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Di^n^tkrx, <j«-n 29. ^suuni' 1946
Kummer 8
Oie neue französische I^e^iei unK
^nclro LbUip IVirtsekakts- uncl k'iiiuii/.minister
Die offizielle Liste der Regierung <8 ouin, aus- gegeden Samstagnachmittag, lautet:
^elix Gouin (Soz.), Ministerpräsident und Minister für die nationale Verteidigung Maurice Thorez (KP.) und Francisque Gay (Christl.Soz.), Vizepräsidenten ohne Portefeuille Taston Deferre (Soz.), Unterstaatssekrelär und Nachrichtenwesen
Teitgen (Christi. Soz.), Justizminister G. Bidault (Christi. Soz.), Außenminister Tillon (KP.), Minister für die Rüstung Michelet (Christi. Soz.), Hecresministet Le Troquer (Soz.), Innenminister Andre Philip (Soz.), Wirtschaft und Finanzen, wahrscheinlich unterstützt von 3 Unterstaatssekretären, von denen einer, Gazier (Soz.), für die sozialen Fragen bestellt ist Marius Moutet (Soz.), Kolonien Marcel Paul (KP.), Industrie und Kohlenproduktion, unterstützt von Unterstaatssekretär Lecoeur (KP.)
R. Prigent (Christl.Soz.), Oeffentliche Gesundheit
Jules Mach (Soz.), Oeffentliche Arbeiten Croizat (KP.). Arbcitsminister, unterstützt von Patincau (KP.)
Letourneau (Christi. Soz.), Post- und Tcle- graphenwesen
T a n g u y - P r i g e n t (Soz.), Landwirtschaft Longchambon, parteilos, (Fachmann für Ernährungsfragen), Ernährungsminister Francois Billoux (KP.), Wiederaufbau Casanova (KP.), Kriegsversehrte und Pensionen Naegclen (Soz.), Schulwesen.
Die Regierung besteht gegenwärtig aus 8 Kommunisten, 8 Sozialisten, 6 Christlichen Sozialisten (M.P.R.) und einem Sachverständigen: zwei Unterstaatssekretäre werden demnächst noch ernannt.
Präsident Gouin hat am Samstag folgende Erklärung abgegeben:
..Ich hasse, daß das Land die Schwierigkeiten verstehen wird, die wir nicht verheimlicht haben, und daß 'es uns das Vertrauen entgegenbringt, damit wir diesen Schwierigkeiten zu begegnen vcr-
Oie ensüseliS ^rlieilerroffioriinx
London. Beide Häuser des Parlaments haben ihre Arbeit wieder ausgenommen und sich mit den Verstaatlichungsvorlagen der Regierung beschäftigt. Das Oberhaus hat den Gesetzesvorschlag für die Verstaatlichung der B a n k vonEngland angenommen, ebenso eine Vorlage über die Verstaatlichung des zivilen Flugverkehrs.
Die nächsten Aufgaben sind: das Gesetz über die Verstaatlichung der Kohlengruben: ein Gesetzentwurf über die Kontrolle der privaten Kapitalanlagen, der das. Bankgesetz in radikaler Richtung ergänzt: der Entwurf einer neuen Sozialversicherung, die alle Männer und Frauen vom Verlassen der Schule bis zu 6S bzw. 60 Jahren umfassen soll. .
London. In englischen Gewerkschaftskreisen herrscht Unzufriedenheit wegen der Verwendung deutscher Kriegsgefangenen in landwirtschaftlichen Betrieben. Die Einstellung deutscher Kriegsgefangener zu Löhnen unter dem Gewerkschaftstarif bedeute eine schwere Schädigung der englischen Landarbeiter.
London. Der Staatsminister für deutsche Angelegenheiten hynd gibt bekannt, daß eine Sonderregelung durchgesührt werden soll, wonach in England wohnende Deutsche mit ihren Verwandten in Deutschland wieder in Verbindung treten können.
In P r a g ist der frühere Direktor der Zivno-Vank, Dr. Jaroslav Preist, wegen Unterschlagungen und Steuerhinterziehungen verhaftet worden. Er soll einmal geäußert haben, cs sei nicht wahr, daß sein Monatseinkommen 30 Millionen Kronen betrage; es seien nicht einmal ganz 3 Millionen.
Die Regierungsparteien in Ungarn haben sich auf Tildn als den ersten Präsidenten der zu errichtenden ungarischen Republik geeinigt.
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Anfang Februar beginnt in B u d a p e s t der Hochverratsprozeß gegen den ungarischen „Führer" Franz Szallassy. *
Der Notenumlauf in I t a l i en hat die Höhe von 860 Milliarden Lire erreicht; die schwebenden Staatsschulden belaufen sich auf 320 Milliarden Lire.
