338

Oesterreich.

In dem Verhältnis der Deutschen und Czechen scheint sich seit den jüngsten Wahlen zum böhmischen Landtag eine Wandlung vorzube­reiten, welche in den politischen Kreisen Oesterreichs mit gespannter Aufmerk­samkeit verfolgt wird. Am 12. d. wurden in Prag die Wahlen in den böh­mischen Landes-Ausschuß vollzogen, und zwar gingen dieselben in gegenseitigem Einverständnisse zwischen Deutschen und Czechen vor sich. Die Czechen stimm­ten in der Stadtkurie für die deutschen Kandidaten, und die Deutschen in der Gemeindekurie für die Czechen. Ueberdies stimmten bei der Wahl aus dem ganzen Hause beide Nationalitäten für Dr. Waldert, welcher unter dem Beifall des Landtags nahezu einmüthig gewählt wurde.

Frankreich.

Eine für die Franzosen vermuthlich etwas unbehagliche Nachricht wird aus Hongkong vom 13. gemeldet. Danach wären 3000 Mann chine­sischer Truppen von Kanton nach Ganchan, an der Grenze von Tonkin, beordert worden. Mit anderen Worten, China verräth stark die Absicht, sich mit den Waffen in die Tonkinfrage ein­zumischen trotz Challemel-Lacour's rosigen Hoffnungen. Da glücklicher Weise die französische Kammer noch beisammen ist, so könnte es leicht an­läßlich dieses Gerüchtes nochmals zu einer Verhandlung kommen, welche nicht mit einem Vertrauensvotum für das französische Ministerium eben dürfte.

Afrika.

Am 26. Juni langte, wie aus Natal gemeldet wird, der Post­dampferTaymouth Castle" (Eigenthum der Herren Donald, Currie u. Co. in London) auf der Höhe von Tamatave an. Ein französischer Officier vom Admiralschiffe enterte den Dampfer und benachrichtigte den Capitän desselben, daß die Franzosen von Tamatave Besitz genommen hätten, daß alle Schiffs­geschäfte durch sie verrichtet werden müßten und daß nur der Capitän lan­den könnte. Die Paffagiere durften nicht ausgeschifft werden und die Lad­ung konnte nur gegen Zahlung des Zolles gelöscht werden. Ein Wachtposten wurde an Bord des Dampfers stationirt. Die für Madagaskar bestimmte Post wurde vom französischen Admiral abverlangt und die mittelst des Dampfers nach Europa gesandten Briefe u. s. w. gingen ebenfalls durch seine Hände. DerTaymouth Castle" führte in Folge dessen die für Mada­gaskar bestimmten Paffagiere und Frachtstücke nach Mauritius, wo dieselben gelandet wurden.

Tages - Neuigkeiten.

S t ut tg art, 13. Juli. (Schwurgericht.) 13. Fall. Anklagesache gegen den ledigen Metzger Johann Jakob Vötterle von Gültstein, O.-A. Herrenberg, wegen Körperverletzung mit nachfolgendem Tode. Der Fall selbst dürfte manchen Lesern noch bekannt sein. Am 28. Januar wurde bei einem Tanzvergnügen im Adler in Gaisburg die Frau des Taglöhpers Grötzinger, Barbara, eine 52 Jahre alte Person, gelegentlich einer Rauferei die nach der Hausflur führende Treppe hinabgeworfen und zwar so unglück­lich , daß sie mit dem Hinterkopf auf den Steinboden aufschlug. Die be- dauernswerthe Frau kam nicht wieder zum Bewußtsein und starb wenige Stunden nach dem Vorfall. Wie sich herausstellte, hatte die Sorge um ihren in die Schlägerei verwickelten Sohn Simon Gr. nach dem unheilvollen Tanzboden getrieben. Als Thäter wurde eruirt der obengenannte Vötterle und als Anstifter der Adlerwirth Theurer in Gaisburg, welch letzterer aber in Bälde wieder außer Verfolgung gesetzt wurde. Es blieb somit nur Vöt­terle in Haft, der in Folge krankhafter Erscheinungen am 6. April in das Katharinenhöspital gebracht wurde, am 9. April aber auf listige Weise, aber beinahe gänzlich unbekleidet, flüchtig wurde. Schon am 3. Mai wurde V. wieder beigebracht, unter Anzeichen, die darauf schließen ließen, daß er sich auf widerrechtliche Weise Kleider verschafft habe und zwar in Kornthal. Der Diebstahl wird ihm aber heute nicht zur Last gelegt. Während seiner etwas verstärkten Haft versuchte es Vötterle mit anderen Mitteln sich außer Verfolgung zu setzen. Er simulirte Geisteskrankheit und benahm sich in hohem Grade auffallend und brachte es wirklich so weit, daß er zu fernerer Beobachtung wieder ins Spital gebracht wurde. Der Simulant wurde in Bälde entlarvt und wieder ins Justizgefängniß verbracht. Von alledem will

