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so lange dieses Bündniß besteht, es einem etwaigen Friedensstörer nicht leicht werden dürfte, einen Keil des Zwiespaltes und der Trennung in die polit. Verbindung der europäischen Friedensmächte, zu denen auch Italien zu zählen ist, hinein zu treiben.
Frankreich.
— Die zweite Auflage der Prinzenaustreibung wird also in dieser Woche zum Gegenstand einer Debatte im französischen Parlament gemacht werden. Der radikale Abgeordnete Gatineau sieht die Veranlassung hierzu in der Haltung der Prinzen von Orleans und ihrer Freunde. Er macht ihnen zum Vorwurf, daß der Graf von Paris in Frohsdorf sich als K r o n p r ät en d ent habe behandeln lasten und auch als solcher unterzeichne, endlich sei seit zwei Monaten die Haltung seiner Anhänger in Frankreich eine so herausfordernde, daß alle Republikaner entrüstet seien. — Das seitens des französischen Finanzministers Tirard auf 50 Millionen Francs bezifferte Defizit im Etat, dürfte sich in Wirklichkeit auf 150 Millionen belaufen, da die französischen Staatseinnahmen stetig und erheblich zurückgehen.
England.
— Der deutsche Botschafter, Graf Münster, ist nach Hannover abgereist und wird Graf Herbert Bismarck während seiner Abwesenheit als Geschäftsträger fungiren. Hiermit sind endlich alle Gerüchte von der Abberufung des Grafen Bismarck aus London widerlegt. — Auch in England ist jetzt der S t a a t s s o z i a li s m u s an der Tagesordnung. Die schrecklichen Zustände, welche oft inmitten der regsten Stadtviertel Londons herrschen, verlangen dringend nach Abhülfe. Ein Theil der Presse fordert nun, daß der Staat einschreiten, billige und gesunde Wohnungen für die armen Bevölkerungsklassen schaffen und die jetzigen „Brutstätten des Lasters und der socialen Revolution" entfernen solle. Der Führer der Con- servativen, Lord Salisbury, hat sich an die Spitze der Bewegung gestellt, welche in der inneren Politik Englands den Anfang einer neuen Epoche bedeuten dürfte.
Rußland.
— Ueber Petersburg kommt die Nachricht, daß auch in Taschkent heftige Erderschütterungen stattgefunden haben. — Die russischen Revolutionäre regen sich in bedenklicher Weise.. Aus allen Theilen des Reiches kommen Meldungen, welche darauf schließen lasten, daß die Nihilisten nur die Rückkunft des russischen Kaiserpaares abgewartet zu haben scheinen» um ihre wohlvorbereiteten Pläne zur Ausführung zu bringen. Fast täglich erscheint jetzt eine Proclamatiou oder ein Schriftstück, dessen Inhalt wie Zündstoff wirken muß und uns den Beweis liefert, daß es in Rußland an allen Ecken und Enden brodelt und es dem Ueberkochen sehr nahe ist.
Tages - Neuigkeiten.
>V. 6. Stuttgart, 29. Oktober. Seine Majestät der König wird, wie der St.-A. vernimmt, am 8. November die Reise zum Winteraufenthalt in San Remo antreten.
Horb, 27. Okt. Vorgestern Nachts 12 Uhr wurden wir durch Feuerlärm geweckt. Es brannte in der etwa 5 Kilom. von hier entfernten Staatsdomaine Buchhof, woselbst ein mit Stroh und Futtervorräthen angefüllter Schoppen vollständig eingeäschert wurde.
Von der Ia g st, 29. Okt. Gestern Sonntag Abend brach in Obersteinach, O.A. Gerabronn Feuer aus. Das Wohnhaus und die Scheuer des Zimmermeisters und Lcmdwirths Feuchter wurde völlig in Asche gelegt. Der Abgebrannte ist versichert.
