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Politische Nachrichten.

Die Erö^nung äe8 Keicii8tul;8.

Der Reichstag wurde heute durch den Staatssekretär v. Bötticher mit folgender Rede eröffnet:

Geehrte Herren! Se. Maj. der Kaiser haben den Reichstag zu berufen geruht, um Ihnen den mit der königl. spanischen Negierung vereinbarten Handels- und Schifffahrtsvertrag zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung vorzulegen. Eine Einigung beider Negierungen über diesen Vertrag ist erst nach dem Schluffe der letzten Reichstagsfession zu Stande gekommen. Daß der Abschluß sich so lange verzögerte, beruhte auf Hindernissen, deren Besei­tigung erst in Folge längerer und schwieriger diplomatischer Verhandlungen gelang.

Aus dem Vertrage ergeben sich für die deutsche Einfuhr nach Spanien wichtige Zollermäßigungen, und seitens der betheiligten deutschen Industrie wurde der dringliche Wunsch kundgegeben, daß diese Zollerleichterungen als­bald in Kraft treten möchten. In voller Würdigung der hierbei in Betracht kommenden wirthschaftlichen Interessen haben die verbündeten Regierungen es sich angelegen sein lassen, den zweckmäßigsten Weg zu finden, um diesem Wunsche zu entsprechen. Sie haben sich dabei zu der Auffassung geeinigt, daß aus Grund diplomatischer Verständigung zwischen den beiden Vertrags­mächten eine vorläufige Inkraftsetzung der vereinbarten Zollermäßigungen unter Vorbehalt der für die definitive Giltigkeit des Vertrags erforoerlichen Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags zu. geschehen habe und daß für die darin liegende Abweichung von den Bestimmungen der Verfassung, die Indemnität bei den gesetzgebenden Körpern demnächst nachzusuchett sein «erde.

Die nachträgliche Zustimmung des Reichstags sobald als thunlich her­beizuführen, wurde dabei von vornherein um so mehr ins Auge gefaßt, als kein Zweifel darüber bestand, daß für die betheiligten Kreise die volle Ge­wißheit über die rechtliche Geltung des Vertrags im Interesse der Sicher­heit ihrer geschäftlichen Dispositionen von hohem Werthe sei.

Gleichwohl stand der sofortigen Berufung der Reichsvertretung die durch die Jahreszeit bedingte Rücksicht auf die persönliche Belästigung der im laufenden Jahre ohnehin ungewöhnlich in-Anspruch genommenen Mitglieder derselben gegenüber und hielt Seine Majestät'der Kaiser sich zu dem Ver­trauen berechtigt, daß das unter den verbündeten Regierungen bestehende

Einverständniß über die Behandlung des Vertrages auch bei allen Parteien im Reichstage vorhanden sein werde.

Der unerwartete Umstand, daß nicht nur vereinzelte Stimmen, sondern die Organe weiter Kreise übereinstimmend gegen die Abweichung von dem Buchstaben der Bestimmungen der Verfassung Klage erhoben und dem in den anderen Verfassungsstaaten thatsächlich in Uebung stehenden Princip eines Indemnitäts-Verfahrens jede Anwendbarkeit auf die Reichsverfassung bestritten haben, hat Se. Maj. der Kaiser indessen den Anlaß gegeben, die der sofor­tigen Einberufung entgegenstehenden Bedenken zurücktreten zu lassen.

Der Vertrag wird Ihnen unverzüglich mit dem Antrags zugehen, dem­selben, sowie der ermähnten vorläufigen Ermäßigung einzelner Zollsätze, die verfassungsmäßige Zustimmung zu ertheilen. Mit Allerhöchster Ermächtigung erkläre ich im Namen der verbündeten Negierungen den Reichstag für eröffnet.

Reichstag. Sitzung Mittwoch 29. Aug. Vor stark besetztem Hause und gefüllten Tribünen betrat der Staatsminister v. Bötticher mit mehreren anderen Bevollmächtigten um 2 Uhr den Saal und verlas die Er­öffnungsrede, (s.- oben) welche die Vorlage des spanischen Handelsvertrages, der internationalen Fischerei-Convention und einer Jndemnitütsvorlage wegen der vorläufigen Inkraftsetzung des spanischen Handels-Vertrages ankündigt; er erklärt hierauf die außerordentliche Session des Reichstages für eröffnet. Präsident v. Levetzow bringt ein dreifaches Hoch auf Se. Majestät den Kaiser aus und übernimmt den Vorsitz. Der Namensaufruf ergibt die Anwesenheit von 260 Mitgliedern. Neu gewählt sind seit dem Schluß der vorigen Session die Abg. Bebel, Maler, Schenk undHänel. 7 Mandate sind noch vacant." Der Präsident beraumt die nächste Sitzung, nachdem das Präsidium der vorigen Session per Acclamation wiedergewählt ist, auf Donnerstag 12 Uhr an. Tages-Ordnung: Erste event. zweite Ve- rathung des spanischen Handels-Vertrages. Schluß 3 Uhr.

