Gidealtar, eine dauernde Beleidigung

Kleiner Bummel auf der Kelsdurg / Militär-strategische Aeberlegungen / vonö Lckdg

Nach dem siegreichen Ausgang des zweieinhalb­jährigen Bürgerkrieges finden sich in der spani­schen Presse in zunehmendem Maße zahlreiche Er­örterungen, die das ProblemGibraltar" zum Gegenstand haben. Das durch den Generalissimus .wiedererweckte spanische Nationalgesühl empfindet den englischen Stützpunkt auf urspanifchem Boden als Pfahl im Fleische Spaniens, der über kurz oder lang beseitigt werden muß. Besondere Bedeu­tung kommt der Erklärung des Innenministers Suner zu, derzufolge Gibraltar in englischem Be­sitz dazu verurteilt ist, eine unbedeutende Rolle zu svielen, während es in spanischen Händen zu einem Hafen von ausschlaggebender Bedeutung werden müsse.

Im Zusammenhang mit der Reise des Grafen Ciano nach Spanien wurde vielfach erneut das Gibraltar-Problem aufgeworfen. In der englischen Poesie drückt man gewisse Befürchtungen aus, daß in Madrid einKomplott" gegen Gibraltar aus­geheckt werde. Die lächerliche Behauptung, Italien stachle Spanien zu direkten Aktionen gegen den .englischen Stützpunkt auf, findet ihre Widerlegung in der klaren Sprache der spanischen Presse, die 'schon lange vor dem Z»sammentreffen Franco Eiano ihr Interesse Gibraltar zugewandt hat.

Die englisch-spanischen Meinungsverschieden­heiten über diesen Punkt von eminenter inter­nationaler Bedeutung, fanden jüngst einen ge­radezu demonstrativen Ausdruck, als der Gouver- neur von Gibraltar, der bekannte englische Ge­neral Jronside, bei der Rückreise nach London um eine Audienz beim Staatschef nachseichte. General Franco lehnte es ab, Jronside zu empfangen, und unverrichteter Dinge mußte der englische General die Weiterreise nach London antreten. Einen desto herzlicheren Empfang bereiteten ihm als Entschä­digung dafür die Warschauer Bundesgenossen, die den gewefenen Gouverneur von Gibraltar in ekstatischer Verzückung alsRetter vor der deut­schen Gefahr" feierten.

Doch zurück zu Gibraltar! Um 1900 schrieb der spanische Dichter Ganivet diese Zeilen:Gibraltar -ist eine dauernde Beleidigung, die die Spanier zum Teil wegen der Unfähigkeit ihrer Regierung verdient haben. Gibraltar ist eine Stärke für England, solange Spanien schwach ist. aber es würde sich in einen schwachen Punkt verwandeln und seine Bedeutung verlieren, wenn Spanien stark wäre." Spanien ist stark geworden. Es tritt wieder aktiv in den Kreis der europäischen Großmächte. Die Worte Ganivets erhalten nach fast 40 Jahren aktuelle Bedeutung.

Der beifolgende Aufsatz ist von einem Kenner der spanischen Verhältnisse verfaßt, der vor weni­gen Jahren selbst auf Gibraltar weilte,

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Ein kleiner Küstendampfer bringt mich vom spanifchen Marokko herüber nach dem südlichsten Zipfel des alten Europas. Zum Greisen nahe liegt Gibraltar, der drohend ins Meer vorgeschobene mächtig« Felsölock. Die Augen schmerzen, wenn man durch den flimmernden Sonnenglast hinüber­blickt nach dem britischen Tor zum Mittelmeer, denn die sengenden Strahlen der Mittelmeersonne treffen auf kalkweiße Felswände und Wersen blen­dende Reflexe zurück.

Eine unheimliche Hitze lagert über der kaum be­wegten Meerenge. Die wenigen Passagiere an Bord, meist marokkanische Obsthändler und spa­nische Soldaten, verkriechen sich unter Deck. Vis wir nach knappen eineinhalb Stunden spanischen Boden erreichen, haben einige schon einen ganz .passablen Schwips beisammen. Die brütende Hitze, der muffige Kabinengeruch, der schwere Riswein! da wird der stärkste Mann schwach. Dazu noch ein Kahn, der selbst bei kaum wahrnehmbarer Dünung schlingert, daß Gibraltar bald nur als tanzendes Ungeheuer am Horizont erscheint.

