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Schwer war der Anfang auf einem Wege, den man einschlagen mußte zum Wohls der Schule; nun aber da man ein Stück weit bereits vorgedrungen ist. die größten Opfer gebracht hat, da die Bevölkerung sich an den Ge­danken gewöhnt hat, da wider Willen unterbrochen zu werden in diesem für die Allgemeinheit segensreichen Wege, das ist ein Verbrechen. (Stürmischer Beifall.) Der Redner, der im Verlaufe seiner von sittlicher Entrüstung getragenen Rede die Regierung der politischen Simonie (Ver­käuflichkeit) beschuldigt,, wird wegen dieser Ausdrücke vom Präsidenten zur Ordnung gerufen. Die Galerie, welche demselben lauten Beifall gespendet hatte, wird geräumt. Nachdem nun Lienbacher seinen Antrag in ruhiger Weise vertreten, wird abgestimmt. Der Antrag der Minorität wird mit 157 gegen 146 St. ab gelehnt und in die Spezialdebatte eingegangen.

Frankreich.

In Tunis tritt der Ministerresident Roustan schon vollständig als Machthaber auf. Er sandte am 21. d. seine Kommissare in das Juden- viertel von Tunis mit dem Befehle, die Juden zu zwingen, ihre Buden zu öffnen und die Ladeninhaber, die sich weigerten, zu verhaften. Roustan wollte den panischen Schrecken Heden, der in Tunis herrscht, und fing mit den Juden an. die dem Befehl Folge leisteten und ihre Buden öffneten, obgleich sie Plünderung fürchteten. Im Süden der Provinz Oran setzt der Oberst Innoce.nti die Verfolgung der Stämme, die er geschlagen hat, fort, und ist in Chellala. Die Gerüchte, daß er eine schwere Schlappe erlitten habe, sind ohne Zweifel unbegründet

England

London, 24. Mai. Oberhaus. Lord Granville theilte mit, daß die K o n v e n ti o n zwischen Griechenland und der Türkei heute Nachmittag unterzeichnet wurde.

Italien.

Rom, 24. Mai. Farini erhielt gestern Nachmittag von der Krone amtlich den Auftrag, ein neues Kabinet zu bilden. Er erbat sich Bedenk­zeit und lehnte dann gestern Abend ab. Es scheint, daß jetzt Mancini den Auftrag erhalten wird.

Rußland.

Die Antwort des nihilistischen Exckutivkomites auf das Manifest Kaiser Alexanders lil. ist aus der neuen Druckerei derNarodnaja Wolja". vom 2. Mai datirt, hervorgegangen und enthält wesentlich eine Kritik der Reformen Alexanders II. Angesavgene Maßregeln seien noch keine Reformen und nur wenn der Kaiser auf die Rathschläge seiner Völker höre, werde weder der Kaiser, noch der Staateine weitere Katastrophe zu befürchten haben/

Petersburg, 24. Mai. Auch der Reichsrath hat sich dafür ent­schieden. daß die Hinrichtungen nicht mehr öffentlich vollstreckt werden sollen. DasJomn. de St. Pelersbourg" erklärt die von dem Pariser Jntransigeant' gebrachten Mittheilungen über die Jeffie HeUmann für ganz unbegründet; die Helfmann habe weder eine Frühgeburt gehabt, noch sei sie tobt, noch habe je irgend eine Tortur stattgefunden.

Bulgarien

Sofia, 25. Mai. Ein Schreiben des Fürsten an den Ministerpräsi­denten präcisirt in drei Artikeln die Vorschläge, welche für die Führung der Regierung unerläßlich seien Die Nationalversammlung solle einfach wählen zwischen der Genehmigung dieser Artikel oder seiner Abdankung. Art. 1 verleiht dem Fürsten auf sieben Jahre außerordentliche Gewalten zur Einführung neuer Institutionen, wie eines Staarsraths zu Herstellung von Verbesserungen in allen Verwaltungszweigen. Art. 2 suspendirt die gegenwärtige Session der Nationalversammlung; das bereits volirte Budget hat auch für die Folge Gesetzeskraft. Art. 3 ermächtigt den Fürsten, vor Ablauf der sieben Jahre die große Nationalversammlung zur Revision der Verfassung nach Maßgabe der neugeschaffenen Institutionen einzuberufen.

Tages Neuigkeiten.

