Aro. 119.
58. Jahrgang
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Politische Nachrichten.
D e u t s ch e s R e i ch.
Berlin, 8. Okt. Zwei militärische Fachorgane haben kürzlich überraschende Publikationen gebracht. Das neueste Beiheft zum deutschen „Marine-Verordnungsblatt" veröffentlichte eine „taktische Studie" über denTor- pedo, in welcher die Nothwendigkeit der Ausrüstung aller Kriegsschiffe mit sogenannten „Blitzboten" nachgewiesen wurde, deren Aufgabe es ist. den nur .300 Meter laufenden Torpedo in die Nähe der feindlichen Schiffe zu bringen. 'Gleichzeitig publicirte das preußische „Militär-Wochenblatt" einen Artikel- über den Mehrlader, in welchem es u. A. heißt: „Noch haben die Heere Europas nicht ausgelernt, den Hinterlader in jeder Richtung sachgemäß auszunützen, und schon taucht allenthalben die Frage auf, ob er nicht durch den Mehrlader zu ersetzen ist. Wir wollen der Zukunft voraneilen und sagen, die Frage wird unbedingt mit Ja beantwortet werden. Welcher Staat wird die Verantwortung übernehmen wollen, in dem Kampfe ums Dasein — und dazu wird ein Krieg in Zukunft werden — sich sagen zu müssen, sein Heer stehe in Bezug auf Bewaffnung zurück" — und weiter: „Wenn ein Großstaat sich für den Mehrlader entschieden haben wird, so müssen alle anderen Staaten folgen; es liegt in der Natur der Sache." Zur Erklärung dieses offenbar an den deutschen Reichstag gerichteten „kategorischen Imperativ" mag dienen, daß vor einigen Tagen eine Meldung durch die Blätter ging, der zufolge die Bewaffnungs-Commission in Frankreich dem Kriegsminister ganz bestimmte Anträge wegen Einführung des Repetirgewehres in der französischen Armee gemacht hätte. W. Ldztg.
— Ein Pariser hat der Feier auf dem Niederwald beigewohnt und wider Willen, wie er selber sagt, einen gewaltigen Eindruck bekommen, den er in der Pariser Zeitung „Temps" beschreibt. Man höre, wie er den Kaiser Wilhelm schildert:
„Der Kaiser war der Mittelpunkt aller Blicke, in der Volksphantasie ist seine Persönlichkeit alles. Bei seinen sechsundachtzig Jahren hat er einen geradezu erstaunlichen Zug von Gesundheit und Kraft, keine Spur von Ermüdung auf diesem feinen, energischen und gesammelten Gesicht. Die Haltung ist gerade und stramm. Die Physiognomie, gewöhnlich so freundlich und leutselig, zeigt in diesem Augenblick den Ausdruck tiefen Ernstes und spiegelt einen beherrschenden Gedanken wieder. Während der sehr langen
Ansprache des Grafen Eulenburg bewahrte der Kaiser vollkommene Unbeweglichkeit; keine Muskel des Gesichtes zuckte, keine Bewegung, die Ermüdung anzeigte; als oberstes Haupt der Armee gibt er seinen Soldaten das Beispiel der Unbeweglichkeit. Hinter einer Reihe von Zuschauern verborgen, konnte ich während einer halben Stunde die Züge dieses wunderbaren Greises beobachten. Ich möchte meine Leser theilnehmen lassen an den tiefen Eindrücken, die mich erfaßten, als ich diesen Herrscher betrachtete, der den Weltfrieden in den Falten seines Soldatenmantels trägt. Kaiser Wilhelm kann als der Typus des glücklichen Menschen und Herrschers betrachtet werden. Er herrscht seit einem Vierteljahrhundert und hat schon um zehn Jahre das Lebensalter Ludwig XI v. überschritten. Er hat nicht nur alle seine persönlichen Wünsche erfüllt, sondern auch die Träume seines Volkes, die hundertjährigen Bestrebungen seines Staates und die traditionelle Legende seines Hauses. Er sah sein Land im tiefsten Abgrunde und er hat die Befriedigung gekostet, die für ein edles Herz die größte ist, dieses Land mit eigenen Händen auf den Höhepunkt des Ruhmes und der Macht zu bringen. Er hat Preußen besiegt, ,gedemüthigt, zerstückelt gesehen und im Namen dieser selben preußischen Monarchie übt er jetzt die Diktatur in Europa aus. Er ist der Sohn jener Königin, die Napoleon mit soldatischer Freiheit behandelte und zweimal ist er als Sieger in Paris eingezogen. ... Die Gewalt war für ihn eine ernste Ausgabe, ein geheiligtes Amt; die Pflicht desselben erfüllte er mit vollster Ueberzeugung. Umgeben von der Dankbarkeit und Verehrung seines Volkes ehrt er in sich selber den Vollzieher der Beschlüsse der Vorsehung. Die Geschichte bietet kein anderes Beispiel eines so vollständigen, so unzerstörbaren, so heiteren Glückes dar, um so vollständiger als das hohe Alter des Kaisers und der gegenwärtige Lauf der Ereignisse den Kaiser vor dem unabwendbaren Wechsel menschlicher Geschicke sichern zu sollen scheint. Die Geschichte, die allen Dingen gerecht wird, wird den ersten deutschen Kaiser auf einen großen Platz stellen; die deutsche Einheit ist sein Werk, und sie scheint gemacht, um auch die härtesten Proben zu bestehen."