Von Ceuta bis nach Algeciras begleitet uns das neckische Spiel der Delphine. Sie schießen Pfeil­gerade in die Höhe, so schön, wie es uns sonst nur die bunten Neklameprospekte der Reisebüros zei­gen. Die Leica findet dankbare Motive.

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Kaum zehn Kilometer trennen das malerisch ge- legene Hasenstädtchen Algeciras von Gibraltar. Aber man benötigt doch, alle Formalitäten wie Zoll. Vifum, Devifenkontrolle usw. eingerechnet, über einen Tag, bevor man den Fuß auf das eng­lische Heiligtum setzen kann. Die englischen Hafen­beamten fließen nicht gerade vor Höflichkeit über, als sie ihren Stempel in den deutschen Paß drücken müssen. Man sieht hier nicht gerne fremde Gäste. Wer sich aber schon mit Erfolg durch alle Vorkontrollen und Prüfungsstellen geschleust hat. der darf sicher sein, daß ihm wachsame Augen auf Schritt und Tritt folgen, wenn er endlich »ach Gibraltar gelangt. Nirgends wird man das un­bequeme Gefühl des Beobachtetseins los, ohne daß man den Grund anzugeben vermöchte.

Das am Fuß des fünf Kilometer langen Fel­sens gelegene, langgestreckte Städtchen Gibraltar unterscheidet sich auf den ersten Blick in nichts von dem vertrauten Anblick gleichgroßer spanischer Städte, und auch die Bewohner tragen ein ganz unenglisches Aussehen zur Schau. Wären nicht die Zahlreichen, meist kitschig wirkenden Bildern von der Königskrönung mit dem stereotypenGod save the king!" zu sehen, man wüßte nicht, daß man unter dem Union Jack wandelte. Doch halt. Doch halt! Da sind noch die original Londoner Bobbies mit den typischen Helmen und nicht zu­letzt die hier stationierten englischen Truppenteile, durchweg mit Tropenhelm und luftigen Shorts angetan. Die Tommies weilen nicht gerne aus diesem öden Felsbrocken. Der Dienst ist zwar nicht anstrengend, aber die mangelnde Be­wegungsfreiheit fördert die auskommende Lange­weile in einer fast unerträglichen Weise. Das Städtchen Gibraltar bietet für den an Londoner Nachtbetrieb gewöhnten Soldaten keinerlei nen- nenswerte Reize und so lauert er denn buchstäb­lich darauf, bis ihn die Abberufung von diesem Posten endlich erreicht.

Langsam schlendere ich durch die in der Mit- tagshihe fast ausgestorbenen Straßen. Ein steil ansteigender Höhenweg weist den Weg zum Festungsgelände. Zur Vorsicht frage ich einen

Einheimischen, ob dieser Weg militärisches Sperr­gebiet sei. Er schüttelt den Kopf. Ich habe auf englisch gefragt! Als ich mich nach diesem Miß­erfolg auf spanisch mit ihm unterhalte, stellt sich heraus, daß der Mann, trotzdem er auf Gibral­tar geboren ist, kein Wort Englisch versteht. Nicht nur er, sondern fast die ganze Bevölkerung, mit Ausnahme natürlich der Geschäftsleute, die auf den Touristenverkehr angewiesen sind.W i r sind Spanier", sagt er nicht ohne Stolz beim Abschied und sein Blick fliegt dabei bedeutungs­voll hinüber nach den spanischen Bergen.

Ich habe lange nicht so geschwitzt, wie jetzt, da ich den steinigen Weg hinaufkeuche. Die berühmte, aus dem vorigen Jahrhundert stammendeGale­rie" wird sichtbar: Ein über mannshohes, arm­dickes Eisengitter, das das eigentliche Festungs­gebiet hermetisch abriegelt. Was dahinter liegt, ist ein Buch mit sieben Siegeln. Selbst die Be­satzung bekommt immer nur einen bestimmten Teil der ganzen Festungsanlage zu sehen, um dem Verrat kriegswichtiger Geheimnisse vorzubeugen. Die Männer, die einen umfassenden Gesamtüber- blick über die gesamten Befestigungsanlagen haben, sind an den Fingern einer Hand abzu­zählen.

