Uro. 106.

57. Jahrgang.

Amis- unä InteWgenzbkaLI für äen Kezirk.

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Politische Nachrichten.

Deutsches Reich.

Berlin, 7. Sept. Die Narionalzeitung bringt folgende Mitthei­lung aus Petersburg: Angesichts der egyptischen Wirren sei die Mobi- lisirung von vier Armeecorps in Aussicht genommen. Zu Kommandanten derselben seien die Generäle Gurko, Radetzki, Tschernajeff und für das Kau­kasus-Corps Loris - Melikosf designirt.

Berlin, 7. Sept. Der Kaiser ist heute nicht zum Manöver gefah­ren; derselbe läßt sich durch den Kronprinzen vertreten. An Stelle des er­krankten Generals von Tümpling übernimmt General von Schleinitz das 6. Armeekorps. Der Kaiser entsandte wiederholt den Leibarzt Dr. v. Lauer zu Tümpling.

DieKrz.-Ztg." schreibt:Französische Blätter melden, daß ein Kongreß über die egyptische Frage auf den Wunsch Deutschlands zusammen­treten werde. Wir bezweifeln, daß die deutsche Politik die Initiative er­griffen habe, mn die ihr jedenfalls nicht so nahe liegende egyptische Frage zu einer Lösung zu bringen. Wir haben die bisher glücklichen Bemühungen der nächstbetheiligten Mächte, Englands und Frankreichs, möglichst in Ein­klang zu bringen, mit unserer Sympathie begleitet. Wir glauben aber nicht daß Deutschland eine leitende Rolle in jener Beziehung erstrebe oder über­nehmen werde. Vielmehr billigen wir durchaus und zwar in Uebereinstim- mung mit der seit Jahren befolgten Gesammtpolitik die geübte Zurückhaltung."

DasFranks. Journ." hat die Nachricht erhalten, daß am 5. September (Abends) eine Schwadron bad. Dragoner, angeblich 82 Mann, beim Manöver zu Villingen im Schwarzwald in einen Steinbruch gestürzt und daß sämmtliche Pferde und Reiter todt seien. Das Blatt vermuthet selbst, daß hier eine sensationelle Ente vorliege; die Nachricht sei zuerst im Oberrh. Curier" erschienen. Bekanntlich wird- Abends gar nicht exerziert.

Frankreich.

Die Herren Dvroulöde und Genossen vermögen noch nicht auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Zwar die deutschen Turner sammt ihrem Klavier und ihren Schiller- und Goethebüsten sind glorreich aus dein Feld geschlagen, aber nun gilt es noch, Rache an den Kollegen, an den Pariser Journalisten zu nehmen, welche diesen chauvinistischen Feldzug mißbilligt und unwürdig gefunden haben. Die Art und.Weise aber, wie diese Rache voll­zogen wird, wie auch dieser Handel, bei dem die Deutschen ganz außer dem Spiel sind, gleichwohl noch zur Deutschenhetze benützt wird, ist überaus karakteristisch. Unser Pariser Korr, schreibt vom 6. Sept.:Paul Dörou- lvde, der Führer der Patriotenliga, Hr. v. Hurecourt, der Redakteur des Drapeau, des Organs der Liga, und ein dritter Herr, de la Neuville, über­fielen gestern Abend in: Odeontheater, im dritten Zwischenakt, den mit einer Dame am Arm in's Foyer heraustretenden Hrn. Eugene Mayer, Direktor der Lanterne, eines intransigenten Blattes, das mit am Energischsten gegen Pie Deutschenhetze derPatrioten" Front gemacht hatten. Mayer war na­

türlich unbewaffnet, während die drei Helden mit dicken Stöcken gemeinschaft­lich auf ihn einschlugen. Deroulöde rief dabei dem Publikum, welches da­zwischen trat, zu:Lasset doch, es ist ein Deutscher, ein Preuße, ich muß ihn züchtigen", Hurecourt rief:Wenn es gegen einen Dentschen geht, so schadet die Ueberzahl nichts". Schließlich wurden die Angreifer mit Mayer zum Polizeikommissär geführt, wo Döroulöde erklärte, daß er Mayer wegen der Angriffe der Lanterne auf seine Liga geschlagen und daß er seine Züchtig­ung morgen wiederholen werde. Mayer ist in Köln geboren, aber von fran­zösischen Eltern, hat den Krieg gegen Deutschland mitgemacht, und sein Bruder ist noch französischer Soldat." Also der Zufall, daß der Kollege, auf welchen Doroulöde erbost ist, den unglücklichen Namen Mayer führt, wird dazu benützt, das Publikum durch den Ruf:Es ist ein Deutscher!" mit in den Streit zu ziehen. Auch die Aeußerung:gegen einen Deutschen macht die Ueberzahl nichts" läßt deutlich erkennen, was aus derhochherzigen" Nation unter der Republik geworden ist. Man hat leider durchaus nicht den Trost, daß es sich bei Deroulöde und Genoffen bloß um eine Handvoll verbissener und unzurechnungsfähiger Leute handle. Man muß sich erinnern, daß die Revanche-Gedichte Döroulöde's in 3 Jahren noch einmal so viele Austagen erlebt haben, als Uhlands Gedichte in einen: halben Jahrhundert. Die Wühlereien der Patriotenliga werden sehr systematisch und auf breitester Basis betrieben. So läßt sie z. B. in allen Kiosken eine Karte von den:, was Deutschland Frankreich bereits abgenommen hat undwas es ihm noch abnehmen wolle", verkaufen. Die Karte schlägt die beiden Flandern mit Lille, den größten Theil von Burgund und das rechte Rhone­ufer zu Deutschland und wird zum Besten der Liga zu 10 Cent, verkauft.

