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ein, und macht die Gründe geltend, welche gegen die Einführung einer allgemeinen Weinkonsumtionssteuer sprechen. Präsident v. Hohl: Wenn in der allgemeinen Debatte auch auf einzelne Steuerarten Bezug genommen werden könne, so werde es sich doch empfehlen, nicht in Details einzugehen, weil sonst Wiederholungen nicht ansbleiben können. Ebner: Der rothe Faden, der die Steuerfrage durchziehe, sei die Frage der Herabsetzung der Malzsteuer. Redner hält eine Herabminderung der Steuer von 5 auf 4 ^ 40 H vom 1. April 1884 an für möglich und für nothwendig. Die gehoffte Ueberwülzung der Steuer von den Brauern auf das konsumirende Publikum sei uicht eingetreten, und damit habe sich gezeigt, daß die Steuer eine ungerechte sei. Wie die Deckung des Ausfalls (etwa 900,000 ^.) bewerkstelligt werden solle, darüber seien die Vorschläge der Regierung abzuwarten. Er glaube, daß von einer Erhöhung der direkten Steuern auf Grundeigenthum, Gewerbe und Gebäude nicht die Rede sein könne, ebensowenig von einer Erhöhung der seither schon hohen Capital- und Einkommensteuer. Am angenehmsten würde ihn die Erhöhung der Branntweinsteuer berühren. Ob diese Steuer so schnell ausgeführt werden könnte, daß diese Steuer schon vom 1. April 1884 an wirken würde, sei zweifelhaft. Gestern habe man gehört, daß man an den Matrikularbeitrügen 300,000 „1L erspare; ferner liegen der Kammer Nachexigenzen im Betrag von 600,000 vor, bei denen vielleicht erhebliche Ersparnisse gemacht werden können; endlich könne man von dem Zollalimentirungsfonds statt der 700,000 „1L etliche hunderttausend mehr holen. Endlich könnten die Strafen für Steuerdefraudation statt fortwährend in die Kasse der niederen Steuerdiener abgeführt zu werden, auch einmal der Staatskasse zu gute kommen. Die Summe betrage etwa 200,000 ^ Redner meint, es sollte die Frage der Malzsteuer zuerst erledigt werden, dann werde man über das Kapitel leichter wegkommen. Im weiteren Verlauf der Generaldebatte sprachen Staatsmin. der Finanzen Dr. v. Renner, Frhr. v. Hermann, Mohl, Staatsm. des Innern v. Hölder (in Betreff der Zahl der Wirtschaften) , Res. Beutter. Sodann wurde die Generaldebatte geschlossen und in die Berathung von Art. 3 des Finanzgesetzes (direkte Steuern) eingetreten. Am Ende der Sitzung wurde eine Vorlage, betreffend den Theater-Umbau eingebracht. In nächster Sitzung Steuerdebatte.
Tages - Neuigkeiten.
Stuttgart, 19. Mai. Gestern Nachmittag kam der 34jährige verheirathete Vorarbeiter und Wirthschaftsführer Johann Aichele von Deckenpfronn bei Calw in der Pragziegelei aus Unvorsichtigkeit in die Maschine. Dieselbe erfaßte ihn und war Aichele, welcher von der Maschine erdrückt wurde, sofort eine Leiche.
Echternach (Luxemburg), 15. Mai. Heute, als am Pfingstdienstag fand hier die weltbekannte jährliche Springprozession statt. Die Zahl der Theilnehmer ist seit einigen Jahren im Steigen begriffen; diesmal belief sich dieselbe auf mindestens 12—13,000. Um 9 Uhr begann sich die Prozession von der Sauerbrücke aus zu entwickeln und zog sich unter den von etwa 30 größeren und kleineren Musiktrupps unaufhörlich gespielten Klängen der alten Melodie: ,-Adam hatte sieben Söhn'" durch die mit Menschen vollgepfropften Straßen des Städtchens zur Pfarrkirche hinauf. In dieser wird der Sarkophag des heil. Willibrord, dem zu Ehren die Prozession gehalten wird, umtanzt, worauf man sich durch die entgegengesetzte Thüre ins Freie begibt. Der Anblick der stöhnenden und ächzenden, im Schweiß gebadeten Wallfahrer macht auf den Beschauer einen Eindruck, den man tagelang nicht mehr loszuwerden verniag. Der sich in den verzerrten Gesichten abspiegelnde Fanatismus ist so groß, daß manche Pilger nicht eher aufhören, bis sie vor Erschöpfung ümsinken. An mehreren Stellen sahen wir Frauen ohnmächtig werden, welche man nur mit Mühe unter den Füßen der unbekümmert weiter Springenden hervorzuziehen vermochte! Erst gegen 2 Uhr war die Prozession, bei welcher die einzelne die etwa 1>/z Kilometer lange Strecke in 2 Stunden durchtanzt, beendigt. Im Laufe des Nachmittags entwickelte sich in Echternach ein reges Volksleben, das für den Fremden um so interessanter ist, als man kaum irgendwo Gelegenheit finden wird, ein solches Gemisch von Nationalitäten: Deutsche, Franzosen, Bel
gier, Luxemburger und Holländer auf einem so engen Raume vereinigt zu finden. Der Urspruch der Springprozession fällt in das 13. Jahrhundert. Eine damals seuchenartig aufgetretene epileptische Krankheit soll verschwunden sein, nachdem man, die Bewegungen der Epileptischen nachahmend, das Grab des hl. Willibrord umtanzt hatte. Neuere Forschungen haben jedoch dargethan, daß man es mit einem Reste der Flagellantenzüge zu thun habe, welche im 13. und 14. Jahrhundert ihr Wesen trieben.
