59. Jahrgang.
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Die Hlaußfischerei in Kolland
An der nordwestlichen Grenze unseres Vaterlandes liegt ein kleiner Staat, der nur sehr selten Zeichen eines eigenen, selbstständigen politischen Lebens von sich gibt. Das Königreich Holland führt eine Art von politischem Stillleben, in ruhiger Selbstbeschaulichkeit begnügen sich die Holländer mit der Ordnung ihrer eigenen, internen Angelegenheiten, und sie treten aus diesem an sich lobenswerthen Bestreben nur heraus, wenn es gilt, zu Gunsten ihres eigenen Vortheils und erregen dadurch die Erbitterung und Entrüstung anderer Nationen.
Durch die Raubfischerei, an die wir hiebei hauptsächlich denken und welche von den Holländern in wenig würdiger Weise ausgeübt wird, werden die Interessen der deutschen Rheinsischerei bis zur Schweizergrenze des Stromes seit Jahr und Tag auf das Empfindlichste geschädigt, und dieselbe wird auch seitens der Schweiz mit nichts weniger als freundlichen Blicken betrachtet. ES liegt ja auf der Hand, daß die Interessen der Schweiz in dieser Beziehung mit denjenigen der deutschen Rheinuferstaaten durchaus identisch sind, wie sich denn auch die Eidgenossenschaft einem im Jahre 1880 seitens der Regierungen Preußens, Badens, Hessens und Elsaß-Lothringens gethanen Schritte, durch eine Convention der im höchsten Grade verderblichen Art und Weise des Lachsfanges in den Niederlanden ein Ende zu bereiten, in vollem Umfang anschloß. Man kann sich kaum eine dreistere Rücksichtslosigkeit vorstellen, als sie das Verfahren der Holländer in sich schließt, die von den: Vorgehen der betheiligten Staaten nicht die geringste Notiz nehmen.
Der Lachs gehört bekanntlich zu jener Gattung von Fischen, die alljährlich Wanderungen stromabwärts antreten, um im Meere zu laichen. Sie kehren dann zu bestimmten Jahreszeiten in großen Zügen in ihre Heimath zurück, und das ist dann gerade der Zeitpunkt, den die Holländer wählen, um in der unvernünftigsten Weise und unter Anwendung bei rationeller Fischerei verbotener Netze Alles wegzufangen, was den Rheinstrom an seinen Mündungen passirt. Man darf nun nicht vergessen, daß das deutsche Reich bedeutende Kosten und große Sorgfalt auf die Lachszucht im Rheine verwendet hat, daß überhaupt die Zucht von Fischen ein sehr schwieriges und riskantes Unternehmen ist, daß ferner die Pächter der Fischereien bedeutende Summen an die Regierungen zahlen, und daß das Alles nur geschieht, um den Holländern einen kosten- und mühelosen Gewinn zu sichern. Es ist weiter erwiesen, daß die Holländer nicht einmal die junge Brut schonen, daß sie alle irgendwie verwendbaren Fische wegfangen, und es wird Jeder ein- sehen, daß gerade hierdurch der Fischreichthum des Rheins überhaupt in der schwersten Weise geschädigt wird.
Es wird uns durch diese Raubfischerei die Ausnutzung eines heimischen Produkts geradezu entzogen, und die deutsche Reichsregierung kann, ohne ihrem eigenen Ansehen zu schaden, einein solchen Treiben unmöglich länger
geduldig zusehen. Sie wird geeignete Repressivmaßregeln gegen den kleinen, krämerhaften Nachbarstaat ergreifen müssen, damit das stolze Wort: „Der Rhein ist Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze", endlich einmal voll und ganz zur That werde.
Politische Nachrichten.
Deutsches Reich.
— Die „Magdeburger Zeitung" bringt folgendes mysteriös klingende Telegramm: Der Rücktritt des Statthalters in den Reichslanden. General-Feldmarschalls v. Manteuffel, von dem Generalcommando des 15. Armeecorps, wird zwar vielfach für wahrscheinlich gehalten, doch macht diese Angelegenheit einen umso mehr überraschenden Eindruck, als man sich erinnert, daß der Feldmarschall die Zuer- ertheilung dieses Kommandos zur Bedingung der Annahme des Statthalterpostens gemacht hatte.