V. heute kein Wort inehr wissen, wie er sich sdenn auch der Geschichte im Adler absolut nicht mehr zu erinnern weiß. Ein etwas besseres Gedächtniß aber haben 4 Zeugen, die den Beweis liefern, daß Vötterle die um ihren Sohn besorgte Frau G. an der Brust zurück stieß, nach der Thüre'drängte und ihr hier einen Fußtritt gegen den Leib gab, daß sie die Treppe hinab fiel. Dabei soll eine Stimme gerufen haben:Schmeiße das Lumpenpack hinaus." Frau G. kam, wie bereits erwähnt, nicht mehr zum Bewußtsein und verschied wenige Stunden darauf. Die Sektion ergab einen enormen Bluterguß ins Gehirn und eine schwere Verletzung desselben, wie das Gut­achten des O.-A.-Wundarztes Dr. Elben beweist. Den Geschworenen wurde nur eine Frage auf Körperverletzung mit nachfolgendem Tod vorgelegt. Auf die Bitte des Vertheidigers, Rechtsanwalt Dr. Häußler, kam noch eine zweite, auf mildernde Umstände lautend, hinzu. Vornehmlich gegen diese da die Körperverletzung konstatirt sei, wendet sich die Staatsanwaltschaft und bittet, der entsetzlichen Rohheit wegen, um Verneinung der 2. Frage. Hiegegen wendet sich wiederum die Vertheidigung. Für sie ist die Thäter- schaft noch nicht bewiesen und bittet selbst die Geschworenen, sich namentlich nicht durch die dummen Geschichten des V. in ihrem Urtheil beeinflussen lassen. Wie immer auch liege hier eben ein Unglücksfall vor, in dem Sie Frau G. nicht ganz frei von Schuld zu sprechen sei, da sie ja gar nicht- auf dem Tanzboden zu thun gehabt habe. Eine Körperverletzung habe B. weder gedroht noch beabsichtigt und gerade deshalb seien,, wenn irgendwo hier mildernde Umstände angezeigt. Die Geschworenen theilten diese Aus­fassung nicht. Sie bejahten die Schuldfrage und zwar ohne Milderung-- gründe. Die Staatsanwaltschaft beantragte eine Zuchthausstrafe von 4 Jahr 6 Monat. Das Urtheil lautete auf 5 Jahre Zuchthaus der Rohheit und Gefährlichkeit der That wegen, der sie aber 4 Monate Untersuchshaft in Abzug bringen. Außerdem wird 5jähriger Ehr-Verlust gegen V. ausgespro­chen. Es dürste noch beizufügen sein, daß der Militär-Leumund des V. der beste nicht ist. Das Urtheil hörte derselbe mit der größten Ruhe an. We­niger damit einverstanden war der Mann der Verunglückten, der Vötterle gern Galgen und Rad an den Hals gewünscht hätte.

vv. 0. Von dem Raubmörder Hetze! ist noch immer keine Spur aufgefunden. Es ist daher, da bisher tägliche Streifen in der Umgegend Stuttgart in Feld und Wald stattgefunden haben, sehr wahrscheinlich, daß der Verbrecher längst in fremde Länder über See sich zu retten verstanden hat. Es dürste dies schon aus dem Grunde nicht Wunder nehmen, weil der Verbrecher als früherer Schiffskellner, Matrose u. s. w., Mechaniker, Heizer, leicht Gelegenheit auf Schiffen zu entkommen, gefunden haben kann.

W. 6. Die Gerichts-und Gymnasiumsferien haben nun ihren Anfang genommen. Die elektrische Beleuchtung im Bahnhof ist theil- weise bereits erprobt und in Betrieb gesetzt worden. Die im K. Hoftheater wird jetzt in Angriff genominen werden.

Stuttgart. Von Graveur W. Mayer hier sind für das bevor­stehende Lutherjubiläum Luthermedaillen geprägt worden. Dieselben, größeren vergoldet, die kleineren versilbert, zeigen das Brustbild des großen Reformators mit der Umschrift:Eine feste Burg ist unser Gott." Die Rückseite enthält von Palmen umgeben die Worte: Zum 400jährigen Ge­burtstage Dr. Marthin Luthers.

