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Rußland.
St. Petersburg, 11. April. Im unteren Gerichtshaus, wo die verurtheilten Kaisermörder verwahrt werden, sind 20 Revolutionäre verhaftet worden; einer größeren Zahl gelang es, sich der Verhaftung durch gewaltsamen Widerstand zu entziehen und zu entkommen. Den Verhafteten wurden 20 Pfund Dynamit abgenommen. Eine dumpfe und gedrückte Stimmung herrscht in der Stadt; wer irgend in der Lage ist, verläßt dieselbe. — In Moskau ist der kleine Belagerungszustand erklärt worden. Der Verkehr aller Ein- und AuSpassirenden wird unter strengste polizeiliche Ueberwachung gestellt.
— Heute Nachmittag wurde ein gut gekleideter Mann arretirt, der viele Droh-Proklamationen bei sich trug. Zur eventuellen Agnorcirung des in der Stadthauptmarnschaft „am Stuhle stehenden" Gefangenen strömen Tausende von Menschen herbei. Der Fall erregt Aufsehen; der Gefangene verweigert alle Auskunft.
— Interessant ist. daß der Staatsanwalt Murawjew mit der Perowska zusammen ausgewachsen ist. ihr Jugendgespiele war, sich mit ihr dutzte und nun die Todesstrafe gegen sie beantragen mußte.
Petersburg, 15. April. Der Regierungsbote meldet, daß der Zeitraum zur Einreichung der Nichtigkeitsklage von allen zum Tod verurtheilten Nihilisten unbenutzt gelassen worden sei; dagegen hätten Ryffa- kow und Michailow Gnadengesuche einqereicht. Der Gerichtshof habe in Anbetracht des schrecklichen Verbrechens erkannt, daß die Begnadigungsgesuche unberücksichtigt zu lassen seien, habe dieselben aber dem Kaiser unterbreitet. Die Antwort des Kaisers laute dahin, daß dem Beschlüsse des Eenatsgerichts gemäß zu verfahren sei. Demnach seien alle Verurtheilten hinzurichten, die Hinrichtung der I esst Helfmann jedoch in Anbetracht ihrer Schwangerschaft um vier Monate, bis nach der Entbindung aufzuschieben. Die Todesstrafe durch den Strang ist demgemäß heute Vormittag um 10 Uhr an Ryffakow, Michailow, Kibaltschitsch, Sheljabow und Sophie Perowrkaja auf dem Semenowschen Platze vollstreckt worden. Bei der Hinrichtung Michailows riß zweimal der Strick. Um 10 Uhr war die Hinrichtung beendet. Alle starben gefaßt. waren aber bis auf Sophie Perowskaja, die sogar geröthete Wangen hatte, sehr bleich; sie hielten sich bis auf Ryffakow, der, nachdem ihm der Leinensack übergezogen war. oben auf der Treppe schwach wurde, olle fest; vor der Hinrichtung küßten die Verurtheilten das Kreuz, das ihnen der Pope entgegenhielt, und verneigten sich nach allen Seiten. Auf dem Richtplatzs und in den angrenzenden Straßen hatten sich große Menschcnmassen angesammelt; die Ordnung ist nirgends gestört worden.
Petersburg, 16. April. Der Polizei ist ein wichtiger Fang gelungen. Das Hauptmitglied des revolutionären Exekutivkomites Aaron Tschukoch ist verhaftet wo.den.
Petersburger Korrespondenten berichten ihren Blättern ausführlich über dis Hinrichtung der 5 Kaisermörder. Wir glauben den Beifall unserer Leser zu verdienen, wenn wir auf Wiedergabe der grausigen Details verzichten , denn die Lektüre derselben — namentlich der Vorgänge bei der Urtheilsvollstreckung bei Michailow, mit welchem zweimal der Strick brach — muß auch bei dem mit den stärksten Nerven Ausgestatteten widerliche Empfindungen Hervorrufen. Eine solche „Schinderei", wie sie der russische „Schinder" — denn „Henker'' ist der Mann nicht trotz der langjährigen Ausübung seines Gewerbes — Frolow aus Moskau, selbst ein begnadigter Verbrecher, heute vollsührt hat, ist nicht leicht erlebt worden.
Petersburg, 18. April. Die Pensionen für die abgedankten Minister Saburow. Makow und Fürst Lieven, die sonst für lebenslänglich das volle Gehalt betrugen, sind auf die Hälfte verringert. Der Kaiser hat strengste Sparsamkeit befohlen. In allen Verwaltungszwrigen findet genaue Revision statt.
Griechenland.