In Griechenland herrscht immer noch große politische Unruhe. *
In Bulgarien und Rumänien stehen noch etwa 130 000 Mann russische Truppen.
Frau Antonescu. die Gattin des ehemaligen faschistischen Diktators von R u m ä n i e n , hat sich jetzt wegen Diebstahls zu verantworten, da sic seinerzeit nach Abbruch der Beziehungen zu Rußland Möbel, Wäsche und Kunstgcgcnstände hat fartschaffen lassen.
Nach Radio Moskau werden di- russischen Kriegsschädcn aus 680 Milliarden Rubel veranschlagt; dar find 136 Milliarden Dollar oder 1360 Milliarden Reichsmark. *
Bei Unruhen in B o m b a q anläßlich des Geburtstags des indischen NationalistensUhiers Subhas Chandra Bose hat es 11 Tote und 130 Verletzte gegeben)
Argentinien wünscht in nommen zu werden.
die UNRNA. aufge-
mögen. In das Ministerium für Ernährung habe ich einen Fachmaiin berufen und hoffe, daß er uns zu fördern weih."
Die einzige wichtige Aenderung im neuen französischen Kabinett ist die Vereinigung des Wirt- schasts- und Finanzministeriums in der Hand der Sozialisten Andrö Philip, der in der neuen sozialistischen Partei eine einflußreiche Rolle spielt und wie Felix Gouin zu den ersten Kampsgenossen des Generals de Gaulle und zu den Gründern der Widerstandsbewegung zählt.
Andrö Philip will einschneidende Sparmaßnahmen einführen und auch die militärischen Ausgaben um 40 Millionen Francs herabsetzen. Es sollen keine neuen Staatsbeamten mehr eingesetzt werden, Transport- und Kohlenpreise sollen erhöht, Löhne und Preise scharf kontrolliert und der Schleichhandel energisch bekämpft werden. Das Versorgungsproblem soll an erster Stelle stehen; zu den dringlichsten Aufgaben werden Verstaatlichungsmaßnahmen und der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Franco-Spanien gerechnet.
Der französische Außenminister Bidault wird unverzüglich seinen Platz in der Generalversammlung der UNO wieder einnehmen.
Man zweifelt nicht, daß es dem Kabinett Gouin gelingen wird, den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Frankreichs herbeizuführen. Frank- reich ist das einzige Land Europas, dessen Kohlenförderung sich heute der Vorkriegsproduktion nähert. Im Dezember 1945 betrug die Kohlenproduktion in Frankreich 91 Prozent, in Belgien-73>Prozent, .in Holland 46 Prozent und in Westdeutschland 41 Prozent der Vorkriegssörderung. Dieses Ergebnis ist das Verdienst der französischen Arbeiterschaft.
Ministerpräsident Felix Gouin hat in einem In- terview dem Redakteur der Agentur France Presse erklärt, daß die Regierung keine Sondervollmachten beanspruchen und^eine Nowerordnunqspoiitik durchsühren, sondern sich an die demokratischen Grundsätze halten werde. Es werde nichts geschehen, um die Dauer des Mandats der verfassunggebenden Versammlung zu verlängern. Die Wahlen sollen zum festgesetzten Zeitpunkt durchgeführt werden. Zum Schlüsse erklärte Präsident Gouin: „lieber Frankreich ist wieder ein Stück blauen Himmels zu sehen."
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Mehr und mehr nähert sich auch für die Regierung Franco in Span! en die Stunde, wo sie ihre Ralle ausgespielt haben und damit Europa von den letzten Resten saschistischer Herrschaft befreit sein wird. Die im Exil befindliche spanische republikanische Regierung unter Girat mit ihrem Außenminister de los Rios beabsichtigt zunächst nach Frankreich zu gehen und dort der Entwicklung der Dinge abzuwarten.
London. Die englische Regierung hat dem Präsidenten der spanischen republikanischen Regierung, Giral, der gegenwärtig in Neuyork wohnt, ein Durchaangsvisvm ausgestellt. Giral beabsichtigt, sich nach Frankreich zu Besprechungen mit anderen ausgcmanderten Spaniern zu begeben und auf der Durchreise einen kurzen Aufenthalt in England zu nehmen.
Neuyork. Im Verlaufe einer Pressekonferenz hat Giral wiederholt auf die Beziehungen hingcwiesen, die zwischen den spanischen Republikanern und Frankreich bestehen. Giral hat die Hoffnung nicht aufgegeben, daß die französische Regierung ihm das beantragte Visum erteilen wird.
