstoffe einen Na- men gemacht hat, hat sich mit mehreren an- dern deutschen Chemikern auf dem Luftwege nach Moskau begeben.
Die Rücktrittsgesuche abgelehnt Die amerikanische Militärregierung hat die Rücktrittsgesuche des Ministers Dr. Pfeif- fer, München, und des württembergischen Säuberungskommissars, Ministers Gottlob Kamm, abgelehnt.
Dem großhessischen Minister für politische Befreiung, Binder, hat das großhessische Kabinett das Vertrauen ausgesprochen.
Kleine Weltchronik
Frankreich hat in einer Note an England und die Ver- einigten Staaten die Abhaltung einer Dreimächte- Konfe- renz über das Problem der jüdischen Flüchtlinge in West- europa vorgeschlagen.
bin ich von der Notwendigkeit überzeugt. Mit dieser Tagung hat eine neue Phase des gewerkschaftlichen Lebens in Deutschland be-
gonnen.
Zweite Frage:, Wieso fiel die Wahl des Tagungsortes gerade auf Mainz?"
Antwort:„ Wir haben Mainz als Ta- gungsort gewählt, weil diese Stadt der ge- gebene Ort war, um alle Strömungen hier zusammenzuführen. Wir haben von den Be-
satzungsbehörden das größte Entgegenkom- men für unsere Bestrebungen und alle Er- leichterungen zur Durchführung der Konfe- renz gefunden."
Dritte Frage: Welche unmittelbaren Folgen wird diese Konferenz haben?"
Anwort:„ Zunächst sind die Verbindun- gen zwischen den Gewerkschaftsbewegungen der einzelnen Zonen sichergestellt. Dadurch wird sich die Entwicklung des gewerkschaft-
lichen Lebens in Deutschland wesentlich er- leichtern."
Vierte Frage: Wurde die Aufnahme der deutschen Gewerkschaftsbewegung in den internationalen Gewerkschaftsbund erörtert?" Antwort: ,, Endgültiges konnte über diese Frage noch nicht ausgemacht werden, da ich diese Frage nicht allein entscheiden kann. Meiner Ansicht nach wird diese Aufnahme aber unausweichlich kommen, wenn auch noch nicht gesagt werden kann, zu welchem Zeit- punkt. Inzwischen wird alles geschehen, was wir tun können, um die Aufnahme der deut- schen Gewerkschaftsbewegung in den Welt-
gewerkschaftsbund vorzubereiten."
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Fünfte Frage: Wie schätzen Sie die Entwicklungstendenzen der deutschen Ge- werkschaftsbewegung ein?"
Ernährungskrise in der britischen Zone Nach einer Mitteilung des Unterstaatssekre- tärs im britischen Kriegsministerium im eng- lischen Oberhause waren in der britisch be- setzten Zone Deutschlands vom 1. November an gerechnet nur noch für zehn Tage Getreide- vorräte vorhanden. Es sind deshalb dringende Verhandlungen in Washington in die Wege geleitet worden. Der britische Außenminister Bevin hat mit dem amerikanischen Außen- minister Byrnes über die schwierige Er- len die Aufhebung der Preis- und Lohnkontrolle in Vor- nährungslage in der britischen Zone Bespre- chungen aufgenommen. Bevin will auch dem Außenministerrat eine Niederschrift überrei-
Ein Handelsabkommen zwischen Frankreich und Oester- reich ist in Paris zum Abschluß gekommen.
Belgien und Luxemburg fordern ebenfalls Grenzberich- tigungen.
Präsident Truman hat als erste Auswirkung der Wah-
schlag gebracht.
Die Vereinigten Staaten haben beschlossen, ihre diplo- matische Vertretung in Albanien abzuberufen, weil Alba- nien die mit USA. abgeschlossenen Abkommen nicht ein- hält.
Manlio Brosio ist zum italienischen Botschafter in Mos-
kau ernannt worden.
Die bjelorussische Delegation schlägt der UN. vor, die Generalversammlung möge jedem Mitglied empfehlen, die diplomatischen und Handelsbeziehungen mit Spanien ab- zubrechen.
