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Nro 33

Samstag, den 19. März L88I

36. Jahrgang.

Politische Nachrichten.

Deutsches Reich.

Berlin, 15. März. AI« der Polizeipräsident r>. Madai nach dem Bekanntwerden de« Attentat« zum Kaiser kam, soll Letzterer Herrn v. Madai die Hand gereicht haben mit den Worten:Uns kann Niemand schützen, über uns waltet eine höhere Macht." Der Kaiser soll beabsichtigt haben, selbst nach Petersburg zu reisen ; nur auf dringende Bitte seiner Umgebung stand er von seinem Vorhaben ab.

Berlin, 15. März. Der Kaiser empfing soeben da« Präsidium des Reichstages. Präsident Goßler hielt eine Ansprache, in welcher er der Theilnahme des Reich«tage« über den Unglücksfall Ausdruck gab, durch welchen der Kaiser betroffen worden. Der Kaiser war über diese Kund­gebung der Theilnahme des Reichstages hoch eisreut und hob hervor, er sei sich bewußt, daß er in Kaiser Alexander seinen lieben Verwandten und besten Freund verloren habe und daß die Verwandtschaft der preußischen und russischen Herrschersamilie seit drei Generationen bestehe. Der Kaiser bemerkte noch, die Petersburger Katastrophe habe bewiesen, daß das Leben der Monarchen nicht geschützt werden könne. Der Kaiser beauftragte den Präsidenten, dem Reichstag von seinem Danke für die Theilnahme Mit­theilung zu machen.

Berlin, 16. März. DieNordd. Allg. Ztg." bringt Mittheilungen über Aeußerungen Bismarcks gegenüber dem badischen Tabaksfabrtkanten Ritzhaupt bezüglich der Tabaksteuer. Der Reichskanzler sprach aus. er zweifle nicht an der schließlichen Einführung de« Tadaksmonopols, gleichviel «eiche Partei die Regierung führe. Keine Regierung könne dasselbe dauernd entbehren. Die Ansicht der Mehrheit der deutschen Regierungen stehe schon heute fest; über die Form einer höheren Besteuerung könne man verschiedener Meinung sein, eine Entschädigung berechtigter Ansprüche sei selbstverständ­lich, die Fabrikation habe auf volle Entschädigung Anspruch, der Zwischen­handel nur auf Abnahme der Vorräthe.

Frankreich.

Paris 16. März. Das Journal des Debat« tritt der Annahme entgegen, die Milliardenanleihe habe eine kriegerische Bedeutung. Ueber die Verwendung derselben sei schon im Voraus bestimmt worden. Alles Nähere sei in dem Bericht des Finanzminister« an Grevy vom 1. Juli 1880 enthalten. 612 Millionen nehmen die öff. Arbeiten in Anspruch, und der Rest sei zur Regelung der bereit« gemachten oder von der Kam­mer beschlossenen Ausgaben bestimmt.

England.

^ Au« London vom 13. wird der Nat.Z. geschrieben: Nachdem die KriegSfrage zwischen der Türkei und Griechenland im Sinne des Krieg« von den nächstdetheiligten Mächten endgiltig entschieden ist, haben die diplomatischen Verhandlungen nur noch den Zweck, die Zeit bis zur Er­öffnung des Feldzug« auszusüllen. Da« Vorgehen zur Kriegserklärung bleibt Griechenland Vorbehalten. Allein in Athen ist man noch nicht so weit fertig und et handelt sich noch um sehr wichtige Vorbereitungen in Betreff der Fertigstellung der Rüstungen. Umgekehrt kann von der Türkei

behauptet «erden, daß ihre Bereitstellung zum Kampfe in den jüngst ver" stoffenen Wochen wesentliche Fortschritte gemacht hat und sich ihrem Ab­schlüsse ganz nahe befindet.

London, 13. März. Der Waffenstillstand mit den Boeren dürfte mit heutigem Tage wahrscheinlich erneuert werden. Die Konservativen erachten ihn nach den Niederlagen al« eine Demüthigung. eine Schmach für England; die Liberalen knüpfen an ihn die sanguinischsten Friedenk- hoffnungen.

Rußland.

Petersburg. 11. März. Der Leichnam Alexander» ll. wurde noch am Sonntag Nachmittag aus dem Sterbezimmer in den vor dem Empfangs­saale belegenen Salon gebracht, «o die Aufbahrung erfolgte; um 10 Uhr Abends wurde die feierliche Todtenmeffe gehalten, um Mitternacht erfolgte durch fünf Acrzte die Sektion des Leichnams. Man erzählt, alle inneren Organe seien durchaus normal gewesen, insbesondere Herz und Leber ganz gesund befunden worden. Die Leiche wurde heute Morgen um 4 Uhr ein- balsamirt und dann in der Uniform der Preobraschenski-Leibgarde-RegimentS mit allen Generalsabzeichen um 7 Uhr früh vom Hofphotographen Lewitzki ausgenommen. Das Gesicht des Kaiser» ist nur unerheblich ver­letzt und nicht entstellt; das linke Augenlid ist geschrammt, der rechte Backen­knochen zeigt einen rothen dunkeln Fleck. Auf der linken Gesichtsseite sind unzählige kleine Glassplittrr in die Backe eingedrungen; an der Stirn zwischen den Augenbrauen und am Kinn sind leichte Beulen sichtbar. Die geschleuderten Wurfgeschosse bestanden au« Gla«kugeln, wie solche beispiels­weise in chemischen Laboralorien gebraucht werden; sie enthielten Sprengöl (Nitroglycerin) einen höchst gefährlichen Explosionsstoff, mit dessen Ver­wendung Ruffakow, der frühere Zögling der Bergakademie, infolge seiner Studien jedenfall« genau Bescheid wußte.