Metz, 17. Mai. Da mit der Zeit die Kriegergräber auf den in der Umgegend von Metz befindlichen Schlachtfeldern des Jahres 1870 doch der Beackerung nicht entzogen werden können, da der durch den Frankfurter Friedensvertrag zur Schonung derselben festgesetzte 10jährige Zeitraum abgelaufen ist, so ist Seitens der Regierung ein großartiges Projekt geplant. Auf der östlichen Bergnase des St. Quentinberges, den sogen. Buttes Charles V. soll ein monumentaler Bau errichtet werden, in welchem die Gebeine sümmtlicher in den Schlachten um Metz 1870 gefallener deutscher Krieger, die jetzt vereinzelt oder in Massengräbern auf den Schlachtfeldern bestattet sind, Anfnahme finden sollen. Für die Großartigkeit des Baus spricht die ausgeworfene Summe von einer halben bis einer Mill. »A. Die Projektbearbeitung soll dem Garnisonsbauinspektor Rettig, dem Erbauer der hiesigen Garnisonskirche, übertragen worden sein.
Vermischtes.
— Ein peinlicher Auftritt ereignete sich am Sonnabend Abend in Berlin während der Vorstellung im Opernhause, welcher auch der Kaiser beiwohnte. Mitten im dritten Act wurde der Kammermusiker R. von Tobsucht befallen, lärmte, rief nach dem General-Intendanten v. Hülsen, und konnte nur mit Mühe aus dem Orchesterräume entfernt werden.
— Weitkalls zwischen Dferä llllä Kunä. Aus Berlin wird geschrieben : Ein interessantes Wettrennen, an welchem sich mehrere Persönlichkeiten aus der höchsten Aristokratie betheiligten, fand hier kürzlich vom Brandenburger Thore aus statt. Es handelte sich bei diesem Sport um die Concurrenz in der Ausdauer zwischen Pferden und Hunden. Ein Herr v. P. hatte sich nämlich anheischig gemacht, den Weg vom Brandenburger Thor bis zum Spandauer Bock hin und zurück auf seinem kleinen vierrädrigen Wagen, bespannt mit zwei rauhhaarigen, nordischen Hunden — ähnlich den Eskimohunden — nur im Trabe in kürzerer Zeit zurückzulegen, als ein Reiter mit dem besten, ausdauerndsten Traber. In Folge dieses Vorschlages wurde zwischen dem Herrn v. P. und einem dortigen Cavallerie- Ofsiziere eine hierauf bezügliche Wette zum Austrage gebracht. Präzise halb 4 Uhr fand der Ablauf vom Thore aus statt. Der Offizier ritt einen prachtvollen Fuchswallach, während die beiden rauhhaarigen Konkurrenten mit ihren niederhängenden Köpfen und Schwänzen einen fast traurigen wenig verheißenden Eindruck machten. Doch mit dem Moment der Abfahrt schien Leben und Feuer in die Thiere zu kommen und mit Windeseile sauste das kleine Gespann dem rasch voraneilenden Reiter nach; eine bunte Caval- cade und glänzende Carossen schlossen sich den Contrahenten an und in wenigen Sekunden waren Reiter und Wagen aus dem Gesichtskreis der angesammelten Neugierigen verschwunden. Kurz vor 5 Uhr tauchte in einiger Entfernung vom Brandenburger Thor das kleine Hundegespann wieder auf, aber nichts war von den stolzen Rossen zu sehen und in kurz verhaltenem Tempo erschien Herr v. P. am Ausgangspunkte. Nach etwa 10 Minuten kamen die ersten Reiter auf ihren schweißtriefenden Rossen an, viel später der Goldfuchs. Sein Reiter hatte es vorgezogen , bei der voraussichtlichen Niederlage das edle Blut des Thieres schließlich zu schonen und freiwillig auf den Sieg zu verzichten.
