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ist es, daß in Württemberg keine Stadt von der Größe Calw's in öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen Gleiches bietet wie Calw; wurden durch diese Einrichtungen, die seiner Zeit Niemand bekämpft hat, Ausgaben auf die Stadt übernommen, so müssen wir auch die Folgen davon tragen und diejenigen Lasten übernehmen, die sich eine große Anzahl von Städten auferlegen muß. Beseitigung dieser Einrichtungen wäre ein Rückschritt in der Cultur und neben der geistigen Einbuße ein großer materieller Schaden. Niemand hat bis jetzt den Metzgern verwehrt, den Betrag der Consumsteuer voll und ganz den Consumenten aufzurechnen und daß sie dieß gethan haben, beweisen die seitherigen Fleischpreise, es ist deßhalb von ihnen nicht wohl gethan, daß sie mit Ungestüm eine Agitation fortsetzen, wie sie unseres Wissens in keiner Stadt Württembergs existirt und wie sie mehr und mehr Erbitterungen und sonstige nachtheilige Folgen nach sich zieht. Macht die ökonomische Lage der Stadt in einigen Jahren es möglich, die Taxen für Fleisch und dann aber auch gleichzeitig für Bier zu vermindern, so wird gewiß Jedermann gerne die Hand dazu bieten. Diesesmal war es — wenn man die Interessen sämmtlicher hiesiger Steuerpflichtigen und nicht blos einer einzigen Klasse derselben ins Auge faßt — unmöglich!"
— Wenn man heute durch unsere Wälder streifend, immer mehr die Ueberzeugung gewinnt, daß urwüchsige Stämme selbst in unserem Schwarzwald mindestens zu den Seltenheiten gehören, so können wir nicht umhin, auf eine im Staats wald Weckenhardt, Revier Hirsau, in der Nähe von Naislach, vor Kurzem gefällte Weißtanne aufmerksam zu machen ; dieselbe hat 25 m Länge, 69 cm mittleren Durchmesser, der am Ende wo die Tanne beim Füllen gebrochen, noch 49 cm beträgt. Welche, die sich für den Koloß, der bei 9Vz Festmeter ca. 125 Ctr. wiegen und ein ungefähres Alter von 200 Jahren haben dürfte, interessiren, wird ohne Zweifel über Ort und Lage bereitwilligst Auskunft im Hirsch in Würzbach.
'tV. 6. Stnttgart, 11. Juni. S. M. der König ist am Samstag Mittag 1 Uhr wohlbehalten und vom Jubel der Bevölkerung begrüßt in Friedrichshafen eingetroffen.
— Die Leichtfertigkeit in Behandlung von Schießgewehren hat gestern Mittag wieder ein gräßliches Unglück herbeigeführt. Das 21jährige Dienstmädchen Lebedow des vor Kurzem aus Paris hiehergezogenen und in der Villa Arnold im Staffelnberg wohnenden russ. Obersten v. Rodsianko, Attache bei der hies. russ. Gesandschaft, hatte den Befehl ertheilt, einen Revolver, den er bisher im Nachttischchen liegen hatte in einen verschlossenen Schrank in seinem Arbeitszimmer zu schaffen. Derselbe war geladen aber in eine Ledertasche eingehüllt. Die Lebedow, die es zu besorgen hatte, hatte die Schießwaffe aus der Tasche herausgenommen und sie, wie es früher allerdings der Fall gewesen, nicht geladen glaubend damit gespielt. Plötzlich entlud sich die Waffe und gieng dem dabei stehenden Kammerdiener Sar - ring in die rechte Schläfe, so daß er sofort todt niedersank. Der Schmerz des Mädchens ist grenzenlos.
Tübingen, 11. Juni. Das mit Hagel verbundene Gewitter vom letzten Freitag, welches unsere Markung so glücklich verschonte, hat leider die Gemarkungen von Kirchentellinsfurth, Dörnach, Gniebel, Waldsdorf, besonders schwer aber Rübgarten heimgesucht. Der Schaden der Einwohner des letzteren Orts an Feldfrüchten, Obst rc. soll sehr bedeutend sein und dürfte doppelt schwer von denselben empfunden werden, als Rübgarten auch voriges Jahr vom Hagel nicht verschont geblieben ist. — Gestern früh drohte uns ein Brand, der, wenn nicht noch rechtzeitig entdeckt, sehr gefährlich hätte werden können. Im Küchenkamin der Restauration zum Hadel hatten sich einige Balken entzündet. Unmittelbar über der Küche schlief der Bruder der Besitzerin; dieser erwachte gegen 4 Uhr und fand sein Zimmer ganz mit Rauch angefüllt. Zum Glück war derselbe vom Rauch noch nicht betäubt, erkannte sofort den Ernst seiner Lage, sprang vom Bett auf, weckte rasch die übrigen Bewohner des Hauses und konnte mit Hilfe derselben das Feuer noch rechtzeitig löschen.
