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Nro. 131.
Dienstag, den 9. November L88O
SS. Jahrgang.
Amtliche Kekanntmachungen.
Die Volkszählung am 1 Dezember 188V
Am 1. Dezember 1880 soll wieder im ganzen Deutschen Reich eins allgemeine Volkszählung stattfinden. Dieselbe wird wie die früheren Zählungen in Württemberg, in der Weise vorgenornmen werden. daß jedem Haus- haltungSvorstand und bei einzeln Lebenden jeder selbstständigen Person, welche eine besondere Wohnung inne hat oder eine eigene Hauswüthichaft führt, in den letzten Tagen vor dem 1. Dezember eine Zählungsliste zu- gestellt werden soll. Diese Liste ist nach der vorgedruckten Anleitung unter Beachtung des angehängten Musters für sämmtliche Haushallungsge- uoffen, insbesondere für die am 1. Dezember Anwesenden und, an besonderer Stelle für die zur Haushaltung Gehörenden, an diesem Tag aber aus vorübergehendem Anlaß Abwesenden von dem Haushaliungsvorstande auSzuiüllen. Und zwar soll drcs so bald geschehen, daß mit der Abholung der ausgesüllten Zählungssorrnulare schon am Nachmittag d>s 1. Dezembers begonnen werden kann. Die Zustellung und Abholung der Zählnngslisten vermitteln die Zähler, welche, wo es erforderlich wird, bei Ausfüllung der Zahlungslisien mit Rath und Thal behilflich sein werden; ausnahmsweise, wo solches nöthig sein würde, werden sie aut Grund der Erkundigungen in den Haushaltungen auch die Einträge selbst zu machen bereit sein. Auf je 50—70 Haushaltungen wird ein Zähler gerechnet. Sehr erwünscht wäre es, wenn zu Uebernahme dieses Geschäfts möglichst viele freiwillige Zähler sich zur Verfügung stellen würden.
Die Volkszählungen in Württemberg haben sich seither. Dank ebenso der allgemeinen Schulbildung, als der Tüchtigkeit der mit ihrer Ausführung betrauten Organe der Lokal- und Bezirksverwaltung, durch ihre Genauigkeit und Zuverlässigkeit. wie auch durch die Raschheit der Zusammenstellung ihrer Ergebnisse sehrvortheilhast ausgezeichnet.
Es handelt sich ja dabei nicht allein um die neue Feststellung der Volkszahl im Ganzen, obwohl diese als der allgemeine Maßstab für die Bedeutung des Staats innerha.b des Deutschen Reichs und innerhalb der europäischen Staatenfamilie, insbesondere aber als die Grundlage für die Bemessung einzelner Rechte und Pflichten gegenüber von dem Reiche immer vorzugsweise in Betracht kommen wird.
Aber auch die gleichzeitig weiter zur Erhebung bestimmten Verhältnisse der beiden Geschlechter, der verschiedenen Altersstufen, der Religionsbekenntnisse, des Familienstandes, der BerusSarten und Er- werbszwcige, der verwandtschaftlichen oder sonstigen Stellung der einzelnen Hauöhaltungsgenossen zum Vorstande, Geburtsort und Staatsangehörigkeit, — auch olles dieses ist nicht der Gegenstand müßiger Fragen, sondern als die neue Feststellung wesentlicher Erscheinungsformen im Leben des Volks, z, B. seines Kräftezustandes, der produktiven und der nicht produktiven Aller, der Mischung der Konfessionen, des ledigen- und des Ehestandes u. s. w,, von dem unmittelbarsten praktischen Werthe für die etwaige Weiterbildung der socialen, mirlbschasuichen, rechtlichen und kirchlichen Gesetzgebung oder für eine vorläufige Beschränkung der Thärigkeit auf diesen Gebieten.
Es bedarf wohl nur eines solchen Hinweises auf die letzten Zwecke der periodiscten Bevölkerungsaufnahme, um die Erwartung zu rechtfertigen.
daß auch bei der jetzt bevorstehenden nächsten Volkszählung jeder im Lande Anwesende zu seinem Theile dazu beitragen werde, dieselbe, wie die früheren, m einem möglichst getreuen Bilde des gegenwärtigen Standes der Bev ölkerung zu gestalten. _
Politische Nachrichten.
Deutsches Reich.
— Berlin. 5. Nov, Heute begannen inner dem Vorsitze des MiüisterS Dr. Lucius kommissarische Berathungen über die durch die Ueberschwsm- mung in Obeischlesikn herbeigesührten Mißstände und die Mittel, denselben dauernd abzuhelsen, woran Vertreter mehrerer Ministerien und verschiedene mit den Verhältnissen des Landes hervorragend bekannt- Beamte aus Schlesien theilnehmen.
— München. 4 Nov. Eine königliche Entschließung genehmigt im Hinblick auf das ReichSmilrtärgesctz vom 6 Mai die Neuerrichlung einer Infanterieregiments und von vier Feldbatterien.
Frankreich.
Paris, 3. Nov. In Paris erfolgte heute keine Ausweisung. Die Obern der Ord-nSgememschaften schickten an alle Schlosser von Paris eine Verwarnung, worin sie bedeutet wurden, daß sie gerichtlich verfolgt werden können, wenn sie der Regierung Hilfe brcm Oeffnen der Klosterihüren leisten.
