288
hervorgerufeu wurde. Sehr bemerkenSwerth ist nameotlich Z. 10 de» Gesetzes, welcher mit Gefiirigniß bis zu 6 Monaten und mit Geld- strafe bis zu 1500 Mar! Denjenigen bedroht, der »wissentlich Nahrungs« oder Genußmittel, welche verdorben oder nachgemacht oder ver» fälscht sind, unter Verschweigung dieses Umstandes verkauft oder unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung seilhält." H. 11 bestimmt sodann di? Strafe für Denjenigen, welcher eine solche Handlung aus Fahrlässigkeit begeht. Hiernach setzt sich also u. 8. jener Kaufmann schweren Strafen aus, welcher Genußmittel, z. B. Zucker, Pfeffer, Zimmt u. dgl., mit anderen Stoffen vermischt verkauft, selbst wenn der Zusatz nicht gesundheitsschädlich ist, sobald der Verkäufer dem Käufer nicht ausdrücklich von der Beimischung Kenntniß gibt. Es genügt also nicht etwa zur Straflosigkeit des Verkäufers, daß der Käufer aus der Billigkeit des Preises schließen konnte, daß die ge» kauften Gegenstände mit anderen Stoffen vermischt seien. — Die strenge Handhabung des Gesetzes wird den soliden Kaufmann und das Publikum gleichmäßig befriedigen.
Wien, 20. Juni. Am 19. d. Nachts bemerkten mehrere Passanten in Ofen am Donau »Ufer einen Mann, der in die Donau sprang. Sie eilten hinzu, aber der Selbstmörder tauchte nicht empor. Auf einem Quaderstein am Ufer lag ein Zettel folgenden Inhalts: Das Lebeo ohne Liebe — Macht freudelos die Welt — Zum Eckei aber wird sie, — Besitzt man gar kein Geld. — Mir hat sowohl das Eine, — Wie'S Andere gefehlt — D'rum Hab ich mir im Wasser — Das Beste auserwählt.
London, 21. Juni. Urber die näheren Umstände unter denen Prinz Napoleon seinen Tod fand, erfährt man Folgendes: Der Prinz, heißt es, hatte mit einigen englischen Offizieren und einer schwachen Eskorte den Blood Neuer überschritten. Er stieg mit seinen Gefährten vom Pferde, um im Grase einen Augenblick auszuruhrn, als die kleine Truppe van einer großen Zahl von ZuluS, die sich unbe merkt herbrigeschlichen hotten, umringt wurde. Jeder lief auf sein Pferd zu und einige Engländer entkamen. Aber der kaiserliche Prinz konnte nicht zu Pferde steigen, der Sattelgurt riß und das Thier suchte das Weite. Der Prinz versuchte zu Fuß zu entfliehen, wurde aber überholt und blieb mit 2 Soldaten auf dem Platze. Als die Engländer mit Verstärkung zurückkehrten fanden sie seinen Leichnam, von 17 Assegai« (Wurfspeer.) Stichen durchbohrt und aller seiner Kleider und Waffen beraubt Der General Wood wurde von Lord Chelmssocd hart darüber zur Rede gestellt, daß er dem Prinzen erlaubt hatte, an dieser Expedition Theil zu nehmen.
London, 24. Juni. (Oberhaus.) Der Herzog von Cambridge verliest die Empfehlungsbriefe, welche dem Prinzen Napoleon für Lord ChelmSsord und Sir Bartlc Fröre mitgegeben wurden und worin ausdrücklich hervorgehoben wird, daß der Prinz den Feldzug nur als Zuschauer mitwachen sollte. Der Herzog beklagt den Tod des Prinzen als ein schweres und schreckliches Unglück. Graf Bea- consfield ist der Ansicht, daß das Leben des Prinzen auf grausame Weise und ganz unnöthiger Weise geopfert worden ist, und widmet dem Prinzen Worte der höchsten Anerkennung, der Kaiserin Eugenik Worte des tiefsten Mitgefühls.
