Mittwoch, den 18. Oktober 1939

Schwarzwald-Wacht Seite S

-4us 8tadl und Kreis Calw

Große Vorräte mir doch Bezugsscheine ?

Immer wieder wird betont, daß unsere Vorräte «n lebenswichtigen Nahrungsgütern unwahrschein­lich groh sind, so daß die Frage naheliegt, warum dann ein Teil von ihnen denoch unter Bezugs­scheinpflicht gestellt wurde. Wir könnten dieser Frage eine Gegenfrage stellen: Warum wür­ben zwar ähnliche, nur durchweg wesentlich straf­fere Verfügungen und Beschränkungen im enge­ren und weiteren auch neutralen Ausland getrof­fen?

, ..risse erfordern allezeit

auch außergewöhnliche Maßnahmen, um nicht nur den gegenwärtigen Ansprüchen gewachsen zu sein, sondern auch um noch wesentlich gesteigerten An­forderungen gerecht werden zu können. Und hier­mit scheint das Problem in großen Zügen Umris­sen. Hinzu kommt aber noch, daß nicht alle Volks­genossen über jenes Maß von Selbstdisziplin ver­fügen, welches die normale Abwicklung des inne­ren Warenverkehrs auch in Zeiten höchster An­spannung ermöglicht. Keinem von uns aber wäre damit gedient, wollte unsere Wirtschaftsführung die Bevölkerung jetzt gewähren lassen, um erst dann, wenn auf Grund von Hamsterei und Un­vernunft Verknappungserscheinungen sich zeigen, regelnd einzugreisen.

Es ist das Gebotder Stunde, daß wir alle Kräfte anspannen, auch die des guten Willens, und das Weitreichende, aus der Fülle Schöpfende der getroffenen Maßnahmen verstehen. Wenn wir uns einzig die Tatsachen vor Augen halten, daß alle Vorsorge getroffen ist, um ungerechtfertigte Preissteigerungen unmöglich zu machen, so über­kommt uns doch allesamt ein Gefühl der Gebar­ge n he i t, von dem wir uns willig tragen las­sen. Da aber jeder Annehmlichkeit auch ein Körn­chen Unbequemlichkeit anhaftet, so wollen wir von uns aus dem begegnen, um es so unwirksam als irgend möglich zu machen.

4V jähriges Arbeitsjubiläum

Heute begeht der Rcguleur Franz Breuer bei der Firma H. F. Baumann, mech. Kratzcn- fabrik G. m. b. H., sein 40jähriges Arbcitsjubi- läuni. Aus diesem Anlaß wurden dem ver­dienten Arbeitsjubilar von seiten der Betriebs­führung und seinen Arbeitskameraden ver­schiedene Ehrungen zuteil. Der Arbeitsjubilar erfreut sich noch guter Gesundheit und hofft, noch manches Jahr in seinem Beruf wirken und schaffen zu können.

Franzosen müssen sich meldM

Der Nekchssührer ^ und Chef der deutschen Polizei teilt mit: Auf Grund der Verordnung über die Meldung von Ausländern vom 5. Sep­tember 1939 werden alle sich im Gebiet des Deut­schen Reiches aufhaltenden über 15 Jahre alten Staatsangehörigen Frankreichs, der französischen Kolonien und Protektorate und der unter Verwaltung Frankreichs stehenden Man­datsgebiete aufgesordert. sich innerhalb von 24 Stunden bei der nächsten Ortspolizeibe­hörde persönlich zu melden. Innerhalb derselben Frist sind alle unter 15 Jahre alte Personen, die diese Staatsangehörigen besitzen, durch ihren ge­setzlichen Vertreter der für den Aufenthaltsort zu­ständigen Ortspolizeibehörde schriftlich oder mündlich anzumelden.

Dienstnachrichten. Zum Obersteuermspektor ernannt wurde Steuerinspektor KaK Härer beim Finanzamt Neuenbürg, zum Steuer- sekretär Stcuerassist'ent Thun beim Finanz­amt Hirsau.

