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ruhigen; allein Abends zogen die Italiener mit ihren Fahnen durch die Straßen. Dies geschah am Freitag. Seither dauern die Unruhen fort und sind namentlich am Sonntag sehr blutig geworden, wie aus den nachstehenden Depeschen hervorgeht.
Marseille, r9. Juni, Ab. 11 Uhr. Seit 8 Uhr finden blutige Sch lägereien zwischen Franzosen und Italienern statt. Es heißt, 3 Personen seien todt, viele verwundet. Der Gemeinderath ist in Permanenz. Viele Kaffeehäuser sind vom Präfekten geschloffen. Die Stadt ist von Patrouillen durchzogen.
Marseille, 20. Juni. Die Schlägereien dauerten während der Nacht an mehreren Punkten fort. Man spricht von 8 Tobten, 23 Verwundeten. Im Hospital befinden sich 2 Todts, 12 Verwundete. 65 Personen wurden verhaftet. Ter Staatsprokurator begann die Untersuchung.
England
London, 17. Juni. Das Verfahren der Engländer gegen dieAschan- tis (Westküste Afrikas) scheint gleichfalls ein sehr hartes zu sein. König Mensa sandte einen Botschafter mit Gefolge und dem unglückseligen goldenen Btil an den britischen Gouverneur und ersuchte um Aussolgung eines flüchtigen Häuptlings. Der Gouverneur (er wurde seither wegen des übereilten Schrittes abberufen) witterte Krieg, sandte Truppen an die Grenze, ließ Verstärkungen von Westindien kommen und Millionen Patronen und Pro- viantvorräthe aufspeichern. König Mensa erklärte das goldene Beil als ein bloßes Ehrenzeichen, ließ durch eine neue Gesandtschaft das Mißver- ständniß aufklären und bat flehentlichst die große weiße Königin, ihn in Frieden zu lassen. Der neue Gouverneuer fand es jedoch angemessen, die durch seinen Vorgänger der Kolonie unnöthig verursachten Kosten von König Mensa bezahlen zu lassen, und verurtheilte ihn zu 2r 00 Unzen Gold; 1600 Unzen sind mittlerweile eingelieferr worden, und bis zu Eingang des restlichen Goldstaubs bleibt der Botschafter des Königs als Geißel im but schen Gewahrsam.
Rußland.
Eine Petersburger Depesche vom 15 d. meidet: „Heute Morgens um 9 Uhr wurde nächst der Tschernyscheffbrücke der Leichnam eines unbekannten Mannes aus der Newa herausgezogen, über dessen Kopf ein Sack gezogen war und aus dessen Brust ein Täfelchen mit der Aufschrift „Verräther" sich befand; zweifellos ein neuer Racheakt der Nihilisten."
Norwegen.
CH ristiana, 18. Juni. Der Storthing beschloß, die Erhöhung der Apanage des Kronprinzen mit 50,000 Kronen zur Zeit abzulehneu.
Tages Neuigkeiten.
— Calw, 20. Juni. Von befreundeter Hand geht uns nachstehender, auf einer wirklichen Thatscche beruhender Bericht über ein „Jagd-Malheur" zu. Auf einem der Waldorle des Bezirks ging jüngster Tage ein Wald- bedicnsteter mit dem Jagdpächter auf die Jagd; schon im ersten Trieb lief dem Erstgenannten ein Rehbock an. worauf derselbe sofort die beiden Läufe seines Hinterladers auf denselben abfeuerte, und der Bock am Boden lag. Anstatt nun ruhig das Gewehr vorher wieder zu stoppen, zog der vom Fieber ergriffene Nimrod vor, die Flinte bei Seile zu werfen, aus den Bock zuzuspringen und mit der einen Hand einen Hinterlauf desselben ergreifend, und mit der andern das Messer rn der Tasche suchend. dem armen Thier den Garaus zu machen. Der dem Tode Geweihte, vielleicht die mörderische Absicht des fiebernden Schützen merkend, machte im Kampfsums Dasein von seiner Muskelkraft Gebrauch, einen kräftigen Ruck, und — frei war er aus der Hand seines Peinigers, welcher dießmal das Pferd am Schwänze aufzäumte, und suchte das Weite. Möge sich dieser neugebackene Nimrod für die Zukunft merken, daß, wenn irgendwo, so auf diesem Gebiete das Sprichwort gilt: „blinder Eifer schadet nur l"
W 6. Stuttgart, 18. Juni. Die Dritte der mit der Gewerbe- Ausstellung vereinigten monatlichen Gartenbau-Ausstellungen für den Monat
Juni hat in diesen Tagen begonnen. Das Arrangement derselben ist von Herrn Hofgärtner E h m a n n. Den Glanzpunkt bilden diesmal die reichlich vertretenen Englischen-, Fantasie-, Odier-Pelargonium und die Geranium zonale, ferner die schönen Sortimente von Freiland-Farnen. Fuchsien. Petunien, Succulenten und der schönen und interessanten Stanhopeen (Orchideen) Erdbeeren rc. Der nunmehr im Freien sich entwickelnde Rosenstar ist das Entzücken aller Blumenfreunde. Eine besonders schöne Gattung sind die mit zahllosen Blüten Überhängen«» malerischen Trauerrosen.