Paris. Nach einer Erklärung des Außenministers der spanischen Exilregierung, de los Rias, werden sämtliche lateinamerikanischen Staaten in Kürze die Beziehungen zu Franco-Spanien abgebrochen haben. Ein Teil von ihnen habe die Regierung Giral bereits anerkannt.
Mailand. Die Delegierten der Partisanenver- einigunge» von Emijia und der Romagna, die 560 000 Freiheitskämpfer vertreten, sind in Mailand zusammengetreten. Sie verlangen vor allein den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Franco-Spanien und ein entschlossenes Vorgehen gegen die neufaschistischen Umtriebe im Innern.
London. „Preß Association" meldet, daß die englischen Behörden dem spanischen Thronprüten- denten Don Juan ein Durchgangsvisum für England erteilt haben. Da Don Juan wünsche, sich nach Portugal zu begeben und keinerlei direkte Luftncrbindnug zwischen der Schweiz und Spanien bestehe, bleibe ihm nichts anderes übrig, als einen Umweg über England zu machen.
Wien. In einer Sitzung des alliierten Rats unter dem Vorsitz des Oberkommandierenden der amerikanischen Streitkräfte in Oesterreich, General Clark, hat der Oberkommandierende der'französischen Besatzungstruppen in Oesterreich, General Bethouard, über die kürzlich in dieses Land erfolgte Reise der-Erzherzoge Karl Ludwig' und Robert sowie über die bei dieser Gelegenheit getroffenen Maßnahmen eine Erklärung abgegeben. Der Alliierte Rat hat erneut seine Absicht betont, die österreichische Regierung in der Durchführung des Gesetzes zu unterstützen, welches den Habsbürgern den Aufenthalt in Oesterreich untersagt.
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Starke kcfteiligunx / Lrkalge cker LliriütlicAen Demokraten / 8LD. küstrt in Dessen
In der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands haben am Sonntag, den 27. Januar in allen Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern freie Gemeindewahlen stattgefunden, nachdem in 17 hessischen Landkreisen bereits am 20. Januar gewählt worden war.
Am Montag früh 8 Uhr lagen folgende Ergebnisse vor (Christlich-Demokratische Union — CDU., Liberal-Demokratische Partei — LDP., Sozialdemokratische Partei Deutschlands — SPD., Kommunistische Partei Deutschlands — KPD.):
In 232 Gemeinden Nordbadens mit 272500 Stimmberechtigten wühlten 241 595, also 89 Prozent. CDU.: 130 413, SPD.: 70 138, KPD.: 14112, LDP.: 12 356, örtliche Listen: 6000.
Aus Bayern liegen die Ergebnisse von 3500 Gemeinden (von insgesamt 7200) mit 1 332 452 Wahlberechtigten vor. Es wurden 1 092 753 Stimmen abgegeben, also 82 Prozent. Es entfielen auf CDU. 546 000, SPD. 174 OM, KPD. 20 400, LDP. 9000 Stimmen. Rund 32 Prozent entfielen auf örtliche Listen, meist Einheitslisten ohne politische Bedeutung.
In 22 Kreisen Großhessens mit 878 973 Wahlberechtigten wählten 759 603 Personen, also 86 Prozent. SPD.: 334 304, CDU.: 240 200, KPD.: 49 520, LDP.: 16 750, ähnliche demokratische Listen: 11 753, örtliche Listen ohne politische Bedeutung: 69 OM, Nationaldemokratische Partei in Fricdberg: 4737.
Die Gesamtwahlen in Großhessen vom letzten und vorletzten Sonntag zeigen folgendes Bild:
Insgesamt wählten 39 Kreise mit 1 340 449 Stimmberechtigten. Davon gaben 1140 246 ihre Stimme ab, gleich 86 Prozent. Es entfielen dabei auf SPD. 484 595, CDU. 340 540, KPD. 60 883,' LDP. 34 960, örtliche Listen 160 000 Stimmen.
Stuttgart meldet am 28. Januar: Die gestrigen Kcmeindewahlen in der amerikanischen Zone haben das Ergebnis der vergangenen Woche in Groß- Hessen bestätigt. Die Wahlbeteiligung betrug 84 Prozent, die SPD. und CDU. (Christlich demokratische Union) haben große Erfolge errungen. Die unabhängigen Parteien und die parteilosen Gruppen nehmen den dritten Platz ein in Bezug auf die Zahl der abgegebenen Stimmen, die Kommunisten haben bis zu 10 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten, was auf einen möglichen großen Erfolg der Kommunisten bei den Wahlen in den Mittel- und Großstädten schließen läßt.