Scharwettkampf beim SA.-Sturm 3/414. Am

heutigen Mittwoch bringt der gesamte SA.- Sturm 3/414 (Neuenbürg, Birkenfeld, Unter- reichcnbach) einen Scharwettkampf im Zeichnen einer Kartenskizze nach vorgeschriebener Auf­gabe zum Austrag, an dem sich alle Führer und Männer des Sturmes beteiligen.

cke/r (Vac/r-arssemeiercken

Deckenpfronn, 17. Oktober. Anläßlich der Er­öffnung des Kriegswinterhilfswerkes durch den Führer berief Ortsgruppenleiter Pg. Lutz die Politischen Leiter der Ortsgruppe zu einer Besprechung. Mit warmen Worten verwies er noch einmal auf die Bedeutung der Samm­lung, die auch in Deckenpfronn ein voller Er­folg werden müsse. Zusammen mit dem Ver­kauf der Buchabzeichen, die restlos abgesetzt wurden, erbrachten die beiden ersten Samm­lungen den Betrag von 370 RM., ein Er­gebnis, das gemessen an früheren Samm­lungen wesentlich höher liegt.

Schömberg, 17. Oktober. Am Sonntag ver­anstaltete die Kapelle des Musikvereins auf verschiedenen öffentlichen Plätzen Standkonzerte. Die Handharmonikagruppe gab schneidige Wei­sen zum Besten, und der GesangvereinGer­mania" trug stimmungsvolle Lieder vor, wäh­rend die Amtswalter der DAF. mit ihren Sammelbüchsen die WHW.-Spenden cinsam- melten.

Calmbach, 17. Oktober.Einem Verkehrsunfall fiel gestern nachmittag ein Kind zum Opfer. Es war bei Pflegeeltern untergebracht und hatte sich von Hause entfernt. Es sprang auf die Kriegsstraße, als sich ein Lastkraftwagen

näherte. Trotz geringer Geschwindigkeit und raschem Bremsen des Wagens war das Un­glück nicht zu vermeiden; ein Vorderrad ging über den Kopf des vierjährigen Mädchens hin­weg. Das Kind war sofort tot.

Wildbad, 17. Oktober. Bei günstigem Wet­ter dürfte der Rohbau des Unterwasser- masfagebades bald unter Dach kommen. Kreisgruppenleiter Creuzberqer aus Calw sprach imWildbader Hof" über Fragen des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes.

Herrenberg, 17. Oktober. In Anwesenheit der Bezirksführerin vom weiblichen Arbeits­dienst, Frl. Hammer, Kreisleiter Krohmer, Bürgermeister Schroth, Sturmbannführer Ril- ling, Offizieren der Wehrmacht und Vertretern der SA. und der NS.-Frauenschaft sowie der Arbeitsmaiden des Lagers Dornstetten wurden am Samstag Grundsteinlegung und Richtfest des im Rohbau fertiggestellten Arbeitslagers gefeiert. Links des Haupteinganges wurde eine Urkunde eingemauert, die späteren Generatio­nen Kunde geben soll. Möge der Ausbau des Arbeitslagers rüstig vorwärtsschreiten zu einem schönen Heim für die Arbeitsmaiden, die im nächsten Jahre treue Helferinnen für unsere Landfrauen sein werden.

Was gibt es auf die neuen Karten?

Line leiste weiterer Verböserungen äer Lebensmittelruteilung

Die deutsche Versorgungslage gestattet es bei der Durchführung des Kartensystems für Lebensmittel für die Zeit vom 23. Oktober bis zum 19. No- vember eine Reihe von Verbesserungen durchzu- sühren.

Kinder erhalten mehr Butter

Die Monatsration an Butte'r für Kinder bis zu 6 Jahren ist von 329 auf 450 Gramm erhöht worden. Außerdem erhalten diese Kinder zweimal je 125 Gramm Kunsthonig, der einmal in der Zeit vom 23. Oktober bis 19. November und ein zweitesmal vom 20. November bis zum 18. De- zember zugeteilt wird, und zwar auf Einzelab­schnitt l?3 der Neichsfettkarte. Kinder von 6 bis 14 Jahren bekommen über, die im übrigen unvcr- ändert gebliebene Ration hinaus noch für je zwei Wochen 100 Gramm Marmelade sowie für die Zeit vom 23. Oktober bis 19. November und vom 20. November bis 18. Dezember je 125 Gramm Kunsthonig. Kunsthonig gibt es auf Abschnitt 1*3, die Marmelade aus die hierfür vorgesehenen Einzelabschnitte.

Zucker zum Einmachen

Um den Wünschen der Hausfrauen entgegen­zukommen. mehr Zucker für die Zwecke des Ein­mach e n s bereitzustellcn, ist angeordnet worden, daß auf die Reichskarte für Marmelade und Zucker an Stelle von 400 Gramm Marmelade in vier Wochen 160 Gramm Zucker bezogen werden können.