Calw, 25. Mai. Bei der am 22. Mai abgehaltenen Bezirk«- Krieger-Versammlung in Ostelsheim waren dis meisten

Vereine des Bezirks, zum Theil aus beträchtlicher Entfernung und manche sehr zahlreich vertreten, so daß der geräumige Saal der Sonne voll­ständig besetzt war. Die Kameraden von Ostelsheim überraschten die an- kommenden Vereine mit feierlichem Empfang durch Vorreitsr und Musik, auch machte die Ausschmückung des Saales den Festgebern alle Ehre. Herr Schultheiß Stahl von Ostelsheim begrüßte die Versammelten mit warmer Rede und hübschem Gedicht. Unter Vorsitz des Kam Eberhard, Vor­stand des Beteranen-Vereins Calw, wurde dos Geschäftliche in oft lebhafter Debatte erledigt, wobei u. A. die Delegirtenwahl nach Aalen, sowie die Instruction der Delegirten mehr Zeit in Anspruch nahm, als mancher im Interesse der geselligen Unterhaltung wünschte Nach Beendigung der Ge­schäfte reihten sich Gesang, Toaste und Vorträge der Gechinger Musik, die mit dem dortigen Verein gekommen war, bunt aneinander, bis der ein­brechende Abend, den meisten zu früh, zum Ausbruch mahnte. Nach Umzug durch den Ort und dem letzten Schoppen trennten sich die Vereine unter bestem Dank für die freundliche Aufnahme in Ostelsheim, mit dem Be­wußtsein, einen gelungenen Mittag mit Kameraden verlebt zu haben.

Kir chh eim u. T., 24. Mai. Ein gräßliches Unglück ereignete sich heute früh 6 Uhr in unserer Stadt. Ein gestern hier zu Besuch ein­getroffenes älteres Fräulein stürzte sich (ohne Zweifel in einem Anfall von Geistesstörung) vom obersten Dachroum eines ziemlich hohen Gebäudes auf das Straßenpflaster, so daß der Tod augenblicklich erfolgte.

Horb, 20. Mai. Heule Morgen ist Weinhändler Z. au« Rexingen, der im Verdachte der Weinfälschung steht, ins hiesige Gefängniß eingemacht worden. Vor einigen Tagen hatte eine Untersuchung seiner Keller statt­gefunden , wonach dieselben mit Siegel belegt wurden. Die Untersuchung wurde in Folge einer Denunciation eingeleitet.

Man schreibt aus Berlin: In den Kreisen der hiesigen Lebewelt unterhält man sich viel von einem Sptelverlust, wie er in solcher Höhe in Berlin seit langer Zeit nicht vorgekommen ist. In einem der fashio- nablen Klubs unserer Stadt hat ein junger Offizier aus Süddeutlchland in zwei Nächten die Summe von 300,000 verloren. Dieglücklichen Gewinner" sind zwei als Sportsmen weit und breit bekannte Persönlichkeiten.

Berlin, 21. Mai. 6,9o0,000 Liter Wasser werden zur Zeit täglich über die Straßen unserer Stadt ergossen. um dieselben vom Staub zu be­freien. Punkt 9 Uhr Vormittags müssen die 120 Sprengwagen an den Hydrantenstationen eintreffen, um ihre Thätigkeit zu beginnen. Jede Straße soll täglich zweimal, einzelne Plätze dreimal, der Königsplatz sogar viermal gesprengt werden.

In Paris werden falsche Ohren gemacht und viel getragen. Damen, die zu große Ohrmuscheln haben, verstecken sie unter üppigem falschen Haar und befestigen die künstlichen O-Hrchen an den natürlichen Ohren. Falsche Haare, falsche Zähne, falsche Hüften, falsche P, falsche Waden, falsche Ohren, falsche Augen, falsche Zungen wem dars man noch trauen? ___

Handel und Verkehr.

Heilbronn, 24. Mai. Der heutige Rindviehmarkl war mit ca. 2lv0 Stück betrieben. Das Geschäft ging äufferst flau, da die Käufer in Folge der ungünstigen Futteraussichten sehr zurückhaltend waren. Auf dem Schweinemarkt ging der Verkauf besser, indem die beigeführten ca. 800 Stück Milch- und Läuferschweine zu guten Preisen Nehmer fanden. Milchschweine wurden mit 20 bis 40 das Paar bezahlt.

Künzelsau, Getreidebörse vom 20. Mai. Handel lebhaft;

mehr Nachfrage, als Angebot. Wir notiren per Zentner hier gelegt, weil franko Bahnhof Waldenburg 20 L weiter: Kernen 11 20 L bis

11 60 L, Dinkel 8 40 L bis 8 46 L, Roggen 10 viL 50

Haber 7 -IS bis 7 50 L. Nächste Börse Freitag den 3. Juni.

