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Württemberg 2 70

Politische Nachrichten.

Deutsches Reich.

Württembergs scher Landtag. (23. April.) Berathung des Aussührungsgesetzes zum Reichsgesetz betr. die Krankenversicherung der Arbeiter. In der Generaldebatte traten durchweg nur dem Ausführungs- gesetz günstige Aeußerungen zu Tage. Es wurde dabei das Reichsgesetz auch von einigen Abgeordneten kritisch gestreift. Mohl beanstandete die Sub- suwmirung der forstwirthschaftlichen Arbeiter unter dasselbe, während der Freiherr v. Herrmann dem Wunsche Ausdruck gab, daß die landwirthschaft- lichen Arbeiter ein Unterkommen in den Bezirkskrankenhäusern finden möchten. Im Uebrigen handelt es sich bei dem württembergischen Ausführungsgesetz nur um Dienstboten und solche Personen im Dienstverhältniß, die nach dem Reichsgesetz der Versicherungspflicht nicht unterliegen. Der Schwerpunkt der Generaldebatte, an welcher sich u. a. Freiherr v. Varnbüler, v. Lutz, Beutter, Sachs, v. Ow, Schwarz, ferner Minister v. Holder und der Regierungsrath Schicker betheiligten, ruhte auf der Frage, ob kranke Dienstboten ihre Ver­pflegung in den Bezirkskrankenkaffen finden müssen oder ob ihnen nur freie Kur und Kurpflegung zu gewähren sei, d. h. ob sie während ihrer Krankheit auch im Hause ihres Dienstgebers bleiben können. Den elfteren Standpunkt vertrat die Regierung, die andere Ansicht die Kommission, und diese wurde von dem Hause mit 54 gegen 30 Stimmen zur Geltung gebracht, indem Art 1 der Fassung der Commission angenommen wurde. Sodann nahm man noch Art. 2 des Gesetzes in der Fassung an, daß die Gemeinde oder Amtscorporation verpflichtet sein soll, diejenigen Personen, welche nach dem Statut regelmäßige Krankenversicherungsbeiträge zu entrichten haben, in Fällen von Erkrankung in der Regel freie Kur und Verpflegung innerhalb eines Krankenhauses nach Maßgabe des Statuts zu gewähren. Die Aus­nahmefälle habe die Bezirksbehörde festzusetzen. Es wurde im Gesetze noch betont, daß diese Leistungen nicht als öffentliche Armenunterstützungen gelten sollen.

Donnerstag, 24. April. Die Einzelberathung des Krankenkassen­gesetzes wird heute zu Ende gebracht und der Entwurf in der Endabstimmung mit allen abgegebenen 83 Stimmen angenommen. Nachdem die einzige principielle Frage, ob die Verpflegung im Krankenhause oder zu Hause, wie sich erwarten ließ, zu Gunsten des Krankenhauses entschieden war.

Reichstag. Sitzung Dienstag 22. April. Präsident v. Levetzow eröffnet die Sitzung um 14/z Uhr. Zweite Berathung des Gesetzentwurfs betr. die Abänderung des Gesetzes über die eingeschriebenen Hilfskassen. Nach längerer Debatte wurde gegen den Widerspruch des Regierungskommissar Lohmann ein von dem Abgeordneten vr. Hirsch (Fortschritt) gestellter Antrag angenommen, wonach die Verwaltungsbehörden angewiesen werden, den freien Kassen zu bescheinigen, daß sie den gesetzlichen Anforderungen ge­nügen. Diese Bestimmung soll namentlich dazu dienen, daß den freien Kaffen nicht unter nichtigen Vorwänden die Befugniß, gesetzlich gültige Ver­

sicherungen zu bewirken, entzogen werden kann. Ein Antrag des freikons. Abgeordneten Looren, daß die freien Kaffen verpflichtet sein sollen, jeden Arbeiter, der zwanzig Jahre lang der Kaffe angehört hat, aufzunehmen, wird abgelehnt, nachdem der Abg. Lipke (freis. Part.) diesem Antrags widersprochen. Weiter wurden abgelehnt, die von sozialdemokratischer Seite gestellten Anträge, welche die Aufhebung der Karenzzeit und den Fortfall der Unterstützung bei selbstverschuldeten Krankheiten bezwecken. Angenom­men wurde dagegen ein von dem Abg. vr. Hirsch gestellter Antrag, wo­nach die örtlichen Verwaltungsstellen das Recht haben sollen, Beiträge zu stunden und eingezogene Beiträge bis zum Betrage eines halben Jahresbei­trags aufzusammeln.

