57. Jahrgang.
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Erscheint Dienstag, Donnerstag und Samstag.
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Dienstag, den 12 . September 1882 .
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PoUtiscde Nochricbten.
Deutsches Reich.
Berlin, 8. Sept. Zu dem in Dresden dieser Tage stattsindenden antisemitischen Kongreß sind bis jetzt angemeldet: 42 Handwerker, 81 Kaufleute, 20 Fabrikanten, 04 Mitglieder des Adels, namentlich Offiziere a. D. und z. D., 19 Rentiers, 29 Landwirthe und Rittergutsbesitzer, 10 höhere Beamte, 12 Schriftsteller, Journalisten, Redakteure, 15 Geistliche rc. Aus Berlin allein werden 300 Theilnehmer in Dresden erwartet. — Graf Herbert Bismarck hat sich nach Ostende, Graf Wilhelm Bismarck nach Varzin begeben, wo auch Graf Rantzau, der Schwiegersohn des Kanzlers, weilt.
England.
London 8. Sept. Die Times sagt in einem Artikel über die gegenwärtige Stellung Deutschlands, sein großer mäßiger Einfluß in Europa, feine große militärische Stärke, das gebietende Ansehen seiner geschickten weitsehenden Diplomatie habe unter gleichzeitiger Wahrung der deutschen Interessen jedweden Versuch, den europ. Frieden zu stören, stets mit Erfolg unterdrückt. Es habe auch jedes Unternehmen vereitelt, welches selbst unabsichtlich Unheil angerichtet haben würde. Es sei des Fürsten Bismarck beständiger Entmuthigung aller Einmischungsversuche zu danken, daß England jetzt seine Aufgabe in Egypten lösen könne. Deutschland sei lediglich auf die Erhaltung des Friedens bedacht und habe alles aufgeboten, die Behandlung der egyptischen Angelegenheiten zu einer lokalisirten zu machen.
London, 8. Sept. Eine Depesche Wolseley's aus Jsmailia vom 7. d. sagt : Die Eisenbahnverbindungen funktioniren jetzt gut, die Gesundheit und der Geist der Truppen ist ausgezeichnet, die Durchschnittszahl der Kranken wenig erheblich, alle Verwundeten an Bord der Schiffe und in ärztlicher Pflege. Die Abendblätter melden aus Alexandria von gestern Abend: Arabischer Pöbel griff bei dem Galgen, wo der Mörder der beiden Engländer aufgehängt war, die aufgestellte Polizei an und vertrieb dieselbe. Der Pöbel bemächtigte sich des Körpers des Gehängten, um denselben einbalsamiren zu lassen, und will den Hingerichteten als Heiligen verehren.
— Ketschwayo hat in Plymouth an Bord des Dampfers „Nubian", der ihn nach dem Kaplande zurückführt einige Vertretter der Presse empfangen, denen er u. a. sagte, er kehre Dank der großen Güte der Königin nach seinem Lande zurück, aber als ein Bettler. Vor dem Kriege sei er Eigenthümer großer Viehheerden gewesen, von deren Verkauf er gelebt. Allein das Vieh sei verschwunden. John Dünn habe zwar versprochen, die Heerden wieder zusammenzutreiben, aber er könne Dünn nicht trauen. Er müsse sich lediglich aus sein Volk verlassen, in welches er das größte Vertrauen setze. Er kehre früher zurück als er erwartet. Er habe mindestens zwei Monate in England bleiben wollen, als aber Lord Kimberley ihm mittheilte, daß er wieder König sein solle, habe es ihn nicht länger in England
gelitten, da er sich nach seiner Heimath zurücksehne. Er habe gesehen, was Civilisation sei, und er wünsche nun selber civilisirt zu sein.
Aegypte n.
Alexandrien, 9. Sept. Eine große Anzahl von Beduinen näherten sich dem Dorfe Mex. Die Engländer gaben mehrere Kanonenschüsse auf dieselben ab; trotzdem gelang es einigen Beduinen, in Mex einzudringen. Am Mittag griffen die Engländer die Beduinen an und jagten sie mit Bajon- net aus dem Dorfe. Auch bei Ramley sind die Beduinen sehr rührig, daher wurden die Vorposten der Engländer verstärkt; zahlreiche Piquets pat- rouilliren in der Unigebung Ramleys.
Port Said, 9. Sept. Aus Tel-el-Kebir eingetroffene Araber sagten aus, daß die Truppen Arabi's den Jomaliehcanal abgelenkt und ihre Verschanzungen mit breiten Gräben umgeben hätten, welche nach den Plänen der bei Arabi sich aufhaltenden europäischen Ingenieure angelegt worden seien.
Jsmailia, 9. Sept. Gestern früh 4 Uhr wurde eine größere Rekognoszirung in südwestlicher Richtung unternommen. Die Abtheilung, zusammengesetzt aus indischer Infanterie und Kavallerie, sowie weiterer beritten gemachter Infanterie und vier Geschützen, zwang den Feind nach lebhaftein Gewehrfeuer zum Rückzug. Die Rekognoszirungstruppen erlitten keine Verluste.
Gasassin, 10. Sept. Die Stärke der Truppen Arabi's, welche bei dein heutigen Gefecht betheiligt waren, wird auf 13,000 Mann mit 12 Geschützen geschätzt, die Engländer erbeuteten 5 Geschütze und machten viel Gefangene. Sie haben ihre Vorposten bis aus Kanonenschußweite von Tel- el-kebir vorgeschoben.
