Nro. 66.
58. Jahrgang.
Amts- unä Intelkigenzbkatt für äen Bezirk.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag.
Die Einrückungsgebühr betragt 9 H für die vielfältige Zeile oder deren Raum.
Abonnementspreis halbjährlich 1 80 L, durch
die Post bezogen im Bezirk 2 30 L, sonst in ganz
Württemberg 2 ^ 70 L.
Politische Nachrichten.
Deutsches Reich.
Reichstag. Sitzung Dienstag 5. Juni. Im Reichstage wurde die Zuckersteuer-Vorlage zu Ende berathen und die Kommissionsvorschläge im Wesentlichen beibehalten. Es sprachen Windthorst, Schwarzenberg (Fortschr.) und Büchtemann (Fortschr.) gegen, Bahl (Nat.-Lib.) und v. Minnigerode für die Vorlage. Das Haus trat sodann in die zweite Etatberathung ein und erledigte die Etats des Reichstages, des Reichskanzlers und der Reichskanzlei, und der Reichsjustizverwaltung ohne wesentliche Debatte.
— In der P e t i t i o n s k o m m i s s io n des Reichstags wurde bezüglich der Petionen wegen Aufhebung der Spielbank in Monako beschlossen, zu erklären, daß das Eingreifen des Reichs unthunlich sei.
Reichstag. Sitzung Mittwoch 6. Juni. Der Reichstag nahm die Reblausvorlage in dritter Lesung an. Eine Petition wegen Entschädigung für erlittene Verluste auf der Melbourner Weltausstellung wurde der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen und anläßlich der Petitionen über den Impfzwang eine Resolution angenommen, welche die weitere Untersuchung der Jmpffrage bezweckt. An den Petitions-Debatten betheiligten sich sä. I. Gutfleisch, v. d. Psetten, Sonne mann, Windthorst, von Minnigerode, Löwe- Berlin, und l)r. Dohrn. sck. U. Möller- Königsberg und Reiniger. Donnerstag 12 Uhr: Zuckersteuer und Etat. Schluß 6 Uhr.
— In Posen sind gegen 200 Soldaten des 46. Infanterie - Regiments plötzlich erkrankt. Wie behauptet wird, soll an 'einem Speisekessel Grünspan gewesen sein, wie andere behaupten ist in die Speise (Erbsen mit Schweinefleisch) Gift gekommen, welches für die Ratten ausgestreut war. Ein Gerücht, daß bereits 4 Soldaten der Erkrankung erlagen, entbehrt glücklicher Weise der Bestätigung.
Frankreich.
Paris, 5. Juni. Nach weiteren, beim Marineministerium eingegangenen Depeschen wurde der Ausfall von Hanoi, wobei Riviöre fiel, beschlossen, nachdem eine beleidigende Herausforderung des Oberanführers der schwarzen Flagge vorausgegangen. Der Ausfall erfolgte am 19. Mai. Die französische Truppenabtheilung wurde auf einer engen, fünfzig Meter langen Straße von dem im Bambusgebüsch versteckten Feinde mit Gewehrfeuer plötzlich angegriffen. Riviöre wurde getödtet bei dem Versuche, das an der Spitze seiner Truppen befindliche Geschütz zu retten. Dasselbe wurde gerettet. Der Rückzug erfolgte unter Befehl des Schiffslieutenant Merolles in guter Ordnung. Der Gesammtverlust der Franzosen beträgt vier Offiziere und elf Soldaten. Achtzehn Matrosen sind todt, sieben Offiziere, vierundzwanzig Matrosen und zwanzig Soldaten verwundet. Es ist gelungen, sämmtliche Verwundete nach Hanoi zurückzuschaffen. Die Gefallenen mußten
auf dem Gefechtsplatze zurückgelaffen werden. Der Verlust des Feindes ist. 113 Mann.
— Seit einigen Tagen werden im Stillen Vorbereitungen getroffen, um bedeutende Truppenmassen nach Hinderasien senden zu können. Es wird dies als Vorsichtsmaßregel bezeichnet, weil, wenn der Krieg zwischen Frankreich und dem himmlischen Reiche wirklich ausbrechen sollte, man sofort zum wenigsten 40,000 Mann nach Hinderindien schicken müßte. — Die „Agentur Havas" bringt heute beschwichtigende Nachrichten aus Tonkin. Indessen befürchtet man, daß es vor der Ankunft der aus Frankreich abgesandten Verstärkungen zu einer neuen Katastrophe komme.
Rußland.
— In Moskau macht der Erfolg eines deutschen Offiziers auf dem Gebiete des Sports viel von sich reden. Dem preußischen Lieutenant des 1. Großh. Mecklenburgischen 6. Dragoner-Regiments Nr. 17, v. Boddien, kommandirt zur Dienstleistung bei dem Chef dieses Regiments, dem Erbgroßherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin, war gestattet worden, an dem auf dem Chodinski-Felde stattfindenden Nennen theilzunehmen. Es ist aber gewiß ein eigenthümlicher Zufall, daß gerade ein Ausländer unter den in der Reitkunst hervorragenden Kreisen den Preis des Renners davontrug.