England.

Der Berliner Berichterstatter der Times widmet der Beschreibung der Sedanfeier in Deutschland einen Artikel, an dessen Schluffe es heißt:Uebrigens ist zu erwähnen, daß der gestrige Tag nicht so sehr als Jahresgedächtniß eines großen militärischen Ereignisses gefeiert wurde, als vielmehr als Erinnerung einer politischen Umwälzung, nicht als Wendepunkt, der den Fall eines hochmüthigen, in alles sich einmischenden Reiches kenn­zeichnet, sondern als der Geburtstag eines neuen Reiches, dessen Dauer eine längere sein wird, weil seine Politik eine friedliche ist. Auf Deutschland kann inan in Wahrheit das Wort anwenden, das einst der Mann gebrauchte, dessen Feindseligkeit Deutschland einig machte: I'Lmpii-e v'est la paix. Bei aller herzlichen Freude, die am Festtage in ganz Deutschland herrschte, war nirgendwo eine leere Ruhmredigkeit zu bemerken, nirgendwo ein Mangel an Zartgefühl, nirgendwo ein Prahlen oder dergleichen, und bei der Feier des ewig denkwürdigen Geburtstages des neuen Deutschen Reiches ist nichts ge­sagt oder gethan worden, was die Gefühle des leichtverletzlichen franz. Nach­bars hätte unangenehm berühren können." Es ist eine Freude, den wahren Karakter unseres nationalen Festtags von einem fremden Berichterstatter so einsichtsvoll und treffend hervorgehoben zu sehen. . Schw. M.

London, 7. Sept. Einer Nachricht aus Jsmailia zufolge, wurden die Truppen an der Gasassinschleuse in Paradeaufstellung inspizirt. Diese

ergriff die Kerze und Hier ließen sich Beide

F e n i k k e t o n..

V orurtheile.

(Fortsetzung.)

> Heiligenstein schob den Riegel vor die Thür, führte den Baron in das angrenzende Schlasgemach. auf einen: kleinen Sopha nieder.

Ludwig," begann der Edelmann,ich bin Ihr Freund, Ihr väter­licher Freund, und daß meine Freundschaft eine wahre, eine aufrichtige ist, glaube ich nicht nur bereits bewiesen zu haben, ich werde es auch jetzt noch darthun, denn ich schätze und liebe Sie. Aber sind auch Sie stets wahr und offen gegen mich gewesen? Haben Sie mir Nichts aus Ihrer Vegangen- heit verschwiegen? Bei den: großen Gotte, Ludwig, der Sie so wunderbar geführt hat, die Zeit ist gekommen, wo Sie jede Falte Ihres Herzens öff­nen müssen, wenn sie nicht ein namenloses Unglück allen denen zuziehen wollen, die Ihnen nahe stehen und Sie lieben."

. Der Baron hatte mit Mühe seine Fassung wiedererlangt. Heiligen­stein faßte ihn scharf in's Auge; unwillkürlich zuckte er zusammen, als er den innern Kamps des Barons gewahrte, der sich in seinen bleichen Zügen abspiegelte.

Sie sprechen so ernst und feierlich," sagte Ludwig,als ob es sich um ein Verbrechen handelte."

O, die Sache ist so ernst, mein armer Freund, daß ich sie bitten muß, anzunehmen, es handelt sich um ein Verbrechen."

Ludwig ergriff die Hand des Edelmanns.

Heiligenstein," sagte er mit bewegter Stimme,Sie sind mein Freund. Sie kennen mich, und können mich eines Verbrechens für fähig hal­ten? Anstatt mich zu vertheidigen, wenn Neid und Feindschaft ihre Arme nach nur ausstrecken, kränken Sie mich durch einen furchtbaren Verdacht. Mein Gewissen ist frei von jedem Vorwürfe, und ich schwöre zu Gott, den: ich mein unendliches, überschwengliches Glück verdanke, daß ich wissentlich keinen: Menschen in der Welt ein Unrecht zugefügt habe. Mein Vermögen verdanke ich meinen: Muthe und meiner Thätigkeit; kein Seufzer, keine Thräne beinträchtigt mir den ruhigen Besitz desselben."

O, mein Gott," unterbrach ihn Heiligenstein,ich wollte Sie nicht kränken! Es ward mir schwer, die Einleitung zu dieser Unterredung zu treffen, die ich Ihnen als Freund nicht erlassen kann. Ludwig, ich glaube Sie genug vorbereitet zu haben lesen Sie selbst, und erlassen sie mir jede weitere Erklärung. Diesen Brief brachte mir vor einer Stunde ein Courier aus der Residenz; er kommt von einem Verwandten, der einen hohen Posten bei den: Criminalgerichtshofe bekleidet. Lesen Sie, und Sie werden mein Benehmen erklärlich finden und entschuldigen."

Der Baron entfaltete das Papier und las:

Plein lieber Vetter! Ihre Beziehungen zu der Familie 'Nienstedt sind durch die Rückkehr des jungen Barons freundschaftlicher geworden, als je. Ich weiß, daß jeder Schlag, der jene trifft, auch Sie berührt, denn Sie be-