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aber nicht auSschrieb, da brr Tod sie im Alter von 87 Jahren aus dem Kreise der Familie, welcher sie ihr ganzes Leben gewidmet, ab­rief. Die Verblichene, Christine Schrettinger aus Württemberg, stand «ährend dieser langen Zeit bei der Familie Meggenhofen in Diensten.

Berlin, 21. Mat. Bei der Präsidentenwahl im Reichstag am Mittwoch wurde die Eiutvoigkeit des Namenaufrufes durch einen kleinen Zwischenfall in heiterster Weise unterbrochen, indem der ver­lesende Schriftführer Eysoldt den sozialdemokratischen Abgeordneten Fritzsche als .Freiherro v. Fritzsche* aufrief. Ein minutenlange» homerisches Gelächter weckte dieser Aufruf, und stolzer denn je schritt die martialische Gestalt des CigarrenarbeiterS Fritzsche zur Urne.

Berlin, 21. Mai. Die Tarifkommisston de» Reichstages berieth gestern Abend das Gesetz über provisorische Einführung neuer Zölle (Sperrgesetz). Minister Hofmann gab die Erklärung ab, das Gesetz »erde auf Tabak keine Anwendung finden, weil die Regierung auf die TabakSnachsteuer nicht verzichten könne. Ueber die Artikel, aus welche das Sperrgesetz Anwendung finden solle, befragt, erklärte der Minister, er könne darüber keine Angaben machen. Die Kom­mission beraumte eine weitere Sitzung zur definitiven Entscheidung auf Freitag an.

Berlin, 21. Mai. Der Magistrat von Berlin beschloß, zur Feier der goldenen Hochzeit de» Kaisers mit einer Summe von 300,000 «fL eine AltersversorgungSanstalt zu stiften. Da außerdem ein Fonds von 100,000 welcher für gleiche Zwecke gestiftet wurde, vorhanden ist. so geht man mit der Absicht um, die erwähnte Stif­tung bald in Wirkung zu setzen, wenn auch nur in kleinem Maßstabe, indem mau zunächst, und zwar sogleich, zwei Gebäude, eins für Männer und ein» für Frauen, zu errichten gedenkt, und man hofft, daß durch Zufluß von Privatstiftungen die Erweiterung dieser Anstalten recht bald ermöglicht werden wird.

Wahrscheinlich wird noch in diesem Jahre in unserer Stadt der erste Versuch mit Feuerbestattung gemacht werden. Der Magistrat ist der Frage der Feuerbestattung bereits näher getreten, namentlich soll sich der Decernent des zuständigen Refforts, Stadtrath Friedel, lebhaft für die Sache interessiren. Durch zwei Ingenieure ist dem hiesigen Magistrat ein Projekt vorgelegt «orden, da» auf dem vom Prof. Karl Vogt empfohlenen System der Einmauerung der Leichen fußt. Die Särge werden in eine Art Zellen eingemauert, aus denen die Leichengast nur durch eine Röhrenleitung entweichen können. Diese Röhrenleitung endet in einem Ofen, in dem die Gase alsdann durch Feuer unschädlich gemacht werden.

Berlin, 24. Mai. Bet der namentlichen Abstimmung, wozu demonstratio auch Forckenbeck eintrat, wurde der Antrag Mirbach (den Rozgenzoll aus 1 ^ per 100 Kilogr. zu erhöhen) mit 173 gegen 161 Stimmen abgelehnt, die Position 9a und b nach der Regier­ungsvorlage (9 a. Weizen, Hafer und Hülsenfrüchte, sowie nicht be> sonders genannte Getreidearten 100 Kilo 1 ^ d. Roggen, Gerste, Mai» und Buchweizen 100 Kilo 0,50 -M) mit 226 gegen 109 Stimmen angenommen. Fürst Carolath (D. Reichsp.) enthielt sich der Abstimmung. Im Allgemeinen glich die Abstimmung der über die Eisenzölle. Schluß 6 Uhr.

In Hellen Haufen strömen die Wiener nach dem Hofgarten in Schönbrunu. Da ist nämlich 150 Nachtigallen die Freiheit gegeben worden, die ein Ungar zum Verkauf in Wien eingeschmuggelt hatte.

Karlsbad, 19. Mai. Dir hier erscheinende Badezeitung .Sprudel* erhält ein Telegramm aus Nizza, welches folgendermaßen lautet: .Heute fand ein Jäger im Walde von Gainant, etwa eine Viertelstunde von Nizza entfernt, zwei männliche Leichen, die, wie die Untersuchung ergab, höchstens 3 Tage alt sein können. ES sind zwei Deutsche; der ältere heißt Franz Dengler aus Berlin, so lautet die in seinem Hut angebrachte Karte; der jüngere ist, wie sein Paß er­gibt, der 21jährige Ferdinand Mörike aus Stuttgart. Zu ihren Füßen läge» zwei Revolver. E» liegt ein Selbstmord vor, der sich wahrscheinlich auf einen unglücklichen Besuch an der Spielbank von Monaco zurückführeu läßt.*

