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und Größe wurden, nahm einst Deutschland die erste Steile ein! —
Man sage nicht, England hat eben Kohlen und Eisen. Deutschland ist reich an Kohlen und Eisen, aber sie schlummern in der Tiefe, während* England, nachdem es in Deutschland die Fabrikation des Eisens gelernt hatte, seine Kohlen und Erzlager erschloß, riesige Hohöfen baute und seine Eisenproduktion durch Prohibitivzölle schützte.
Man sage nicht, England ist durch seine maritime Lage uns überlegen. Deutschland hatte einst die Suprematie in der Leinenfabrikation. Als aber England die Spinnmaschinen erfunden hatte, da legte es Prohibitivzölle auf Leinengarne und Leinenwaaren und verbot noch überdieß die Ausfuhr von Spinnmaschinen.
Mittlerweile mußte Deutschland einsehen lernen, daß es ein ackerbautreibender Staat sei.
Merkwürdigerweise blieben Baumwollenwaaren im Zollverein mit 50 Thaler per Centner geschützt, und in Folge dieses Zolles blühte die Baumwollenweberei in hohem Grade fort.
Sie blieb aber auch bislange der einzige blühende Industriezweig, aber eine Lehrehat man nicht daraus gezogen.
Und doch, da auf einmal im Jahre 1861 nahm die gesammte Industrie in Deutschland einen mächtigen Aufschwung, wie nie zuvor. Zunächst verursachte ein rapides Steigen der Baumwollengarnpreise das Steigen der Preise aller Textilerzeugnisse, es wurden eine Menge neuer Baumwollenspinnereien, dann aber auch Flachs- und Wollenspinnereien gebaut, die Webereien blühten auf, konsequenter Weise dann die Maschinenfabriken, deren viele neue entstanden, während sich ältere bedeutend vergrößerten; im weiteren Verlaufe die Eisen- und Kohlenwerke. Das Gros der Consumenten, die Arbeiter hatten vollauf zu thun, sie hatten Verdienst, und da sie kauften, so blühten alle Gewerbe und auch die Landwirthschaft. Nie auch hat man die deutschen Kammern so bereit gesehen im Geldbewilligen, wie Ende der sechziger Jahre, und allerwärts wurden die Beamtengehalte aufgebessert.
Fragen wir aber nach der Ursache dieses jähen Aufblühens der deutschen Industrie, so finden wir sie im amerikanischen Kriege, der im Jahre 1861 begann. In Folge dieses Krieges war die Verschiffung von Baumwolle aus Amerika unmöglich, vierzehn Millionen Ballen waren während der nächsten 4 Jahre dem Weltmarkt entzogen und sofort trat ein rapides Steigen der Baumwollengarnpreise ein und damit derjenige aller G e - s p i n n st e.
Und so wirkte der amerikanische Krieg in Deutschland factisch wie ein bedeutender Schutzzoll auf Garne.
Dieser Krieg dauerte 4 Jahre und diese wenigen Jahre Schutz haben genügt, der deutschen Industrie den mächtigen Aufschwung zu verleihen, den wir in den sechziger Jahren gesehen haben.
Aber eine Lehre hat man daraus nicht gezogen.
Die während dieser Periode entstandenen industriellen Unternehmungen haben das Lehrgeld, welches jedes neue Etablissement bezahlen muß, verdient, sich gekräftiget und bestehen heute noch.
Viele später, ohne Hülfe dieses künstlichen Schutzzolles, entstandene Un- ternehirmngen gingen zwar zu Grunde, wurden aber von den Nachfolgern billig gekauft und bestehen dadurch ebenfalls fort zum Segen des Landes.
Von da an aber, nachdem mit Beendigung des amerikanischen Krieges der künstliche Schutzzoll gefallen war, und unter der gleichen Wirkung des deutsch-französischen Handelsvertrages entstanden wenig neue Unternehmungen mehr.
Die wirthschaftliche Krisis in den Jahren 1873 u. f. war zunächst hervorgerufen durch den Börsenkrach. Dadurch, daß plötzlich alle Werthe sanken, war jeders der irgend Papiere besaß, auf einmal ärmer geworden. Wer erst 100,000 besaß und darnach lebte, hatte auf einmal nur noch 20,000 oder noch weniger.