London. Die englische Königin duldet keine Damen in ihrer Nähe, die sich das Haar s ia Wahnsinn über die Stirn in die Augen kämmen. Die Brautjungfern bei der jüngsten Hochzeit erhielten die Weisung, daß sie weder in der erwähnten Frisur, noch in Stelzen- schuhen, noch mit nach hinten zugezvgenev Kleidern erscheinen dürfen. Eine junge Dame, die sich im vorigen Jahre mit über die Stirn gekämmten Haaren zu einer Audienz einfand, erhielt von dem Lordkämmerer den Wink, sich nicht wieder im Palaste blicken zu lassen, bis das Haar wieder lang geworden sei.
Mailand, 17. Juni. Stündlich gelangen Nachrichten aus dm überschwemmten Provinzen hier an; leider aber lauten dieselben immer ungünstiger. Täglich werden noch weitere Hektare über- schwemmt und selbst bei günstiger Witterung steht kaum zu erwarten, daß die Wasser vor Ende Juli verlaufen oder vertrocknen. Inzwischen gehen die meisten Produkte, besonders die Reben, zu Grunde. Bei der zunehmenden Hitze und mit dem Verschwinden der Wasser werden bösartige Ausdünstungen unausbleiblich sein und eine Epidemie steht vor der Thüre. Schon zu dieser Stunde verbreiten die unter Wasser stehenden Kornfelder unK übrigen Feldprodulte, ertrunkene und in Fäul- niß übergegangene Hausthiere einen höchst widrigen Geruch; dazu kommt noch, daß die auf die Podämme geflüchtete Bevölkerung das elendeste Loos getroffen hat; dieselbe schlug Strohmatten auf, ist Tag und Nacht, ohne Decken und zuweilen ohne Kleidung, der Laune der Witterung auSgesetzt, und vom Hunger getrieben schreien Hunderte dort nach Brod. Das wenige gerettete Vieh muß wegen Mangels an Futter um Schleuderpreise verkauft werden. Die Verzweiflung ist auf den höchsten Punkt gestiegen; die Pellagra genannte Krankheit tritt in Folge der brennenden Sonne und Mangels an allem jeden Tag
wüthender auf. Säuglinge sterben wegen Schwäche der sie ernährend«, Mütter und des ungesunden Wassers. Der hochherzige Mailänder Senator Tullo Mossarani, bringt Tausenden von Unglücklichen Brod, reist iu Barken mit RettungSwerkzeugen umher und befreit viele Familien vom nahe bevorstehenden Tode. Dir hiesige Filiale von Fr. Jobst in Stuttgart machte das sehr ansehnliche Geschenk von > 250 Gr. Chinin und 10 weitern Fläschchen zu 25 Gr. pro Stück, was den schon von Fieber heimgesuchten ein wahrer Balsam sein wird. Die lombardische Fabrik chemischer Produkte unter der Direktst, BöhrtngerS aus Stuttgart bot 400 Gr. Chinin an, das sofort nah Ferrara an die Erkrankten abging. Wie vielen Menschen wird durch. diese großartigen Unterstützungen das Leben gerettet, da an den Aa. ^ kauf des so theuren ChminS, zu einer Zeit, wo kaum genug Brod zur Stillung »es äußersten Hungers zusommengebracht wird, schwerlich in genügender Weise hätte gedacht werden können.
Nom, 15. Juni. Bekanntlich ist der Naturforscher Moleschvit an der Universität zu Rom als Professor angestellt. Seine Tochter hatte vor einiger Zeit mit einer Dame und deren Tochter eine Villa bei Rimiui bezogen. Am 5. Juni richtete Fräulein Moleschott, wie ^ ausländische Blätter erzählen, an die Dame und deren Tochter auf einem Spaziergange die Frage, ob man sich wohl in dem nahen Teiche ertränken könne. Da die Frage wegen der Seichtheit des Wassers verneint wurde, zog Fräulein Moleschott in demselben Moment plötzlich einen Revolver aus der Tasche und nahm sich mit einem Schüsse das Leben. Die Selbstmörderin war erst 17 Jahre alt und hat offenbar schon mehrere Tage vorher ihre That geplant.
