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strömt bewußtlos zusammensank und in seine Wohnung getragen werden mußte, wo er lebensgefährlich darniederliegt. Ebinger hat da» Zeugniß eines braven fleißigen Arbeiter» und Familienvaters. — In Schmiden wurde vorgestern ein erschütternder Leichenbegängniß gefeiert. Am Sonntag Nacht nemlich starb dort eine Wittwe nach längerem Krankenlager. Am Montag Morgen wurde ihre hier verheiratheke Tochter von einem tobten Kinde entbunden. Eine Stunde nach der Geburt starb auch die Wöchnerin Vorgestern Nachmittag nun fand die Beerdigung von Mutter. Tochter und Enkelkind auf hiesigem Gottesacker statt, wozu sich eine große Menge Theilnehmender von hier und auswärt» eingefunden hatte. Beide Särge, von welchen der eine die Leiche der Mutter enthielt, der andere die Leiche der Tochter mit ihrem Kinde in den Armen, wurden in ein gemeinsame» Grab versenkt.
Bremen, 7. Dez. Der Postdampfer Neckar, Capt W. Willi- gerod, vom Norddeutschen Lloyd in Bremen, welcher am 20. Nov. von Bremen und am 22 Nov. von Southampton abgegangen war, ist heute 10 Uhr Morgens wohlbehalten in Newyork angekommen.
Wien. 10. Dez. Ein Augenzeuge des Ereignisses, der auf der dritten Gallerie im Theater war, erzählt, daß die Bühne bereits ein Flammenmeer war, als das Publikum die Gefahr in ihrem vollen Umfange ahnte. Vom Parquet bis zu den Gallerten ertönte mit Einemmale der Schreckenrruf: „Feuer!" Alles stürzte in wilder Hast nach den Ausgängen. Männer und Frauen von gleichem Entsetzen getrieben. Einige Besonnenere boten Alles auf. die Leute von dem selbstmörderischen Drängen nach den Ausgängen abzuhalten und dadurch dar Fortkommen in den schmalen Gängen möglich zu machen; aber ihre Zurufe verhallten ungehört in dem Gekreische der Weiber und dem Toben der Männer. In wirre Knäuel schob und preßte sich Alles zusammen; wer stürzte, war verloren, denn die Menge stürmte über ihn hinweg. Von der Seite des Augenzeugen, der diese Schilderung gibt, ward bei einem jähen Rucke seine ihn begleitende Kousine weggerifsrn. im nächsten Momente sah er sie mit einem wilden Amschrei zusammenbrechen. Er wollte sich mit übermenschlicher Kraft Bahn zu ihr brechen — vergebens. Der Knäuel vor Entsetzen fast wahnsinniger Menschen preßte ihn hinweg, er gelangte mit noch anderen etwas mehr als 80 Personen auf den Eckbalkon des Theaters und ward durch einen Sprung in das Sprungtuch gerettet.
Wien, 12. Dez. Bei der heutigen Leichenfeier der Opfer des RinglheaterbrandeS stand im St. Stefansdom, der ganz schwarz drapirt war, ein hoher Katafalk, umgeben von exotischen Pflanzen, in einem Lichtermeer. Die Kirche war überfüllt. Unter Vorantritt der Geistlichkeit erschienen der Kronprinz, die Erzherzöge. der gesammte Hofstaat, die obersten Hofchargen, sämmkliche Minister, die Mitglieder des Herrenhauses, des Abgeordnetenhauses mit beiden Präsidenten, alle Behördenspitzen, der Gemeinverath mit dem Bürgermeister, die Generalität, Offiziere und andere Notabilitäten. Bischof Angerer celebrirte das Requiem. Mitglieder des Hofopernchors sangen Cdoräle. Vor dem Dome, sowie in den einmündenden Straßen standen viele lausend Menschen. Auf dem Friedhofe nahm Probst Marschall die Einsegnung vor. Nach der feierlichen Einsegnung, die nach katholischem, griechisch-unirkem. protestantischem und israelitischem Ritus vorgenommen wurde, begaben sich alle Trauergäste zur Gruft. Der erste Sarg wurde in dieselbe in feierlicher Weise versenkt und auf diesen warfen die Priester der verschiedenen Konfessionen, der Bürgermeister und die anderen Trauergäste die ersten Schollen. Die Einsenkung der anderen Särge konnte nicht in Gegenwart oller Trauergäste vorgenommen werden. Die Gruft ist 150 Fuß lang und 14 Fuß breit. Ein Militärkordon von 1460 Mann war rings um die Gruft aufgestellt. Auf einem niedrigen Trauergerüke waren die 160 Särge der Nichtagnorcirten oder nicht übernommenen Leichen aufgestellt. Der Bürgermeister D. v. Newald sprach die Trauerrede. Die Feierlichkeit verlief in größter Ordnung. — Es werden 894 Vermißte von der Polizei ausgeschrieben.
