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Nr. 102
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Dienstag, den 4. Mai 1926.
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verantwortl. Schriftleltung: Frieärich Hans Scheele. Druck unck Verlag äer A. Oelschläger'schen Buchäruckerei.
101. Jahrgang
Generalstreik
Die Verhandlungen endgültig gescheitert.
TU London, 4. Mai. Nach den letzten Nachrichten ist dir Besprechung Baldwins mit den Arbeiterführern und den Vertretern der Gewerkschaften vollkonnnen ergebnislos verlaufen. Damit ist die letzte Möglichkeit, den Streik in letzter Minute zu verhindern, erschöpft. Der Gencralskcik hat um Mitternacht begonnen.
In der letzten halben Stunde glaubte man noch, daß die Erklärung Churchills eine gewisse Verhandlungsbasis abgeben würde. Churchill hatte erklärt, daß die Regierung alles tun werde, um eine Einigung zu ermöglichen, vorausgesetzt, daß der Streik abgesagt würde. Auch der Arbeiterführer Thomas hatte für ein Eingreifen des Unterhauses plädiert, weil die Möglichkeit bestände, daß trotz aller Abneigung der Arbeiterschaft gegen d-i« revolutionären Tendenzen ein Streik letzten Endes revolutionären Charakter annchmen würde. Das Unterhaus ist indessen auseinander gegangen, ohne daß diese letzte Einigungsinögiich- kcit einen Erfolg zeitigte.
Baldwin im Unterhaus.
TU London, 4. Mai. Mit größter Spannung folgte das Parlament der Erklärung Baldwins über das Scheitern der Bergbauverhandlungen. Der Ministerpräsident gab in seiner Erklärung einen kurzen Ueberblick über die letzten Ereignisse und erklärte, daß hinter dem Rücken der Regierung ein kleiner Aktionsausschuß in London, mit despotischen Vollmachten vom Ge- werkschastsrat ausgestattet, wider die Prinzipien der Demokratie Maßnahmen getroffen habe, die nicht nur die Regierung bedrohten, sondern das Land in einen Bürgerkrieg stürzen könnten, wie ihn England seit Jahrhunderten nicht gesehen habe. In dieser Stunde seien nicht mehr die Löhne in Gefahr, es gehe vielmehr um die Freiheit des Landes, die in der Verfassung gesichert sei. In London am Montag nur der Evcning Standard erschiene«.
TU London, 4. Mai. Von den Londoner Blättern ist am Montag nur der „Eoening Standard" erschienen. Die letzte Ausgabe des Blattes wurde den Verkäufern förmlich aus den Händen gerissen. Einzelne Exemplare wurden dabei bis zu zwei Schilling 6 Pence bezahlt. Der Verband der Zeitungsbesitzer erwägt die Möglichkeit des Erscheinens eines einzigen Blattes.
Der Außenminister rechtfertigt die Regierungspolitik.
TU Roichsaußenminister Dr. Strrsemann führte im weiteren Verlauf seiner Rede folgendes aus:
Die Initiative zur Locarno-Politik ist von Berlin ausgegangen, und nicht von irgend einer anderen Macht inspiriert worden. Sie hat erst langsam zähe Widerstände in manchen Kreisen außerhalb Deutschlands überwinden müssen, die uns heute im- putieren, daß wir unser eigenes Werk gefährden wollten. La- rarno und der Berliner Vertrag sind nicht Gegensätze, sondern gehören zusammen. Beide zusammen aber geben Europa die Gewähr friedlicher Entwicklung. Locarno war Ersetzung der Methoden Poincares durch die Methoden friedlicher Verständigung, war insbesondere der gegenseitige Verzicht auf den Kampf zwischen Frankreich und Deutschland. Sein Sinn war, durch den Verzicht auf den Kampf den Frieden am Rhein zu festigen. Seine zukünftige Ausgestaltung war gerichtet nicht nur aus Verständigung, sondern auf Zusammenwirken der beteiligten Mächte, namentlich auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Trotz Nichterfüllung und Hinzichung mancher zugcsagter Erleichterungen, wie beispielsweise in der Frage der Truppenverminderung im besetzten Gebiet hat sich schon bisher der Anfang mancher neuen Entwicklung in den Verhältnissen der beteiligten Staaten gezeigt.
