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ohne jedoch eine unbedingte Verpflichtung für die Zukunft zu übernehmen, nicht im entsernttsten die Absicht, Tunis zu annektiren, und hoffe, England Vierde seinen Versicherungen Glauben schenken,
Rußland.
Die Verhaftung zweier Marine-Offiziere Souchonoff und Trigonia in Petersburg bestätigt die Thatsache, daß viele Nihilisten den höchsten und bevorzugtesten Ständen angehören. Beide sind mit den höchsten Würdenträgern nahe verwandt und verkehrten mit Ministern und Senatoren und beide haben Dynamit rc aus den kaiserlichen Magazinen entwendet und zur Minenlegung verwendet.
Petersburg. 20, Mai, Die Zeitungen sind, wie der K.Z. berichtet wird, ungefüllt mit Berichten au« dem Süden über die noch immer andauernden Judenverfolgungen. In Odessa lagert das Militär in den Straßen, Abends wird die Stadt durch Fackeln und Lichter hell erleuchtet. die Einwohner schrmben in fortwährender Angst, denn nach allgemeiner Ansicht soll nur die Anwesenheit starker Truppenmafsen den Aur- bruch eines großen Gemetzels kintanhalten. In der Nähe von Charkow sind Unruhen auegcbrochen; das Volk stürmte die Kaufläden und Gasthäuser. In Kiew sind die Gesängnisse vollständig überfüllt. Von dort und aus den umliegenden Ortschaften haben sich nach Berditschew allein über 20,000 Juden geflüchtet. Von allen Seiten her kommt die traurige Kunde von Mord und Todschlag. Die Unruhen hab.n sich über mehr als 20 Ortschaften erstreckt und die Zahl der Verhafteten beträgt gegen 1000.
Die Nachrichten aus Kiew stellen außer Zweifel, daß sich die durch die Ausschreitungen gegen die Juden in dieser Stadt und ihrer Umgebung ausgebrochene Panik gegenwärtig auch der Großgrundbesitzer und der wohlhabenden Kaufleute christlichen Bekenntnisses zu bemächtigen beginnt, indem in einzelnen Proklamationen und in den Aeußerungen des Pöbels sehr bedrohliche Anzeichen dafür vorlregen, daß die Urheber der Judenkrawalle sich auch gegen die genannten Bevölkerungeklassen zu wenden beabsichtigen. falls die Regierung nicht durch Anwendung entschiedener Mittel rechtzeitig tem Umsichgreifen der Bewegung vorbeugt. Es heißt, daß vorläufig Beamte aus Kiew auf das flache Land entsendet wurden, um die Massen zu beschwichtigen, eventuell durch Androhung von Repressalien einzuschüchtern.
Türkei.
Konstantinopel, 19. Mai. Der französ, Botschafter wies in Folge der Weisungen seiner Regierung den französ Konsul in Smyrna an. M i dhat Pascha das Asylrecht zu verweigern und demselben zu bedeuten das Konsulat zu verlassen. Die anderen von Midhat um Schutz angegangenen Regierungen ertheilten gleiche Weisungen.
Konstantinopel. 19 Mai. Midhat Pascha stellte sich gestern Abend den tückischen Behörden unter Bedingung eines gerechten Urtheilspruchs.
Konstantinopel, 21. Mai. Tie gestrige Plenarsitzung in Sachen der griechischen Frage stellte endgiltig den Räumungrmodus fest. Darnach würde das abzutretende Gebier in sechs Sektionen eingetheilt, wovon Larissa als erste einen Monat nach der Ratifikation, Trikala als zweite, Kurdista als dritte, ein Theil des Distriktes von Elassona als vierte, und Arta als fünfte zwei Monate nach der Ratifikation übergeben werden sollen. Volo als sechste Sektion wird, da daselbst das gesammte Kriegsmaterial konzent- rirt wird, erst zu einem späteren noch nicht festgestellten Termin übergeben werden. Die Unterzeichnungskonvention dürfte am Sonntag oder Montag erfolgen. _
Tages Neuigkeiten.