Ein Netz unentwirrbarer, geheimnisvoller Ka­bel liegt spinnengleich über den ausgebauten, sonnenglühenden Äesteinsmassen, rätselhafte Maste starren in die Höhe und über allem spannen sich

Ich wende mich zum Gehen: Drunten in den mächtig ausgebauten Hasenanlagen schwimmen ein Paar stahlgraue Einheiten der britischen Kriegsmarine, kleine Kreuzer und Torpedoboote, soviel ich von dieser Höhe herab zu unterscheiden vermag. Im Schatten einer verkrüppelten Olive schwelst der Blick über das großartige Panorama dieser Landschaft. Zur Linken die afrikanische Küste, gekennzeichnet durch die jäh ansteigenden Erhebungen des Küstengebirges, die marokkanische Hafenstadt Ceuta eine schimmernde Muschel im schwarzen Saume des Ufers. Ganz hinten gen Westen, wo sich Europa und Afrika auf wenige Kilometerbreite begegnen, dämmert in glasigem Mau der Atlantik. Unmittelbar vor den Blicken aber Algeciras, die kleine spanische Hafenstadt, dahinter die zerrissenen, wilden Schluchten der Sierra. Bei Gott, die Engländer haben sich hier einen unvergleichlich günstigen Punkt ausgesucht. Ihren Scherenfernrohren bleibt auch nicht der ge­ringste Vorgang verborgen, der sich im Blickfeld von Gibraltar abspielt.

Halb benommen von der Gluthitze verliere ich mich im Schatten des Olivenbaumes in historische Erinnerungen. Heute herrschen hier die Englän­der aber deutsche Soldaten waren es, die vor mehr als zweihundert Jahren den Felsen für Albivn eroberten. Auf deutschem Blut hat Eng­land seine Zwingburg im Mittelmeer gebaut und ließ sich bildlich gesprochen von den Deut­

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baukunst. Auch heute noch nötigen die aus jener Zeit herrührenden Anlagen alle Hochachtung ab. Sie wurden inzwischen lausend ausgebaut und weiter vervollkommnet und dem jeweiligen Stand der Waffentechnik angepaßt.

Man hat schon viele gelehrte Bücher über die Frage geschrieben, ob Gibraltar auch heute noch die überragende militärisch-strategische Bedeutung, besitzt und ob die Festung tatsächlich unangreifbar ist. Die Experten sind sich darüber nicht ganz einig. Man weiß mit Sicherheit nur, daß kurz nach Ausbruch des Abessinien-Konfliktes Gibraltar ein schwerer Sorgenpunkt Londons war. In aller Eile ging man im Rahmen eines Dreijahres­planes daran, die Festung auszubauen und vor allem gegen die gefürchteten Angriffe aus der Lust zu sichern. Nach englischen Pressemeldungen wur­den auf dem sogenannten Oberen Felsen zahl­reiche moderne Flugzeug-Abhorchgeräte ausgestellt^ die das Herannahen von Flugzeugen schon aufs große Entfernungen ankündigen sollen. Außerdem wurden neue Flugzeugabwehrgeschütze, riesige Scheimverser, die bequem die Fahrtrinne zwischen Europa und Afrika ableuchten können, gewaltige Oeltanks und Munitionskammern tief in die Schqchte eingebaut.

lieber die Zahl der Geschütze, die in den Kase­matten Aufstellung gefunden haben, gehen die Vermutungen weit auseinander. Von der See- und von der Landseite aus kann man höchstens ein Dutzend Kanonenrohre beobachten, obwohl nach einer Meldung desDaily Expreß" sich über, tausend Geschütze oben befinden sollen.