Der voraussichtlich bald erfolgende Abschluß der Lustfahrtverhandlungen
kann trotz mancher Bestimmungen, die aus der Histerie gegenüber angeblichen militärischen Bedrohungen durch Deutschland entstehen, eine weitere Annäherung bringen. Der Weg der nach Locarno führt«, war nach der Auffassung der Reichsregierung richtig. Die Erweiterung der deutschen Anregungen,
die Aufforderung z» Deutschlands Eintritt in den Völkerbund,
ging von der Gegenseite aus. Das deutsche Memorandum sah die sen Eintritt nicht vor, eS waren die anderen Mächte, die glaubten, nur unter dem Dach des Völkerbundes seien die Locarnover» träge möglich. Von der Gegenseite wünschte man di« Mtwir« hing Deutschlands am Völkerbund. Sein Eintritt scheiterte an der unzureichenden Vorbereitung der Genfer Konfereitz, sie schei-
in England.
Die Rückwirkungen auf die internationale Finanzlage.
TU Paris, 4. Mai. Die Presse beschäftigt sich ausführlich mit dem englischen Generalstreik. Der „Teinps" verurteilt das Vorgehen der Trabe Union mit scharfen Ausdrücken und erklärt, der englische Generalstreik sei eine revolutionäre Handlung. Das Kabinett Baldwin könne sein Prestige nur dann retten, wenn es daran feschalte, daß die Trade Union die von ihr ausgegcben« Gsneralstrcikweisung zurückzieht. In Finanzkreisen befürchtet man starke Rückwirkungen des Streiks auf die internationale Finanzlage. Die englische Finanz beabsichtigt nach hier vorliegenden Meldungen, einer Schwächung der britischen Valuta durch Verkauf großer Mengen ausländischer Devisen znvorzukommen. Hier befürchtet man davon eine ungünstige Beeinflussung des Franken.
Der englische Generalstreik und die holländische» Gewerkschaften.
TU Amsterdam» 4. Mai. Die Verwaltung des Zentralhundes der Transportarbeiter hat an die holländischen' Schiffsarbeiter und Seeleute ein Manifest erlassen, in dem sie zur Betonung der Solidarität anläßlich des englischen Konfliktes auffordert. Schissen, die zur Ausnahme von Vunkerkohle nach Holland kommen, darf keine Kohle geliefert werden. Sollte der Generalstreik ausbrechen, darf keine Anwerbung holländischen Schiffspersonals für England erfolgen.
Die Haltung der deutschen Bergarbeiter.
TU Bochum, 4. Mai. Der alte Bergarbeiterverband erläßt zur englischen Bergbaukrise cinen Aufruf, in dem es heißt: „Getreu dem Brüsseler Beschluß wird der Bergarbeiterverband alles tun, was in seinen Kräften steht, um zunächst die Zufuhr von Kohlen nach England zu verhindern. Er hat sich zu diesem Zwecke mit dem Allgemeinen Deutschen Gewerffchaftsbund und den anderen für diese Frag« in Betracht kommenden Verbänden in Verbindung gesetzt und wird mit diesen die zu treffenden Maßnahmen beraten. Inzwischen müssen aber auch di« deutschen Kameraden das Ihrig« tun, um den englischen Kameraden zu helfen. Kameraden! Wehrt Euch gegen jeden Versuch, Euch lleberschichten aufzuzwingen und vergrößert nicht die Arbeitslosigkeit und die Feierschichten im eigenen Land und zugleich die Schwierigkeiten der englischen Kameraden. Wartet das Ergebnis der Verhandlungen der zuständigen Organisationen ab, weist die Einmischung Unberufener zurück uud lasset Euch von keiner Seite zu unbesonnenen Schritten hinrcißen."