Reichstag. Sitzung Mittwoch 23. April. Die Plätze des Hauses sind mäßig besetzt. Am Bundesrathstisch: v. Bötticher, Bronsardt v. Schellendorf, Burchardt und Andere. Der Präsident theilt mit, daß er Urlaubsgesuche nur dann bewilligen werde, wenn die Gründe dazu durchaus zwingender Natur sind. Das Haus lehnt hierauf drei Urlaubsgesuche der Abg. Sonne mann (Volksp.), Noppel (Nat.-Lib.) und Köhl (Freis. Part.) ab und tritt hierauf in die Tagesordnung ein: I. Berathung des Antrages Büchtemann-Eberty, den Reichskanzler zu ersuchen, eine Vorlage zu erwirken, wodurch den im Reichsdienst beschäf­tigten Zivil-Personen für den Fall einer Beschädigung durch Unfälle eine ausreichende Pension für sich oder ihre Hinterbliebenen gewährt wird. Abg. v. Köller meint, daß die Herren links ein fertiges Gesetz vorlegen könnten, damit es eben so kritisirt werden könnte, wie die Herren die Vor­lagen des Reichskanzlers kritisiren werden. Der Antrag sei für die bevor­stehenden Wahlen berechnet. Abgeordneter Richter bedauert, daß die Herren rechts in dieser wichtigen Angelegenheit wieder mit polemischen Aeußer­ungen kommen. Wenn man von der Industrie verlangt, daß sie ihre Ar­beiter versichert, muß das Reich zuerst mit gutem Beispiel vorangehen. Abg. v. Bernuth und v. Ben da beantragen Vorberathung des Antrages durch eine Kommission, welchem Anträge sich die Abgg. v. Köller und Richter anschließen. Das Haus verweist den Antrag an eine besondere Kommission von 21 Mitgliedern zur Vorberathung. Es folgt die Be­rathung des Antrages v. Czarlinsky (Pole), in den polnischen Landes- theilen die polnische Sprache neben der deutschen bei den Gerichtsverhand­lungen gleichberechtigt zuzulassen. Der Antragsteller motivirt seinen Antrag mit dem Hinweis auf das den Polen gegebene Königliche Versprechen, daß ihnen der Gebrauch ihrer Muttersprache gewährleistet bleiben solle. Der dänische Abg. Iohansen ist in dieser Form gegen den Antrag, der die Interessen der dänischen Bevölkerung nicht in Betracht zieht, während der Abg. Grad (Elsäßer) dem Anträge zustimmt. Die Abgg. Windthorst und Nittinghausen erklären sich für den Antrag, indem sie nament­lich die Gefahren erörtern, denen unter den obwaltenden Verhältnissen die Rechtspflege ausgesetzt ist. Abg. Witt (Freis.) ist gegen den Antrag. Die Polen hätten im Jahre 1807 bei der Gründung des Herzogthum War-

H-» Nachdruck verboten.»

Leidenschaftliche Kerzen.

Roman von Carl Zastrow.

(Fortsetzung.)

Am Vormittage des folgenden Tages stattete er auch den übrigen Geschäftsfirmen seinen Besuch ab; doch war der Erfolg kein besserer. Außer den gewöhnlichen Redensarten des Bedauerns und Vertröstens auf spätere Zeit bekam er nichts zu hören, was ihn mit zuversichtlicher Hoffnung hätte erfüllen können, und als er dasstraffe Segel" wieder erreichte, stand es fest in ihm, keinen Schritt mehr zur Erlangung einer kaufmännischen Hilfs­arbeiterstelle zu thun, sondern sich durch eigene Kraft und Anstrengung aus dem eigenthümlichen Wirkungskreise, in den der Zufall ihn gestellt, den Ein­tritt in die Handelswelt und damit in die bessere Gesellschaft zu bahnen.

Wieder war der Abend gekommen, und zur gewohnten Stunde begab sich der junge Musiker in den Tanzsaal. Zu seinem Erstaunen bemerkte er beim Eintritt ein geöffnetes Piano in Tafelform, vor welchem ein junger, hochaufgeschossener Mensch von schlankem, beinahe schmächtigem Körperbau Platz genommen hatte.

Ein reisender Virtuose," flüsterte ihm der Wirth mit bedeutungsvollem Kopfnicken in's Ohr;wollte Gastvorstellungen geben im hiesigen Schauspiel- Hause kam aber nicht dazu, vermuthlich weil's hier fehlt!" Er machte die Pantomime des Geldzählens.Hab ihn zu Ihrer Erleichterung auf einige

Wochen engagirt, versteht sich, gegen ein Gewisses! Brauchen nicht mit ihm zu theilen. Denk', 's wird mehr Effect machen. Na, wie gefällt Ihnen das Instrument?"

Der Gefragte hatte Mühe, das Lachen zu verbeißen, als sein prüfender Blick auf das auseinanderklaffende, wackelige Gestell fiel, in welchem die Tastenreihen ihn wie das zerbröckelte, lückenhafte Gebiß eines antediluvianischen Ungeheuers anstarrten.

Noch mehr aber wurde seine Lachlust rege, als er den bleichen Virtuosen näher in's Auge faßte. Er mußte sich unwillkürlich sagen, daß er nie eine sonderbarere und lächerlichere Figur gesehen habe. Zusammengekauert, die Hände auf die Knie gelegt, das von langem, wirrem Haar umspielte Haupt auf die Brust gesenkt, saß er regungslos und stierte mit seinen matten Augen in denen sich neben einem gewissen Stumpfsinn eine unnennbare Trostlosigkeit aussprach, ununterbrochen auf die Claviatur.

Nun! Wie gefällt Ihnen das Instrument?" wiederholte Wilke mit einiger Ungeduld, denn der eigenthümliche, spöttische Gesichtsausdruck seines Gastes gefiel ihm nicht.

Was haben Sie dafür bezahlt?" fragte der Letztere.

Hundert Thaler!" lautete die Antwort des Wirthes, der mit einem wohlgefälligen Lächeln das alte Geräth betrachtete, für das ein Kenner kaum den fünften Theil gegeben hätte.

Sie sind ein"

Werner hielt inne und ließ lächelnd seine Rechte über die Tasten gleiten.

Was?" rief Wilke, betroffen von dem spöttischen Lachen und dem ironischen Zbn des jungen Violinisten.