— Calw, 21. Mai. Die Jagd auf Maikäfer, die von unfern Jungen eisrigst betrieben wird und die anderwärts so ergiebig und lohnend ist, hat hier glücklicherweise nur einen ganz geringen Erfolg, so daß -es kaum zu einer guten Suppe reichen würde. — Die Blüthe unserer Obstbäume vollzieht sich über alle Erwartung schön. Weder die Fröste der letzten Wochen haben irgend welchen Schaden verursacht, noch ist die Befürchtung, daß durch das.lange Zurückhalten der Entwicklung die Made des Apfelrüsselkäfers (Kaiwurm) in ihrem zerstörenden Werke begünstigt werden
würde, eingetroffen; die Npfelblüthe ist so gesund und reich, wie schon seit vielen Jahren nicht mehr und haben wir also wenigstens die Hoffnung auf einen reichen Obstertrag, wenn auch die Birnbäume an vielversprechender Blüthe hinter den Apfelbäumen zurückgeblieben sind. Da nach einem alten Sprichworts bessere Zeiten aus dem „Holze" kommen, wäre wenigstens von dieser Seite die so lange ersehnte Besserung unserer gedrückten Lage zu hoffen; wie eS mit dem andern Holze, dem Weinstock, aursieht, darüber werden wir wohl bald aus andern Gegenden zu lesen bekommen.
— Calw, 23. Mai. Die württ. Mastviehausst ellung, welche morgen (Dienstag) Abend geschlossen wird, ist eine derart hervorragende Leistung württembergischer Züchter, Mäster und Händler, daß Niemand, der Interesse für Thierzucht überhaupt hat, versäumen sollte, dieselbe noch am letzten Tage zu besuchen. Er sind ca, 330 Thiere verschiedener Gattung und verschiedenen Alters aufgestellt. Farren, Ochsen, Kühe, Rinder, Kälber. Schafe und Schweine, darunter Farren und Ochsen von mehr als 20 Clr, und Kühe bis zu 18 Ctr. und Vejährige Lämmer von 90 bis 99 Psd, Von solchen, die schon andere Mastviehausstellungen gesehen haben» hört man sagen, daß diese erste württ. Ausstellung ungleich bedeutender sei. als jene. Die Ausstellung ist daher nicht nur für Landwirthe, sondern autz für Metzger und Liebhaber eines guten Stücke« Fleisch von ganz besonderer Anziehungskraft und zu beneiden sind wahrlich die Stuttgarter, auf deren Tische wohl die meisten der ausgestellten Thiere in der verschiedensten Form der Zubereitung kommen werden. Den guten Appetit dazu braucht man ihnen nicht erst zu wünschen.
— Stuttgart. 20. Mai, Landesgewerbe-Aus st ellung. Der Besuch der Ausstellung bezifferte sich gestern auf ca. 6000 Personen, worunter 4( 00 zahlende.
— Stuttgart, 20. Mai. Endlich scheint sich das Dunkel, das über dem Schicksal des seit geraumer Zeit vermißten Fabrikanten L inck-geruht, zu lichten. In Lauingen (etwa 10 St. unterhalb Ulm) wurde nämlich am vorigen Montag der Leichnam eines Mannes von ca. 50 Jahren aus der Donau gezogen, der, verschiedenen Anzeichen nach zu schließen, der Vermißte sein dürfte. Nicht nur stimmt die Beschreibung der Gestalt, Farbe von Haar und Barl, sondern es wurden auch an den Fingern 4 Ringe gefunden, von denen der eine, der Ehering, die Buchstaben F. K, (die Anfangsbuchstaben des Mädchennamens der Frau Linck') und ein Latum trägt, das, soweit es noch zu entziffern, mit dem der Vermählung Lincks übereinzustimmen scheint. Außer den Ringen fand man noch in den Taschen der Kleidung de« Tobten eine goldene Uhr mit goldener Kette, einiges Silbergeld, sowie 60 in Gold. Bekleidet war der Tobte mit einem Som- merüberzieher. Der Leichnam, der mindestens 6 Wochen im Wasser gelegen sein muß, wurde am Dienstag zur Erde bestattet
t Pest, 18, Mai. Man meldet der „Fr. Ztg.": Der Empfang des kronprinzlichen Paares war glänzend. Hunderttausend Gäste aus der Provinz waren anwesend. Die Stadl ist reich dekorirt. Die Aristokratie entfaltet die Pracht in Karossen und Nationalkostümen. 50 berittene Magnaten geleiteten den Zug vom Bahnhof in die Ofener Burg. Dort fand der Empfang der Minister, Reichsbarone und beider Häuser des Reichstages statt. Die Journale feiern das erste Kommen des habsburg- ischen Kronprinzenpaares, seit die Dynastie herrscht. Die Kronprinzessin bezaubeit allgemein. Die Stadt ist glänzend iüuminirt.