leite weiter an Versprechungen, die Tür und Tor für völlige Umgestaltung des Völkerbundsratcs öffneten, und dadurch die Regelung des Eintritts Deutschlands unabhängig von dieser Erweiterung unmöglich machten. Dafür Deutschland verantwortlich machen zu wollen, ist absurd- Kein geringerer als Briand hat erkannt, daß die deutschen Unterhändler trotz schwerster psychologischer Belastung die Entscheidung annahmen. Jetzt ist gewiß ein Umschwung in der Stimmung bemerkbar. Das liegt aber weniger an dein Berliner Vertrag an sich, wie an dem wiedererstar- kenden Mißtrauen, zu dem ein Grund nicht vorhanden ist. Er ist auch nicht im Vertrag selbst zu suchen, da
der Vertrag mit den Satzungen des Völkerbundes und mit dem Locarnovertrag durchaus in Einklang zu bringen ist. Man mußte in manchen Zeitungen des Auslandes zu Fälschungen des Textes greifen, um einen anderen Eindruck hervorzurufeu, oder aber man müßte sich aus den Standpunkt stellen, daß Deutschland nicht dieselben Recht« habe, wie andere Völker, denn das wollte die Kritik, di« beanstandet, daß Deutschland durch diesen Vertrag selbst entscheiden wolle, wo es gegebenenfalls eine Entscheidung des Völkerbundes, ob ein Staat als Angreifer zu bezeichnen sei oder nicht, annehme. Dieses freie Entscheidungsrecht ist seit dem Bestehen des Völkerbundes als zweifelloser Grundsatz anerkannt worden, es steht also mich Deutschland zu. Niemand wird Deutschland zunmten, daß es seine Entscheidung anders als nach bestem Wissen und Gewissen trifft. Man hat die Veröffentlichung des dritten Punktes meiner Not« an Kresttnski, der sich auf die Frage bezieht, als Zynismus bezeichnet. Wenn man kritisieren will, könnte man diese Darlegung des Punktes 3 der Note höchstens als übertriebene deutsche Ehrlichkeit bezeichnen.
Wollte Deutschland hinter dem Rücken anderer Rächte irgend etwas tun, was den Völkerbnndssatzungen widerspricht, so hätte es seine Stellung nicht so frei und offen darzulcgen brauche».
Brasilien hat von seinem Recht des Vetos beim Einkitt Deutschlands in den Völkerbund Gebrauch gemacht. Schweden hat auch schon vor der Tagung erklärt, daß es seine Stimm« gegen jede Verärgerung des Rat» abgeben würde. Warum soll Deutschland auf dieses Recht «Wichten? Richtet sich vielleicht das Miß-
Lages-Spiegel.
In England ist gestern »nachdem die letzten Verhandlungen mit den Bergarbeitern gescheitert waren, der Generalstreik and brachen.
Die deutschen Bergarbeiterverbände haben eine Sympathiekundgebung an die englischen Bergarbeiter gerichtet.
Reichskanzler Dr. Luther wird am Donnerstag bei der Tagung des Landwirtschastörates über die Agrarpolitik dcr Regierung sprechen.
Reichspräsident von Hindenburg empfing eine Abordnung der Vereinigung amerikanisch« Hotelsachleute.
Ter italienische Ministrrrat beschloß die Errichtung eines selbständigen Ministeriums für Gewerkschaften mit beratendem Beirat aus Vertretern ander« Ministerien und anerkannter Gewerkschaften.
*
In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag wurden im Hm nauer Lande mehrere Erdstöße verspürt, di« von donnerartigem Rollen und explosionsartige» Schlägen begleitet waren. Die Erderschütterung war sehr stark. Im ganzen wurden drei Stöße bemerkt.
kauen dagegen, daß in dem Vertrag die Neukalität zwischen Sswjekußland und Deutschland ausgemacht wird? Dies« Neutralität ist die Grundlage jeden Friedens wie auch die Grundlage der Völkerbundssahungen. Letzten Endes erweist sich, daß manche Kritik im Auslande wesentlich aus geht von der Uebcrraschung üb« die selbständige Politik» die Deutschland mit diesem Schritt offenbart.
