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Bulgariens an Jgnatjeff, an welchen die Bulgaren schon früher und bei anderen Gelegenheiten sich zu wenden gewohnt sind, ein Telegramm mit der Bitte, den gnädigen Schutz des Kaisers ihnen zu erwirken. Jgnatjeff richtete hierauf zur Beseitigung der verschiedensten mit Absicht hervorgerufenen Preß- gerüchte über die Beziehungen der russischen Negierung zu den inneren Angelegenheiten der Bulgaren folgendes Telegramm an Zankow nach Sofia: „Sie haben sich an Rußlands Vertreter in Bulgarien Chitrowo oder an den Reichskanzler Gartschakoff zu wenden; Rußland, welches Bulgarien mit seinem Blute wiederhersiellte. beabsichtigt nicht, sich in die inneren Angelegenheiten Bulgariens zu mischen. und wünscht Bulgarien nur gute Einrichtungen, Einigkeit, Gedeihen und Ruhe.* — Die „Agence Ruffs* sagt: Der Beweis, daß der Minister des Innern, Graf Jgnatjeff, sich nicht in ein anderes Ressort mische und daß in den verschiedenen Departements volle Uebereinstimmung der Gesichtspunkte herrsche, sei in der Antwort zu finden, welche Jgnatjeff Hrn Zankow aus dessen Ersuchen erlheilt habe und wonach Rußland sich nicht in die inneren Angelegenheiten Bulgariens mische. Die „Agence Russe* fügt hinzu, daß die russischen Offiziere, welche in bulgarische Dienste getreten, nicht mehr von der russischen Regierung abhängen.
Bulgarien
Tie bulgarischen Radikalen verkünden offen, sie würden zum offenen Ausstand schreiten, falls die heute beginnenden Wahlen zu Gunsten des Fürsten ausfallen würden. Laut einer Meldung der „Neuen freien Presse" sind sogar Anschläge der bulgarischen Radikalen gegen das Leben Alexanders geplant.
TageSÄteuigkeiten.
— Stuttgart, 28 Juni. Der Stuttgarter Brieftaudenklub hat nach wochenlanger Dressur am Samstag 15 seiner besten Tauben nach Nancy gesandt, wo sie gestern, Montag früh 5 Uhr aufgelassen wurden. Ein Schiedsgericht, bestehend aus Stallmeister Fritz, Leihstallbes. Kurz, Bäckermstr. Wörnle, Fabrikanten Mahle und Luickerk, erwartete die Tauben im Vereinslokale bei Paul Weiß. Die erste, Dir. Sorge gehörend, welche ihrem Besitzer 70 als Preis eintrug, kam 9 Uhr 32 Min. an. die 2. um 9. 35, die 3. um 9. 38, die 4. um 9. 40 , die 5. um 9. 45, die 6. um 9. 43 Min. Die 2. gehört Fabr. Mahle, die 3, 4. und 6. Luickert, die 5. Wörnle. Die 6 Tauben haben also den großen Weg Nancy-Stuttgart in 4 Stunden 32 — 46 Min. zurückgelegt.
— Plieningen, 24. Juni. Ein Schäfer Namens Ederle wurde dieser Tage laut „F.-B.* von einem Schäferhunde so schauderhaft zugerichtet, daß er gestern starb. Der Hund wurde erschossen.
— Weissach, OA. Vaihingen, 24. Juni. Der „St.-A. berichtet: Als heute Pfarrer Iäck sich auf die Kanzel begeben wollte, fühlte er sich unwohl. Trotzdem bestieg der 84jährige Greis berufseifrig den Predigtstuhl, sprach auch noch das Gebet, aber kaum hatte er das „Amen" vollendet, als er sich entfärbte und vom Schlage getroffen tobt auf der Kanzel hinsank. Der Schrecken der versammelten Gemeinde läßt sich nicht beschreiben.
— Neckarsulm, 24. Juni. Die seit Oklober v. I. von der Kgl. Salinenverwaltung zu Jagstfeld unternommenen Bohrversuche neckarauf- wärts haben heute Nacht zu dem erwünschten Ziele geführt. Zur größten Genugthuung für die Tag und Nacht unermüdlich fortgesetzten Arbeiten stieß man nämlich gegen 2 Uhr Morgens im zweiten Bohrloche nahe dem hiesigen Bahnhofe in einer Tiefe von 180 Metern auf ein Salzlager, über dessen Umfang man demnächst wohl näheres erfahren wird. Die Vermuth- ung der Verwaltung, daß sich am Neckar oberhalb der Saline Salzgesteine finden müßten, hat sich sonach als vollkommen richtig bewährt.
