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unsere Allgäuer Race mit Auszeichnungen bedacht worden ist, indem sie sich schon auf den 2 letzten landwirthschaftlichen Hauptfesten in Cannstatt Preise geholt hat. Vielleicht liegt hierin für Branchen eine Ermunterung, sich diesem ausgezeichneten Viehschlage zuzuwenden, der auch in andern Gegenden des Landes sich durch seine unläugbaren guten Eigenschaften, Milchreichthum, Genügsamkeit in seinen Futteransprüchen, leichte Verwendbarkeit zum Zuge und Mastfühigkeit, sowie durch seine schönen Körpersormen immer mehr Anhänger erwirbt. Der landw. Verein von Gerabronn z. B. hat im vorigen Herbste 36 Kühe angekauft und aus mehreren größeren Gütern in der Nähe von Tübingen finden sich die Anfänge von Allgäuer Zucht, ebenso im Oberamt Reutlingen und Urach, ganz abgesehen vom württ. Oberlande der eigentlichen Heimath dieses Schlages, wo derselbe aber lange Zeit vernachläßigt wurde u. wo jetzt die Viehzüchter ernstlich und energisch bemüht sind, den alten guten Ruf desselben durch veredelte Zuchtrichtung wiederherzustellen. Auch im hiesigen Bezirke scheint die Zahl seiner Anhänger im Zunehmen begriffen zu sein, indem bei dem Verkaufe im letzten Herbste noch eine größere Zahl von Thieren Hütte abgesetzt werden können. Vielleicht ist es möglich, auch die damals unerfüllt gebliebenen Wünsche zu befriedigen, wenn dieselben rechtzeitig zur Kenntniß des landw. Bezirksvereins kommen und dieser sich hierdurch bestimmen läßt, noch einmal den Ankauf eines Transportes zu vermitteln.
u. 6. Stuttgart, 9. Juni. Mit dem in rascher Ausführung begriffenen Umbau des Königl. Hoftheaters zur Erhöhung der Feuersicherheit desselben und ganz besonders zur bedeutenden Möglichkeit rascher Entleerung im Falle eines Unglücks wird mit großer Gründlichkeit zu Werke gegangen. Vor der Hand ist man noch an den Demolirungsarbeiten derjenigen Theile die entweder ganz entfernt und durch andere ersetzt werden müssen oder die einer wesentlichen Aenderung bedürfen. Wer die Gelegenheit hatte einen Blick in das Innere zu werfen, so wie es jetzt ist, der erschrickt fast vor dem Umfang des Demolirten und begreift kaum, wie das so unterwühlte u. auSgehöhlte Gebäude nicht in sich selbst zusammenbricht. Dabei ist nur zubedauern, daß so viele Mühe und Kosten doch nicht vermögen, ein wirklich schönes und zweckmäßiges Gebäude herzustellen, wie es früher als „Lusthaus" ein Juwel deutscher Baukunst war.
— In Cannstatt fand gestern Nacht eine Versammlung des Neuen dort gegründeten Volsvereins unter dem Vorsitz des Vorstandes Bosse r t statt, wobei Hauptgegenstand der Besprechung die neuen Reichsgesetze über Krankheitsversicherungskassen und über Unfallversicherung waren. Natürlich waren unter den Anwesenden viele Sozialdemokraten von Stuttgart und Cannstatt, wie überhaupt der Cannstatter Volksverein zumeist aus Arbeitern besteht, die ihrer großen Mehrzahl mehr Sozialdemokraten als Demokraten im Sinne des Volksvereins sind. Auch zwei sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, Blos aus Reuß - Greiz und Dietz aus Hamburg waren unter den Rednern, die sich indeß alle ziemlich gemäßigt aussprachen und gegen das Krankenkassengesetz des Reichs nicht Schwereres einzuwenden wußten, als daß die ländlichen Arbeiter, d. h. die landwirthschaftlichen nicht mit eingeschlosfen seien. Ein Theil der Sozialisten nimmt diese Gesetze als einen Anfang der Verbesserung des Looses der Arbeiter dankend an. Entschieden dagegen ist der Hirs ch'sche Anhang, der überhaupt gar keine Hilfe vom Staat, sondern nur Selbsthilfe will.
Backnang, 8. Juni. Heute früh V-2 Uhr wurden wir durch Feuerlärm erschreckt. Bei Rothgerber Grub er in der sog. Walke war im zweiten Stock über der Gerberei, wo Rindenvorräthe geborgen waren, ein Brand entstanden, welcher, bis die Feuerwehr allarmirt war und aus der Stadt ankam, bereits so weit um sich gegriffen hatte, daß der östliche Theil des Hauses in vollen Flammen stand. Da die Wasserleitung diesen äußeren Stadttheil nicht berührt, mußte das Wasser durch den Hydrophor von der Murr herbeigeschafft werden und nachdem die Spritzen hiedurch Speisung erhielten, ging das Löschungswerk rasch vor sich. Das vor wenigen Jahren erbaute Anwesen hatte, da es ursprünglich zu einem Oekonomie- gebände eingerichtet und halbtheilig Scheune war, eine verblendete Mittelwand, welche das Feuer vom bewohnten Theil des Hauses abhielt. Zudem herrschte Windstille und die größeren Hofräume zwischen den Nachbargebäuden schlossen weitere Gefahr aus. Gruber ist versichert.