Dresden, 11. Januar. Die Handhabung des Sozialistengesetzes bildete heute den Gegenstand einer mehrstündigen theilweise sehr erregten Debatte in der 2. Kamme r. Es handelte sich um eine «Petition wegen eines Versammlungsverbots. Ein Re.gierungskommissär hielt einen längeren Vortrag über das Wesen des Sozialismus, um die Gefahr zu kennzeichnen, mit der man es zu thun habe. Die Sozialdemokratie wolle sowohl das Privatleben wie das Berufsleben abschaffen, ihre Welt zerfalle in einzelne Ortschaften, woselbst Komites den Antheil an Produktionsund Konsumtionsartikeln austheilen. Dies gehe aus Bebels neuestem Werke: „Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" deutlich hervor. Da stehe, es werde kein Geld mehr geben, die private Küche werde abgeschafft u. s. w. Einer solchen Partei gegenüber könne man es einem Bürgermeister nicht verdenken, wenn er wissen wolle wer Referent sei, ehe er das Schwert der Rede aus der Hand gebe. Bebel dankte ironisch dem Kommissär für die Empfehlungsrede, die dieser dem Buche „Die Frau rc." gehalten, und erklärte, wenn dasselbe den Sozialismus so abschreckend hinstelle, dann hätte man es nicht verbieten, sondern in 100,000 Exemplaren billig verbreiten sollen. Kirbach betonte: der Deputation sei es trotz ihrer Einstimmigkeit nicht gelungen, jenes Versammlungsverbot zu rechtfertigen. Gelbke sagte, er wolle sich, entgegen den sozialdemokr. Abgeordneten von parlamentarischen Flegeleien fernhalten. Die Sozialisten haben nur unzufriedene Menschen geschaffen und ein einziges Gesetz veranlaßt, nämlich das Sozialistengesetz. Die Petition wurde gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und des Abgeordneten Kirbach auf sich beruhen gelassen.
Frankreich.
— Die Franzosen wollen mit Gewalt Bacninh haben. Aus Haiphong wird gerüchtweise gemeldet, Admiral Courbet
^ kk. (Nachdruck »erbotk».>
Leidenschaftliche Kerzen.
Roman von Karl Zastrow.
(Fortsetzung.)
Anna war nach einem Blick auf die Uhr schweigend aufgestanden und an den Spiegel getreten. Hier fügte sie rasch ihr reiches Haar zu jenen einfachen Scheiteln, die ihr ein beinahe unschönes Ansehen gaben, und warf dann ein großes Umschlagetuch über, das ihre schlanke Gestalt vollständig einhüllte. Kaum war sie damit zu Stande gekommen, als die Nebenthür hastig aufgerissen wurde. Die blonde Violinistin rauschte in voller Toilette in das Zimmer und wandte sich, ohne die geringste Rücksicht auf den Gast zu nehmen, mit der Frage an die Harfnerin:
„Bist Du fertig, Anna?"
„Ich komme sogleich!" gab die Gefragte zurück.
Werner sah ein, daß er nunmehr vollkommen überflüssig war. Wäre er weniger mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, dann hätte er wahrnehmen müssen, wie Anna ihn durch den Spiegel verstohlen, aber aufmerksam betrachtete. Während Anna's Gefährtin das Zimmer verließ, erhob er sich langsam, aber in seiner ganzen Haltung gab sich das Gepräge eines festen Entschlusses zu erkennen.
„So leben Sie denn recht wohl, Fräulein Zriny!" sagte er, sich gewaltsam zum Lächeln zwingend, „und möge Ihnen die Göttin des Glückes so hold, wie die Muse der Tonkunst sein!"
Sie hatte sich ihm wieder voll zugewandt.
„Das heißt also, wir werden uns nie Wiedersehen?" fragte sie mit einem Blick, der sein Blut von Neuem in Wallung brachte.
Dennoch erwiderte er in so festem Tone, als es ihm möglich war: „Nie!"
„Dann leben auch Sie wohl, Herr Werner!" sagte sie ruhig und mit innigem Ausdruck. „Ich wünsche nicht erst, daß Sie glücklich werden mögen, weil ich weiß, Sie werden es sein, ohne meinen Wunsch. Leben Sie wohl, und bewahren Sie mir ein freundliches Andenken."
2 .
Mit dem festen Entschlüsse, nie wieder hierher zurückzukehren, verließ Werner das Haus; aber erst auf der Straße athmete er frei auf und bemühte sich, seiner gedrückten Stimmung Herr zu werden.
„Nein!" rief er so laut, daß einige Vorübergehende stehen blieben und ihm kopfschüttelnd nachschauten, „um den Preis meiner Ehre will ich sie nicht! Könnte ich mich wohl selbst achten, wenn ich einem vagabondirenden Mädchen zu Liebe alle Fäden zerrisse, die mich mit einer achtungSwerthen Gesellschaft verknüpfen, alle Verhältnisse zerstörte, die mich zu einem tüchtigen, nützlichen Mitglieds der Handelswelt machen? Und doch," tönte es in ihm, „sie ist so sinnberückend, .... gar zu verführerisch, aber als Bettelmusikant durch die Welt ziehen? nimmermehr!"
Unter solchen wiederstreitenden Empfindungen erreichte er seine Wohnung, und da der Abend inzwischen hereingekommen war, zündete er ein Licht an, steckte eine Cigarre in Brand, warf sich auf das Sopha, nahm eine Zeitung zur Hand und versuchte zu lesen! aber was ihn sonst mit dem lebhaftesten Interesse erfüllt hatte, ließ ihn heute kalt und gleichgiltig. Nur