— Roltenburg, 27. Juni. Viel von sich reden macht gegenwärtig ein freches Bubenstückchen zweier hoffnungsvoller 14jähriger Bürschchen, welche die hiesige Lateinschule besuchen. Dieselben fuhren, wohl mit Geld versehen, jedenfalls ohne Wissen der Eltern, vorige Woche im Eitzug nach Tübingen. Nachdem sie sich dort gütlich gethan, traklirten sie auf dem Wege zum Bahnhof Hunde, Katzen. Geflügel rc. mit Zuckerstücken, die sie ihnen zuwarfen. Während der Fahrt aber fiel es einem derselben ein, den Bahnwärter N. nächst der Station Kilchberg ebenfalls mit einem faust
großen Zuckerstück im Vorbeifahren zu bewerfen, und er traf denselben so sicher unter dem Auge ins Gesicht, daß das Blut sofort herabrann. Der Bahnwärter eilte dem Zug nach bis Kilchberg. um die Thäter herauszufinden. Inzwischen aber war der eine schon aus dem Zuge entsprungen, während derselbe noch in vollem Laufe war (ohne übrigens erheblichen Schaden zu nehmen), der andere wurde in Rottenburg dem Bahnhof- Inspektor zur Untersuchung übergeben. Auf Befragen gab er einen falschen Namen an, doch sind beide Früchtchen jetzt herausgefunden und werden der wohlverdienten gerichtlichen Strafe nicht entgehen.
— Wall Hausen, 26. Juni. Gegen Uhr Nachmittags wurde er so dunkel, daß man kaum mehr lesen konnte. Dann brach ein Orkan los, der eine Menge der stärksten Bäume, von Mannsdicke und darüber» entwurzelte oder einige Fuß über dem Boden abknickte. Unter furchtbarem Blitzen und Donnern rasselte endlich ein über 1/4 Stunde anhaltender Hagel hernieder, darunter Körner von der Größe eines Hühnereis, der nicht nur alles Obst und alle jungen Triebe von den Bäumen schlug, sondern auch alle Feldfrüchte total vernichtete. Der Roggen wie der Dinkel sind in der Milte geknickt und abgeschlagen, Gerste, Haber und Kartoffeln liegen zerschlagen am Boden. Der Schaden ist ein ungemein großer und trifft unsere zahlreichen geringen Leuts sehr schwer. Daneben schlug der Hagel eine Menge Fensterscheiben und Dachziegel zusammen. Die meisten Einwohner waren Nachmittags auf dem Felde, um Heu heimzusühren. Nicht wenige derselben wurden auf dem Heimweg von dem Unwetter überrascht und mußten hinier und unter den geladenen Wagen vor den Schloßen Schutz suchen. Mehrere Wagen riß der Sturmwind um und einer derselben begrub in semem Fall eine Frau von hier unter sich und drückte sie mit dem Kopf in einen von Wasser angeschwollenen Graben, in dem sie ertrunken wäre, wenn der beim Sturz des Wagens und von den Schloßen selbst beschädigte Stiftungspfleger von hier sie nicht bemerkt und zur rechten Zeit noch hervorgezogen hätte. Immerhin trug sie einen Armbruch und, wie man fürchtet, auch innere Verletzungen davon.
— Ulm, 23. Juni. Die „U. Schn." schreibt: Heute feiert ein ehrwürdiges Jubelpaar. Herr Kommerzienrath Eduard Leube und Frau Emilie, ged. Kinderoatter, die goldene Hochzeit. Der Jubelbräutigam zählt 81, die Jubelbraut 75 Jahre. Herr Dekan Presset hält eine feierliche Ansprache und wird damit zugleich der Vermittler aller der herzlichen Wünsche, welche die Ulmer Bürgerschaft dem ehrwürdigen Jubelpaare widmet."
— In einigen Distrikten Ober- und Mittelfrankens hat der Hagelschlag furchtbare Verwüstungen angerichtet. Getreide, Gras, Kraut, Flachs, Kartoffeln und alle Gartenfrüchte sind total vernichtet, da Kiesel in der Größe von Hühner- und Gänseeiern fielen, und zwar in solcher Menge, daß dieselben nach noch mehreren Stunden einen halben Meter hoch lagen.
— Mannheim, 21. Juni. Das Schwurgericht hat heute den Dienstknecht Thomas Höfling von Einershetm wegen Raubmords, verübt an seinem Dienstherrn, zum Tode verurtheilt.
— Straßburg. 23. Juni. In letzter Zeit hat die Stadt wieder für 200,000 Bauplätze am Kaiserplatz und in der Nähe der neuen Universität verkauft. Bis jetzt sind im Ganzen für über 4 Mill. städtische Baugründe verkauft worden, ein sehr befriedigendes Resultat.