Meldung aus Frankfurt Montag mittag: Die Gemeinderatswahlen in der amerikanischen Be- satzungSzone haben sich in völliger Ordnung abgespielt; es wird kein bemerkenswerter Zwischenfall gemeldet. Hier folgt das Ergebnis mit Ausnahme von 7 Wahlbezirken:
Christlich-demokratische Partei 1204 388 Stimmen Sozialdemokratische Partei 723180 „
Kommunistische Partei 109 968
Liberal-demokratische Partei 58 381 „
Parteilose und Sonstige 448 373 „
Unter Vorbehalt sei als Verhältnis der Stimmenverteilung wiedergegeben:
Bayern: CDU. 50 Prozent
Unabhängige und Parteilose 35 Prozent
Sozialdemokraten 13 Prozent
Kommunisten 2 Prozent
Hessen: CDU. 44 Prozent
Sozialdemokraten 46 Prozent
Kommunisten 10 Prozent
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Die Streikbewegung in U-vA. hat sich weiter ausgedehnt. In der Stahlindustrie und ihren Ablegern sind etwa eine Million Arbeiter ausständig. Die Jndustriemagnaten, an ihrer Spitze Fairleß von U. S. Steel, haben sich noch nicht entschließen können, den Vorschlag Trumans auf eine Stundenlohnerhöhung von 18.5 Cents anzunehmen. Die Fordwerke haben 40 MO Arbeiter entlassen, weil infolge des Stahlarbeiterstreiks keine Einzelteile mehr geliefert werden. Im Zusammenhang mit dem Stahlarbeiterstreik ist ferner eine große Anzahl von Kohlenbergwerken zur Einstellung des Betriebes gezwungen worden.
Die Leitung der Schlachthäuser in Chikago und Neuyork ist bis auf weiteres in öffentliche Hand übernommen worden, damit die Versorgung der
Bevölkerung nicht notleide. Landwirtschastsministcr Anderson hat die Kontrolle van 130 Fleischwaren- fabriken übernommen, nach einem Plan, der für den Notfall während des Krieges vorgesehen war. Dagegen beabsichtigt die Regierung vorläufig nicht in ähnlicher Weise in der Stahlindustrie einzu- greifen.
Zwei Eisenbahnergewerkschaften mit etwa 300 OM Milgliedern sind in den Streik getreten. 650 000 Werftarbeiter drohen sich anzuschließen.
Zwischen den beiden großen Gewerkschaftsorganisationen, der C. I. Ö. und A. F. L., scheint keine völlige Einigkeit zu bestehen. Die letztere zeigt sich eher geneigt, nachzugcben und hat zum Teil ihre Mitglieder aufgefordert, die Arbeit wieder aufzunehmcn.
Im
» . . .uncl cluru varcl ibm äer Verstauck"
Verstand, und Gefühl sind die sprachlichen Bezeichnungen für die Kräfte, die den inneren Menschen beherrschen. Man hat sich daran gewöhnt, den Verstand dem Geist und das Gefühl der Seel» zu gesellen, doch liegt es auf der Hand, daß ein klarer Verstand der Seele und ein großes Gefühl dem Geist mächtige Impulse geben können und daß erst das rechte Verhältnis Verstand — Gefühl den harmonischen Menschen gibt. Dieses richtige Verhältnis von Verstand und Gefühl muß auf allen Lebensgebieten vorhanden sein, vor allem aber, wenn ein Mensch oder ein Volk sich seine Lag« und sein in dieser Lage notwendiges Handeln klarmachen will.
Die Deutschen wissen auf vielen Gebieten sehr wohl Verstand und Gefühl im rechten Maße zu gebrauchen. Die meisten großen deutschen Gelehrten und Wissenschaftler waren Männer von großem Gefühl und die meisten großen deutschen Dichter Männer von großem Verstand. Auch das tätige Leben der Deutschen im kleinen offenbart sehr wohl ein gutes Maß in Größe und Verhältnis dieser bestimmenden Kräfte. Aber Politik haben die Deutschen fast nur mit Gefühl gemacht. Ein ursprünglich vielleicht reines und edles Gefühl begann — vom Verstand nicht mehr kontrolliert — zu wuchern und schillernde Blüten zu treiben. Ein geiles Gewächs schoß empor und war entweder unfruchtbar oder erzeugte schlimme Früchte. Auch die Einstellung des Einzelnen zu allem Politischen im eigentlichen Sinn war fast nur gefühlsbetont. Wenn ein Rattenfänger nur geschickt seine Schalmei zu blasen wußte, liefen alle diese politischen Kinder hinter ihm drein.