Nizza, 20. Mai. Gestern Abend starb hier der frühere Botschafter in Paris Graf Harry Arnim im Alter von 57 Jahren. Es ist bekannt, daß er im Oktober 1874 verhaftet und wegen LandeSverraths zu 2 Jahren Zuchthaus verurtheilt wurde, sich aber der Strafe durch das Exil entzog.
Handel und Verkehr
— Rottweil, 19. Mai, Gestern Abend tagten die hiesigen Bierbrauer im „Pflug" in Altstadt um über die in Folge Erhöhung der Malzsteuer nolhwendig gewordene Erhöhung des Ausschankpreises des Bieres zu be« rathen; sie kamen dahin überein, daß vom 1. Juni d. I. an Ve Liter 13 L, b/g Liter 10 L, V» Liter 7 L kosten soll.
Handschuhe, glänzende Gummigaloschen und einen sorgfältig gepflegten Backenbart trägt, so eihält man die Antwort:
„Madame Lindsor ist noch nicht an unser Klima gewöhnt, sie leidet ein wenig an Tuberkeln; cs hat jedoch nichts zu sagen!"
Dieser Mann ist ein Arzt, Nachdem er lächelnd diese Antwort gegeben. eilt er ,von dannen, und man ist geneigt zu glauben, er behandle die Dame. Bei nächster Gelegenheit läßt er zufällig die Ansicht laut werden: „Sie wird wohl einen Respirator tragen müssen!"
Wenden wir uns an den jungen Mann mit blondem Haare, einer feinen Brille und untadelhafier Toilette. Er sitzt gewöhnlich Nachmittags zwei Uhr im Oslo kranyais und ißt Kuchen.
„Madame Lindsor, mein Bester? Eine himmlische Frau, ein göttliches Wesen! Sie hat die Dedication meines neuesten literaturhistorischen Romans angenommen, der in splendider Ausstattung bei Brockhaus erscheint. Famos, sage ich Ihnen, neue Typen, Velin-! Charaktere, bis jetzt nicht dagewesen! Ich habe ihr neulich den Prolog vorgelesen — sie war entzückt. Ah, eine geistreiche Frau! Schade, daß Madame F, zugegen war."
Dieser Mensch gehört zum Geschlechts der Schöngeister, einem der verbreitetsten in dem Mittelpunkte des Buchhandels. Sie sind nicht gefährlich, da die Eitelkeit ihre vorherrschende Schwäche ist. Nur die Buchhändler fürchten sie. wenn sie ein Manuscript aus der Tasche ziehen.
„Madame Lindsor!" ruft ein Anderer, der mit drei bis vier Freunden Mittags durch die Promenaden geht, um die Damen zu mustern. »Ich weiß genau, daß sie schon dreißig Jahre alt ist, verblüht, falsche Zähne, schöne Augen, abgenutzter Sopran, viel Toilette, etwas Schminke und elegante Manieren — ziemlich verblüht, aber immer noch einer kleinen Lieb
schaft werth!"
Diese Antwort erhält man von einem höchst sauber gekleideten Manne, der zum Geschlechts der Frauenbesieger gehört. Er hat um elf Uhr stark gefrühstückt, und will durch einen Spaziergang die Verdauung befördern. In solchen Augenblicken sind die Frauenbesieger unerbittlich.
„Wer ist diese Madame Lindsor"? fragte ein junger Kaufmann seine Gattin.
„Ich will nicht, daß du die Soiree bei Madame F, wieder besuchst!"
Dies ist unstreitig die inhaltreichste Antwort. Sie läßt sich kom- mentiren: die Frau ist gefährlich, hat Geschmack und versteht sich zu kleiden. Sie flößt den Gattinnen Besorgniß ein.
Dort kommt ein nachlässig gekleideter Mann mit langen Haaren, von bleichem, gelehrtem Aussehen, Fragen wir ihn.
„Madame Lindsor? Mein Bester, wissen Sie denn nicht, daß diese Dome die ehemalige Geliebte des Lord Palmerston ist? Ah, man hat seine Correspondenten in London!"
Dieser Mann ist ein Doktor der Philosophie und gehört zur Classe der Widersprecher. Sie wittern alle Druckfehler in den neu erschienenen Büchern, berichtigen die Facta in allen Memoiren und wetten stets Hundert gegen Eins, daß sie Recht haben. Fast alle Widersprecher kritisiren in gelehrten Zeitschriften, haben eine zurücktretende Stirn und schreiben eine« schlechten Styl, In der Politik gehören st«! de,r Partei an, die die wenigsten Anhänger besitzt. Jetzt sind sie Russenfreunde, im Jahre 1849 schwärmten sie für Oesterreich.
(Fortsetzung folgt.)