Der frühere tschechoslowakische Gesandte in Bukarest, Veverka, ist zum Verlust des Wahlrechts und der Wähl- partei verurteilt worden, weil er im März 1939 die Ge- sandtschaft in Bukarest an die Deutschen übergeben hatte. Der Präsident der indonesischen Nationalregierung hat in Saigon Selbstmord verübt.
Der indische Staatsrat hat die Verstaatlichung der Baumwollindustrie gefordert.
Marschall Tschiangkaischek hat für die chinesischen Zen- tralstreitkräfte die Einstellung der Feindseligkeiten an- geordnet.
MARIE
Don Francis Jammes Übersetzt von Jakob Hegner( Nachdruck verboten) 3] Einmal, zu Weihnachten, hatten Isabellas
Eltern Marie mit ihrem Vater und ihrer Mut- ter zu Gast geladen. Der Steuereinnehmer brachte seine Geige mit, und Marie war sehr stolz, als sie ihren Vater in dem großen Emp- fangszimmer spielen hörte.
Während die Anwesenden still in sich ver- sunken lauschten, lief sie zur Mutter, umfaßte deren Knie und ließ sich von ihr übers Haar streicheln. Sie wollte all den Leuten offen- baren, daß sie so liebkost wurde, daß sie wirk- lich das Töchterchen dieser Mutter war und
dieses Vaters, der so schön auf seiner Geige spielte.
Dann trank man Tee, und das Hausmädchen mit dem Geschirr war dasselbe hübsche Stu- benmädchen, das bei Maries erstem Besuch die Tür geöffnet hatte. Es gab aber auch noch ein anderes, gleich hübsches Mädchen, doch erschien es nicht so oft. Die beiden sahen wie zwei Kohlweißlinge aus.
Dann kehrte Marie heim mit Vater und Mutter, bei einem großartigen Schneegestöber, das in wenigen Stunden die ganze Landschaft in eine einzige flache runde Ebene verwan- delt hatte. In der Tür überreichte man dem Vater einen Brief. Er öffnete ihn und sagte zur Mutter:
,, Meine Liebe, da teilt man mir meine Ver- setzung mit. Ich bin für Arbouét im Baski-
schen ernannt."
Und die Mutter sagte darauf:„ Das muß nun gerade in dem Augenblick sein, wo wir hier einen Anschluß und angenehmen Ver- kehr gefunden haben."
Und der Vater gab zur Antwort:„ So ist das Leben“
Am nächsten Morgen erst begriff Marie, was geschehen war, und sie vergoẞ Tränen bei der Vorstellung, daß sie nun die Nonnen ver- lassen müsse und ihre Freundinnen, das Dorf
chen.
Die Ernährungslage hat sich etwas gebessert und es sind amerikanische Schiffe mit Ge- treideladungen unterwegs. Der amerikanische Seemannsstreik hatte die rechtzeitige Liefe- rung von 51 000 Tonnen Weizen verhindert.
Einfuhr in die französische Zone BADEN- BADEN. Die Militärregierung macht große Anstrengungen, um, den Möglichkeiten der Handelsbilanz entsprechend, die der Be- völkerung zur Verfügung stehenden Lebens- mittelrationen durch Zufuhr von außen zu erhöhen. Einem Abkommen mit Dänemark zufolge war ein erstes Kontingent von 540 Ton- nen Fisch für Oktober vorgesehen worden. Diese Menge ist voll geliefert worden. Die Lieferung eines zweiten für November vorge- sehenen Kontingents von 540 Tonnen wird bis zum 25. d. M. durchgeführt sein. Eine
und die Umgebung, alle die Stellen, wo ihr die Welt zuerst aufgegangen war und sie die ersten Schritte getan hatte. Sie beichtete ihren großen Kummer der Mutter, und diese er- zählte ihr von der Muttergottes, die einst gleichfalls ihren Geburtsort hatte verlassen müssen, um in ein unbekanntes Land zu ge- hen, windig und sandig, ganz baumlos und sicherlich viel weniger nett als Arbouét. Und auch diesmal tröstete sich Marie bei dem Gedanken, es der Muttergottes gleichzutun.
Der kleine Michael freilich, der verstand nichts von alledem. Er beschäftigte sich mit einer aus Papier geschnittenen rotwangigen Puppe, die weder Arme noch Beine hatte.