— Stuttgart, 18. Juni. Vor einigen Tagen wurde durch die Fahndungspolizei eine Weibsperson hier sestgenommen, welche mehrere Dienstmädchen und auch eine Familie zu bestimmen suchte, mit ihr nach Amerika zu gehen unter der Vorspiegelung, sie sei die uneheliche Tochter eines hochgestellten adeligen Herrn und habe von diesem ein Vermächtniß von 45,000 „16. erhalten, welches ihr Pfleger verwalte. Sie sei nun entschlossen, nach Amerika zu reisen, woselbst sie ebenfalls einen reichen Onkel habe; sie wolle arme Mädchen und Familien dorthin verbringen, denselben die Reisekosten bezahlen, Kleider anschaffen und jeder Person noch 500 baar geben. Die Schwindlerin hat auch von einigen Mädchen und einer Familie, welche deren Angaben Glauben schenkten, die Zusage erhalten mit ihr nach Amerika zu reisen; ein Mädchen hatte schon den Dienst, das andere den Arbeitsplatz verlassen, die Familie ihre Nähmaschine verkauft; auch hat dis Schwindlerin in verschiedenen Kleiderläden für diese Personen Kleider bestellt, und nirgends hat man Mißtrauen gegen dieselbe gehegt. Sie wurde jedoch noch rechtzeitig als die ledige 23 Jahre alte Helene Friederike Daiß von Göppingen erkannt, welche wegen Betrugs schon mehrmals bestraft und am 4. März d. I. in Gotteszsll entlassen worden ist. Die Betrügerin wurde verhaftet.
— Schorndorf, 20. Juni. Das Amtsgericht trat heute früh in Winterbach in Thätigkeit und verhaftete daselbst ein 20 Jahre altes Dienstmädchen aus Simmozheim, O.A. Calw, welches im Verdachte steht, in der Nacht vom 17./i8. d. M. heimlicher Weise geboren und das Kind geiödtet zu haben. Den Leichnam des neugedornen, lebensfähigen Kindes fand man im Abort.
— Weikersheim. 17. Juni. Heute mußten hier wegen des mehr und mehr um sich greifenden Scharlachfiebers sämmtliche Schulen geschlossen werden.
— Man schreibt von der Alb: In Hochberg bei Zwiefalten befindet sich rin Kcastmaier eigener Art. Es ist der Schuhmacher B., der wettet, ein oder auch mehrere Männer seien nicht im Stande, ihn an seinen Haaren von der Bank, aus welcher er sitzt, wegzuziehen; bis jetzt hat er noch immer die Wette gewonnen. Eines Tags aber wird er sie nicht mehr aniietcn können, denn bei jeder Probe seines Behaarungsvermögens muß er stark Haare lass.n.
— Von der bayerischen Grenze, 13. Juni. Wie uns von einem Augenzeugen milgelheilt wird, kam vorige Woche ein Bauer nach Ansbach, anscheinend frisch und gesund; derselbe erfuhr vom Gericht, daß er seinen Prozeß verloren habe, worüber sich der Mann so entsetzte, daß er alsbald irr- und tobsüchtig wurde; er schlug und biß um sich und mußte von zwei Gensdarmsn im Gasthaus zur Butte ergriffen und direkt ins Irrenhaus verbracht werden.
— K a r l s r uh e. .17. Juni. Die „Konstanzer Ztg." schreibt: „An den Selbstmord des Oberlandesgerichtsraths v. Blittersdorfin Karlsruhe knüpfen sich landauf landab böse Gerüchte. Die Geistesstörung sei nur vorgeschützt; das wirkliche Motiv sei in der Zerrüttung seines Vermögens durch Börsenspiel zu suchen. Er habe nicht nur sein eigenes Vermögen verspielt, sondern auch fremdes, sogar Mündelgelder, und er sei durch den Tod nur der Verhaftung zuvorgekommen. Die Presse darf solche Dinge nicht todtschwetgen, wenn es einen Mann in hoher Stellung und nicht blos einen armen Schlucker betrifft. Der „Bad. Beob." theilt mit, daß ähnliche Gerüchte zu seiner Kenntniß gekommen sind.