Geislingen, 8. Juni. Heute Nacht ist ein Drittheil der Weberei Kuchen abgebrannt. Der Schaden an Gebäuden und Zubehörden beträgt etwa 80,000 -/L. Der Rest der Weberei und die Spinnerei, welche vor 7
„Unergründlich — man sagt, es wäre dort einmal ein feuerspeiender Berg gestanden."
„Liegt ein Kahn am diesseitigen Ufer?"
„Ja. Er gehört dem Storchbauer, der die Fischerei gepachtet hat.
„Wird der Kahn häufig benutzt?"
„Selten! Der Storchbauer wohnt am jenseitigen Ufer und hat dort gleichfalls Kähne zur Verfügung."
„Also nach dem See!" befahl der Kommissarius, indem er sich ruhig in den Sitz zurücklehnte. —
Der Wagen rollte weiter. Nach wenigen Augenblicken verließ er das Steinpflaster der Landstraße und bog in den Seitenpfad ein nach dem See.
Langsam verfolgte indeß der Leiterwagen, welcher den Leichnam führte, feinen Weg. Der Schulze sah neugierig der pfleilschnell dahinschießenden Chaise nach^rno wandte sich dann mit einem gleichmütigen: „Da wird er auch nichts finden!" an den Marktmeister.
Dieser zuckte die Schultern. Als jedoch der kluge Ortsvorsteher ihm das Cigarren-Etui offerirte, und Jener beim Abbeißen der Spitze der Cigarre die Wahrnehmung machte, daß er es mit einem edlen Kraut zu thün habe, erwiderte er im geheimnißvollen Tone:
„Er ist soweit ein ganz kenntnißreicher junger Mann — hat studirt und weiß vielmehr als unser einer — ist auch aus guter Familie, wenn auch arm wie eine Kirchenmaus — wird aber nicht Carriöre machen im Polizeifach — legt zu viel Gewicht auf Nebenumstände und verliert darob die Hauptsache aus den Augen. Der Staatsanwalt hat das schon einige
Jahren abbrannte, wurde nur mit großer Anstrengung gerettet. — Eine andere Mittheilung lautet: Abends 8'/» Uhr brach in der Fabrik der „Süddeutschen Baumivollindustrie Kuchen" Feuer aus; dasselbe entstand in der an das Spinnereihauptgebäude anstoßenden Weberei und Schlichterei, die nebst der angrenzenden Spulerei größtentheils vernichtet wurden. Die Spinnerei ist unversehrt, wird jedoch in Folge Vernichtung einer Haupttransmission, die mit der Weberei zusammenhing, einige Betriebsstörung erleiden müssen. Ueber die Entstehungsursache des Feuers ist nichts bekannt.
Basel, 7. Juni. Gestern Abend zwischen 5 und 6 Uhr ist hier ein schrecklicher Fall von Erstickung durch Kloakengase vorgekommen. Metzgermeister Gasser, ein junger Mann, erst seit einigen Moltaten in Kleinbasel etablirt, wollte eine Cisterne, welche er als Ablagerungsort für die Abfälle von Gedärmen u. dergl. benutzte, leeren lassen, und da ihm bei Abheben des Deckels ein Stück desselben hinunterfiel, stellte er eine Leiter und stieg in das 25-30 Fuß tiefe Cisternenloch um das Stück zu holen. Zwei junge Maler, Gebrüder Carlsohn, welche anwesend waren, sahen den Mann plötzlich von der Leiter fallen, und in der Meinung, Gasser habe den Tritt verfehlt, betrat einer von ihnen sofort die Leiter, um nachzusehen, und den Gefallenen heraufzuholen Kaum war er etwa 10 Sprossen hinuntergestiegen, als ihn sein Bruder ebenfalls den Halt verlieren und in die Tiefe sinken sah. Schnell entschlossen und die schreckliche Gefahr nicht ahnend, eilte der andere nach und wurde von gleichem Schicksal ereilt. Die herbeigeeilten Leute beschlossen nun, die wahre Sachlage kaum noch erkennend, Jemanden an einem Seil hinunterzuschicken; einer der Metzgerknechte war sofort bereit, aber als derselbe in eine gewisse Tiefe kam, ließ er die Leiter los und konnte, wie eine leblose Masse am Seile hängend nur mit Mühe heraufgezogen und zum Leben zurückgebracht werden. Jetzt war jeder Zweifel verschwunden und mit Hülfe von Haken und gekrümmten Eisenstangen gelang es, die drei Leichnahme aus dem schrecklichen Pestloch heranszuziehen. Natürlich blieben alle Belebungsversuche ohne Erfolg. Man denke sich den Seelenzustand des Vaters Carlsohn, der anwesend war und nur mit Mühe verhindert werden konnte, in das Grab seiner Söhne hinunterzuspringen — und der jungen Wittwe des Metzgers, welche mit ihren Kleinen herbei eilte und ihren Mann nur noch als Leiche wiedersah!