Mehr Butter statt Margarine

Die Wochenrationen an Fett sind neu festgesetzt worden. Die wesentliche Aenderung besteht darin, daß an Stelle von Margarine mehr Butter zur Verfügung gestellt wird. Die Butterration betrügt für sämtliche Verbrauchergruppen 112,50 Gramm. An Margarine oder entsprechenden »Fetten bekommt künftig der Normalverbraucher

93.75 Gramm, der Schwerarbeiter 156,25 Gramm, der Schwerstarbcitcr 218,75 Gramm und Kinder von 6, bis 14 Jahren 93.75 Gramm. Dazu kom­men für den Normalverbraucher 62,50 Gramm Schweineschmalz oder Speck oder Talg, für Schwerarbeiter 125 Gramm, Schwerstarbeiter

408.75 Gramm. Wie üblicki werden ferner 62.5

Gramm K ä s e oder 125 Gramm Ouark an alle an alle Verbrauchergruppen ausgegeben.

Neu: Die Nährmittelkarte

Die .Lebensmittelkarte" ist inNähr­mittelkarte" umgetauft worden. Auf ihre Abschnitte 110 gibt es vom 23. Oktober bis 19. November je 25 Gramm Nährmittel, ebenso auf die Abschnitte 17 bis 26 in der Zeit vom 6. bis 19. November. Auf 11, 12, 27 und 28 be­kommt der Verbraucher in der Zeit vom 23. Ok­tober bis 19. November je 25 Gramm Sago, Kartoffelstärkemehl usw.

Wie erfolgt die Kaffeezuteilung?

Kaffee-Ersatz oder -Zusatzmittel werden auf die Nährmittelkarte in folgender Form zugeteilt: 125 Gramm auf 13 vom 23. Oktober bis 19. November, 25 Gramm auf 14 in der glei­chen Zeit, je 125 Gramm auf 29 vom 30. Oktober bis 19. November und auf 30 vom 6. bis 19. No- vember.

Die Menge ist aufgedruckt

Vom Verbraucher wird dankbar begrüßt wer­den, daß in Zukunft die einzelnen Men­gen, die auf die eTilabschnitte bezogen werden können, aufgedruckt sind. Nur bei der Nährmittclkarte" (also der bisherigen Lebens­mittelkarte) wird von einem solchen Aufdruck ab­gesehen, weil die Arten und Mengen der Lebens­mittel von Fall zu Fall, entweder für das ganze Reichsgebiet oder je nach der Versorgungslage getrent für die Bezirke der Ernährungsämter be­kanntgegeben werden.

Ferner ist zu beachten, daß auf der Reichs- fleischkarte für Kinder bis zu 6 Jahren vier weitere Abschnitte mit den Ziffern 14 er­scheinen, auf die jedoch Zuteilungen noch Vorbe­halten bleiben. Auch bei den Reichsfettkar- ten für Kinder bis zu 6 Jahren und für Kinder bis zu 14 Jahren sind vier neue Einzelabschnitte Fl bis F4 erschienen, von denen Fl und F2 für Kinder von K bis 14 Jahren zum Bezug von 100 Gramm Marmelade berechtigen. Auf die übrigen Abschnitte bleiben Zuteilungen Vorbehalten.

. Die Reichskarte für Marmelade und

Zucker enthält den Hinweis, daß der Verbrau­cher entweder 400 Gramm Marmelade oder 160 Gramm Zucker nach seiner Wahl beziehen kann und dementsprechend entweder den Bestellschein 1i für Marmelade oder den Bestellschein 2 für Zuk- ker abzugeben hat. Bestellschein 3 dient für den Bezug von 1000 Gramm Zucker auf die Zucker­abschnitte.

Kinder bis zu...

Schließlich sei noch klar gestellt, daß unter dem BegriffKinoer bis zu 6 Jahren" Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahr zu verstehen sind. Das gleiche gilt für Kinder bis zu 14 Jah­ren. Ein Beispiel: ein 6lL fahriges Kind gehört in die Gruppe der Kinder von K bis 14 Jahren.

*

-X- Es ist erfreulich, daß bei der bevor­stehenden dritten Ausgabe der Lebensmittel­bezugsscheine eine Reihe weiterer Verbesse­rungen durchgeführt werden kann. Vor allem wird es begrüßt werden, daß die günstige Entwicklung der Buttererzeugung es gestat­tet, künftig anstatt 80 Gramm Butter wöchentlich 112,5 Gramm zu verteilen. Wenn dabei im Interesse der Vorratswirtschaft für Margarinerohstoffe die Zuteilung an Marga­rine bzw. Pflanzen- und Kunstspeisefett oder Speiseöl entsprechend vermindert wird, so be­deutet dies, im ganzen gesehen, keine Schmä­lerung der Gesamtfettration. Zudem ist es den Hausfrauen auch lieber, mehr Butter zur Verfügung zu haben, da sie damit besser wirtschaften können. Durch die Erhöhung der Rationen für Butter und Marmelade und durch die zusätzliche Abgabe von Kunsthonig ist auch die Ernährung der Kinder ver- besiert worden. Die Möglichkeit, statt Mar­melade mehr Zucker zu bekommen, erleich­tert den Hausfrauen das Einmachen, das ge­rade bei der überreichlich ausgefallenen Obst­ernte Heuer besonders dankbar ist.

