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wattige Eingreifen einer ewigen Gerechtigkeit in die Schicksale der Menschen und Völker so sichtbar gezeigt, wie bei Sedan. Unsere Siegesfreude war daher von religiöser Weihe und frommem Ernste gehoben. Daß das deutsche Volk endlich zu seinem Rechte kam. das Jahrhunderte lang unterdrückt war, daß das deutsche Volk, nachdem es zum ersten Male als ein einig' Volk von Brüdern ausgezogen war. sich als unüberwindlich gezeigt halte, das war der Erfolg des Tage» von Sedan. Dieser Tag ist denn auch mit ehernem Griffel in die Tafeln der Geschichte eingetragen und wird für ewige Zeiten festlich begangen werden. wenn er auch nicht roth im Kalender steht. Auch hier in Calw ist die Sedanfeier aus einem kleinen, bescheidenen Anfänge zu einem allgemeinen Volks- und Kinderfeste geworden, das von Jahr zu Jahr einen größeren Aufschwung genommen; und — das sind wir überzeugt — auch künftig alljährlich von Jung und Alt mit Freuden begrüßt und gefeiert werden wird. Wie sehr schon die» Fest mit dem Kinderhrrzen verwachsen ist. dafür möchte Einsender die» von vielen Aeußerungen aus Kindesmund nur 2 ansühren: Wenn man so in den letzten Tagen an einem Trüppchen Kinder vorübergtng, so konnte man sie wohl zu einander sagen hören: „Jetzt muffen wir nur noch 3 oder 2malen schlafen, dann ist der Sedantag da"; und als vor einigen Jahren einmal der Morgen des 2. September regnerisch aufging, da fragte ein Mädchen seine Mutter (nicht aus dem sogenannten Honoratiorenstande): „Weiß denn der liebe Heiland nicht, daß heute Sedantag ist." Dies Mal brach der Tag prächtig an. Schon am Vorabende wölbte sich ein wunderschöner Sternenhimmel über dem vom Hohenfelsen mächtig aufflammenden Freudenfeuer. Kein Wölkchen zeigte sich am Firmament, als die Calwer Stadtmusik und die Trommler den festlichen Tag ankündigten. Gar lustig flatterten die Fahnen und Flaggen im Winde; ihre Zahl war Heuer durch 3 stattliche Banner vermehrt, welche, vor dem Landwehrdienfi- gebäude aufgezogen, vom Schloßberge ins Thal herabgrüßten. Nachdem Morgens die Böllerschüsse verhallt waren, sah man bald von allen Seiten dis Kinder im Sonntagsstaat zusammen strömen und sich in den Schullokalen um ihre Lehrer vereinigen, welche in entsprechenden Vorträgen die Bedeutung des Tages ihnen an» Herz legten.- Dann ging'S in gemeinschaftlichem Zuge zur Kirche. Es war von der Empore aus ein überaus wohlthuender Anblick, die heiligen Räume sich füllen zu sehen mit den glücklichen Kinderschaaren, die Knaben mit ihren 100 und aber 100 bunten Fähnlein, die Mädchen im Schmuck der Epheukränze und Blumen, alle aber mit Freude strahlenden Gesichtern. Der Gottesdienst wurde durch den Gesang des Liedes „Sei Lob und Ehr' dem höchsten Gut" eingeleitet. Die Predigt wurde vom Altars au« gehalten; in tief ergreifenden Worten wandte sich der Festprediger, Hr. Helfer Häring, an die Aeltern, die jene denkwürdigen, opferfreudigen Tage mit erlebt haben, und an die Jugend, die damals theils noch gar nicht auf der Welt war, rheil« noch kein Verständlich für die große Zeit hatte. Der Vortrag behandelte in 2 Abschnitten die in Bezug aus den heutigen Tag bemerkbaren beiden Strömungen: „Schon sind es 10 Jahre" ; und „erst sind eS 10 Jahre" und schloß den einen Abschnitt mir de« Gebete: „Tausend, tausend Mal sei Dir, Großer König Dank dafür!" und den andern mit der Bitte: „O, Herr hilf', o Herr, laß' Alles wohlgelingen!" Wunderbar schön und erhebend war es, wie der Redner den Kindern die Bedeutung ihrer Epheukränze erklärte. Er erzählte ihnen von einem alrfranzöstschen Wappen, das einen an einer Mauer sich hinaufrankenden Epheu enthalte mit der Devise: „Ich «uß mich anschließen, sonst gehr ich zu Grunde"; und verband damit die Mahnung an sie: „Ans Vaterland, an« theure schließ' Dich an, Das halte fest mit Deinem ganzen Herzen." Weiter auf diesen, — von reinster Vaterlandsliebe und Begeisterung durchglühten Vortrag einzugehen, gestattet der diesem Berichte zugewiesene Raum nicht. Aus demselben Grunde muß auch der Bericht über den weitern, ganz programmmäßigen Verlauf des Festes beschränkt werden. Nach dem Gottesdienst ordnete sich wieder der Zug der Kinder; auf dem Marktplatz ließen sie ihre Lieder erklingen und