London, 5. Dez. Die B r i g h t o n e r E i s e n b a h n hat auf ihrer Linie verbesserte Wagen 1. Klasse nach dem amerikanischen System eingeführt, nach welchem bekanntlich (wie auf den w ü r t t e m b. Bahnen) die Wagen
in der Mitte einen Durchgang haben. Vor einigen Tagen machte ein Zug solcher Wagen eine Probefahrt von London nach Brighton. Derselbe bestand an« einem Parlourwagen, einem Salonwagen, einem Damenboudoir und Ankleidezimmer, einem Restaurant und einem Rauchkabinet, während sich an jedem Ende de» Zuges nächst dem Gepäckwagen ein Koupö für die Dienerschaft der Passagiere befand. Als der Zug durch einen Tunnel fuhr, wurden die Wagen wie durch Zauberschlag durch elektrisches Licht erhellt.
Philadelphia, 5. Dez. Guiteau betrat heute den Gerichtshof mit Furcht und Zittern. Offenbar ward er durch die Menschenmenge außerhalb desselben beängstigt. Professor Shively, welcher sich für den „wahren Messias" aurgibt, ist in Washington emgetroffen und richtete Briefe an den Richter und die Geschworenen, um sie zu überzeugen, daß Guiteau keinen Anspruch auf göttliche Eingebung habe. Der Professor wurde in's Irrenhaus gebracht. — Als heute der erste Zeuge vortrat, sagte Guiteau in ruhigem Ton: „Ich wünschte, daß die Experten ihre Meinung über Folgendes abgeben: Wenn ein Mensch durch eine M^>cht, welche er unmöglich kontroliren kann und welche seine ganze moralische Kraft beherrscht, zu einer gesetzwidrigen Handlung getrieben wird, — ist er bei Verstand oder nicht?" Richter Cox entgegnete, er wolle diese Frage berathen lassen. Dr. James Kennon von Chicago erklärte, er habe keinen Zweifel an dem Irrsinn des Beklagten. Im Laufe de» Kreuz-Verhörs bemerkte der Staatsanwalt, die Verlheidigung habe den Beweis nicht erbracht, daß Guikeau's Vater irrsinnig gewesen sei, woraus Guiteau aus- rief: „Wir wollen Euch beweisen, daß er geisteskrank war. Jedermann weiß, daß mein Vater ganz gehörig verrückt war. — er ist ein guter Mann gewesen, aber in Religionssnchen wa r er ein Konsusionär." _
Der Brand des Ringtheaters in Wien.
Direktor Jauner äußerte sich über die Ursache der Katastrophe folgendermaßen: „Jedes Theater und sei es das größte und mit den denkbar großartigsten Vorsichtsmaßregeln erbaute, mit den umfangreichsten Sicherheitsvorkehrungen ausgestattetc Haus, ist unrettbar verloren in dem Augenblicke, als der Schnürboden in Brand geräth. Der Schnürboden mit seinem ungeheuren Vorrath an Brennstoffen und Brennmaleriale, diese» Reservoir aller Gasschläuche und unzähliger Gasflammen ist in Brand ge- rathen, ehe 2 Minuten verflossen. Man macht es uns zum Vorwurf, daß der Drahtvorhang im Theater im Moment des Ausbruche« der Flammen nicht herabgelassen wurde. Darauf will ich nur Folgendes sagen: Das Feuer kam im rückwärtigen Theile der Bühne, beim Gasmotor zum Ausbruche; der Erste, der unter den auf der Bühne befindlichen Personen die Flammen bemerkte, war mein Sekretär, Hr. Giesrau. Er stürzte augenblicklich nach vorwärts, um dem auf der linken Seite der Bühne postirlen Manne, welcher den Bühnenvorhang und den Drahtoorhang zu handhaben hat, zuzurufen, er möge den Drahtvorhang fallen lassen. Aber ehe er diesen verbältnißmäßig kurzen Weg zurückgelegt, belehrte ihn ein einziger Blick, daß die ganze Bühne bereits einem Flammenmeere glich und von dichtem Qualm erfüllt war. Der Mann bei dem Drahtvorhang war nicht mehr zu sehen und hätte er auch nur 2 Minuten auf seinem Posten ausgeharrt, so wäre er von der Hitze, die sich dort entwickelte, geradezu geröstet worden. Wie falsch sind übrigens die Vorstellungen, die man sich von der Nützlichkeit dieser Drahtvorhänge macht. Sie sind ja nicht aus Eisen, sondern aus Draht und enthalten thalergroße Oeffnungen, durch welche die Flammen ganz bequem ihren Weg finden. Bis sie herabgelassen sein kann, vergehen drei Minuten, eine mehr als genügende Frist, um bei einem so intensiv auftretenden Feuer den ganzen Bühnenraum in Flammen zu setzen...." — Ein Arzt therlt mit, daß auf der letzten Gallerie die meisten Leichen in sitzender Stellung mit aus dem Munde hängender Zunge gesunden wurden. — Ein Rauchfangkehrer soll ins Haus an eine Treppe gekommen sein und seinen Arbeiter mitgenommen haben, um vereint mit diesem Hilfe zu leisten. Aber im Momente als er vorwärts ging, fühlte er sich von unzähligen Armen gefaßt. In Verzweiflung griff er zu seiner Kratze und hieb die Hände weg, die ihn gefaßt hatten, floh und rettete sein eigenes Leben. Sein Gehilfe aber blieb in den Armen Der-