Darnach mußte die Lebensweise geregelt, es mußte gespart werden. Und dieses Sparen in ganz Europa bedingte die wirthschaftliche Krisis, die in Deutschland um so fühlbarer war, als die Ueberproduktion des Auslandes den deutschen Markt offen fand und sich dahin warf.
Und das war der härteste Schlag für die junge deutsche Industrie,
daß sie mit dem Auslands, welches in Folge der Krisis mit Verlust ver-» kaufte, concuriren mußte.
Das hauptsächlichste Argument, welches man gegen das Schutzzollsystem aufstellt, ist der „Consument."
Man sagt, der Consument hat darunter zu leiden und zwar zum Nutzen Einzelner.
Diese Behauptung erscheint im ersten Augenblick sehr einleuchtend, denn der Consument ist eben derjenige, der kaufen muß und der Einzelne ist irgend ein Fabrikbesitzer, der sich allein den Schutzzoll zu Nutzen zieht und sich auf Kosten der Käufer bereichert.
Betrachten wir aber einmal die Sache näher und untersuchen wir, wer der Consument und wer der Einzelne ist.
Da jeder Mensch consumirt, so ist auch jeder Consument, mithin auch der Landwirth mit seinen Arbeitern, der Industrielle mit seinen Arbeitern» der Gewerbsmann mit seinen Arbeitern, der Kaufmann mit seinem Personals somit alle Producenten sind zugleich Consumenten.
Wenn sich nun der Producent zum Schaden des Consumenten bereichert, so bereichert er sich doch factisch zu seinem eigenen Schaden und wenn der Consument zum Vortheil der Producenten benachtheiligt wird, so wird er factisch zu seinem eigenen Vortheile benachtheiligt.
Dies die Anomalie der so gemeinhin verbrauchten Behauptung.
Wenn wir von Consumenten sprechen, so müssen wir darunter unter allen Umständen die große Masse der Producenten verstehen.
Die Resultate der Berufsstatistik werden ergeben, daß man nicht von Consumenten reden kann, ohne damit die Producenten genannt zu haben. Auch der Soldat ist Producent, nicht nur insofern er irgend einem Gewerbe angehört, sondern auch noch insoferne er sein Leben zum Schutze des Vaterlandes und dessen Wohlstandes in die Schanze schlägt.
So ist doch das wahrhaftig nicht, daß hier eine Fraktion Consumenten und dort eine Fraction Producenten sich feindlich gegenüberstehen.
Consumenten und Producenten sind keine Gegensätze.
Allerdings sind ein kleiner Bruchtheil der Bevölkerung scheinbar nur Consumenten, die Beamten, allein es wird einem vernünftigen Menschen ebensowenig einfallen, die Beamtengehalte, den durch ein Schutzzollsystem erhöhten Werthen der Lebensbedürfnisse nicht anzupassen, als er daran denken kann, dieses kleinen Bruchtheiles wegen ein Wirtschaftssystem, welches geeignet ist, die Nation wohlhabend und reich zu machen, — nicht einzuführen und überdies sind die Beamten, wenn sie Landwirthschaft, Industrie und Gewerbe hoch halten und nach Kräften fördern, Producenten in eminentem Sinne.
Fortsetzung in nächst. Nr.
Tages Neuigkeiten.
— S. Kgl. Majestät haben vermöge Höchster Entschließung vom 2. Febr. die erled. Stadtpfarrei Liebenzell, Dekanats Calw, dem Hrn. Helfer Weitbrecht daselbst übertragen.
— Von der Feldmesserprüfungskommission sind unter A. nachstehende Kandidaten für befähigt erklärt worden als öffentl. Feldmesser beeidigt unk» bestellt zu werden: Heinr. Haydt von Calw und Gottlieb Stottele von Liebenzell.
4V. 6. Stuttgart, 5. Febr. Aufsehen erregt die Verhaftung eines bisher durchaus geachteten Kassenbeamten einer städtischen Verwaltung, des Armenkastenpflegers Aldinger, wozu man sich kaum eine Veranlassung zu denken vermag. Es sollen 42,000 fehlen.