Der große Rattenfänger und seine Helfer sind verschwunden und das Volk ist von der trügerischen Höhe, auf die es von ihm geführt worden war, in den Abgrund gestürzt. Ein Volk mit gesundem Verstand wäre diesem Rattenfänger nicht gefolgt oder wäre mindestens unterwegs umgekehrt. Das deutsche Volk aber sprang wie eine Hammelherde hinter dem Hammel in den Abgrund.
Da sind wir nun und befinden uns in der Lage eines Mannes, der im Gehirge jäh abgestürzt ist, der seine zerschundenen Glieder betastet, feststellt, daß er gerade eben noch am Leben geblieben ist, daß sein Mundvorrat sehr klein ist und daß sich in dem Abgrund kein Ausweg dem Äuge bietet. Aber viele von uns träumen heute immer noch. Die einen sehen noch nicht einmal den Abgrund, in den sie gestürzt sind, die anderen glauben, es genüge nun, sitzen zu bleiben und um Hilfe zu rufen; ja, es gibt gar nicht so wenige, die glauben, man könne wieder da hinaufklettern, wo man herabgefallen ist, und die Partie noch einmal wagen. Denn man war vor Jahren schon einmal ab- aestürzt und war nachher wieder hinausgeklettert. Damals hatte man nicht gelernt, was man hätte lernen müssen, und als einige vernünftige Männer nach vieler Mühe einen zwar steinigen Weg gefunden hatten, war man bald wieder frech geworden. Es ist überhaupt die betrübendste Erfahrung, daß ein Volk, das schon einmal so bitteres Lehrgeld hatte bezahlen müssen wie das deutsche, alle Fehler nochmals und zwar in verstärktem Maße gemacht hat.
Ein sehr gescheiter Mann wurde einmal gefragt, warum es möglich gewesen sei, daß ein Volk mit so guter Bildung wie das deutsche dem Nationalsozialismus verfallen konnte. Er antwortete kurz und präzise: Aus Dummheit und Eigennutz. Er hätte noch lapidarer antworten können: aus Dummheit. Denn ein richtig verstandener Eigennutz Hütte das Volk erkennen lassen müssen, daß man nicht eines augenblicklichen Gewinnes wegen die ganze Zukunft riskieren könne.
Wir sind als Gesamtheit noch weit entfernt, unsere Lage zu erkennen. Gewiß, unser Leben ist sehr dürftig: mit Hängen und Würgen kommt man van einem Tag zum andern. Aber selbst um dieses dürftige Leben in Gang zu halten, bedarf es unendlicher Mühe hinter den Kulissen. Mit den größten Anstrengungen wird die Verteilung der kargen Lebensmittel ermöglicht, das öffentliche Leben aufrechterhalten. Aber selbst das ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist auch nicht selbstverständlich, daß die Schulen und Universitäten wieder ihren Betrieb ausgenommen haben, daß der Eisenbahnverkehr in Gang kommt — nichts ist selbstverständlich. Die Spießer — und ihre Zahl ist Legion — sehen nur ihre Nöte. Sie sehen schon lange nicht mehr, wie sie in diese Nöte hineingeraten sind. Sie jammern, daß der Sieger im Lande ist, daß er Platz braucht und befiehlt, was er für gut findet. Wer aber hat den Sieger ins Land gerufen? Eben der Spießer, der mit dem Wahlzettel hinter dem Rattenfänger drein lief und sich heute meist damit entschuldigt, daß er sich mit Politik nicht befaßt habe. Gewählt hat er aber trotzdem und zwar den, der seinen Neigungen und Gefühlen am meisten cntgegenkam. In der Politik seinen Verstand anzuwenden, ist ihm nicht eingefallen. In seinem Beruf, in seinem Handwerk, da hat es ihm nicht an exaktem Verstand gemangelt, doch über das Leben in der Gemeinschaft, innerhalb der Nation und das Zusammenleben seines Volkes mit den anderen Völkern hat er sich keine Gedanken gemacht. Da bat man dem Gefühl die Zügel schießen, sich von der schimmernden Wehr blenden lassen, hat Fahnen geschwungen und ,F)eil" geschrien. Der Verstand war etwas fast Verächtliches geworden. Es gab Dogmen, daß Verstand und Charakter sich gegenseitig ausschlössen. Charakter aber war, wenn man nach der Gewalt strebte und der Sitz des Charakters der Ellenbogen.
Um den Verstaich "sicht strapazieren zu müssen, halte man Vertrauen. Das unbequeme Mißtrauen, zu dem man als demokratischer, ständig verantwort-