empfingen sie ihre Kümmelküchlein, die auch sofort mit Genuß verzehrt wurden, worauf sie der Heimat zuwanderten. Um 12 Uhr läuteten sämmt- liche Glocken und wurden Choräle vom Thurme herabgeblasen. Der um 2 Uhr sich ordnende Festzug vom Marktplatz zum Brühl fand zahlreichere Betheiligung denn je. Nach einer von Hrn. Paul Zilling in bekannter patriotischer Weise gehaltenen Ansprache, die mit einem Hoch auf das Vaterland schloß, und nach den Deklamationen von Schülern der verschiedenen Altersklaffen und Geschlechter entwickelte sich auf dem Brühl ein munteres Kinder- und Volksfest. Spiele aller Art mit Preisvertheilungen verbunden, kürzten die Zeit; außer von Thudium und vielen Familisntischen, war noch von 11 Wirthschaften. die sich auf dem Platze etablirt hatten, für die materiellen Bedürfnisse gesorgt. Das war ein Freuen und ein heiteres Grüßen, ein Austausch, ein lebendiger Verkehr, bis nur zu bald das Signal zur Heimkehr gegeben wurde. Nochmale ging der Zug zum Marktplatz, wo er sich nach einem Schlußworte von Hrn. Rektor Dr. Müller und nach einem Hoch auf den Kaiser auflöste. Abends gab die Stadtkapelle noch eine musikalische Unterhaltung im Dreiß'schen Saale, die ebenfalls sehr zahlreich besucht war. Als Ihr Berichterstatter um 10 Uhr sich entfernte, dachten noch wenige ans Heimgehen. Alle aber haben durch das dietjährige Fest wieder die Ueberzeugung gewonnen und befestigt, daß der Widerstrebenden immer weniger werden, und daß auch in Ealw die alljährliche Feier die ses großen Erinnerungstages für immer gesichert sei!
Tages-Neuigkeiten.
— Neuenbürg, 30. Aug. Mit der Erbauung der schon lange angestrebten Zufahrtsstraße zum Bahnhof in der Stadt Wildbad auf dem linken Enzufer scheint jetzt der Anfang gemacht zu werden. Einsender hat wenigstens heute wahrgenommen, daß von dem aufgestellten Baumeister die Strecke vom Bahnhof bis zum Gasthaus zum wilden Mann ausgesteckt wird. Das sog. „welsche Dürste", welches vielen Besuchern WilvbadS gewiß unangenehm ausgefallen ist, wird durch die projektirte Straße beseitigt werden. Die Zahl der Wildbader Kurgäste ist noch immer ansehnlich.
— Altenstaig, 31. Aug In Zumweiler hat sich der in letzter Zeit unter Curatel gestandene 32 Jahre alte Bauer Georg Kolmbach erschossen und zwar in Gegenwart seiner Frau. Häuslicher Zwiespalt soll das Motiv hiezu gegeben haben. — Im gleichen Orte drohte gestern Vormittag in dem neuerbauten Hause von Oekonom Schleeh ein Brand auszubrechen, wie man hört, soll die Lsimpfanne eines Schreiners Veranlassung hiezu gegeben haben. Zum Glück nahm der Brand keine großen Dimensionen an.
— Pforzheim, 30. Aug. Am 1. Bahnwarthäuschen von Pforzheim nach Mühlacker wurde am 30. August nach dem um 11 Uhr 45 Minuten von Pforzheim nach Mühlacker abgehenden Paris-Wiener Schnellzug von der rechten Seite des in der angegebenen Richtung fahrenden Zuges her mit einem Steine geworfen und eine Fensterscheibe an einem Schlafwagen zertrümmert. Die großh. Staatsanwaltschaft fahndet nach dem Thäter.
— Pforzheim, 31. Aug. In Folge richterlicher Verfügung ist nun auch das Haus des in Folge des Sozialistengesetzes aufgelösten hiesigen Arbeiterbildungsvereins dem Verkaufe ausgesetzt. Anschlag 30,000
— In Niefern, Bez Pforzheim, ist ein junger Mann, welcher am 2. Sept., Morgens 4 Uhr, den zehnjährigen Gedenktag von Sedan mit Böllerschüssen eröffnen wollte, dadurch verunglückt, daß ihm beim ersten Schüsse der Böller an den Kopf sprang, wodurch augenblicklicher Tod eintrat. Derselbe hatte den Feldzug mitgemacht, war ein fleißiger, braver Zimmermann und hinterläßt eine trauernde Frau und 3 Kinder.