Eßlingen, 14. Juli. Bezüglich der Restauration der Frauenkirche wurde gestern Abend von der aus Mitgliedern der Stiftungs-Kollegien, des Pfarrgemeinderaths und Kirchenbauvereins bestehenden Kommission mit Ober­baurath v. Egle aus Stuttgart Berathung gepflogen. Dabei wurde be­schlossen, bei den Stiftungskollegien zu beantragen, die Ober-Bauleitung sollte Oberbaurath v. Egle besorgen, die Ausführung in Regie erfolgen, die Steine zum Thurmhelm aus Bückeburg, das übrige Material aus Schlaitdorf be­zogen, und mit dem 1. April 1884 mit dem Bau begonnen und der ganze Thurm womöglich in einem Jahr vollendet werden. Das Gerüst aus Eisen hat sich Direktor v. Keßler zu liefern erboten. Die Kosten für Restauration des Thurms sind auf ca. 29,000 ^ veranschlagt.

Geislingen, 15. Juli. Unter zahlreicher Betheiligung, insbeson­dere aus den umliegenden Orten, wurde heute das Bezirksmissions- f e st gehalten. Als Redner traten auf Pfarrer Bentel von Amstetten, Mis­sionar Kritz aus Stuttgart, aus dessen Schilderungen über seinen Aufenthalt

höhten Posten und schaute weit hinaus auf die flimmernde See. Ein paar grüne Lichter zuckten im Vordertheil des Schiffes auf und ihre Reflexe spiel­ten irrwischartig über die Wellen hin.

Die Schatten des Abends umpfingen Meer und Land und hüllten auch die Seele des jungen Beamten allmälig in dichtere Finsterniß. Eine brennende Unruhe folterte ihn, die aus der Unklarheit seiner Entschlüsse entsprang. Im Innersten seines Herzens glaubte er einen glücklichen Ausgang des Unter­nehmens nicht mehr.

Endlich verfügte auch er sich in die Kajüte hinab, um einige Stunden der Ruhe zu pflegen. Ein Gewirr von Stimmen und ein wildes Hin- und Herrennen erweckte ihn am Morgen. Noch halb im Traume kletterte er aufwärts. Wie ein graues von weißen Blitzen durchschossenes Nebelchaos lag die See vor ihm, aber zu seiner Rechten hoben sich die prächtigen archi­tektonischen Umrisse glänzender Häuserreihen empor, schlanke Thürme streckten sich schnurgerade in die klare Atmosphäre hinein und schienen die Pfeiler zu bilden zu dem leuchtenden Himmelsdom, der sich in wunderbarer Klarheit über dem schöngeschnitzten Baugemälde hinstreckte.

Und nun mäßigte das feuer- und segelgeschwellte Schiff seinen kühnen Flug. In graziöser Wendung legte es neben der weiß schimmernden Land­ungsbrücke bei. Ein schrilles Rauschen aus seiner tiefen Brust herauf über­tönte die lauten Begrüßungsrufe der am Ufer Harrenden und der Ankom­menden. Taschentücher wehten in dem klaren thaufrischen Morgen hinein, Ausrufungen, Fragen, ein buntes Durcheinandergewirr von Welsch und Deutsch, erklangen auf's Neue, und mitten durch all' diese Bewegung schritt hoffnungs­los und mit sich selber grollend der junge Mann, den sein übertriebener

Diensteifer in ein fremdes Land und in fremde widerstrebende Verhältnisse geführt hatte.

Wie unheimlich erschien ihm die in's graue Morgengewand gehüllte dänische Hauptstadt! Wie klein, wie unsäglich thöricht kam er sich auf dieser fremden Scholle mit seinen überspannten Hoffnungen, mit seinem glühenden ungebändigten Ehrgeiz vor. Da schritt er nun planlos in die einsamen Straßen hinein und lachte laut auf in schneidendem Hohn bei dem Gedanken, von fremdem Lande aus die Spuren ein Verbrechens verfolgen zu wollen, das im Vaterlande verübt worden. Nach langer erinüdender Wanderung stand er vor einem Hause still, das sich durch sein Schild als Gasthaus kundgab. Dem Pochenden wurde bereitwillig geöffnet. Er bestellte ^in Zimmer, machte so gut es ging Toilette, frühstückte und durchwanderte dann auf's Gerathewohl die Stadt.

Noch konnten die schriftlichen Mittheilungen aus der Heimat nicht ein­getroffen sein. Es war also unnöthig, auf der Post nachzufragen. Hatte es überhaupt noch einen Zweck? Von Swinemünde aus stand dem Flücht­ling ja die Welt offen, und die telegraphischen Blitze, welche zu Lande den Boden unter den Füßen des Verbrechers brennen machen, haben auf dem Meere ihre fürchterliche Gewalt gänzlich verloren. Sicher war er bereits in einer neuen Verkleidung auf dem Wege nach Hamburg, Bremen, Amerika, Gott weiß wohin

Alles dies ging dein Beamten durch den Kopf, als er durch die Gaffen schleuderte. Erst als er für die Schönheiten und Eigenthümlichkeiten der Seestadt ein freieres Auge gewann, fühlte er den Druck von seiner Seele schwinden und kam zur Ruhe mit sich selbst. (Forts, folgt.)