Petersburg. 14. März. Lm vorigen Montag traf hier aus Paris eine an den Kaiser adresstrte SLaLtel Pillen von einem Dr. In» ein, welcher dieselben al« Mistel gegen Rheumatismus und Asthma anpries. Der Kaiser übergab sie dem Prof. Botkin; als dieser sie öffnete, bemerkte ec an der Seite zwei Fäden und wollte dieselben heraurziehen. Da er­tönte ein schwacher Knall; Professor Botkin argwöhnte jedoch nichts Schlim­mes. Einige Tage später, vom Kaiser befragt, theilte er ihm seine Wahr­nehmung mit. Darauf erhielt Graf Loris-Melikow den Auftrag, die Schachtel einer Untersuchung unterziehen zu lassen, welche ergab, daß die Pillen ein Quantum Dynamit, da« zur Tödtung mehrerer Personen genügt hätte (I), enthielten; auf dem Transport mochte Feuchtigkeit den beabsichtigten Zweck vereitelt haben.

St. Petersburg, 15. März. Der Verbrecher Nicolai Jwanoff Rufs akoff ist au« Tischwin gebürtig, 19 Jahre alt; er besuchte zuerst die Kreisschule in Wytegra, darauf die Realschule in Tscherepowetz, trat

1879 in da» Berginstitut in Petersburg ein, besuchte jedoch seit Dezember

1880 keine Vorlesungen. Im Ganzen wurden achtzehn Personen verwundet, zwei find gestorben.

St. Petersburg, 15. März. Gerüchtweise verlautet, der er

Feuilleton.

Der Diamantring.

Novelle von August Schräder.

IV.

Sophie.

(Fortsetzung.)

Es war nicht da« erste Mal, daß arme Leute in großer Bedrängniß sich an die Gattin der reichen Banquiers, die als wohlthätig bekannt war, -wandten. Henriette linderte gern die Nolh Anderer.

Führen Sie die Frau zu mir!"

Die Kammerfrau entfernte sich, um nach einigen Augenblicken eine alte Frau eintreten zu lassen, deren gelbes Gesicht, gebogene Nase, schwar­ze« Haar und unsaubere Kleidung die Hamburger Jüdin vom reinsten Wasser verriethm. Ihr widrig-freundliche» Lächeln zeigte einen fast zahn, losen Mund. Ihren Kleidern entströmte der eigenthümliche Duft, den man nur in den Wohnungen der gemeinen Handelsjuden findet.

Madame Soltau wollte ich sprechen I" sagte die Jüdin.

Henriette trat unwillkürlich zurück vor der widerlichen Gestalt.

»Ich habe Sie eintreten lassen, um Sie anzuhören, liebe Frau I"

Aber ich bin gekommen, um allein mit Madame Soltau zu sprechen."

Auf einen Wink der Herrin, die den lästigen Besuch so rasch als möglich abfertigen wollte, entfernte sich die Kammerfrau.

Liebe Madame," begann die Jüdin,ich möchte ein Geschäftchen mit Ihnen adschließen. Wir sind doch ganz allein?"

Ganz allein!" antwortete die verwunderte Henriette.

Vor einer Stunde kam ein alter Mann zu mir und sagte: Kochel- orum, wollt Ihr ein Händelchen machen? Warum nicht, ich lebe von Han­delch ens! Da gab er mir diesen Brief die Alte holte ein Papier unter ihrem schmutzigen Umschlagetuch hervor und sagte: gebt diesen Brief in die Hände Madame Soltau'«, ohne daß e» ein Mensch sieht, und Madame Soltau wird Euch einen Louisd'or dafür zahlen. Ich dachte, die Mühe ist gering, e« kommt auf den Versuch an. Hier ist der Brief, liebe Madame!"

Die Alte streckte grinsend die gelbe, fleischige Hand mit dem Pa­piere au».

Die erschreckte Henriette trat zurück.

Kennen Sie den Mann, der die Kühnheit hat, Sie zu mir zu schicken?"

Nein, liebe Madame, ich habe ihn im Leben nur ein einzige» Mal gesehen, und zwar vor ungefähr einer Stunde. Wäre er jung und schön gewesen, ich würde e« nicht gewagt haben, seinen Auftrag anzunehmen; aber er war ein alter Mann mit eisgrauem Haar, der so ehrwürdig aus­sah, daß ich ihm alles Gute zutraue."

Gleichviel; geben Sie ihm den Brief zurück!'

Da« wird unmöglich sein, meine liebe Madame."

Warum?"

Weil ich nicht weiß, wo ich den alten Mann antreffen soll. Al» ich ihn fragte, was wird. wenn Madame Soltau den Brief nicht on- nimmt? Was wird, wenn ich von Ihnen meinen Botenlohn erhalten