Paris, 5. Nov. Heute fand dis Ausweisung der Kapuziner, der Dominikaner, der Oblaten, der Franziskaner, der Redemptoristen und zweier anderer Orden in 2l Städten statt. Ueberall Proteste und gewaltsame Oeffnung der Thürcn. An einzelnen Orlen wußten die Exekutionsbeamten durch die Fenster emsteigen; an anderen mußte die Polizei Militärsapmre zur lQffnung der Thüren requiriren.
Marseiile, 6. Nov. Der aus Mailand zurückgekehrte Rochefort theilt mit, der Gesundheitszustand Gaiibaldi's sei sehr bedenklich
In Lyon ist bei Gelegenheit der Austreibung der Kapuziner ein junger Mann ermordet worden; derselbe heißt Gros und ist Sohn des Unternehmer« der Beerdigungen; er stand ruhig an der Gasse Morand und sah zu, als ein Kapuziner in Begleitung von Mitgliedern der katholischen Vereine und katholischer Studenten heranzog; plötzlich erhielt er mit einem Stockdegen mitten in die Brust einen Stoß. 5 Studenten und Arbeiter wurden verhaftet. Ter Mörder ist der katholische Student Lam- bei. Die Aufregung wegen dieses Vorfalles in Lyon ist so groß, daß die Behörden umfassende Vorsichtsmaßregeln ergreifen mußten.
Italic n.
Rom, 4. Nov. Die Mentanafeier in Mailand nahm einen ruhigen Verlauf; die Hauptrede hielt Rochefort.
Türkei.
Ragusa, 5. Nov. Derwisch Pascha halt« in MeduS, wo derselbe mit 3 Bataillonen eingetroffen ist, eine Unterredung mit drei Chefs der albanesischen Liga, welche er aufforderte, sich dem Verlangen des Sultans gemäß in die Uevergade DulccgnoS zu fügen.
Amerika
New-Aork, 4. Nov. Die südstaatlichen Journale acceptiren das Wahlresultai, sprechen aber heftigen Tadel gegen die demokratischen Führer und über die wenig geschickte Leitung des Wahlkampfes aus.
Feuilleton.
Der Schuldbrief,
eine rheinische Dorfgeschichte von vr. W. B. l. In der Schenke.
(Fortsetzung.)
„Ach was, Frau, ob Ihr das ihut, oder ich, das bleibt sich ja immer gleich; die Sache muß nun vor sich gehen, der Tag ist einmal fest- gesctzt/ —
Der kalte, höhnische Ton, womit der Mann diese Worte sprach, raubten der armen Wirthin allen Muth, weiter in ihn zu dringen, sie ver- ^ shm gegenüber alle Fassung und Hoffnung, und nahm hastig die Schürze vor das Gesicht, um chre Thränen zu verbergen. Und, als wollte sie dem Elenden nicht den Anblick ihrer Trostlosigkeit gewähren, eilte sie schnell hinaus-
Der Herrenbauer befand sich nun mit Marien allein in der Stube; er betrachtete das Mädchen mit blinzelnden Augen und verzog das schwülstige Gesicht zu widerwärtiger Freundlichkeit. Marie stand mit abgewandten Blicken und stummem Munde da, mit sich selbst kämpfend, ob sie die fehlgeschlagenen Versuche ihrer Mutter erneuern, oder die Stube und den ihr so verhaßten Menschen ebenfalls verlassen sollte. Davon schien aber der Herrenbauer Nichts zu bemerken.
„Jungfer Marie." sagte er schmunzelnd. „was hält Sie von der Sache? meint auch Sie, daß ich nachgeben soll?"
Das Mädchen warf ihm einen überraschten Blick zu, und trat ihm einen Schritt näher, indem sie rief: „Um Gott, Bauer, wär' es wirklich nicht so gemeint?'
„Gemeint war es allerdings so, aber ich bin ein Mann, der mit sich handeln läßt.'
„O, Ihr könnt ja die Zinsen erhöhen, ich will es der Mutter sagen; thut es um der armen Frau willen."
„Hm — um der Frau willen eben nicht, um Deinetwillen könnt' ich schon Elwas thun, verstehst du mich, Marie?"
Der Herrenbauer hatte bei diesen Worten die Hände des Mädchens ergriffen und zog sie näher zu sich heran. Marre aber vermochte den sonderbaren Blick des Manne» nicht zu ertragen und wandte das Gesicht von ihm ab. Nun fuhr jener fort:
„Höre. Marie, ein Jahr, auch ein paar Jahre Aufschub kann ich immer geben; das hängt ganz allein von dir ab."
„Was kann ich dabei thun?" forschte das Mädchen ruhig.
„O, so viel eben gerade nicht, mein Kind, vorerst nur etwa» freundlicher sein." Und der Bauer streichelte die kleinen Hände und die weißen Arme des Mädchens, und wartete auf Erwiederung seiner zärtlichen Blicke. Marie aber blieb kalt wie Ei«, und wenn ihre Augen auf den Bauern niederfielen, so war e« nicht ander», als fielen sie auf die leere Bank. Auch entzog sie ihm ihre Hände nicht; starr, wie ein Steinbild, stand sie da, und während er seine Liebkosungen an sie verschwendete, schien sie in
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