gesüllt, die von ihrer innerlichen Verachtung aufgerissen worden war. als dieser Mann, elend und unglücklich durch seine übereilte Wahl, zu der ihn Eiielkeit und Eigennutz getrieben hatte, Trost bei ihr suchte. Sie selbst hatte ihm, zwar nicht durch Ring und öffentliches Verlöbniß, aber durch jahrelanges stilles Lieben ongehört, bevor er Gnade vor den Augen der reichen Goldschmiedstochter, Leopoldine Probst, fand, und von ihr in ihren Goidnetzen gefangen wurde; aber sie hotte sich mit weiblicher Würde so s.in und schnell in die Schranken der Schwesterlichkeit zurückgezogen, daß Richard sie schon fern von seinem Lebenswege fand, als er erst mit Schre- ck-n daran dachie, seinen Bund mit ihr lösen zu müssen. Seine Ehe war erns Hölle! Er selbst nannte sie schon nach Jahresfrist so, und er ertrug diese Qual der Verdammniß drei volle Jahre, ehe er sich zu dem widerwärtigen Schritte der Scheidung entschließen konnte. Wund an !Geist, Herz und Seele, suchte er das Landhaus auf, und er fand nachsichtige Richter in seinen Verwandten und in Theodoren.
Noch vor drei Wochen hatte Richard mit blitzenden, brennenden Blicken dem Mädchen gestanden: seine Sünde gegen sie sei von dem Feuer dieser Höllenqualen gesühnt — und nun? Und nun? Theodore hob den Blick nicht anklagend auf gegen den Himmel, aber die große, krystallhelle Thräne, die auf ihre Näherei tropfte, enthielt eine herbe Klage.
„Freilich," kalkulirte sie weiter im trübselig stummen Grübeln, „freilich, Leopoldinen» Geld ging ihm verloren, wenn er sie ausgab, freilich, sein luxuriöser Leben, seine Reisen, seine Pferde. seine Hunde, seine Gesellschaf-! len — Alle» schwand wie durch einen Zauberschlag — daran «achte er i sticht gedacht haben, und deßhalb mochte ihm die dargebotene AusMnuua! erwünscht gewesen sein."
Eine unsäglich bittere Empfindung durchwogte Theodorens Brust. „Mag er sein Unglück tragen," flüsterte sie hörbar, als jetzt die Stimmen der beiden Gatten deutlicher vom Hause herüberdrangen.
Doch als endlich Worte der Verwünschung und der Drohung erschallten, als den Lippen der Frau Pold:ne jene kreischenden Töne des kindischen Wahnsinns, womit sie ihr Recht zu vertreten suchte, entflohen, als wild und wirr der'schauderhaste Zank ausbrach, der immer solche Scenen beschloß, die vom Widerspruch der dummen Anmaßung angefacht und von der Ungeduld des spröden Männergemüthes bis zur äußersten Grenze der Heftigkeit getragen wurden, da kehrte doch wieder Mitleiden in Theodorens Brust zurück.
Ihre Pflegeeltern hörten mit steigendem Unbehagen auf den Lärm der streitenden Stimmen. Der alte Herr wies ärgerlich nach der Landstraße, wo zwei Bauerweiber horchend stehend blieben, und die alte Dame sagte bittend:
„Geh' hinauf. Dora, bitte — gehe hinauf, und ermahne sie zur Ruhe I"
Theodore lehnte zuerst entschieden diesen Auftrag ab. und berief sich auf Leopoldinens speciellen Befehl, sich nicht einzudrängen. Nach und nach überwältigte aber die Furcht vor dem Ausgange des immer heftiger entflammten Streites ihre Scrupel und sie ging, nicht mit leichtem Herzen, dem Hause zu. Wie oft. wie unendlich oft hatte sie schon zwischen diese beiden Menschen, treten müssen, um durch ihre imponirende Ruhe ein Gleichgewicht herzustellen! So schwer, wie an diesem Tage war es ihr aber noch me ge, worden. „Es ist zum letzten Male," sagte sie leise, als sie in.den Hausflur trat.
(Forts«-ung. folgt.)