— Die Gehaltsaufbesserung der bayerischen Beamten nimmt in Bayern ein hervorragendes Interesse in Anspruch. Im Publikum machen sich entgegenstehende Meinungen geltend. In Abgeordnetenkreisen ist man von Aufwerfung dieser Frage nicht sonderlich erbaut. Dieselbe ist auch schuld, daß die Arbeiten des Landtags ins Stocken gerathen sind; denn alle Etats hängen mit dieser Frage in weiterem oder engerem Sinne zusammen, solange daher die beiden Parteien in der Hauptsache — ob überhaupt eine Aufbesserung zu bewilligen ist — nicht unter sich einig sind, kann an die Erstattung gerade der wichtigsten Referate nicht gedacht werden. Eines darf schon als sicher betrachtet werden: in der von der Negierung beantragten Höhe werden die Abgeordneten das betreffende Negierungspostulat nicht acceptiren. F. Journ.
M e tz, 7. Okt. Die Verhaftung Antoine' s ist nicht, wie es anfänglich hieß, direct vom Oberreichsanwalt oder von einem Senate des Reichsgerichts in Leipzig verfügt worden, sondern vielmehr von dem hiesigen
(Nachdruck verboten.)
Durch Liebe erlöst.
Original-Novelle von Karl Zastrow.
(Fortsetzung.)
Der ernste, verdrießliche Ausdruck seines Gesichts, welchen man ihm als stereotyp angedichtet hatte, schien vollständig verschwunden. Sem Auge überflog unbefangen, beinahe mit einem heiteren Lächeln die bunte Versammlung. Er schien es in keiner Weise wahrzunehmen, daß er der Gegenstand so vielseitiger Beachtung sei. Ruhig trat er auf den Doktor Berner zu, welcher ihm am nächsten stand, und schien soeben eine allgememe, auf die Festlichkeit bezügliche Frage an ihn richten zu wollen, als plötzlich der Rentier einem Raubvogel gleich, die Gruppe durchbrechend, welche ihn von seinem Opfer trennt, auf die beiden mit den Worten zuschoß:
„Herr Steinfels — Herr Doktor Berner!"
Der Arzt konnte ein leises Lächeln des Spottes nicht unterdrücken. Es lag etwas Komisches in dieser hastigen Vorstellung, aber wenn dies Steinfels auch fühlen mochte, so besaß er doch Takt genug, um es sicher in keiner Weise merken zu lassen. Er verbeugte sich mit dem vollendeten Anstand eines Mannes von Welt, und wandte sich dann mit einigen entschuldigenden Worten über sein verspätetes Eintreffen an Rettig, welcher in sehr höflicher
Weise antwortend zu verstehen gab, daß inan das Fehlen eines so ausgezeichneten Mannes ja nun nicht länger zu beklagen Ursache habe.
Inzwischen hatte sich um die Beiden ein Kreis neugieriger Jünglinge und Dämchen gebildet, welche in bewunderungswürdiger, kleinstädtischer Einfalt den Fremden mit offenem Munde, als wäre er eine Art Wunderthier, anstarrten. Dieser schien auch hiervon nicht im Mindesten unangenehm berührt. Er sagte dem Rentier, daß er sich freue, in heiterer, angenehmer Gesellschaft einen vergnügten Abend zubringen zu können und bat, ihn mit den hervorragendsten Persönlichkeiten bekannt zu machen.
Etwas Erwünschteres konnte dem Rentier nicht kommen. Er beeilte sich, seinem Gaste rasch hintereinander Bürgermeister, Kämmerer und Apotheker vorzustellen. Steinfels hatte jedoch kaum Zeit gehabt, mit den Herren einige verbindliche Worte zu wechseln, als Rettig, der fortwährend auf Kohlen zu tanzen schien, auch schon wieder mit der Frage an ihn herantrat: „Gestatten Sie mir, Herr Steinfels, daß ich Sie meiner Familie vorstellen darf?" — Der Gefragte hatte Nichts dagegen, und so führte ihn Rettig zu seiner Frau und Tochter, welche letztere den Gast mit einem liebreichen Erröthen empfing und sogleich ein Gespräch mit den von einem reizenden Lächeln begleiteten Worten einleitete: „Wir haben sie schon längst erwartet, Herr Steinsels! Hofften Sie schon beim Garten-Concert zu begrüßen."
„Es thut mir leid, daß ich dem nicht entsprechen konnte", entgegnete der Angeredete, „ich beabsichtigte von vorn herein, das Conzert zu umgehen, weil ich derartige Musik nicht liebe. Ich hatte mich überdem in meine Studien vertieft, und so war es in der Thal etwas spät geworden."