— Aus Frankfurt, 18. Juni, wird geschrieben: Der Amerikaner
„Was ist dar?" fragte sie überrascht, und indem sie einen vorwurfsvollen Blick auf Meta warf.
Ungeachtet seiner furchtbaren Verfassung, hatte Philipp diesen Blick bemerkt.
Meta wollte sich rechtfertigen, Josephine befahl ihr, das Zimmer zu verlassen. Philipp war mit seiner Gattin allein. Er sah sie mit Blicken des tiefsten Schmerzes, der bittersten Verzweiflung an.
„Philipp," sagte Josephine ruhig, „ich errathe Alles!"
„Und Du zitierst nicht?" rief er unter Thränen aus. „Du hast den Muth, mit dieser Miene Deinem schwer betrogenen Gatten unter die Augen zu treten, während er die Beweise Deiner Schuld, Deines gräßlichen Betruges in der Hand hält?"
Die junge Frau zuckte leicht zusammen; dann aber kehrte ihre vorige Ruhe zurück.
„Philipp," sagte sie. „ich beklage den unglücklichen Zufall, der Dir ein Geheimniß verrieth, das Du erst später erfahren solltest. Ich beklage ihn doppelt, da er mir zeigt, wie leicht Dein Vertrauen zu mir zu erschüttern ist.
„Großer Go!t, das ist zu viel!" rief Philipp. „Madame, kennen Sie den Inhalt di-.ses Briefes?"
Sie bebte zurück vor dem plötzlich veränderten Tone.
„Ich kenne ihn!" sagte sie mit Würde.
„Wollen Sie mich nicht glauben machen, daß diese Zeilen nicht an Sie gerichtet sind ?"
„Nein, mein Herr, denn ich müßte lügen!"
„O, Sie vermuthen ohne Zweifel, daß alles Leugnen umsonst ist! Oder, was noch schlrmwer, Sie halten es wohl nicht einmal der Mühe werth, sich zu entschuldigen! Ziehen Sie getrost den Vorhang weg, Ma
dame . der mir bisher Ihre listigen Manöver bedecken sollte. Zeigen Sie sich wie Sie sind, denn mehr kann ich ja nicht erfahren, um zu begreifen, daß ich mich wie einen Knaben habe gängeln lassen.".
„Philipp," sagte Josephine würdevoll, Sie sind mein Gatte. Ich fordere von Ihnen das Vertrauen, das Sie der schulden, die mit Ihnen ein Bündmß für das Leben eingegangen ist. Wie ich sehe, verurtheilen Sie mich, ohne mich zu hören. Sie halten mich eines Verbrechens an meinen heiligsten Pflichten fähig, nachdem Sie meine Ansichten von Recht und Pflicht kennen gelernt haben. Das ist ein unzweideutiger Beweis, daß Sie meine bisher beobachtete Handlungsweise und meine so oft ausgesprochenen Grundsätze für Heuchelei, für Verstellung halten."
Der junge Mann war immer noch mehr Liebhaber als Gatte, und darum hatte er nur sein vernichtetes Lebensglück im Sinns. Sein Schmerz ward von einer Stimme übertönt, die ihm zurief: Sie kann nicht lügen, und warum sollte sie dich verrathen? Er sah zu ihr empor, um den Ausdruck ihres Gesichtes zu prüfen. Die reizenden Züge Josephins'S waren zwar blaß, aber es sprach sich eine würdevolle Ruhe darin aus, die der gewandtesten Heuchlerin zur Ehre gereicht haben würde, wenn sie erkünstelt gewesen wäre. Ein Mann, der mit der ersten Glut der Leidenschaft liebt, der den sichern Blick des ruhigen Ehemannes noch nicht besitzt, mußte sie für wahr halten. Und Josephrne war ja kaum noch seine Gattin, sie war für ihn noch die Geliebte, voll Reiz und jugendlicher Frische. Der Gedanke an das süße Bekenntniß, das sie ihm erst gestern abgelegt, paraly- sirte seine Aufregung. Es lag, trotz der schweren Anklage durch den Brief, so viel Entschuldigung in den obwaltenden Verhältnissen , daß er sein Ver- dammungsurtheil nicht auszusprechen wagte.
(Fortsetzung folgt.)