Athen, 19 April. Die Gemeinderäthe von Athen und den Pro- vinzialstädten, sowie die gestrige Versammlung der Nationalliga auf dem Marsfeld sprachen sich für vollständige Ausführung der Entscheidung der Berliner Konferenz aus (also gegen die Annahme des großmächtlichen Vorschlags)
Tagesordnung
des K- Amtsgerichts Calw in der öffentlichen Gerichtssitzung
l. am Do nn erstag, den 21. April 1881, Vormittags 8'/, Uhr:
1) Rechtssache zwischen Michael Rentschler, Bauern. (Velte) in Sckmieh, Klr. und Lorenz Rentschler. Bauern in Breilenberg, Bekl. Schadensersatzforderung betr.
Vormittags v Uhr-
2) Rechtssache zwischen Seligmann Löwenstein, Handelsmann in Rexrngen, Klr. und Wilhelm Schwämmle, Bauern in Simmozhcim, Bekl. Forderung aus Kauf betr.
3) Rechtssache zwischen Seligmann Löwenstein, Handelsmann in Rexingen, Klr. und Jakob Lchemmcnauer, Bauern in Simmozhcim. Bekl. Forderung aus Kauf und Vertrag betr.
Vormittags 11 Uhr:
Privatklagesache
1) des Michael Gackenheimer, Schreiners in Ottenbronn, Privatkl. gegen Anna Maria Maisenbacher, Bauers Ehefrau in Ottenbronn, Angekl. wegen Beleidigung,
2) des Leonhardt Weiß, Kaufmanns in Stammheim, Privatkl. gegen Christoph Kämpf'ö Ehefrau von Atthengstclt, Angekl. wegen Beleidigung.
ll. am Freitag, den 22. April, Vormittags 9 Uhr:
Rechtssache zwischen
1) Aug. Mappe«, NLHmaschinenhandlung in Heidelberg, Klr. und Louise Köhler, Strickers Ehefrau in Calw, Bekl. KaufpreiSforderung betr.
2) der Hirma Schlerf und Schmidt in Nürnberg, Klr. und Karl Zilling in Calw, Bekl. Wcchsclforterung betr.
3) Max Ettlingcr, Handelsmann von GondelSheim, Klr. und Joh. <8esrg Röhm, Wagner in Stammheim, Bekl. KaufschiLing betr.
1) Christian Bvtzenhardt, Kaufmann in Wiens Klr. und P. Döring, Kaufmann in Calw, Bekl. Arrest betr.
Tages Neuigkeiten.
— Neuenbürg, 14. April. Herr Oberamtsrichtec Lägeler war gestern Mittag in Begleitung des Herrn Gerichtsschreiber Seeger zu Gefährt auf einer Amtsreise nach Unterlengenbarvt begriffen, als am Ende des Dorfes Waldrennach das sonst gute Pferd vermuthlich durch vom starken Wind beigetriebenen Rauch eines auf dem Felde brennenden Feuers scheute und links abwärts querfeldein rannte. Während die beiden Herren herauszuspringen versuchten, stürzte das Gefährt. Der Herr Oberamtsrichter wurde herausgeschleudert und erlitt einige Kontusionen, Herr Seeger, beim Sprung zu Falle kommend, wurde von dem stürzenden und geschleiften Gefährt so erheblich betroffen, daß er einen schmerzhaften Bruch des rechten Schlüsselbeins erlitt. Der ebenfalls herabgeworfene Kutscher kam mit dem Schrecken und gebrochenem Gefährt davon. Ein unweit auf dem Felde beschäftigter Mann kam herbei und begleitete die Verunglückten nach Waldrennach zurück, von wo aus ärztliche Hilfe von hier erbeten wurde, welche mit Gefährten sofort zur Stelle war, die Herrn hierher brachte und in Behandlung nahm. Nach der Situalivn hätte der Unfall weit bedenklichere Folgen haben können. — Hoffentlich verlausen die künftigen Lmtrreisen des Hrn. Oberamtsrichlers glücklicher, als es diese für ihn erste im diesseiligen Bezirk gewesen ist.
0. Stuttgart, 18. April. Dem Vorstand der Ausstellung ist nunmehr die offizielle Mittheilung zugegangen, daß Se. Majestät der König in Begleitung Ihrer Majestät derKönigin die Landes-Gewerbe- Ausstellung in Allerhöchster Person eröffnen werden. Das hoffentlich in vollkommen g stärkcer Gesundheit zurückkehrende Königspaar wird also bei dieser Gelegenheit nach Monaten zum erstenmal wieder unter Seinem Volke erscheinen, welche Nachricht bei allen an der Ausstellung Betheilig- ten, wie im ganzen Lande überhaupt die größte Freude Hervorrufen wird.