Moskau, 7. Juni. Gestern brachte die 52 Sänger starke deutsche Liedertafel Moskaus dem Kaiser und der Kaiserin im Kreml eine Serenade. Die Herrschaften waren im engsten Familienkreise und hörten den eine Stunde währenden Gesangsvorträgen mit großer Aufmerksamkeit zu. Im Ganzen wurden neun Piecen vorgetragen, darunter das namentlich von der Kaiserin gewünschte Lied „Wer hat dich, du schöner Wald". Das Ständchen eröffnete mit der dänischen und schloß mit der rufischen Volkshymne. Die Majestäten dankten dem Dirigenten, Professor Malin, verbindlichst. Die Mitglieder der Liedertafel nahmen demnächst im anstoßenden Saale das Souper ein.
St,i ttgart, 7. Juni.
In der Kammer der Abgeordneten ist noch am gleichen Tage, in der letzten 50. Sitzung eine Flugschrift zur Vertheilung an eine große Zahl von Mitgliedern gekommen, welche sich in sehr scharfer Weise gegen das Votum der Kammer auöspricht, durch welches der Malzsteueraufschlag auf 5 auch in dem Etat pro 1883/85 aufrecht erhalten worden ist und namentlich auch die „höchst ungerechte Steuer" auf den Hausverbrauch der Bierbrauer getadelt wird. Es wird in der Flugschrift ohne Zweifel in übertriebener Weise, gesagt, daß das Bierbrauerei-Gewerbe heute schon vor der Alternative stehe, bevor eine Masse Geld verloren gehe, lieber aufzuhöreu, als so fortzumachen, wo Jeder zufehen müsse, wie sein Vermögen abnimmt. Und ferner: daß die Vo lksv ertreter sich rühmen können, sie haben mitgeholfen, ein großes Steuergebäude des Staats niederzureißen und viele andere Existenzen und Familien von Haus und Hof verjagt und in Elend und Jammer gebracht zu haben."
Feuik^eton.
(Nachdruck verboten.)
Der Sohn des G1>erwirtl-s.
Kriminal-Nowelle von Karl Zastrow»
(Fortsetzung.)
„Nein, Herr Kommissarius, wie sollte ich das wohl wissen?"
„Wenn Ihr nichts wißt, so habt Ihr auch nichts zu lachen," verwies ihn Sternberg, worauf er an das Fenster trat, den einen Flügel aufriß und sich hinauslehnte. Das Fenster lag in einer Höhe von ungefähr acht Fuß über dem Erdboden.
Der Platz ,vor dem Hause war gepflastert. Unmittelbar unter dem Fenster zeigte der Erdboden die schwachen Spuren einer darauf geschütteten Flüssigkeit. Da diese Seite des Hauses Vormittags im Schatten lag, durfte es nicht Wunder nehmen, daß die angefeuchtete Stelle noch nicht ganz aufgetrocknet war. ^
„Seht dort hinunter!" rief der Beamte dem Knecht zu. „Der Mörder ist nach der That noch einmal in dieses Zimmer zurückgekehrt. Er hat also ein Interesse daran gehabt, seinen Aufenthalt in diesem Zimmer nach der That in ein Geheimniß zu hüllen. Die blutigen Fußstapfen auf dem Hausflur sind absichtliche — ich muß das Protokoll ändern."
Martin schien urplötzlich zur Bildsäule geworden, so unbeweglich stand er vor dem jungen blassen Manne. Sein plattes, stupides Gesicht hatte
einen ernsten Ausdruck angenommen, und die großen neugierig dreinschauenden Augen hingen jetzt mit unverholener Bewunderung an dem Kommiffarius der ruhig die Papiere auseinander gebreitet und sich zum Schreiben niedergesetzt hatte.
Wenige Striche und Worte genügten. Sternberg erhob sich wieder und trat noch einmal an das Fenster. Er untersuchte das weißangestrichene Fensterbrett, indem er sich tief aus dasselbe niederbeugte. Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des Beamten, als er sich wieder aufrichtete.
Martin hatte nichts Eiligeres zu thun, als dem Beispiel des Forschers zu folgen. Er verschlang die weiße Fläche mit den Augen und schüttelte den Kopf:
„Was hüben Sie denn da so genau angesehen, Herr Kriminalkom- missarius? Ich Hab doch auch gute Augen, find' aber nichts heraus!"
„Ist das Nichts?" lächelte der Beamte, indem er mit dem Zeigefinger auf einen Punkt des Fensterbrettes^ dtzutete, „sehen Sie sich.das Ding einmal genau an!"
Martin bückte sich auf den fraglichen Gegenstand nieder und schüttelte den struppigen Kopf. „Sie meinen doch nicht etwa das Härchen?" fragte er mehr betroffen als verwundert.
„Gewiß meine ich es!" versetzte der Beamte, „dieses Härchen sagt mir, daß der Mörder eine Umgestaltung seines äußeren Menschen vorgenommen hat. Er trug einen blonden Vollbart. Diesen hat er entweder gänzlich beseitigt oder sehr verändert."
Er hatte während dieser Worte ein Schwefelhölzchen angezündet und damit unter der Fensternische auf der Diele umhergeleuchtet. „Wollen Sie noch größere Beweise?" fügte er hinzu, indem er auf die bunt durcheinander