Augsburg, 29. Okt. Die soeben zu Ende gegangene außerordentl. Schwurgerichtssitzung endete mit einem Doppel-Todes- urtheil. Der letzten Verhandlung lag eine entsetzliche Blutthat zu Grunde. Aus der Anklagebank saßen 2 Männer, deren Vorleben eine ganze Reihe von Gefängnißstrasen aufwies, der led. Bader Theodor Rieppl von Winklarn und der led. Spengler Joh. Hundsrucker von Gaishofen. Elfterer trieb früher schon sein verbrecherisches Handwerk mit dem entsprungenen Zuchthaussträfling Heumann, der, mit seinem Diebskumpan Rieppl im Monat Juli v. I., vom Gensdarm Metzger von Eisenstein festgenommen, mit Rieppl einen Angriff auf den Gensdarmen machte, dabei aber von diesem erschossen wurde. Mitte August verband sich Rieppl mit dem Spengler Hundsrucker, der als Soldat des 2. bayr. schweren Reiter
regiments fahnenflüchtig geworden war. Die ihnen neben einer großen Anzahl von Einbrüchen rc. zur Last gelegte Hauptschuld betrifft die Ermordung des Gensdarmen Xaver Haunstetter von der Station Kirchheim bei Mindelheim, der am 6. Sept. vor. Js. beide Strolche geschlossen von Walterhausen nach Aletshausen transportiren wollte. Auf einem Fußwege bei Walterhausen weigerte sich Rieppl, weiter zu gehen, und als der Gensdarm ihn deßhalb puffte und auch den Hundsrucker, der nun erklärte, auch keinen Schritt mehr gehen zu wollen, vorwärts stieß, drehte sich dieser plötzlich um, entriß dem Gensdarm, der auch ein Päckchen mit den Revolvern und Messern der Arrestanten unter dem Arme trug, das Gewehr und schoß es los. Als der Gensdarm den Säbel zog, parirte Hundsrucker mit dem Gewehr und traf jenen auf den Kopf. Nun fiel auch Rieppl dem Gensdarmen in den Arm und beim Ringen fielen alle 3 zu Boden. Der Gensdarm, der unten zu liegen kam, erkannte auch wohl seine gefahrvolle Lage und rief: „Heilige Mutter Gottes, steh' mir bei!" Er fand aber kein Erbarmen; während die beiden andern auf ihm knieten, stieß ihm Rieppl mit den Worten: „Wart' du Lump!" 5—6mal den Säbel in die Brust, was den alsbaldigen Tod des Getroffenen zur Folge hatte. Der Sektionsbefund ergab 20 Wunden, so daß anzunehmen ist, daß beide auf den Gensdarmen, wohl auch mit Messern, hineinstachen. Nach der Thal entfernten sich die Mörder, kehrten aber nochmals zurück, um ihre Revolver und Messer zu holen. Die Unmenschen flohen dann über Mindelheim und Memmingen nach der Schweiz, wo sie festgenommen wurden. Beide Angeschuldigten wurden von den Geschworenen des Mordes schuldig erkannt und demzufolge vom Gerichtshof zum Tode verurtheilt.
Von der fränkischen Ostgrenze, 28. Okt Seit einigen Wochen macht man die Wahrnehmung, daß die Herbstsaat, sonderlich der eben aufgekeimte Roggen, streckenweise vollständig zerstört wurde, gerade so, wie es vor einem Jahr um diese Zeit und den ganzen nassen Winter hindurch bei dem Schneckenfraß der Fall war. Für Heuer gab man den allerdings in großer Menge vorhandenen Regenwürmern die Schuld; nun aber kommt mit einem Male Licht in die Sache und es stimmen auch die Beobachtungen der Landwirthe darin überein, daß die in manchen Lokalitäten massenhaft vorhandenen Larven des Saatschnellkäfers, Drahtwürmer genannt, die Verheerungen anrichten. Der größere Landwirth kennt den Wurm genau, da er sich bei der Wechselwirthschaft häufiger findet, als bei ununterbrochenem Einbau der Aecker. Öfteres Pflügen und Eggen der für die Herbstsaat bestimmten Grundstücke, so daß die Vögel das an die Oberfläche kommende Gewürm auflesen und verzehren können und nach gemachter Saat alsdann festes Walzen der gezogenen Furchen soll von erprobter Wirkung sein. Im Uebrigen ist die Zerstörung seit etwa 10—12 Tagen sichtlich in Abnahme begriffen und folglich die vielfach gemachte zweite Saat gerettet.
Vermischtes.