Die bescheidene Uebersiedlung aber gefiel Marie. Eines Abends beleuchtete man die Zimmer mit Kerzen, die man in Flaschen steckte, weil der Vater, der den Ziehleuten die Kisten vernageln half, die Leuchter be- reits verpackt hatte. Ehe sich Marie von ihrem Geburtshaus trennte, lief sie noch ein letztes Mal ganz allein in den Garten, wo jetzt kein Geigenklang mehr zu hören war. Ganz ver- nünftig behielt sie die Hände in den Mantel- taschen. Das Gesicht zeigte eine Falte, als wäre das Weinen nah. Doch sie hielt die Trä- nen zurück, Frierend kam sie wieder ins Haus. Die letzte Nacht, da man kein Heim mehr hatte, schlief man im Gasthof, und am näch- sten Morgen begab man sich in Begleitung einiger Freunde aus Roquette- Buisson zur Bahn, eine ganze Gesellschaft zum Geleite, darunter zwei Nonnen und Isabella mit ihrem Vater und ihrer Mutter. Diese beiden hatten für die Abreisenden Mundvorrat mitgebracht. Marie ging immer den andern voraus, Hand in Hand mit der geliebten Freundin, und weinte in ihr Taschentüchlein. Beide Mäd- chen trugen ein reizendes Barett auf dem Kopf, denn Isabellas Mutter hatte Marie eins geschenkt, das genau so war wie Isabella ih- res. Nur Maries Kleid zeigte stets den bäuer- lichen Schnitt und ebenso ihr grobes Schuh- werk, das sie aber jetzt gern hatte. Der kleine
Auffassung, daß durch diese vorbereitende und erzieherische Arbeit der deutschen Ge- werkschaften dem deutschen Volke auch die Möglichkeit sich bieten wird, wieder einen gleichberechtigten und ehrenvollen Platz im internationalen Leben einzunehmen."
Hans Jendretzky und Bernhard Gö- ring, die Gewerkschaftsvertreter der sow-
jetischen Besatzungszone, gaben dem Korre- spondenten der Rheina ebenfalls ein Inter- view, in dem sie sich zu den Abtransporten deutscher Arbeiter in die Sowjetunion äußer- ten. Daraus geht hervor, daß es sich bei den genannten Arbeitern um Facharbeiter han- delt, die unter sehr günstigen Bedingungen in sowjeteigenen Betrieben der russischen Besatzungszone beschäftigt waren und schon seit langem Verträge abgeschlossen hatten, in denen sie sich zur Arbeit in der Sowjet- union bereit erklärt hatten. Zur Frage, wie sich der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund zu den Arbeitsverträgen äußere, erklärten die beiden Vertrteter des FDGB., daß die Ge-
werkschaften sofort nach Kenntnisnahme von dem Abtransport mit den zuständigen Stellen Verhandlungen aufgenommen hatten und darin ihre Bedenken und Besorgnisse über die Form des Abtransportes zum Ausdruck brachten. Darin hat der FDGB. alle Besat- zungsmächte ersucht, sich in Zukunft mit den Gewerkschaften über vertragliche Verpflich- tung deutscher Arbeiter und Angestellter nach dem Ausland über den Zeitpunkt ihrer Ab- reise vorher zu verständigen und die Zusi- cherung erhalten, daß bestimmte Grundsätze eingehalten werden.
erste aus der Tschechoslowakei kommende
Zuckersendung ist am 7. November eingetrof- fen, zwei weitere Züge werden erwartet. Von der Gesamtmenge, die sich auf 3000 Tonnen belaufen soll, sind 900 Tonnen für den fran- zösischen Sektor Berlins, 2100 Tonnen für die Zone bestimmt.
CDU. zur Ernährungslage Der Landesausschuß der Christlich- Demo- kratischen Union, dem Vertreter aus allen 17 Kreisen Südwürttembergs und Hohenzol- lerns angehören, drückte in einer an das Staatssekretariat gerichteten Entschließung seine Besorgnis über die schlechte Ernäh- rungslage aus.
Der Landesausschuß der CDU. ersucht das Landesdirektorium, zusammen mit der Mili- tärregierung alles zu tun und nichts unver- sucht zu lassen, um die drohende Gefahr auf- zuhalten.