— Mitteln gegen Rheumatismus und Gicht. Neuerdings wird dagegen zum Einreiben empfohlen: rothe (nicht weiße) Kastanien- blüthen auf Spiritus angesetzt und 5 bis 6 Wochen in der Sonne destillirt. Soll auffallend gut wirken.
— Im Spessart gibts immer Noth und Hunger und Heidelbeeren in Menge. Da machten sich unternehmende Leute dran, Heidelbeer-Wein zu machen. Die gelehrten Chemiker in München und Würzburg untersuchten
„Baare Fünszigtausend sind's!" murmelte er mit zitternder Stimme vor sich hin, „baare 50,000 Thaler! Und für ihn Hab' ich sie gespart! — für ihn ganz allein! Warum plagte ihn der Hochmuthstellfel, daß er ein kluger Herr und für mich ein Fremder werden mußte? Warum könnt' er nicht wenigstens die brave Therese heirathen und mich bei sich aufnehmen?"
„Nun sitz ich hier vereinsamt und verlassen, und keine Seele Hab' ich um mich, die mit wahrer Liebe an mir hängt!"
Der Eberwirth befand sich unter dem Einfluß einer jener weichen Stimmungen, wie sie zuweilen alte, nach ihrem eigenen Kopfe handelnde Personen heimsuchen. Er war fest überzeugt, daß ihm von Seiten seines Sohnes ein nicht gut zu machendes Unrecht zugefügt sei. Daß er selbst die vielen auf eine Versöhnung abzielenden Annäherungen des Doktors in letzter Zeit schnöde zurückgewiesen hatte, daran dachte er in seinem selbstsüchtigen Schmerze nicht.
Im Hause war es still geworden. Auch draußen war tiefes Schweigen an die Stelle des Elementenaufruhrs getreten. Nur hin und wieder stürzte ein Regenschauer zur Erde, wenn ein Windstoß durch die Baumwipfel fuhr und die wasserschweren Blätter von ihrer Last befreite. Der Kopf des Eberwirthes war tiefer und tiefer auf die Brust gesunken und endlich schwer auf den Tisch gefallen. Das laute Schnarchen, welches bald darauf den engen Raum erfüllte, verrieth, daß er fest eingeschlafen sei.
Die alte Liese saß in ihrer kleinen Dachkammer, deren einziges Fenster auf den Hof ging. Sie handhabte eifrig die Stricknadeln, blickte aber häufig über den Strumpf weg in ein altes Gebetbuch, das aufgeschlagen vor ihr lag und als Seitenüberschrift die Worte „beim Ungewitter" enthielt.
Zuweilen, wenn das Leuchten des Blitzes gar zu grell durch das Zimmer schoß, faltete sie die Hände und las mit flüsternder Stimme mehrere Verse hinter einander.
„Gott steh' uns bei!" hatte sie einmal gerufen, als ein gewaltiger Donnerkrach das Haus in seinen Grundfesten erschütterte, „solch' ein Unwetter Hab' ich mein Lebtag nicht erlebt. Da muß irgendwo herum eingeschlagen haben! Der liebe Himmel mag's gnädig mit den armen Leuten machen."
Seitdem war's aber still geblieben. Liese hatte das Buch zugeklappt und den Strickstrumpf bei Seite gelegt. Von unten herauf aus dem Gastzimmer klangen die Schläge der alten Wanduhr. Es fehlte noch eine Stunde bis zur Mitternacht.
„Ich Hab' mein Tagewerk gethan," tröstete sie sich mit zufriedener Miene indem sie an die alte Lade unter dem Fenster trat und eine Nachthaube hervornahm, „und das Gewitter ist auch vorüber. Nun kann ich mich ruhig zu Bett legen!"
Die alte Magd schickte sich an, in's Bett zu gehen, da war es ihr, als ob ein Pochen an der Hausthür laut würde. Gleich darauf hörte sie die Thür öffnen und leichte und wieder doch schwere Tritte zweier Männer schlugen an ihr Ohr.
„Noch Gäste!" sagte sie und zog das wollene Tuch fester um sich, nahm die Lampe und trat zur Thür hinaus. Der Lichtschein erhellte in schwankenden Streifen die finstere Treppe. Die Gestalten der beiden Männer traten voll aus dem Dunkel heraus.
(Fortsetzung folgt.)