Tarasp, 30. Aug. Heute wurde durch das Umstürzen eines Postwagen» zwischen Samaden und Zernetz in Obecengadin ein Amerikaner ge- tödtet und mehrere Paffagiere verwundet.
London, 30. Aug. In London findet in wenigen Tagen eine interessante Wettfahrt zwischen Luftballons statt, die von verschiedenen
Tisch gestellt, und bei einer lange entbehrten ächten Havannah, welche Robert mir offerirte, begannen wir unsere gegenseitigen Erlebnisse auszutauschen. Er war Stabsarzt geworden, hatte bei seinem Feldlazarett schwere Tage und trübe Erfahrungen durmachen müssen. Doch das schien es nicht allein, was mir so fremdartig, so öde aus ihm entgegentrat. — War das mein heiterer Robert, wie ich ihn noch in Flensburg getroffen? Die klare Stirn war von scharfen Falten durchfurcht, die dunklen Augen blickten mir so matt entgegen und ein unendlich trauriger Zug hatte sich um die Lippen gelagert, welche früher von Scherz und Lebenslust übersprudelten.
Ich fühlte, wie peinlich und unangenehm ihm mein Beobachten wurde; ich schenkte die Gläser voll, und indem ich ihm das eine reichte, erhob ich das meine:
„Fort mit den Grillen und Sorgen!" sang ich, und „Auf fröhliches Wiedersehen!"-
Gedankenlos nippte er einige Tropfen, dann sah er mir plötzlich »oll in's Gesicht, indem er fragte:
„Findest du mich wirklich sehr verändert?"
Ich setzte das erhobene Glas nieder, und indem ich seine Hand ergriff, erwiederte ich theilnehmend:
Offen gestanden, ja, Robert! Was fehlt dir? Bist du krank?"-
Schweigend schüttelte Jener den Kopf.
„Nun, dann laß das unnöthige Grillenfangen I Komm," rief ich, indem ich ihm mein Glas entgegenhielt, „laß uns anstoßen I Auf die schöne Vergangenheit! Apropos," setzte ich munter hinzu, „du bist mir ja noch Aufklärung über dein Flensburger Geheimniß schuldig. Heraus damit! Das wird dich aufheisernl"-
Vergebens hoffte ich, daß er mit mir anklingen würde; statt dessen
hörte ich ihn tief aufseufzen und bemerkte, wie hinter der vorgehaltenen Hand eine schwere Thräne über die Wange hinab in seinen Bart rollte.
Das hatte ich nicht erwartet.
Er sprang auf, und ging einige Male im Zimmer auf und ab und sagte, indem er meine Hand ergriff, mit vor innerer Erregung bebender Stimme: „Du sollst es erfahren!"
„Komm!" setzte er, nachdem er sein noch gefülltes Glas ergriffen und hastig geleert hatte, hinzu; „komm! Ich werde dir Alles erzählen."
Er zog mich zu dem in der Ecke des Zimmers stehenden Sopha, dann, nachdem er seine Gedanken einen Augenblick gesammelt, begann er:
„Du warst Zeuge, wie wohl ich mich in dem schönen Flensburg bei deinem Besuche dort fühlte. Aus dem langweiligen Garnisonsdienst in Minden, der seiner Einseitigkeit wegen für den strebenden Arzt unerquicklich und geisttödtend wird, wurde ich plötzlich mit dem mobilen Armeekorps nach dem Norden beordert. Energische Thätigkeit umgab mich; ich sah und lernte viel Neues und für mich Interessantes, und behielt doch noch Zeit genug, Land und Leute unserer kernigen Stammesbrüder .'kennen zu lernen. Welche« Leben in der alten Handelsresidenz Hamburg, wie schön die Flecken und Dörfer der altsächsischen Ditmarsen, wie eigenthümlich die friesische Küste mit ihren niedrigen Dünen und Inseln, wie herrlich das fruchtbare Angeln, die Buchten der.blauen Ostsee, da» alte Kiel und da» reizende Flensburg! — Letztere Stadt war mein Standquartier geworden, und während von Düppel her über den Wenningbund die dumpfen Donner unserer Kanonen hallten, richtete ich mich dort so behaglich als möglich ein. Ich war in der Norderstadt, dem fast nur dänischen Theile der Stadt, unweit de« Holms einquartirt, und hatte so die beste Gelegenheit, Studien über dänischen Charakter und dänische Sitte zu machen.
(Fortsetzung folgt.)