In einer weiteren Entschließung wird auf die schlechte Schuhversorgung der Bevölke- rung hingewiesen und auf die dadurch ent- stehenden gesundheitlichen Gefahren, welcher insbesondere die schaffende Bevölkerung, Kinder und Schüler in den kalten und nassen Wintermonaten ausgesetzt sind. Das Landes- direktorium wird gebeten, sich dafür einzu- setzen, daß die Bevölkerung mit dem nötigen Schuhwerk und die Handwerksmeister mit dem erforderlichen Leder und Reparatur- material ausgestattet werden.
aus
Michael, auf dem Arm der Kindermagd, sah wie ein goldlockiger Pausbackenengel. So stiegen sie in den Zug. Man winkte mit Tüchern. Die Lokomotive pfiff, und die Häuser und die Bäume begannen alle nach rückwärts zu laufen.
III.
In Arbouét bezogen Marie und ihre Eltern die Wohnung des bereits abgereisten Steuer- beamten. Sie war viel heller und geräumiger als die von Roquette- Buisson, aber der Gar- ten war weniger geheimnisvoll. Es fehlten alle die dem Kindesalter so lieben und süßen dunklen Winkel des Vaterhauses. Doch Marie fand sich mit der Fremde ab: sie bewahrte in ihrem Herzen die Erinnerung an die Ver- bannung der Muttergottes.
In Arbouét hatte der Vater, wie er sagte, mehr im Amte zu tun als in Roquette- Buis- son. Trotzdem war er häufig schon um fünf Uhr frei, und wenn die Tage lang genug wa- ren, erging man sich im Freien, manchmal auch mit dem kleinen Michael an der Hand. Marie liebte ihr Brüderchen riesig. Er war nun zwei Jahre alt.
Eines Nachmittags kam das Schulmädchen aus dem Töchterheim nach Hause, da sagte der Vater:„ Marie, ich habe dir etwas Wich- tiges mitzuteilen, worüber du sehr erfreut sein wirst. Du weißt, die Mutter liegt seit ge- stern zu Bett, weil sie ein wenig krank war. Heute ist sie wieder gesund. Und du und Mi- chael, ihr habt ein kleines Schwesterchen be- kommen, es wird Magdalena heißen."
Oh, welches Glück, welch ein Entzücken für Marie. Der Vater führte sie in Mutters Zim- mer, vorher aber empfahl er ihr: ,, Du darfst keinen Lärm machen!"
Da schlich Marie gehorsam leise auf ihren Fußspitzen. Und zuerst sah sie auf ihre Mut- ter in dem großen Bett. Und die Mutter sah wieder auf sie mit einer unendlichen Liebe. Und sie küßten einander. Marie lächelte, ohne ein Wort hervorzubringen, fast atemlos. Dann
ohne nationale Entrüstung spurlos verschwunden. 26 609 Hektar sind 266 Gutshöfe, die unter das Bodenreformgesetz fallen würden, sind 26 Dörfer, sind ein ganzer Landkreis.
Nun suchen aufgeregte Aemter nach dem ver- lorenen Land. Weil die französischen Militärbehör- den auf den Tisch geklopft und den Herren vor- gerechnet haben, daß auf diesem Schwundland 408 000 Tonnen Kartoffeln gewachsen sein müß- ten. Diese Kartoffeln sollte man erst einmal bei- schaffen, ehe man den Kartoffelmangel bejammert. Wo mag das Land geblieben sein? Und welche Schweine werden wohl fett von den Kartoffeln dieser verschwundenen Aecker? alan
Kartoffelkrise in Südbaden
Die französische Militärregierung in Frei- burg hat vor der Presse die Ernährungslage in Südbaden erörtert. Besondere Schwierig- Die Militärregierung ist bereit, Kartoffeln keiten bereitet die Versorgung mit Kartoffeln. einzuführen, verlangt jedoch von den deut- schen Behörden, daß sie für die restlose Er- fassung der Vorräte sorgen. Bei dieser Ge- legenheit wies sie auf den skandalösen Tat- bestand hin, daß die statistischen Angaben des Landesernährungsamtes unrichtig sind. 1939 wurde eine Landoberfläche von 994 413 es noch Hektar angegeben, 1946 waren 967 804 Hektar. Es ergibt sich aber, daß die braunen Reichsnährstandgrößen während des Krieges systematisch die Statistik gefälscht haben, um sich auf Kosten der Volksgenossen Vorteile zu verschaffen.