Fünfkirchen, 7. Juni. Ein furchtbarer Unglücksfall hat sich hier gestern Nachmittags um 5 Uhr ereignet. Die hiesige Centralsparkasse Besitzerin des Zsolnay'schen Bazargebäudes, läßt im anstoßenden Hofe einen zweistöckigen Neubau aufführen. Um' die erwähnte Stunde ertönte plötzlich eine Detonation, eine Mittelmauer und ein kleiner Rest der Hauptmauer
des großen Gebäudes waren eingestürzt, rissen im Sturz das Gerüst mit und verschütteten sowohl Maurer als Handlanger. Mit Blitzesschnelle machte die Schreckensnachricht die Runde und Alles lief herbei, um zu retten; nach anstrengender Arbeit wurden elf Personen aus dem Schutt gezogen, wovon zwei lebensgefährlich, die neun anderen mehr oder weniger verletzt sind, alle übrigen Arbeiter kamen mit Hautabschürfungen, unbedeutenden Quetschungen und mit dem bloßen Schrecken davon. Erhöhte Theilnahme erweckt es, daß auch der Bruder des Bauunternehmers, Carl Piacsek, der die Aufsicht über den Bau hatte und der vor Kurzem geheirathet, lebensgefährlich darniederliegt. Eine Viertelstunde vor der Katastrophe befand sich auf dem eingestürzten Gerüste der Direktor und ein Direktionsrath der Zentralsparkasse. Die sofort auf dem Unglücksplatze erschienene polizeiliche Kommission konsta- tirte als Hauptursache des Einsturzes die Mangelhaftigkeit des Mörtels, da derselbe zu wenig Kalkbeimischung hatte. Einer der verwundeten Maurer ist im Spital gestorben.
Heilbronn, 10. Juni. Am 13. d. M. werden es 50 Jahre, daß der Postamtsvorstand unserer Stadt, Postrath Megerlin, in den Dienst der damals fürstl. Thurn und Taxis'schen Postverwaltung und zwar zur „reitenden Post" eintrat. Diesen im Postdienst so seltenen Tag öffentlich zu feiern, hat der verehrte, in merkwürdig guter körperlicher und geistiger Gesundheit stehende 69jährige Jubilar bescheiden abgelehnt. Er hat, wie nicht leicht ein anderer, es verstanden, die Anforderungen des Postdienstes im Verkehr mit dem Publikum in richtigster Erkenntniß der Bedürfnisse und zur vollen Zufriedenheit desselben in Einklang zu bringen. Geehrt von der Einwohnerschaft, geliebt von seinen Beamten, ist dem Herrn Jubilar nur zu wünschen, daß er in ungeschwächter Gesundheit noch Jahre lang seinen verantwortungsvollen Posten im Dienste des Publikums zu versehen im Stande sein möge.
Vermischtes.
— Asiatischer Besuch ist in Berlin zu erwarten. Vor etlichen Tagen trafen mit dem Dampfer „Colomb", von Indien kommend, für Herrn Ha- genbeck in Hamburg eine Gesellschaft Carnax (Singalesen) von Ceylon, bestehend aus 20 Köpfen, Männer, Frauen und Kinder, in Marseille ein. Dieselben führen zwölf Stück drefsirte Elephanten und fünfzehn dressirte Zebus mit sich. Die Leute sind schwarz, jedoch mit edlen angenehmen Gesichtszügen, nur mit dem Nothwendigsten bekleidet, und selbst dieses scheint ihnen lästig zu sein. Die Männer tragen das Haar lang und aufgesteckt wie die Frauen; das Haar halten sie sich mittelst aus Schildkrötenschale selbstgefertigter, halbrunder Kämme, wie in Europa wohl die Kinder tragen, auf der Stirn. Die Elephanten sind prächtig dressirt, einzelne tragen Baumstämme von etwa 40 Fuß Länge und l'/z Fuß Durchmesser, ebenso Hausteine von 2>/2 Fuß im Quadrat. Die Zebus, wovon das kleinste 26 ZF und das größte wie ein europäischer Stier groß und ausgewachsen sind, werden, dem Deutschen Tageblatt zufolge, in eigens dazu mitgebrachten zweirädrigen Wagen eingespannt und laufen mit guten Pferden um die Wette. Die Gesellschaft wird Marseille am 10. d. M. verlassen, sich etwa zwei Monate im Jardin d'Acclimatisation in Paris sehen lassen und von dort nach dem Berliner Zoologischen Garten reisen.