Münche n, 6. Juni. Der des Todtschlags angeklagte Martin Sedl- meier hat heute bei seiner Verurtheilung zu 4 Jahren Gefängniß einen höchst peinlichen Auftritt veranlaßt. Nach der Publikation des Urtheils stürzte er sich ganz wüthend auf den Herrn Präsidenten und die Geschworenen, und konnte nur durch alle Kraftanstrengung von fünf Gendarmen gefesselt und gebändigt werden. Fluchend ging er dann zu dem im Hofe bereitstehenden Wagen.
Vermischtes.
— Eine komische Scene spielte sich während des Tumultes in Petersburg ab. An einer Stelle des Newsky gingen zwei junge Maschen, anscheinend Studenten. Ein betrunkener Arbeiter drängte sich an sie mit der Forderung, daß sie die Hüte abnehmen. „Wozu das, Väterchen?" meinte der eine der Beiden. — „Hut ab, ich will die Hymne singen". — „Nun sobald Du singst, nehme ich den Hut ab". Das leuchtet dem hin- und herwankenden Arbeiter doch ein, er stellt sich in Positur, sperrt den Mund weit auf und bemüht sich, „Gott schütze den Zar" zu brüllen; allein nur unartikulirte Laute dringen aus seiner Kehle. „Siehst Du nun, Väterchen," ruft der Student dem verblüfften Patrioten zu, „du kannst ja gar nicht singen!" Unbehelligt zogen die Beiden ihres Weges.
— Ein Prinz zum Tode verurt heilt. Im vergangenen Monat März kam Prinz Thibo Jhabo, ein Anverwandter des bekannten Königs Thibo von Birma, nach der englisch türkischen Stadt Rangun, um in einer Pagode zu opfern. Auf dem Wege zum Tempel hatte er jedoch irgend einen Wortwechsel mit seinen zwei Dienern, worauf er seinen Revolver aus dem Gürtel zog und die beiden Widerspenstigen auf der Stelle erschoß. Der Prinz wurde sogleich verhaftet. Am 28. April fand nun die Verhandlung gegen ihn statt und er wurde zum Tode durch den Strang verurtheilt. Auf fein telegraphisches Ansuchen an König Thibo, für ihn zu intervenirech erwiderte dieser, daß er für einen „Straßenmörder" keine Fürsprache einlegen wolle. Das Urtheil wurde nun zur Bestätigung an den Vicekönig von Indien nach Kalkutta geschickt. Der Prinz zählt erst 26 Jahre.
Mal gesagt. Ich hab's nicht glauben wollen — habe immer gedacht, es müsse ganz was Besonders mit dem jungen Menschen los sein, aber nun sehe ich doch, daß der Staatsanwalt Recht hatte." —
Unterdeß wand sich die Chaise mühsam durch den fußtiefen Sand, welcher den Weg in seiner ganzen Ausdehnung bedeckte und bald breitete die spiegelblanke geheimnißvolle Fläche des Sees sich vor den Augen des juUü Mannes aus. Er gab dem Polizisten einen Wink zu halten, und sckM dann in dem feuchten Kiesfande am Ufer entlang.
Mit leisem Plätschern schlugen die Wellen gegen das flache Ufer. Die schlanken, blaßgrün gefiederten Zweige der Weidenbäume, welche das Ufer einfaßten, wiegten sich in dem frischen Windhauch, welcher über den leise athmenden Wasserspiegel hinstrich. Die Mohnblumen streckten die rothen Kelche aus den grünen Fluten der Gras- und Sandhafer-Gestrüppe heraus und die feierliche Stille rings umher die nicht einmal durch den Flügelschlag eines Vogels unterbrochen wurde, gab dem umherspähenden jungen Manne die Gewähr, daß dieser Ort mehr als ein anderer geeignet sei, die Spuren eines Verbrechens in undurchdringliches Schweigen zu hüllen.
Langsam schritt er am Ufer hin, aufmerksam den feuchten Kiesboden musternd, bis er an die Stelle kam, wo ein grünangestrichener Kahn, an einen Pfahl gebunden, auf den Wellen schaukelte. Ein Ruf freudiger Ueberrasch- ung entschlüpfte Sternbergs Lippen, als er einige in dem weichen Schlamm deutlich abgedrückte Fußspuren gewahrte, welche direkt auf die Stelle zuführten, wo der Kahn lag.
(Fortsetzung folgt.)