Ulm, 2l. Mai. Mittelpreise pr. Zollztr. Kernen 12 v/L 30

Weizen 12 35 L, Roggen 11 43 Gerste 8 75 L, Haber

7 60

Rottweil, 21. Mai. Kernen 11 vsL 84 L, Dinkel 8 17

Haber 7 -^S 20

dergleichen Geschichten kennen wir: Herr von Bornstedt hat Geld . er will es nur nicht herausgeben. Ich habe den Wechsel an Zahlungsstadt ange­nommen und werde ihn verwerthen. Mag es kosten was es wolle, ich drücke die Citrons aus. so lange noch ein Tropfen Saft darin ist! Die arme Anna erhielt dieselbe Antwort. So stehen die Sachen, und nun können Sie sich erklären, warum das Fräulein so bemüht ist, dreihundert Thaler anzuschaffen.'

Wer ist der Advokat?" fragte Philipp hastig.

Der Magister nannte ihn und beschrieb seine Wohnung.

Jetzt brauche ich Fräulein Anna nicht mehr zu sprechen I" rief der junge Mann, indem er aufsprang.Ich danke für ertheilte Auskunft leben^Sie wohl !"

Darf ich nicht wissen, wer mir die Ehre eines Besuchs gegeben hat?'

Diese Frage des verwunderten Magisters hörte Philipp nicht mehr, er hatte bereits die Dachwohnung verlassen und eilte die Treppe hinab.

Ein seltsamer Mensch!' dachte der arme Gelehrte, indem er die Gitterthüre schloß.Ich wette, er hat sich in das reizende Mädchen ver­liebt , und will sich auf diese Weise ihre Gunst erwerben. Was es auch sein möge, wenn nur der Gefangene seiner Haft entlasten wird, und ich wette, daß er in der Absicht. dies zu bewirken, fortgeeilt ist. Anna soll jetzt noch nichts erfahren, vielleicht steht ihr eine köstliche Ueberraschung be­vor. Gott gebe es, Gott gebe e« I"

Magister Elias zündete eine Lampe an und ergiiff die Feder wieder. Die Arbeit ging indeß schlecht von Statten, der kleine Mann sah oft zu der schwarzen Decke empor und lächelte dabei, als ob ein entzündenter Gedanke in ihm aufgestiegen sei. Man muß ein Novellist sein, der für Brot arbeitet, um die Wonne zu begreifen, welche die Auffindung einer

glücklichen Idee zu einer Novelle beroorbringt. Der gute Magister, dem es bisher steis an geeigneten Stoffen zu einer selbstständigen Arbeit dieser Art gefehlt halte, empfand jetzt zum ersten Male diese Wonne.

Herrlich , herrlich I" rief er aus, nachdem er wohl zehn Minuten mit verklärten Mienen die Decke angestarrt hatte, ohne den Höllenlärm der Ktnder und die von der bedrängten Mutter in dem Nebenzimmer auS- getheilten Prügel gehört zu habendas ist eine wundervolle Idee! Ein reizender Fräulein in Trauerkleidern, ein greiser Vater im Schuldge- fängniffe, Noch und Elend, beide unverschuldet, auf der einen, und ein böser Advokat und ein vornehmer junger Mann, der das Fräulein leiden­schaftlich liebt, auf der andern Seite schließlich die Rückkehr des reich­gewordenen Bruders, die natürlich an dem Hochzeitstage der Schweflet erfolgen muß. in dem Augenblicke, wo der Vater seinen Sohn herbeisehnt, um ganz glücklich zu sein, dann die Entlarvung eines intriguanten Menschen, wozu ich gleich den Advokaten verwenden kann das gibt eine Novelle, die sich prächtig für die Gartenlaube paßt l Aus dem Leben gegriffen, nur aus dem Leben gegriffen! Wenn aus der Hochzeit etwas wird, so ist alles wahr, und mein Werk hat einen um so höhern Werth. Der junge Herr wird schon wiederkommen, und bis dahin will ich ihn bei der guten Anna so herausstreichen, daß sie ihn als ihren Wohlthäter lieben muß. Ja. 1 «, ich will dafür sorgen, daß ich ganz nach dem Leben arbeite, daß der GAS der Handlung sich wirklich so ereignet , wie ich ihn mir gedacht habe. Dtt Zwischenfälle werden sich schon finden, denn ohne Hindernisse kommt em liebendes Paar nie zusammen. Da» gibt eine Novelle von zwei Bogen, und Ernst Keil, der splendite Verleger der Gartenlaube, zahlt fünfunv- zwanzig Thaler pro Bogen also erhalte ich fünfzig Thaler Honorar I

(Fortsetzung folgt.)