All diese Verbesserungen in der Lebens­mittelzuteilung zeigen erneut, wie günstig sich die von der nationalsozialistischen Staats- und Wirschaftsführung auf weie Sicht Planmäßig getroffenen Vorsorge­maßnahmen für die Ernährung aus­wirken. Es zeigt sich jeden Tag, daß es durch­aus richtig war, schon von den ersten Tagen des Kriegsausbruches an durch eine gerechte und weitvorausschauende Verteilung der lebensnotwendigen Dinge die Versorgung deS gesamten Volkes sicherzustellen und da­mit diesmal von vornherein jegliche Blockade, abfichten des Gegners unwirksam zu machen. Vor 25 Jahren, zu Beginn des Weltkriegs, war unser Volk nich "so gewappnet gegen Hunger und Entbehrung gewesen; damals traf man erst unter dem Zwange der äußer­sten Not und vor allem viel zu spät wirt­schaftliche Maßnahmen, damals verstand man es im Gegensatz zu heute auch nicht, das Hamstern und den Schleichhandel zu unter­binden. Die Folgen waren nicht bloß mora­lisch verheerend, sie wirkten sich auch als Unterernährung für weite Kreise unseres Volkes auf Jahre hinaus sehr schlimm aus. Heute ist dafür gesorgt, daß sich dies nicht nochmal-wiederholt!

Alas -Lacken Keule?

SckvLbiseder Liicliemettel kilr 18. bis 21. OKI.

Vollkornbrot Honig oder Marmelade. Mi tag: Selleriesuppe, Tomaten-Makkaroni, Endi- Aensalat. Abend: Warme KSseschnitten. Rettrchsalat. Gelbe-Nüben-Salat, Brombecrblät- tertee.

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Schicksal «in es Deutschen in seinem

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3) Covnriabt bo Knorr S- HIrtb. München 1SZ4

Warum haste denn die Kokarde denn an- jesteckt, wenn de nischt davon Vastehst?" wollte er wißen.

Und Georg, ganz hingegebener, liebender - Freund, der eines Unrechts sich bewußt wird, für das er nichts kann:Weil du mir sie ge­geben hast."

Aber Hans war nicht in der Stimmung, dieses rührende Bekenntnis in seiner ganzen Schwere zu verstehen.

Steckt der Mensch eine Kokarde an. bloß weil sie ihm ein anderer jejebcn hat! Und wees nich mal warum!" Abgrundtiefe Ver­achtung sprühte aus dem Zwölfjährigen.

Aber jetzt wurde auch Georg wütend. Ouatschkopp", brüllte er und man konnte merken, wie schwer es ihm fiel, sich so zu er­regen, ,chu weßt et ja selber nich. wozu die Kokarden jut sind!"

Das ist ein Geheimnis!" brüllt Hans da­gegen,das ist ein Geheimnis, das mußte doch fühlen..."

Ich fühl gar nichts", gekannte Georg, schon wieder ganz ruhig.

Adschee", sagte HanS, und drehte sich ^ kurz um.

Adschee war ein Fremdwort, und wenn man es gebrauchte, so war es eine Beleidi­gung und hieß auf Nimmerwiedersehen.

Georg bleibt sprachlos stehen, und Hans rennt die dunklen Straßen entlang, und die Tränen laufen ihm schockweise über die Backen, und im stillen hofft er, daß Georg ihm nachlaiifen wird.

Georg aber läuft ihm nicht nach, und am anderen Tag in der Schule sehen sie sich nicht an.

*

Die nächsten Tage sind mit Bitternis an­gefüllt bis über den Rand.

Die Mutter weint beinahe den ganzen Tag, weil immer noch nichts vom Vater ge­kommen ist.

Hans sagt tröstend und ärgerlich:Er kommt wieder, ich merk cs ganz genau."

