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auf die Wirkungen als auf die Ursachen dieses Uebelstandes an. Jedenfalls thut man sehr Unrecht daran, die Auswüchse, unter denen wir jetzt zu leiden haben, als Folgen der letzten großen Kriege hinzustellen und eine schiefe Parallele zu ziehen zwischen den wirthschaitlichen Zustanden nach dem dreißigjährigen Kriege und den socialen Verhältnissen unserer Zeit.
Die Hauptfrage für uns ist nur, wie wir das Uebel an seiner Wurzel erfassen und eine möglichst nachhaltige Heilung desselben erzielen. Das einzige Mittel hierzu ist die Arbeit, ein strenge, unnachsichtige Gewöhnung des Vagabonden an eine geregelte Thäligkeit. Nun tritt zunächst die Frage an uns heran, ob es nicht zweckmäßig wäre, die Verpflegung der Vaganten von Arbeitsleistung ihrerseits abhängig zu machen. Principiell wird diese Frage wohl bejaht werden müssen. Da aber das Vagabondenthum hauptsächlich eine Plage für das platte Land ist, so muß wohl gefragt werden, welche Art von Beschäftigung kann namentlich aus dem Lande verlangt und gewährt werden, und welcher nachhaltige Erfolg kann durch dieselbe erzielt werden? ES ist eins sehr heilte Sache mit der Arbeitsgelegenheit in kleineren Städten und Dörfern, dieselbe ist, da sie doch nicht in nutzlose Spielerei oder in unwürdige Quälerei ausarten darf, theils sehr beschränkt, theils garnicht vorhanden. Das Einzige aber, was wir mit ver strengen Anhaltung zur Arbeit bezwecken wollen, ist doch nur das, daß der „Stromer" der menschlichen Gesellschaft wiedergegeben und ein brauchbares Mitglied derselben werde. Ob aber die Beschäftigung mit Straßenreinigen, Steinklopfen, Holzfpalten u. s. w. geeignet ist, wieder einen anhaltenden Arbeitstrieb bei Handwerkern aller Art zu erwecken, dürfte mehr als zweifelhaft sein. Vor Allem wird es nöthig sein, daß womöglich im ganzen deutschen Reich eine gleichmäßige, obligatorische Behandlung arbeitsscheuer Individuen eingeführt würde. ^Denn, werden derartige Leute in einzelnen Staaten oder Bezirken mit größerer oder geringerer Strenge behandelt, so ist die natürliche Folge davon, daß das Uebel nicht geheilt, sondern nur in ein anderes Bett geleitet wird — die Vaganten werden den einen Bezirk meiden, um den andern desto mehr zu überschwemmen und auszubeuten.
Um wirklich Abhilfe zu schaffen, müssen die beiden ganz verschiedenen Kategorien der sogenannten Stromer streng geschieden werden, nämlich die, welche nicht arbeiten können — sei es aus Mangel an Arbeitsgelegenheit, sei es aus persönlicher Unfähigkeit —, und die, welche nicht arbeiten wollen. Nur für die erstere Klasse kann sowohl von Seiten des Staates, vielleicht durch Arbeiterkolonien rc. als auch durch Privatwohlthätigkeit ge- gesorgt werden. Gegen letztere kann und muß endlich mit der ganzen Strenge des Gesetzes vorgegangen werden, denn sie sind der Krebsschaden der Gesellschaft und haben kein Recht, weder auf die staatliche noch auf die freiwillige Armenpflege. Um diese nothwendige und durchaus erforderliche Trennung strikt und von Grund aus durchführen zu können, erscheint es geboten, die gesetzlichen Bestimmungen über die Legitimationspapiere, soweit sie bereits bestehen, auf das Energischste zu handhaben, und wo dieselben nicht genügen, sie schleunigst zu ergänzen.
Wir halten es für eine dringende Aufgabe der deutschen Negierungen, endlich gemeinschaftlich die nöthigen Schritte zu thun gegen das immer mehr Ueberhand nehmende Vagabondenthum. Im ganzen Reich müßten dieselben mit der gehörigen Energie und Consequenz durchgeführt werden, und keinen Falls sollte man so lange warten, bis das Uebel vielleicht Dimensionen angenommen hat, die schließlich jeder Autorität spotten.
Politische Nachrichten.
Deutsches Reich.
— Die Ruhe der Feiertage, denn als solche ist wohl die ganze Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr aufzufassen, ist durch irgend welche aufregende Ereignisse nicht gestört worden. Friede herrscht überall und die Tagesblätter können sich deßhalb mit harmlosen Betrachtungen der allgemeinen politischen Lage beschäftigen. Das Resultat aller dieser Untersuchungen läßt sich dahin ziehen, daß im europäischen Konzert augenblicklich volle Harmonie herrscht und ernste Verwickelungen nicht zu befürchten sind.