— Von der verschwenderischen Pracht, welche am Hof König Friedrich des Ersten herrschte, erhält man einen ungefähren Begriff wenn man dem Bericht folgt über die Feierlichkeiten, welche am Berliner Hose stattfanden, als der König im Mai 1700 seine Tochter mit dem Erbprinzen von Hessen verheirathete. Einen Monat fast dauerten die Hoffeste. Alle Kleider, welche dazu getragen wurden, waren aus Frankreich, die Tonkünstler, Sänger und Schauspieler aus Wien, Paris und Dresden verschrieben. Der Anzug der Braut kostete vier Millionen Thaler und wog einen Cent- ner, weßhalb sechs Kammerfräulein, die noch von zwei Edelknaben unterstützt wurden, die Schleppe tragen mußten. Die Tafel, an welcher der Hof speiste, ward mit 500 Gerichten besetzt, und diese Besetzung geschah in einer halben Stunde, während welcher Zeit der Küchenmeister noch 86 andere Tafeln zu versorgen hatte, denn an so vielen Tischen speisten die Gäste. Bei solcher Wirthschaft waren Steuern auf Steuern unvermeidlich. Man besteuerte schließlich sogar die Perücken. Jeder Perückenträger mußte je nach Beschaffenheit der Perücke 6—25 Procent Stempel zahlen. Ein Franzose hatte diese Abgabe gepachtet, und nicht selten kam es vor, daß Jemand auf der Straße angehalten und erst die Perücke, welche er trug, auf den Stempel geprüft wurde. Damals standen die Grafen Wartenberg, Wartensleben und Wittgenstein an der Spitze des Staatswesens und im Stillen sagten die Brandenburger, mit Bezug auf die gleichen Anfangsbuchstaben dieser drei Namen: „Uns drückt ein dreifaches Weh!"
so eben eingetreten war. Sein Gesicht drückte Besorgniß, Unruhe aus. Hastig nahm er den Hut ab und warf ihn auf den Tisch. Dann ließ er sich auf die Bank nieder und trocknete mit dem Taschentuche die schweiß- bedeckte Stirn.
„Wißt Jhr's schon?" fragte er, indem er seine Blicke forschend von der Gattin auf die Tochter gleiten ließ.
„Was gibt's denn ?" fragte die Letztere halb gleichgiltig, halb verdrießlich.
„Steinfels ist soeben verhaftet- worden!"
„Steinfels verhaftet?" — riefen Beide aus einem Munde.
„Er steht in dem Verdacht des Mordes!" rief der Rentier.
In dem Auge der Tochter blitzt ein Strahl des Triumphes auf, während die Mutier erschrocken ihre Arbeit fallen ließ.
„Habe ich nicht von Anfang an gesagt, daß der Mensch etwas auf dem Gewissen haben muß?" rief Ottilie, „sah er nicht von jeher wie ein Mensch aus, der zu Allem fähig ist? hat er nicht die ächte Verbrecher-Phi- siognomie? Oh, es ist gut, daß man ihn endlich fest gemacht hat. Wer weiß, was der noch für Unglück angerichtet hätte."
„So!" rief der Rentier, nun mit einem Male? Du schienst doch nicht immer dieser Ansicht gewesen zu sein."
„Stets, Vater! von Anfang an, als der Mensch in unser Haus kam, hatte ich einen instinktartigen Widerwillen gegen ihn."
„Sie freut sich, daß sie ihn jetzt nicht bloß zu hassen braucht, sondern ihn auch verachten kann", sagte die Mutter.
„Wir haben Gründe, uns selbst zu verachten", erwiederte Ottilie, „es ist eine Schmach für uns, daß der Mensch in unserem Hause Zutritt hatte. Die Leute werden auch unfern Namen nennen, wenn von ihm die Rede ist. Nun, erzähle uns die Geschichte, Vater!"
„Handwerksburschen fanden heute um die Mittagszeit in dem Chauffe graben nicht weit von dem Wege, der auf das Steinfels'sche Haus zuführt, die Leiche eines jungen, elegant gekleideten Mannes", begann der Rentier. „Der Ermordete hatte eine klaffende Wunde in der Brust, und man sah sofort, daß dieselbe von einem gut gezielten Dolchstich herrührte. Eine Uhr oder Börse fand man bei dem Ermordeten nicht. Es lag also die Vermuthung nahe, daß ein Raubmord an dem unglücklichen Reisenden verübt sei. Der Doktor Berner war mit der Untersuchung des Leichnams beauftragt, und seiner Ansicht nach hatte das Opfer erst wenige Stunden zu leben aufgehört. Nicht weit von dem Orte, wo die grausige That geschehen, sah man den Griff eines Dolches zur Hälfte aus dem grasigen Erdboden hervorragen. Der Polizei-Commissär zog ihn heraus und besah ihn. Er fand den Namen Steinfels auf einem Schilde eingravirt. Die Spitze des Doches paßte genau in die Wunde. Steinfels ging nie ohne Dolch aus, wie wir wissen. Er hat es uns selbst gesagt."
Ottilie nickte. „Wir werden dem Untersuchungs-Richter davon Anzeige machen", sagte sie mit eisigem Tone.
(Fortsetzung folgt.)