Aber Frau Thiele ist nicht sehr überzeugt von den hellseherischen Gaben ihres Sohnes, obwohl sie selbst aus einer Familie stammt, die vor einigen hundert Jahren noch das Wasser besprechen konnte, daß es die wen­dischen Höfe unberührt ließ und dafür die Felder der Mönche überflutete und sie in stinkende Gruben verwandelte.

Hans ist ohnehin sehr schlechter Laune an diesem Tage. In der Menschenschlange, die vor dem Butterladen ansteht, hat er für die Mutter Platz halten müssen, bis die abge- hetzte Frau Zeit hatte, sich selber nach der winzigen Fettmenge anzustellen.

Dann rennt Hans endlich in die Schule, wo er atemlos ankommt und von einer un­terdrückten Brandung von Abneigung emp­fangen wird. Niemand sagt einen Ton. Es ist überhaupt eine vollkommen rätselhafte Sache mit dieser schwarzrotgoldenen Kokar­dengeschichte. Hans weiß nicht recht, was er damit bezwecken wollte, und seine Käme-

raden wißen nicht recht, warum sie ihn des­halb vermöbelt haben.

Im Unterricht ist Hans zerstreut. Die An­pfiffe fegen nur so über ihn hinweg. Außer- dem steht er immer das trotzige und ver­schlossene Gesicht seines Freundes Korsf vor sich in der nächsten Bank.

In der Turnstunde singen sieFest und unerschütterlich wachsen unsere Eichen", und das ärgert Hans noch mehr. Er hat Plötzlich ein unbestechliches Gefühl dafür, daß dieses Lied nicht mehr in die Welt Paßt. So hält er krampfhaft seine Lippen geschlossen und bewegt sie nur. wenn der Lehrer ihn miß­trauisch ansieht.

*

Ter 9. November ist grau und wolkenver- hangen.

Der Vormittag in der Schule geht hin wie alle Vormittage. Nachmittags um drei Uhr ist Kursus in Stenographie. Hans hat zu Hause mißmutig seine Kohlsuppe gelöffelt und stiefelt schon um dreiviertel drei, viel zu früh für seine Verhältnisse, in die Schule.

Als er die Kreuzbergstraße verläßt und die Belle - Alliance - Straße überqueren will, erfüllt sich sein Schicksal.

Den Berg emporgekeucht kommt ein Last­auto. Flammend leuchten rote Fahnen von diesem Auto auf das Pflaster herunter, auf dem Dach des Führersitzes liegt ein Maschi­nengewehr und hinten im Wagenkasten steht eine johlende Gesellschaft, eine Frau ist auch dabei, die immerzu vor sich hinschreit und mit den Armen fuchtelt. Die Männer find alle in feldgrauer Uniform, es sind alles Soldaten, sie haben die Mäntel offen und den Rockkragen auch, jeder hat ein Gewehr mit dem Kolben nach unten um die Schul- ter und um den linken Arm trägt jeder von

ihnen eine rote Binde. Auch haben sie auf der Brust rote Rosetten. Ganz hinten im Wagen steht ein einarmiger alter Mann und dreht auf einem Leierkasten unaufhörlich die Marseillaise.

Hans bleibt wie vom Donner gerührt stehen.

Er ist unfähig, sich weiter zu bewegen oder zu sprechen oder zu schreien, er kann nicht einmal die Hand bewegen.

Denn das. was er da sieht, genau das hat er in den letzten drei geheimnisvollen Tagen gespürt, das ist das. was er hat herankom­men sehen, das ist das, was er mit Worten nicht wagte, auszusprechen, das ist das Ge­heimnis, von dem er nur andeutungsweise flüsterte, nackt und brutal und unverschleiert -die Revolution!

Hans ist nicht erschrocken und nicht über-' rascht. Was er da steht, ist nur eine Bestä­tigung seiner Gedanken. Da es nun Tatsache geworden ist, fühlt er sich weder angefüllt mit Begeisterung, noch eingeschüchtert von der Wirklichkeit. Er steht wie im Traum da­bei und sieht zu.

Und in dieser Minute, am 9. November 1918, nachmittags um dreiviertel drei Uhr.^ an der Kreuzung Kreuzberg- und Bellet Alliance-Straße zu Berlin, hört für dem Sohn des Oberinspektors und Landsturm- marines Otto Thiele die Kindheit aus.'/HA

»

Um genau dieselbe Stunde sttzt Wfvez Landsturmmann Otto Thiele in stiEä Funkerbude in der Krim und entziffert nM schwergerunzclter Stirn einen deut§chens Funkspruch aus Nauen:Es sind sofort Sol­datenräte zu bilden."

i (Fortsetzung folM:, ^