Das Plakat der Ausstellung, ein Kunstblatt ersten Rangs, wie bekannt entworfen von der Meisterhand des Herrn Direktors Liezen-Mayer, des neuen Leiters unserer Kunstschule, und in Farbendruck vorzüglich aus- gesührt von Max S e e g er in Stuttgart, ist nunmehr fertiggestillt und wird in diesen Tagen in Tausenden von Exemplaren an die Bahnhöfe, Gasthäuser, Vereine rc. im In- und Ausland verschickt. Unsere Ausstellung wird damit Ehre einlegen, denn noch nie hat eine Ausstellung ein ebenso schönes und künstlerisch werthvolles Plakat anferligen lassen. Möge das sür das Gelingen der Ausstellung selber eine gute Vorbedeutung sein, und möge das prächtige Bild überall willkommene Aufnahme finden und zum Besuch der Ausstellung allerorten aufmuntern!
— Gmünd, 16. April. Am 4. ds Mls. zur Abendstunde sind die Bewohner des auf dem Aalbuch gelegenen Orts Bartholomä durch ein lufterschülterndes Getöse in nicht geringen Schrecken versetzt worden;
damit es Dir nicht gar zu schwer fällt, habe ich dafür gesorgt, daß Dein Mann von Philipps eine Einladung sür diesen Abend erhält, der er nicht ausweichen kann. Du wirst von sechs bis neun Uhr völlig frei sein Wähle denselben Anzug, den Du in der Polstraße getragen, und finde Dich Punkt halb acht Uhr bei dem Thurms der Kirche von Sanct Georg «in. Es wacht über Dich Dein E. K."
Wie vernichtet sank der Banquiek auf seinen Sessel. Der Brief trug weder Adresse noch Ueberschrist — aber aus Allem ging hervor, daß er an Henrietten gerichtet war. Demnach hatte der Avvokat sie wirklich in der Polstraße gesehen, demnach war ihr Ring in seiner Hand geblieben, und der falsche bei dem Juw-lier bestellt, um den echten zu ersetzen. Zu dem Schmerze über diese Treulosigkeit kam der furchtbare Gedanke: der Verleumdung, die der Kaufmann einst ausgesprochen, liegt etwas Wahres zum Grunde. Und Edmund Kolbert ist der hohe Protektor. Wer aber ist Kolbert? Wer aber ist der Kapitän Belling?
„Ich kann es diesen Abend erfahren!" murmelte er mit einer gräßlichen Bitterkeit vor sich hin. „Wohlan, so will ich die Rolle spielen, die man mir zugedacht hat — Philipps mag seine Einladung senden, ich nehme sie anl"
Während der Banquier in seinem Kabinete auf und abging, fand draußen eine andere Scene statt. Ludwig Lambert kam von einem Geschäftsgänge zurück. In dem Augenblicke, als er die hell beleuchtete Hausflur betrat, geleitete Madame Eoltau eine junge,. elegant gekleidete Dame die Treppe herab. Auf der Mitte der Treppe grüßten Beide sehr artig.
und trennten sich. Die junge Dame rauschte die Stufen herab, und trat dem Commis entgegen.
„Sophie!" flüsterte Ludwig überrascht.
Die junge Dame sah ihn verwundert an. In diesem Augenblicke schlug die Uhr auf dem nahen Nicolaithurme drei.
„Mein Gott, sollte ich mich täuschen?" stammelte der verwirrte Commis.
„Wen glauben Sie in mir zu sehen?" fragte sie freundlich.
„Sophie Sollerl"
„Sie irren, mein Herr. Eine zufällige Aehnlichkeit täuscht Sie."
„Nein, das ist nicht möglich!"
„Ich wiederhole es, mein Herr."
„Sie müssen —"
Die Dame zog ihren schwarzen Schleier über das Gesicht, verneigte sich flüchtig und schwebte, leicht wie ein Sylph, der Thür zu, die Lambert offen gelaffen hatte. Ein Fiaker raffelte herbei, und hielt dicht vor der Thür. Lambert eilte der Dame nach, um sie noch einmal anzureden — als er aber auf der Schwelle der Thür ankam. ward der Schlag von innen geöffnet, und zwei Männerarme. deren Hände mit schneeweißen Handschuhen bekleidet waren, empfingen die einsteigende Schöne. Das rasche Wiederzuschlagen der Wagenthür gab dem Kutscher das Signal, er hieb auf sein Pferd, und der Fiaker verschwand in der finstern Straße.
(Fortsetzung folgt.)