Ueber die jüngst stattgefundene Beerdigung des Sozialistenführers Lehmann in Pforzheim schreibt die Reichspost:bei derselben, die ohne Assistenz eines Geistlichen vor sich ging, traten ca. 8 sozialdemokratische Vertreter als Redner mit Lorbeerkränzen auf. Ueber den Inhalt ihrer Reden, die natürlich sehr weit abstanden von dem, was sonst an Gräbern zu Trost und Mahnung gesagt wird, wollen wir wegsehen. Als eine für die Zukunft nicht zu duldende Entweihung einer geheiligten Stätte aber müssen wir es bezeichnen, daß nach den einzelnen Reden jedesmal lauter Bravoruf erschallte.

Kissingen, 30. Aug. Fürst Bismarck verlieb bei sehr gutem Aussehen mit seiner Gemahlin und seinem Sohne, dem Grafen Herbert, gestern Abend 8-^/4 Uhr Kissingen, um sich nach Ga st ein zu begeben. Auf dem Bahnhofe wurde er mit lebhaften Hochrufen begrüßt.

England. ,

London, 29. Aug. Das Reutersche Bureau meldet aus Shang - h a i von heute: Bon der chinesischen Regierung werde eine neue Truppenabtheilung von 2000 Mann nach Kanton geschickt und die

euikketon.

(Nachdruck verboten.)

Der Sohn des Köerwirths.

Kriminal-Novelle von Karl Zastrow.

(Fortsetzung.)

Das war der Sonnenstrahl im Leben des Märtyrers, die Blume Wunderhold, die ich suchte."

Vorsichtig löste ich das Bild aus der Papiereinfassung und nahm die Rückseite in Augenschein. Sie trug die Firma und Wohnort des Photogra­phen. Als letzterer war die Stadt angegeben, in deren Nähe das Verbrechen stattgefunden hatte und welche seitdem als Mittelpunkt aller Erörterungen und Verhandlungen fungirt hatte. Unter der Adresse des Photographen machten sich einige Zellen in feiner zierlicher Schrift bemerkbar, offenbar von der Hand des Originals 'herrührend.

Nicht ohne Anstrengung vermochte ich die kleinen eng znsammen- gerückten Buchstaben zu entziffern. Das Bild liegt bereits wieder an seiner Stelle, allein der Vers haftet unverwischt in meinem Gedächtniß:

Vergiß mich nicht, wenn auch das Herz Dir bricht!

Dein Geist wird ieben, darum vergiß mich nicht!

Dein Werk wird leuchten wie das Sonnenlicht,

Weil nie mein Herz das Wort:Vergessen" spricht I

Betty Winterfell.

Das Räthsel war gelöst. Wie Schuppen fiel's mir von den Augen. Ich glaubte plötzlich klar zu sehen. Ich reiste mit dem Abendzuge nach dem alten gemüthlichen Städtchen, in dem ich unmöglich geworden war, zurück und suchte am folgenden Morgen in aller Frühe den Photographen auf. Ich erfuhr von ihm Alles, was mir für den Augenblick zu wissen nöthig schien. Der Bankier Berthold Winterfeld war eine in allen Kreisen beliebte und geachtete Persönlichkeit. Obgleich er ein stattliches Haus besaß, wohnte er doch den größten Theil des Jahres hindurch auf seiner schönen, bequem eingerichteten Villa, welche ungefähr eine Meile von der Stadt entfernt in einer waldigen Berggegend erbaut war.

Man erfuhr nicht viel über ihn. Er führte mit seiner Gattin und seinem reizenden Töchterchen Betty von achtzehn Jahren ein idyllisches Still­leben. Betty war seit ungefähr vier Monaten mit einem der reichsten Guts­besitzer der Gegend verheirathet. Man wollte jedoch wissen, daß die Ehe keineswegs eine vollkommen glückliche sei, insbesondere sehe die junge Frau sehr blaß und traurig aus.

Ich wußte genug. Immer klarer wurde es in mir und immer fester gestaltete sich in mir der Plan, der einen Unschuldigen vom Tode retten und mir den Weg zum Glück bahnen sollte. Ich miethete einen Wagen und fuhr nach dem ungefähr zwei Meilen von der Stadt entfernten Gute Alexander­hof, welches dem Herrn v. Friedberg, dem Gatten der jungen Dame, gehörte.

Mein Augenmerk mußte vor allen Dingen darauf gerichtet sein, die junge Frau allein sprechen zu können. Ich stieg in dem zum Gute gehören­den Dorfe ab und pries den Zufall, als ich erfuhr, daß Herr v. Friedberg in Geschäften nach der Residenz gereist sei.

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