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Trotz aller inzwischen getroffenen Sicherheits­maßnahmen gibt es Fachleute, die von der Un­verwundbarkeit Gibraltars doch nicht so ganz überzeugt sind. Mit ein paar gut gezielten Tref­fern aus der Lust könnte so sagen sie daS ganze Nbwehrsystem lahmgelegt werden. Daneben aber besitzt Gioraltar noch eine zweite, höchst emp­findliche Stelle: Die Festung ist aus die Waf-o serzusuhr von außen her angewiesen. Alle Versuche Englands, innerhalb des Feftungsgöbietes Brunnen zu erbohren, sind bis auf den heutigen Tag kehlgeschlagen. Man behilft sich damit, daß man oas an den abgeschrofsten Betonwänden ab­fließende Regenwasser sammelt und durch ein weitverzweigtes Kanalshstem in zahlreiche Zister», nen leitet. Doch wann regnet es schon in dieser Gegend! Bei einer längeren Belagerungszeit würde die Besatzung unweigerlich sehr bald in eine verzweifelte Lage geraten. Ist eS schon schwie­rig, für die in Friedenszeiten hier stationiertenj 5000 Mann Wasser zu beschaffen, wie müßte esi erst sein, wenn die Besatzung auf Kriegsstärke er- ! höht und die Zufuhren vom Feind bedroht' wären? Das sind Fragen, von denen einstmals^ das Schicksal Gibraltars abhängen kann.

Als mich die Küstenbarkasse wieder hinüberträgt zum spanischen Festland, spielen die Hafen-Schein­werfer über die glitzernden Wasser. Ueber dem! Höhenrücken deS Felsens flammt eine strahlend«! Lichterkette und der märchenhafte Anblick dieses! Bildes will so gar nicht zu den kriegerischen Ueber-! legungen passen, die jeder unwillkürlich anstellt, wenn vor ihm das Massiv Gibraltars, des bri­tischen Tores zum Mittelmeer, austaucht.

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Der Welsen von Libraltar, Iknßlanäs Xvingkurg an äer dlittelmeer kkorte. Im Vorüergriinü Sie keskiiag, im Hintergrund cler Haken. lNS-Prcssc Archiv)

in luftiger Höhe, deren letzte Geheimnisse neben dem Kommandeur nur die Habichte und Möwen kennen, flimmernde Drähte, die irgendwo in einer Zentrale dort oben zusammenlaufen. Und überall gähnen aus überhängenden Vorsprüngen und zackigen Graten die wohlbekannten runden und viereckigen Schußlöcher. Sie sind so zahlreich, daß der ganze Felsblock als durchlöchertes Sieb erscheint. In der Tat hat hier ein gigantisches Projekt seine Lösung in Stahl und Beton er­fahren.

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Mächtige Eisengittertore, vor denen ein paar zigarettenrauchende Tommies dösen, verhindern die Fortsetzung des Höhenmarsches. Die Jungens sind dankbar für die Unterbrechung des grauen Einerleis und trotz aller Dienstvorschriften kom­men wir in ein lebhaftes Gespräch, das sich aber weder um den spanischen Krieg, noch um Gibral­tar, sondern um den geliebten-Fußball han­

delt. SamStag abends, so verraten sie, hängen sie am Rundfunk und hören den Sportbericht der Woche ab. Darnach werden die Spielwetten aus­gezahlt, die sie untereinander über den vermut­lichen Ausgang der Fußballkämpse abgeschlossen haben. Dies aber ist so ziemlich die einzige Unter­brechung in dem täglichen Einerlei ihres Dienstes.

rchen den Schlüssel zu diesem meerbeherrschenden Tor aushändigen. Ein Landgraf von Hessen war es, der am 4. August 1704 mit einer Handvoll deutscher Soldaten Gibraltar für England er­oberte. Zu jener Zeit ahnte noch niemand, welche Bedeutung dereinst dieser gottverlassene Felsblock erlangen würde. Die beuteschweren Schiffe Eng­lands fuhren damals noch über das Kap der Guten Hoffnung von Indien zurück. Der Bau des Suezkanals aber verwandelte das Mittelmeer bis dahin ein großer Binnensee mit einem Schlage zu einer Kiuptschlagader des Weltver­kehrs.

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England hatte Gibraltar bis dato nur gehal­ten, um die spanische Flotte in Schach zu halten, die atlantische Flotte Frankreichs von seiner mit­telländischen zu trennen und um sich in den levantischen Handel einzuschalten. Mit dem Bau des Suezkanals jedoch stieg die Bedeutung Gibral­tars sprunghaft an. Mit staatsmännischem Weit­blick erkannte man in London sofort, daß man hier die Hauptwaffe zur Sicherung des Seeweges nach Indien in der Hand hatte. In Bälde begann man mit dem militärischen Ausbau des Felsens und unter der Leitung der befähigst«» Festung?- baumeister entstand «in für damalige Begriffe staunenswertes Wunderwerk modernster Festungs-

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