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Mayer (Halle) verbreitet sich im Allgemeinen über die Börsengeschäfte, indem er mit Entschiedenheit der Auffassung begegnet, als ob man an der Börse mühelos Reichthümer erwerben könne. Die Erhöhung der Börsensteuer auf das vorgeschlagene Maaß würde die Funktion der Börse vollständig -lähmen. — Abg. Nr. Perret (Konservativ) führt aus, daß die Börse an -er Entstehung der Entwickelung der Sozialdemokratie Schuld sei. Die Börse könne nicht hoch genug besteuert werden, und was sie zu leisten vermag, das beweisen die hohen Erträge der Börsensteuer in Frankreich, was - «r aus den statistischen Zahlen nachzuweisen suchte. — Abg. Ludwig Löwe
! bekämpft die Ausführungen des Vorredners, indem er auf die Unrichtigkeiten
hinweist, welche in dem statistischen Zahlenmaterial desselben enthalten seien. Frankreich habe die Börsensteuer erhöht, nachdem es durch die Zahlung der Kriegskontribution in die Lage gebracht sei, eine ungeheure Schuldenlast zu i verzinsen. Die Diskussion wird geschloffen und nach persönlichen Bemerkun- ! -gen die Beschlußfassung auf morgen 1 Uhr vertagt. Auf die T.-O. setzt ' -er Präsident noch Etatberathung. Schluß 5^4 Uhr.
Reichstag. Sitzung Sonnabend, 20. Jan. Der Reichstag er-
> kedigte in seiner heutigen Sitzung zunächst den Antrag Wedell wegen Einführung einer prozentualen Börsensteuer durch Ueberreichung desselben an
! eine Kommission von 21 Mitgliedern und trat sodann in die zweite Be- ! rathung des Etats. Bei dem Etat des Reichsamts des Jnnem erwiderte ' der Reg.-Kommiss Weimann auf eine Anfrage des Abg. Reiniger, daß von Seiten der niederländischen Regierung ein internationales Zusammenwirken gegen den Mädchenhandel angeregt worden sei und die Regierung dem Wunsche Hollands zugestimmt habe. Bei demselben Etat stellte Geh. Math Bosse die Vorlegung des vorläufig aus der Aufnahme der Beruss- ^ statistik gewonnenen Materials bis zum 1. April in Aussicht; ebenso theilte "Geh. Rath vr. Köhler aus dem Reichsgesundheitsamt mit, daß die Ausführungsbestimmungen zum Nahrungsmittelgesetz in der Vorbereitung be-
> griffen seien. Der Etat selbst wurde genehmigt. Nächste Sitzung Montag 12 Uhr. Tages-Ordnung: Fortsetzung der Etatberathung. Schluß 5^2 Uhr.
Stuttgart, 19. Januar.
Aus der gestern erwähnten Beantwortung der Interpellation in Betreff der wirksamen Unterstützung der bedürftigen Hagelbeschädigten des Landes ! durch S. Ex. den Herrn Staatsminister des Jnnem v. Hölder, haben wir des Näheren mitzutheilen: Der anfänglich auf über 11 Mill. geschätzte Schaden des Hagelschlags stellte sich bei späteren genaueren Erhebungen -auf etwa 7 Millionen Mark heraus. Die Entschädigungen der Hagelver- ^ sicherungs-Gesellschaften beliefen sich auf 374,000 Zuerst griffen die Be- Zirksorgane helfend ein, auch wurden von der Centralleitung des Wohlthätig- keitsvereins Sammlungen eingeleitet und das Ministerium des Innern hat mit Ermächtigung S. M. des Königs zu einer Hauskollekte beigeholfen. Es s kamen hierdurch 240,000 an baar Geld und 53,000 vkL an Naturalien zusammen und bei der Centralleitung 103,000 °^k., so daß von der Gesammt- summe von 396,000 bereits 131,000 und die weiteren 265,000
nach Bedarf verwendet werden können. Ferner sind von der Regierung die Beschaffung von Arbeitsgelegenheit angeordnet, wie denn das Finanz- i Ministerium für 400,000 -M Waldarbeiten und Wegbauten, das des Innern ! für 230,000 für Straßenkorrektionen und 70,000 für Korrektion des -Beraflusses bei Spaichingen angeordnet hat. Auch wird für Saatfrucht und ! Saatkartoffeln gesorgt. Ein Nothstand ist daher nicht zu befürchten.
Tages dteuigkeiten.