— Ueber esn merkwürdiges Exerzitium des russischen Gardekosaken-Regiments, welches bei Moskau in Gegenwart des Großfürsten Nikolaus und vieler fremder Offiziere stattfand, wird berichtet, daß die Exerzitien die kühnsten Kunststücke des Circus in den Schatten stellten. Das ganze Regiment jagte in vollem Galopp in aufgelöster Ordnung vorüber. Viele Mannschaften standen aufrecht im Sattel, andere auf dem Kopf mit den Beinen in der Luft, viele sprangen zu Boden und dann wieder in den Sattel in vollem Carrisre, Einige sprangen über die Köpfe ihrer Pferde hinweg, lasen Steine vom Boden auf und schwangen sich doch wieder in den Sattel. Während der Ausführung dieser Kunststücke schwenkten sie ihre Säbel, feuerten Pistolen ab, warfen ihre Karabiner in die Höhe und fingen sie wieder auf. Andere ritten paarweise vorüber mit einem Bein auf dem Pferde des Anderen stehend. Auf ein gegebenes Signal theilte sich das Regiment in zwei Theile. Eine Abtheilung ritt davon, die andere machte Halt, ließ ihre
Friseurspuppe, welche eine ebenso niedliche Dame in überaus kostbarer Toilette am Arm führte, ein junges Ehepaar, bester Sternberg, das allhier Ruhestation gemacht hat — auf der Hochzeitsreise nach Kopenhagen oder Stockholm begriffen — wohl dem, der's so haben kann! Ach, wenn ich doch anch erst so gestellt wär', daß ich heirathen und reisen könnte."
„Sie haben mir die fünfte Person noch nicht geschildert!" unterbrach Sternberg ungeduldig den eifrigen Schwätzer.
„Ja, die fünfte Person, mein bester Herr Sternberg, sehen Sie, auf die habe ich nicht sonderlich Acht gegeben, denn meine ganze Aufmerksamkeit war durch das interessante Liebespärchen in Anspruch genommen, welches kurz vorher zwei Billet erster Klaffe nach Stettin gelöst hatte und harmlos plaudernd in der Halle auf und ab schritt. Ich sage Ihnen, diese junge Dame — diese Gemessenheit in den Bewegungen, die Feinheit in dem ganzen Air hatte geradezu etwas Ueberirdisches."
„War der fünfte Passagier ein Herr oder eine Dame?" forschte der Kriminalbeamte glühend vor Erregung.
„Eine Dame, eine alte Schachtel, hochfrisirt und aufgeputzt wie ein Schaf, das zur Pfingstparade geführt werden soll! harte ausdruckslose, widrige Züge, so viel weiß ich noch."
„Wie klang ihre Stimme! Wie war ihr Exterieur?"
„So — so — aber was soll ich Ihnen sagen, Herr Sternberg, sie war wie alle Frauen, die ihre Vierzig auf dem Rücken haben. Ich habe mir absolut diese Person nicht genauer angesehen, während das junge Ehepärchen —"
„Ich danke Ihnen!" unterbrach der Polizeibeamte kurz und machte eine Wendung nach den Wartesälen.
„Bester Siernberg!" tief der Kassirer ihm nach, „ich erwarte Sie heute Abend zu einer Parthie Billard im Niepert'schen Restgurant vor dem Königsthor. Und noch Eines! Ich weiß, lieber Freund, Sie sind auf der Jagd nach dem Raubmörder des alten Berklitz begriffen. Aber soviel kann ich Ihnen sagen, unter den Passagieren, welche heute Morgen hier ihre Fahrbillete lösten, befand er sich nicht."
Der junge Polizist hörte nur mit halbem Ohr auf diese Worte. Sein Geist beschäftigte sich mit anderen Kombinationen. Er warf einen Blick auf den mit fetter Schrift gedruckten Fahrplan, welcher die Abfahrtszeichen der von Stettin abgehenden Dampfer enthielt und wandte sich dann in raschem Entschlüße an den Polizeisergeanten, den er zur Seite nahm.
„Melden Sie unserm Vorgesetzten," sagte er, „daß ich die Nachforschungen nach dem Mörder auf eigene Faust fortsetzen werde. Sagen Sie, daß Gefahr im Verzüge sei und ich mich daher genöthigt gesehen hätte, mit dem nächsten Zuge nach Stettin zu fahren, von wo aus ich weiteren Bericht erstatten werde. Alle Aufträge und Mittheilungen, die man mir zu machen hat, werde ich im dortigen Bahnhofs-Restaurant entgegen nehmen."
„Schön, Herr Kommifsarius," nickte der Polizist, „allein — darf ich mir auch eine Bemerkung in dieser Angelegenheit erlauben?"
„Sprechen Sie, wie Sie's meinen, lieber Kroll!"
„Herr Kommissär, Sie haben den Billetverkäufer genau nach den Passagieren des Stettiner Zuges befragt. Warum thaten sie nicht ein Gleiches hinsichtlich des Berliner Zuges?" (Forts, folgt.)