Rom, 19. Juni. Die Elemente setzen dem in dem heurigen Jahre schon so arg heimgesuchten Italien immer härter und noch aufs Neue zu. Während in Oberitalirn an die 44,000 Hektaren Landes unter Wasser stehen, so zwar, daß sich die Negierung genöthigt gesehen hat, mit einer zweiten Forderung um Bewilligung außerordentlicher Mittel znr Linderung des Elends in den von der Ueberschwerm mung des Po und seiner Nebenflüsse betroffenen Provinzen vor daS Parlament zu treten, kommt aus Sizilien die Unglücksbotschaft, daß die Gemeinden Bongiardo, Santa Venerina, Gvardia, Linera und Manzaro am 17. d. durch ein äußerst heftiges Erdbeben schwer be« schädigt wurden. Viele Häuser sind zusammengefallen oder drohem Einsturz, und der Telegraph berichtet von 10 Todten uud zahlreichem Verwundeten. Gleichzeitig kommt aus Neapel die Kunde, daß der Vesuv eine größere Thätigkeit entwickelt. Die Laven fließen immer reichlicher in das Atrio del Cavallo hinab, zu dessen Ausfüllung es allerdings noch einer geraumen Zeit bedürfen wird.
Kairo, 23. Juni, Nachm. Man glaubt, daß die Abdankung, des Khedive nahe bevorstehe.
Vermischtes.
In Wien ist Herr v. Kieselack gestorben. Er hat sich iw Leben über seinen Bruder fast todt geärgert und im Tod hätte er sich erst recht geärgert, wenn er ihn in den Zeitungen hätte lesen, können. Denn er war Crimtnalrath, noch dazu geheimer, und sein Bruder war nur Registrator, freilich auch geheimer, und so oft von dem Eriminalrath die Rede war, sagten die Leute: ach, das ist der Bruder des berühmten Kieselack! — Und als er gestorben war^ sagten die Leute: Hat der seinen Bruder lang überlebt! — So war er lebend und sterbend der Bruder seines Bruders. Und wer war. denn der berühmte Bruder? — Wie gesagt: Registrator, wenn auch geheimer, und weder eia Genie, noch eia Millionär, noch ein Gelehrter und nicht einmal ein Mörder. Seine Unsterblichkeit hatte er durch eine Wette gewonnen. Er wettete einmal in den 40er Jahren, er wolle ein weltberühmter Mann werden, aber man müsse ihm drek. Jahre Zeit lassen und etzlicheS Handgeld geben. Er benutzte Zeit und Geld, um Reisen in gau; Oesterreich, namentlich in de». Gebirgen zu machen und auch in den ungarischen Pußten. Wo'S einen Berg gab, oder einen Fels, der schwer zu ersteigen war, oder eine Bärenhöhle oder einen Adlerhorst oder ein Räubernest, einen Kirchthurm oder einen Baum oder eine Brücke oder ein berühmtes HauS, da war er und schrieb seinen Namen an in riesengroßem Buchstaben. Engländer oder Amerikaner oder Gemsenjäger oder Bergleute mochten hinauf oder hinunterkommen, wohin sie wollten,. Kieselack war vor ihnen dagewesen und hatte seinen Namen hinterlassen. Er gewann seine Wette; denn er war ein berühmter Mann geworden, von dem man in allen Welttheilen sprach. Praktische Leute haben'S ihm nachgemacht. Schlage irgend eine Zeitung oder vielmehr alle Zeitungen auf, so findest Du ihren Namen, oben oder unten,, hinten oder vorn, aber unfehlbar und nimmst Du Flügel der Morgen- röthe und fliehst ans äußerste Meer» Du findest, wrnn'S nur noch Zeitungen gibt, ihren Namen. Das neue Wort dafür heißt: Reclame oder bezahlte Unsterblichkeit oder der neue Kieselack. Die Zeitungen sind die Träger dieser Unsterblichkeit.
Redaktion Druck und L erlag von S. OelschlLger in Calw.