Aus Indien
ist eine merkwürdige Meldung gekommen. Dort haben in der Präsidentschaft Madras zwischen Hindus und Moslems ernste Zusammenstöße stattgefunden. Erstere sollen fürchterliche Grausamkeiten verübt haben. Männer u. Frauen wurden hingenagelt, die Häuser der Mohamedaner in Brand gesteckt und die reich ausgestattete Hauptmoschee vollständig demolirt. Der Ursprung dieser Exzesse soll im Neligionshasse liegen, dem einen Ausbruch zu gestatten, die Hindus gerade jetzt für opportun gehalten haben mögen, da England gegen den Khalifen in Stambul ein wenig freundliche Haltung einnimmt und in Aegypten gegen Moslems förmlich Krieg führt. Vielleicht hat zur Vorbereitung des Zunders, der die neueste Explosion dieses Religionshasses bewirkte, auch beigetragen, daß die Engländer in Indien seit der letzten großen Meuterei es aufgegeben haben, sich auf die Moslems zu stützen und die bisherige Stütze ihres Systems auf die breite Schicht der Hindu-Massen zu verpflanzen. Nicht etwa, daß man die Moslems zurücksetzte oder in ihren Rechten kränkte. Man hat sie nur nicht länger privilegirt und bevorzugt und das ist insbesondere der moslemitischen Aristokratie in die Nase gestiegen. Eine Gefahr liegt jedoch in etwaiger moslemitischer Unzufriedenheit für England nicht.
Das der britischen Krone direct unterworfene Indien hat ohne die
Feuilleton.
Vorurtheile.
(Fortsetzung.)
„Wer, wer hat sie Ihnen anvertraut? O, zögern Sie nicht, den Mann zu nennen, Sie werfen einen furchtbaren Verdacht von sich ab!"
„Ich kann, ich darf ihn nicht nennen," antwortete fest der Baron. „Es binden mich Rücksichten, die ich nie im Leben außer Acht lassen darf."
„Unglücklicher, Unglücklicher!" rief Heiligenstein, als er die furchtbare Ruhe des jungen Mannes sah. „Haben Sie nicht ernstere, wichtigere Rücksichten zu nehmen? Sie sind Gatte und Vater!"
Ludwig zuckte krampfhaft zusammen, sein Gesicht ward leichenblaß. Plötzlich raffte er sich zusammen und warf sich an die Brust des Freundes.
„Ludwig," begann Heiligenstein gerührt, „ein furchtbares Schicksal ereilt Sie, denn Sie sollen als Mann ein Vergehen büßen, dessen Sie sich als unbesonnener, übermüthiger Jüngling schuldig gemacht. Der Blick des Freundes erfaßt vollkommen die Lage der Dinge, und er beurtheilt Sie mit der Milde, auf die Sie durch Ihre jüngste Vergangenheit gerechte Ansprüche haben. Aber die Gesetze urtheilen nicht wie der Freund, sie lassen die Großmuth nicht gelten, mit der Sie eine Judendsünde vergessen machen wollten. Ludwig, bekennen Sie mir offen, was geschehen, verhehlen Sie mir Nichts, denn nur in diesem Falle kann ich mit Ihnen die Mittel berathen, die zur Abwehr des Unglücks nöthig sind. Ich fürchte nicht, mich zu Ihrem Mitwisser, und dadurch vielleicht auch zu Ihrem Mitschuldigen zu machen,
denn ich erachte es für Pflicht, die Ehre der Nienstedt's zu retten. Sie sind der Bruder meiner Adelheid, und was ich Ihnen thue, thue ich ihr. In diesem Vorsatze bestärkt mich die Ueberzeugung, daß die Erichsheim's nur von einer niedern Rache geleitet werden; man richtet die Schläge auf Sie, um den braven Obersten und Henrietten zu treffen. Ludwig, Sie schweigen immer noch? Denken Sie an Ihre Gattin, denken Sie an Ihr Kind!"
„Meine Gattin! Mein Kind!" rief der junge Mann verzeiflungsvoll.
„Zögern Sie nicht, theilen Sie mir Alles mit, es könnte morgen schon zu spät sein."
Der Baron ergriff die Hand Heiligenstein's und sagte feierlich:
„Ich habe Ihnen nur zu bekennen, daß auf meiner Seele kein Vorwurf lastet. Halten Sie mein Schweigen für Mangel an Vertrauen, ich kann, ich darf Nichts mehr sagen, glauben Sie mir, ich darf nicht, weil Henriette meine Gattin."
„Und mit dieser einfachen Behauptung Ihrer Unschuld glauben Sie den Verdacht zu entkräften? Sie bekennen, daß Sie in dem Besitze der Papiere gewesen —"
„Ich habe es bekannt?" rief der Baron auffahrend.
Heiligenstein deutete auf den leeren Kasten des Sekretärs.
„Dort suchten Sie in fiebhafter Angst!" sagte er.
Ludwig schob den Kasten zu und schloß heftig den Sekretär.
„Dann habe ich es nur Ihnen, hören Sie, nur Ihnen bekannt! O, Sie sind mein Freund," fügte er zitternd und mit wirren Blicken hinzu, „Sie werden mich nicht verrathen! Meine Feinde haben einen unsichern Weg betreten, sie haben nicht bedacht, daß sie durch einen Diebstahl sich in den