— Die reichsgesetzliche Regelung des gesammten Versicherungswesens liegt bekanntlich schon seit längerer Zeit im
Beziehung das Gegentheil der eben beschriebenen Persönlichkeit dar. Während die Letztere nicht das Geringste that, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, schien sie alles hervorgesucht zu haben, was ihr Reize in das bestmöglichste Licht stellen konnte. Das glänzend blonde Haar war zu einem Kranz üppiger Flechten geschlungen, die von einer silbernen Spange zusammengehalten wurden. Ihre Züge waren regelmäßig und hätten allen Anforderungen klassischer Schönheit entsprochen, wenn nicht ein Ausdruck von Koketterie und Härte sich darin kundgegeben hätte, der eine aufrichtige Bewunderung ausschloß. Zudem erschien auch die feine Röthe ihrer Wangen zu wenig natürlich und stand in zu auffallendem Gegensatz mit den ein wenig matten umrandeten Augen, als daß man es für ein Zeichen vollkommener Jugendfrische hätte nehmen können.
Sehr häufig ließ sie ihre Blicke durch den Zuhörerraum schweifen; es war, als wollte sie ergründen, ob die geringe Theilnahme des Publikums ihr over einem ihrer Gefährten gelte. Sie spielte die zweite Violine, und die Art ihres Bogenstrichs ließ auf eine gewisse Routine schließen. Dies in Verbindung mit einem feinen Gehör mochte die Ursache sein, daß sie die Akkorde ziemlich rein hervorbrachte. Nichtsdestoweniger lag in ihrer Haltung, insbesondere in der Weise, wie sie den Bogen handhabte, viel Kokettes. Man sah es, sie wollte graziös erscheinen, und dieser Zwang machte sie für den freisinnigen Beobachter zu einem Zerrbilde.
Obwohl das Zusammenspiel der drei Personen ein recht wirksames genannt werden mußte, schenkten die Gäste der Musik doch nur eine höchst oberflächliche Aufmerksamkeit. Man lachte, trank, rauchte und unterhielt sich so laut, als sei von einem künstlerischen Genuß gar keine Rede.
Allein auf ie schöne Violinistin war mancher Bi.ck gerichtet, und wenn
Plane der Regierung, und es hat längerer Zeit bedurft, ehe an die Lösung dieser Aufgabe herangetreten werden konnte. Wie jetzt mit Bestimmtheit verlautet, sind die diesbezüglichen Arbeiten schon seit längerer Zeit im Reichsamt des Innern abgeschlossen und betreffen dieselben nicht nur eine Revision der bisherigen Gesetzgebung, sondern bestehen in einem vollständig neu ausgearbeiteten Gesetz-Entwurf, welcher das gesummte Gebiet des Versicherungswesens behandelt, also die Lebens-, Feuer-, Hagel-, Vieh- und Transportversicherung. Ob der Reichstag sich in seiner bevorstehenden Session mit dieser Angelegenheit zu befassen haben wird, ist indessen noch fraglich, da der Gesetzentwurf jedenfalls noch verschiedene Stadien zu durchlaufen haben dürfte, ehe er an den Bundesrath gebracht werden kann.
— In den Grundsätzen über die Berechnung der bei der Pensionirung in Betracht kommenden Dienstzeit der Beamten ist bestimmt, daß die Theilnahme der Letzteren an Gefechten in den Feldzügen der Jahre 1848, 1849, 1850 in Schleswig-Holstein als erfolgt zu betrachten ist, wenn sie zum Verbände der Truppen gehört, und sich in deren Gefolge ihrer Berufspflicht gemäß während des Gefechts that- sächlich befunden haben. Wie der Finanzminister erläutert hat, sind unter den zuletzt ermähnten Beamten solche Personen zu verstehen, welche im Gegensatz zu „Offizieren und Mannschaften" in der Eigenschaft als „Militär oder sonstige Beamte" die bezüglichen Feldzüge mitgemacht haben. Bei Pensionirungen zählen die Kriegsjahre doppelt.
Frankreich.