— Die Verhaftung des Armenkastenpflegers Aldinger bildet fortwährend das Tagesgespräch und es werden jetzt fabelhafte Gerüchte daran, geknüpft. So will man jetzt von einem weit höheren Deficit wissen unb den Grund weibliche Verschwendungssucht in seiner Familie. Die Untersuchung wirds lehren.
— Adele Spitzeder ist unter dem Künstlernamen V i o hier verhaftet und auf Requisition nach Karlsruhe geliefert worden.
— Stuttgart, 6. Febr. Gestern Nachmittag hielt die Handels- und Jndustriebörse ihre Jahresversammlung in der Ge -
„So wirst Du ihn zu vergessen suchen," sagte er mit kühlem Ton, „und um Dir dies zu erleichtern, werde ich ihn heute noch entlassen. Ich sage es Dir, weil ich hoffe, Gräfin Pokolkö Irma" — er betonte die Worte — „wird Stolz und Selbstbeherrschung genug besitzen, um das Unwürdige eines solchen Verhältnisses einzusehen und die Kinderei, die ich Dir verzeihen will, zu enden."
Er wandte sich um, mit der Ausführung seines Vorhabens nicht lange zu zaudern. Das unglückliche Mädchen bemerkte es und bei dem heftigen Charakter ihres Vaters sah sie ein, sei an ein Nachgeben desselben nicht zu denken und der Geliebte war für sie verloren. Wie konnte sie es hindern? Wie konnte sie den Vater zwingen, daß er nachgebe? Vernünftigen Vorstellungen, den Bitten und Thränen der Liebe wich der eisenharte Mann nicht, das wußte sie nun zur Genüge. Einen Augenblick hatte sie wie sinnend die Hand gegen die Stirne gedrückt, als plötzlich ein Aufblitzen ihres Auges verrieth, daß ihr ein Gedanke gekommen sei.
„Vater!" rief sie, einen Schritt vorwärtstretend, in einem Ton, der ihm zeigte, daß sie ihm noch etwas zu sagen habe; der Graf wandte sich halb zurück.
„Nun?" frug er kurz.
„Ehe Du gehst, noch ein Wort," begann sie zögernd, während ihr Antlitz den inneren Kampf verrieth, den ihr die Worte kosteten.
„So sprich! Ich höre."
„Vater!" — Sie sah zu Boden, während eine glühende Röthe über ihr Antlitz schoß, „es ist zu spät."
Die Worte waren leise, fast unhörbar gelispelt. Das scharfe Ohr des Grafen hatte sie aber doch verstanden.
„Zu spät?" sprach er im Ton unwilliger Befremdung, „warum soll es zu spät sein?"
Irma preßte das Haupt in die weißen, kleinen Hände, um die glühende Röthe zu verbergen und betonte lauter:
„Es ist zu spät."
Der Graf wandte sich ihr vollends zu.
„Treibst Du Spott mir? Mein Entschluß steht fest. Warum ist es zu spät."
Langsam, leise, wie erlahmend unter einer schweren Last bog sich die blühende Gestalt des schönen Mädchens zusammen, bis sie in halb knieender Stellung, das Haupt in die Hände gepreßt, als erwarte sie aus des Vaters Hand den Todesstreich, abermals vor demselben lag und bebend, stockend, kaum hörbar die Worte sprach:
„Ich bin sein Weib."
Die mächtige Faust des riesigen Mannes zuckte krampfhaft empor, als wolle er sie gegen das Haupt der Tochter wenden; sein gewaltiger Körper wankte einen Augenblick, als sei er betäubt; dann trat er, das kalte Auge mit vernichtender Strenge auf die vor ihm liegende Tochter gerichteteinen Schritt zurück, sein Haupt senkte sich ein wenig nach vorn, als müsse auch er unter einer Bürde erliegen, dann aber richtete er dasselbe mit einer energischen Bewegung wieder empor und während seine Hand in das Fach eines neben ihm stehenden Schreibtisches griff sprach er ruhig und finster:
„Du sprachst Dein Todesurtheil. Bete ein Vaterunser." (Forts, folgt.)