Entmilitarisierung
Nach einer Mitteilung der satirischen Zeit- schrift ,, Das Wespennest" setzt sich die Grup- penverwaltung der Interniertenlager, die dem Minister für politische Befreiung in Württem- berg unterstehen, aus folgenden Herren zu-
samen: einem Oberstleutnant der Reserve, ei- nem Oberfeldintendanturrat( ehemals aktiv), einem Intendanturrat( ehemals aktiv), einem Stabszahlmeister( ehemals aktiv), drei Majo- ren( ehemals aktiv) und drei Leutnanten ( ehemals aktiv).
Polizei vor dem Militärgericht
Vor dem Mittleren Militärgericht in Reut- lingen hatten sich 16 Schwenninger Polizisten
zu verantworten. Sie hatten ihren Dienst nie- dergelegt, weil drei ehemalige Pgs. wieder eingestellt worden waren. Daraufhin wurden sie suspendiert nicht die Pgs., sondern die Polizisten, die nichts mit den Nazis zu tun haben wollten.
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Vor dem Militärgericht waren sie nun an- geklagt: 1. Handlungen begangen zu haben, die geeignet seien, die öffentliche Ordnung zu stören, und 2. des verbotenen Zusammen- schlusses von Beamten.
Das Militärgericht erklärte in öffentlicher Verhandlung, daß nach dem geltenden fran- zösischen Militärgesetz keinerlei strafbare Handlungen vorliegen, und wies den Fall an die deutsche Verwaltung zurück.
Man darf nun gespannt sein, wie dieser Konflikt gelöst wird, nachdem auch sämtliche vier Parteien in Schwenningen die Handlungs- weise der Beamten gutgeheißen haben.
Herausgeber und Schriftleiter: Will Hanns Hebsacker, Dr. Ernst Müller, Rosemarie Schittenhelm, Alfred Schwenger und Werner Steinberg( zurzeit erkrankt)
suchte sie mit ihren Blicken das kleine Schwe- sterchen, konnte es aber nirgends entdecken. Da führte sie der Vater zu der Wiege. Sie trat näher, und immer langsamer, je näher sie kam. Dabei legte sie die Hand auf den Mund, um nicht laut zu atmen. Endlich schlug der Vater den Vorhang zurück, hob sie in die Höh und neigte sie über das Gesicht der Neuge- borenen, die ganz rot und sauber dalag. Marie hätte am liebsten ihre Begeisterung und Zärt- lichkeit hinausgeschrien, doch verhielt sie sich still, sie war wie verzückt vor diesem Wunder Gottes: ein Schwesterchen!
Der Vater zog die Tüllschleier wieder zu- recht, nachdem er Marie zu Boden gelassen hatte; sie ging abermals zur Mutter, die sich nicht rührte, nur lächelte, und schmiegte ihre Wange an die aus dem Bett hängende Hand, um eine Liebkosung zu empfangen. Dabei sah sie auf die Kommode zur Muttergottes hin- über. Und sie sah sie wie immer, unwandel- bar und treu, und ließ ihr kleines Herz sich ausruhen auf ihr, wie ein Vogel auf einem Zweig, und sagte ihr Dank dafür, daß sie ihr eine Magdalena geschickt hatte.
IV.
Die Tage folgten Tag auf Tag, doch glichen sie einander nicht. Denn ach, ein halbes Jahr nach der Taufe Magdalenas, der Marie ganz strahlend beigewohnt hatte, starb der liebe kleine Michael an der Bräune, im Verlauf ei- niger Stunden. Das war ein schwerer Verlust. Marie, empfindlich und schon voll Ueberle- gung, ein kleines Weib, litt für sich selbst und für ihre Eltern, die von diesem Schlage ganz darniederlagen. Die Einzelheiten des Be- gräbnisses gruben sich in ihre Seele ein, nicht anders, als auf den kleinen, den unschuldigen Kindlein geweihten Steinen die Verzweiflungs- sprüche eingemeißelt sind unter einem Busche mit blutenden Beeren. Aber all die vielen Seufzer, erstickt im Dunkeln, bestärkten nur Marie in ihrer so frommen Weisheit. ( Wird fortgesetzt)