— Ob der Conslikt zwischen Frankreich und dem Reiche der Mitte beigelegt werde oder ob er zum Kriege führen wird, ist noch nicht entschieden. Man hatte vielfach behauptet, daß England die Vermittlerrolle übernehmen und die streitenden Mächte versöhnen würde. Alle englischen Blätter jedoch versichern, daß ein Vertrag zwischen England und China in das Reich der Fabel gehöre. Die französischen Blätter dagegen regen durch ihren fortdauernden Ton immer mehr zum Kriege an. Die „Republiquö Fran^.aise" sagt, nachdem die Anwesenheit chinesischer Truppen in Sontay einmal conftatirt sei, habe Frankreich das unbestreitbare Recht, von China eine Geldentschädigung zu fordern. Wenn man sich zu zahlen weigere, würde Frankreich nur die schwierige Wahl haben, sich ohne Kriegserklärung eines Pfandes zur späteren Zahlungsleistung zu versichern.
Tages - Neuigkeiten.
>v. 0. Stuttgart, 28. Dezbr. Einer der beiden bei dem Raubmordattentat in der Kronprinzenstcaße schwer Verwundeten, der Bankier Jos. Heilbronner ist so weit in der Heilung vorangeschritten, daß er schon vor einigen Tagen den Katharinenhospital verlassen und nach Hause zurückkehren konnte. Sein seit dem Attentat geschlossenes Geschäft hat er noch nicht wieder eröffnet. Mit seinem Leidensgefährten Oetinger steht es trotz aller Mühe, die man sich ärztlicher Seits gegeben, noch immer nicht so weit, daß er als außer Lebensgefahr befindlich betrachtet werden kann. Es kann überhaupt als ein halbes Wunder gelten, daß er bei der überaus schweren Verwundung so lange am Leben erhalten werden konnte. — Mit der Untersuchung des schauderhaften Verbrechens sind insofern noch keine großen Fortschritte möglich gewesen, als die drei noch aus freiem Fuße befindlichen Mitschuldigen des einzigen Verhafteten noch nicht aufzufinden waren.
Vorstadt Berg, 28. Dez. Am Abend des Stephansfeiertags fand in unserer festlich beleuchteten Kirche unter allseitiger Betheiligung der Gemeinde die Christbescheerung für die 240 Kinder der hiesigen, unter dem hohen Protektorate Ihrer Majestät der Königin stehenden Anstalt in erhebender Weise statt. Auch diesmal hat Ihre Kaiserl. Hoheit die Frau Herzogin Werra in Begleitung der Hofdame, Freiin von Röder, uns die Ehre Ihrer persönlichen Theilnahme und Mitwirkung bei der Festfeier erwiesen.
Eßlingen, 28. Dezbr. Wilhelm Morlock hat seine Entlassung aus der Haft dazu benützt, sich aus dem Staube zu machen. Ein Bruder von ihm hat sich schon vor drei Wochen von hier entfernt. Beide haben Frau und Kinder in großer Noth zurückgelassen.
— In Gö scheuen, der bekannten Gotthardstation, sind zwei schweiz.
sie mit dem Notenblatt herumging, um das Honorar für die Vorträge einzukassieren, wurde ihr manches Lächeln, manches freundliches Schmeichelwort zu Theil, welche Huldigungen sie jedoch, wenn auch nicht gerade unfreundlich doch mit einer gewissen Zurückhaltung aufnahm. Nur dann, wenn die Spende besonders reichlich ausgefallen war, verkündete ein reizendes Lächeln dem Geber, daß die Schöne ein dankbares Herz habe für Aufmerksamkeiten, welche in klingendem Silber geworden.
Es fehlte aber auch keineswegs an Leuten, welche in vollem Miß- muthe über die veränderten Verhältnisse jede, auch die kleinste Anerkennung hartnäckig verweigerten. Zu diesen gehörte offenbar auch jener junge, blondgelockte Mann mit dem weichen, ein wenig träumerischen Gesichtsausdrucke, welcher an einem vereinzelten Tische in einer Ecke des Saales Platz genommen hatte und mit verdrießlichem Blick, in welchem sich außerdem ein leiser Zug von Verachtung zu erkennen gab, die drei musicirenden Personen betrachtete. Er verfehlte auch nicht, seinen Gefühlen thätlichen Ausdruck zu geben, denn als nach beendigtem Vortrage die blonde Virtuosin mit dem Notenblatt in der Hand ihren Umzug hielt und sich dabei auch seinem Tisch näherte, warf er ihr zwar ein Geldstück zu, er that dies jedoch mit einem so verächtlichen Zuge um den Mund und in so schroffer, hochmüthrger Werse, daß jählings eine dunkle Röthe in die Wangen des Mädchens schoß und dasselbe, wie vom Blitze getroffen, stehen blieb. Nur einen Augenblick sah sie den Geber mit einem trotzigen, herausfordernden Blick an. Ihre Lippen bebten, als wolle sie etwas erwidern; dann aber wandte sie sich rasch und verschwand zwischen den laut schwazenden Gruppen der Gäste.
Fortsetzung folgt.