Aber die Politik, die nach Locarno führte, war mich selbständige deutsche Politik. Man muß sich daran gewöhnen, daß Deutschland idie Gestaltung seiner Geschicke selbst in die Hand nimmt. Da ist die Auffassung, die da glaubt, nachdem Deutschlands Aufnahme in den Völkerbund nicht «folge, habe Deutschland sich nach Osten gewandt. Die Unterzeichnung des Vertrages sei di« Antwort Deutschlands auf die Genfer Tagung. Wenn eine solche Auffassung entstehen konnte, so ist das nicht Deutschlands Schuld, Deutschland rechnete mit aller Bestimmtheit damit, aus Genf als Mitglied des Völkerbunds zurückzukchren. Sollte Deutschland, nachdem sich Rußland jetzt bereit erklärte, den Antrag zu schließen, Rußland darauf vertrösten, daß der Vertrag nach dem September geschlossen werden würde? Dazu lag keine sachliche Veranlassung vor, zumal im besten Falle auch keine Sicherheit dafür bestanden hätte, daß die Völkerbundsschwierigkeiten im September wirklich bereinigt würden. Eine Garantie darüber kann aber beim gegenwärtigen Stand niemand übernehmen. Außerdem würde es ein übelwollender Kritiker noch weit mehr beanstandet haben, wenn Deutschland zunächst stillschweigend in den Völkerbund eingetreten und erst nachträglich überraschend mit dem russischen Vertrag hervorgetreten wäre.
Lassen Sie mich die Situation kurz zusammenfaffen: Die deutsche Initiative führte nach Locarno. Sinnbild dies« Politik war die Sicherung des europäischen Friedens und der Verzicht auf schwerwiegende seelische Empfindungen des deutschen Volkes, die schmerzlich genug aufgegeben werden mußten. Niemals aber war es die deutsche Absicht, sich im Westen zu ein« Kampfgemeinschaft gegen den Osten zusammenschließen. Unsere Politik war vielmehr daraus gerichtet, die Vorbedingungen für einen europäischen Frieden zu schaffen. Nahezu alle unsere Nach- barstaateu haben weitgehende Schields- und FriedenSverträg« abgeschlossen oder stehen in fortgeschrittenen Verhandlungen darüber- Ein Bekenntnis zur Friedensider kann sich nur auf diese Weise auswirken. Darüb« hinaus ist aber Deutschland kraft seiner geographischen Lag« der gegebene Mächtevermittler zwlsc^n Ost und West. Deutschland ist ein Stück politischer Evolution und kann Grundlage günstig« Entwicklungen werden. Wir haben ein ganz bestimmtes Ziel europäisch« Entwicklung vor Augen. Mr verfolgen eS gradlinig und ohne Schwankungen. Wir wissen, daß wir Machtpolittk nicht treiben können, aber wir können in der Politik der Friedenssicherung unsere eigenen Wege gehen. Wir wollen zusammengehen mit allen in der Welt, di« guten Willens find, dasselbe Ziel zu erreichen. Dies« Wunsch ist uns allen fviedenswünschenden Nationen vorgezeichnet, und ist gekennzeichnet durch die wohlverstandenen LebenSinterefftn Deutschlands. *
Dr. v. Hoesch in Berlin.
TU Berlin, 4 Mai. Der deutsche Botschaft« in Paris Dr. v. Hoesch ist in Berlin eingekoffen. Die Reichsregierung wird voraussichtlich in Anwesenheit des Botschaft«? am Dienstag oder Mittwoch zu ein« Kabtnettsfitzung zusammentreten, in der das Problem der Reuorganisterung des Völkerbunds behandelt werten wird.
Stresemann über den Berliner Vertrag.