Stuttgart, Freitag, 19. Jam, Abds. 5 Uhr. Das Befinden Ihrer König!. Hoheit der Frau Prinzessin Marie war während des Heutigen Tages ein verhältnißmäßig befriedigendes, weder das Fieber, noch die lokalen Erscheinungen haben eine Zunahme erfahren. Respiration ruhiger die Kräfte erholen sich.
Bopsin gen, 18. Jan. Nicht gerade sehr angenehm wurde in der «origen Woche in später Abendstunde der Anwalt in Wössingen«, O.A. Ell- rvangen, durch das Auffinden eines kleinen Kindes auf seiner Hausstaffel überrascht. Ein etwa 14 Tage altes Mädchen war in ein Kissen gewickelt, »auch sonst gut gegen die Kälte verwahrt und reichlich mit allerlei Kindszeug
verschon. Der Verdacht fiel auf eine hiesige, schon seit Jahren im Dienst in Nördlingen stehende Person, welche bereits verhaftet sei.
G e e st h a ch t (Hamburg), 15. Jan. Heute Nachmittag erfolgte auf der eine halbe Stunde von hier entfernt gelegenen Nobel'schen Dynamitfabrik Krümmel eine große'Explosion, welcher vier Menschenleben zum Opfer fielen. In einem Schuppen, worin das als Hauptbestandtheil der Dynamitpatronen dienende Sprengöl gewonnen wird, ist, vermuthlich durch eine Unvorsichtigkeit, die Erplosion hervorgerufen worden. Dieser Schuppen und der benachbarte sind in die Luft geflogen. Die angerichteten Verheerungen spotten jeder Beschreibung. Vor den Schuppen weist der Erdboden große Riffe auf, sämmtliche Fensterscheiben der zahlreichen Gebäude sind zertrümmert, Thüren herausgerissen und in den Häusern lag das Mobiliar bunt durcheinander. Ein Aufseher und drei Arbeiter, welche in den Schuppen beschäftigt waren, sind verunglückt, außerdem zahlreiche Verwundungen vorgekommen; zwei von den Verunglückten haben noch nicht aufgefunden werden können, von dem einen sah man nur gräßlich verstümmelte Gliedmaßen.
Gemeinnütziges.
— Kraut den Winter über aufzubewahren. Die Häupter werden dicht in ein Faß zusammengeschichtet und die Zwischenräume mit Häcksel ausgefüllt. Das Faß stellt man in einen tiefen Keller. Solches Kraut kann zu Gemüse, zu Sauerkraut u. s. w. benützt werden.
Calwer Kirchengesangverein.
Eingesandt.
Dem Componisten des Oratorims Paulus, Felix Mendelsohn-Bartholdy, hat ein schwäbischer Dichter einmal zugesungen:
„In deiner Hand verwandelt sich zum Meer,
Drauf Gottes Geist hinschwebet jede Note.
Oft fahr' ich aus in meinem schwachen Boote,
Die Wellen rauschen feierlich und hehr;
Ich sehne mich nach keiner Wiederkehr Und werf' in Deine Tiefen meine Lothe."
Ein solches Wort dankbarer Huldigung möchten wir auch dem großen Meister Georg Friedrich Händel widmen, dessen Oratorium „Der Messias" (coinp. 1741) der hiesige Kirchengesangverein letzten Samstag in seiner ersten Hälfte zur Aufführung gebracht hat. Gewiß viele danken dem Verein für den hohen Genuß, welcher uns dadurch zu Theil geworden ist. Zwar, daß jede Note sich zu einem Meer verwandle, braucht man nicht so buchstäblich zu nehmen, auch die vielen „Läufe", welche guten und geübten Stimmen Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Trefflichkeit darbieten, klingen nicht gerade immer „feierlich und hehr", erinnern überhaupt etwas stark an die übrigen Schnörkel des vorigen Jahrhunderts. Von den vielen Künsten, welche Händel in seiner Musik spielend in Bewegung setzt, möchten wir fast sagen, etwas weniger von diesen Dingen wäre mehr der Majestät des Gegenstandes angemessener und wirkungsvoller. Aber wer möchte an einem Meister wie Händel kriteln? Man muß ihn nehmen, wie er ist, und wie groß ist er doch! Welches frische, sprudelnde Leben ist in dieser Musik! Welche Lieblichkeit z. B. in dem ersten Recitativ: Tröstet, tröstet Zion, das überdies auch sehr ansprechend, seelenvoll gesungen wurde. Dann der hinreißende Jubel in dem Chor: O du, die Wonne verkündet in Zion! wie in der Arie: Erwach zu Liedern der Wonne. Besonders möchten wir noch die wunderschöne Arie „Er weidet seine Heerde" hervorheben, in welcher Musik und Text so ganz wie aus Einem Gusse sind, und welche allein schon den Besuch der Aufführung reichlich lohnen würde. Der Schlußchor mit seinem einfach großen Thema: Gott der Herr regieret allmächtig, welches beständig vom Halle- lujahruf durchtönt wird, hat gewiß seines gewaltigen Eindrucks auf Niemand verfehlt. Wir sagen allen Sängerü und Sängerinnen, der unermüdlichen Begleiterin auf dem Klavier, dem Orchester jung und alt, besonders den auswärtigen Kräften, welche in gewohnter Freundlichkeit, zum Werke mitgeholfen haben, herzlichen Dank, und haben an den tapferen Dirigenten m!t seinem Verein nur die Bitte um baldige Wiederholung — womöglich an einem Sonntagnachmittag!