— Dortmund, 25. Juni. Die „Dortmunder Zeitung" meldet aus Larop: Auf der Zeche „Louise Tiesau" war gestern Nachmittags drei Uhr auf der Mittelsohle von Flötz „Wittwe" eine Explosion schlagender Wetter. Bis Nachmittags 5 Uhr wurden fünf Tode und vier Schwerverwundete herausgeschafft. Die Zahl der Verunglückten ist noch nicht zu übersehen.
— Dortmund, 25. Juni. Den neuesten Berichten der „Westfälischen Zeitung* zufolge sind beim gestrigen Grubenunglück 17 Bergleute getödtet und 5 leicht verwundet worden. Sämmtliche Leichen sind zu Tage gefördert.
— In Neu-Isenburg ist ein 9jähriges Mädchen an der Toll- wuth gestorben. Es war vor vier Jahren von einem Hunde gebissen worden, die Wunde war unbedeutend und heilte mit bestem Verlauf. Vor 14 Tagen brach die furchtbare Krankheit plötzlich aus.
Josephine verneigte sich, und ging in den Saal.
„Ich bedarf der Aufschlüsse nicht, denn ich weiß bereits Alles!* flüsterte sie vor sich hin.
„Was ist das? Was ist dar?" fragte sich Philipp. „Der Major sucht meine Frau auf? Der brutale Mensch ist sicher nur gekommen, um mir zu schaden. Aber wie kann er wissen, daß ich mich in Leipzig aufhalle? Wer hat ihm meine Verbindung mit Josephine entdeckt?"
So leise, als es seine Aufregung erlaubte, schlich er über den Cor- ridor in das Kabinet. Als er die Falten der grünen Gardine ein wenig ouseinanderzog, sah er den Gast neben seiner Frau auf dem Sopha sitzen, das dem Verstecke qegenüberstand. Der Lauscher konnte genau die in einer Unterredung begriffenen Personen beobachten.
„Er ist es!" flüsterte Philipp, der leise zitterte. „Ich werde seinen Hörartigen Plan aus eine Weise vereiteln, daß er mir nie wieder in den Weg treten soll.
Wie erstaunte Philipp, als er sah, daß der Major die Hand seiner Frau ergriff und in einem zärtlichen Tone. den er bei dem derben Soldaten nie gekannt, flüsterte:
„Nicht wahr, Madame. Sie erlauben mir. daß ich dem Drange meines Herzens folgen und Sie Zosephine nennen darf?"
„Herr Major, jeder Ausdruck Ihrer Achtung und Zuneigung ist mir willkommen!* antwortete sie, mit dem sichtlichen Bemühen, von dem Lauscher deutlich verstanden zu werden.
„O. zweifeln Sie nicht, daß Sie beide Empfindungen lebhaft in mir ««geregt habm. Laß ich völlig mit mir im Klaren bin , habe ich Ihnen
bereits in meinem Briefe angezeigt. Sie sind die Frau» wie ich sie mir wünsche, und darum empfangen Sie den Verlobungsring.*
Fast hätte Philipp seine Anwesenheit verrathen, als er in dem Major den Heirathrkandidaten kennen lernte, der ihm so viel Sorgen gemacht hatte. Statt in der gefürchteten bösartigen Absicht, war der Major in der zärtlichsten von der Welt gekommen — er wollte die reizende Josephine heirathen.
„Warum mystifizirt sie den Major?" fragte er sich zitternd. „Wo hat sie ihn kennen gelernt, und wo hat die Annäherung stattgefunden? In welcher Absicht hat sie diese seltsame Heirathsgeschichte eingelntet?*
Er sollte bald die Antwort auf diese Fragen erhalten.
„Bevor ich Ihren Ring annehme,* sagte Josephine, „muß ich Ihre Bedingungen kennen lernen —*
„O, mein Gottrief der begeisterte Major, „reden wir nicht von Bedingungen! Doch ja, eine Bedingung habe ich Ihnen zu stellen."
„Und welche?*
„Daß der Verlobung sofort die Vermählung folgt. Ich habe einen wichtigen Grund, meine junge Frau sofort mit mir zu nehmen.*
„Fürchten Sie meine Untreue , wenn Sie mich noch einige Zeit in Leipzig zurücklassen?" fragte Josephine lachend.
„Nein, Josephine, nein! Bei meiner Ehre als Soldat: nachdem ich Ihre Grundsätze kennen gelernt, kann es mir nicht einfallen, den leisesten Verdacht zu hegen. Die Eifersucht ist in meinen Augen das häßlichste Laster an einem Bräutigam oder Ehemann. Beweist sie nicht. daß er sich unfähig fühlt, das Herz seiner Geliebten ganz auszusüllen? Oder daß man ihr nicht trauen darf? Madame, regte sich Mißtrauen in mir, so würde ich Ihnen diesen Ring nicht anbieten." (Fortsetzung folgt.)