sie mit ihrem eigenen Körper zu decken. Der Ruf der Alten schien aber die Wuth ihrer Angreifer nur noch mehr zu entflammen, vielleicht erblickten sie darin auch ein Zeichen von Feigheit. Die Alte war am Ende doch nicht so mächtig, als sie sich eingebildet hatten.
„Hast Du Deinen Hexenring vergessen, der Dich gegen uns schützt? So wollen wir auch einmal unsere Kraft an Dir Prokuren!" schrie eine robuste Magd und mit einem raschen Griffe hatte sie der Zigeunerin das schützende Tuch vom Haupte gerissen, daß die langen grauen Haare unge- fessett über Gesicht und Schultern herabfielen.
Dies schien das Zeichen zu einem allgemeinen Angriff sein zu sollen, Denn im Nu waren auch die übrigen Frauen über der Unglücklichen, die sie mit Händen und Fäusten bearbeiteten, wobei das junge Mädchen, das mit hingebender Liebe die Alte zu schützen suchte, gleichfalls übel zugerichtet wurde, während die Knechte, wohl fühlend, daß es ihnen nicht ziemen möge, ihre Kraft an einem schwachen Weibe zu prüfen, dem Kampf ohne thätige Theilnahme, aber offenbar mit großer Befriedigung zusahen. Die Aufmerksamkeit der Erzürnten war so durch den Gegenstand ihres Zornes in Anspruch genommen, daß sie den leichten Jagdwagen nicht gesehen hatten, der von einem eleganten Reiter begleitet, in raschem Laufe daher kam und unmittelbar neben dem lärmenden Haufen still hielt.
„Was habt Ihr denn da, Leute?" fragte die, die Zügel führende junge Dame, eine volle, doch aristokratisch feine Gestalt, mit Heller, vorwurfsvoller Stimme. „Ihr seid wohl gar in Streit mit einander?"
Beim ersten Wort, das das Ohr der Leute traf, prallten dieselben «auseinander und die Blicke der Dame und ihres Begleiters fielen auf die
halb zusammengesunkene Gestalt der alten Zigeunerin und die des gleich- sehr mißhandelten jungen Mädchens, das beim Anblick des vornehmen Herrn verschämt die ihr halb vom Leibe gerissenen Lumpen zusammenraffte und tief erröthend sich umwandte, um sie wieder zu befestigen. Sie bemerkte darum nicht den heißen, begehrenden Blick, den der junge Mann aus seinen grauen Augen von dem Pferde auf sie herabschoß, während die Alte halb ohnmächtig sich an den Baumstamm lehnte, unter dem sie ursprünglich gesessen hatte, als ihre Angreifer an ihr vorüber gewollt.
„Was habt Ihr mit der alten Torzsika gehabt?" fuhr die junge Dame die Zigeunerin erkennend, in strengem Tone fort, da sie in den Leuten die Untergebenen ihres Vaters erkannte. „Ihr habt die beiden wehrlosen Frauen geschlagen, wie es scheint. Du, Rozika, was ist geschehen?"
Die Angeredete, dieselbe, welche den ersten Schlag gegen die Zigeunerin geführt hatte, trat mit dunkelgeröthetem Antlitz einen Schritt näher und wollte eben den Mund öffnen, als der Reiter sein Pferd dicht an den Wagen der jungen Dame drängte und mit beschwichtigender Stimme, doch so laut, daß es die näher stehenden Leute hören mußten, sagte:
„Lassen Sie den Leuten den Spaß, gnädige Gräfin; die Alte ist übel berüchtigt und die Leute werden ihren Aerger an ihr ein wenig ausgelassen haben. Wer weiß, was sie ihnen erst angehängt hat. — Die alte Hexe hat Euch wohl zuerst gereizt, he?" wandte er sich dann mit lauter Stimme an die Gruppe.
(Fortsetzung folgt.)