Pa ris, 23. Mai. Im Senat steht eine Interpellation Viktor Hugo'» über die letzte Hinrichtung in Agen in Aussicht. Es ist bei dieser Hinrichtung, der ersten, welche der neue Scharfrichter Deibler geleitet hat, schauerlich zugegangeu. Der Delinquent Laprade, der seinen Vater, seine Mutter und seine Großmutter ermordet hatte, setzte sich in dem Augenblicke, wo er auf's Schaffst geführt werden sollte, so heftig zur Wehre, daß der Scharfrichter und seine Gehülfen sich eine halbe Stunde mit ihm herumschlagen mußten. Er kam schon mit ganz blutigem Kopfe auf dem Schaffelle an und dort bedurfte es eines neuen Kampfe», ehe man ihn auf das verhängnißvolle Brett schnallen konnte. Viktor Hugo wird bei dieser Gelegenheit wieder die Abschaffung der Todesstrafe verlangen. Aber freilich hat er wenig Aussicht auf Erfolg. Der Augenblick für eine solche Forderung ist

nicht günstig gewählt, da man eben in der freien Schweiz wieder an die Einführung der Todesstrafe geht. Der neue Scharfrichter von Paris, der zugleich alle Hinrichtungen in Frankreich zu vollziehen hat, Deibler, war früher Scharfrichtergehilfe in Algier. In seinem, Be­rufe* ist er schon seit dem Jahre 1858 thätig. Seine Stellung ist nicht schlecht dotirt. Als erster Gehilfe bekam er 4000 Fr., jetzt erhält er 6000 Fr. und außerdem 12 Fr. für jeden Tag den er in seinem Berufe außerhalb Pari» zubringt. Der neue Scharfrichter von Paris ist ebenso, wie der verstorbene Roch, glücklicher Gatte und Familienvater. Es hat um diese Stellung eine außerordentlich lebhafte Bewerbung stattgrfunden. Sogar eine große Anzahl von Nerzten ohne rechte Stellung haben sich um den Posten beworben.

St. Petersburg, 16. Mai. DieMolwa* entwirft ein entsetzliches Bild von dem Aussehen OrenburgS nach dem Brande. Im Centrum der Stadt sind 950 und in Nowoje Sloboda 1420 Häuser niedergedrannt. Abgesehen von dem durch verbrannte Maaren herbeigeführten Verlust von etwa 14 Millionen haben die Bewohner an nicht versicherten Mobilien und Immobilien einen Schaden von drei Millionen erlitten. Etwa 70 Personen find als der Brandstif­tung und der Plünderung verdächtig verhaftet worden. Bisher wurden unter den Brsndtrümmrrn 7 verkohlte Leichen gefunden und im Ho­spital befinden sich 100 Personen, die «ehr oder weniger schwere Brandwunde» davongetragen haben. Ueber der Stadt schwebt bei einer Hitze von 39 Grad eine Wolke von Staub und Asche, durch welche die Sonnenstrahlen kaum durchdringen. Unter Len Einwohnern ver» thrilt man warme Speisen »nd Brod. Der Handel liegt vollkommen darnieder und nur die Schenken sind offen, in welchen sich die Ein­wohner Trost beim Branntwein holen.

Asien. Man stößt auf der Insel Sumatra auf große Schwierig­keiten, die telegraphischen Verbindungen aufrecht zu erhalten, welche häufig von den Stephanien zerstört werden. Der Drath und die Isolatoren werden in die Rohrdickichte verschleppt. Was bei Tag ausgcbeffert wird, wird in den folgenden Nächten wieder zerstört. Außerdem machen es die zahlreichen Tiger, Bären, wilden Büffel rc. äußerst schwierig, die Telegraphen-Linien in den dichten Urwäldern zu überwachen, während Affen auf den Dräthen ihre gymnastischen Hebungen bewerkstelligen, dieselben zerreißen oder die Isolatoren zerschlagen.

Gemeinnütziges.

Ein neuer Kinderwagen ist der Firma Louis Schmetzer und Comp, in Rothenburg a /Tauber patentirt worden, welcher nach den ärztlichen Gutachten der Gesundheit und namentlich dem Gesichtssinn der Kinder viel förderlicher ist, als die bisher gebräuchlichen. Die Einrichtung der Dächer gestattet eine vorzügliche Lüftung; das Kind wird vorwärts gefahren, wobei die Wärterin durch eine besondere Vorrichtung des Daches doch das Kind sehen kann; dieses Vorwärts- fahren hat zugleich den Bortheil einer mehr naturgemäßen Erziehung des Gesichtssinns, indem das Kind dem fixirten Gegenstand genähert, nicht von ihm entfernt wird.

Das Auge will die Gegenstände, sobald sie in seinen Gesichts­kreis fallen, näher und deutlicher erkennen. Aber gerade dieser auf natürlichen Gesetzen bernheode Trieb wird beim Rückwärtsfahren nicht befriedigt. Die Gegenstände entfernen sich immer mehr, werden blasser und so erhält das Ktudesange nie einen deutlichen und klaren Anblick, rin bestimmtes, fixes, in sich abgegrenztes Bild, und darunter leiden einmal die Augenuerven selbst, und dann in weiterer Folge auch da« große Gehirn, da beide nicht gehörig entwickelt und schlecht genährt werden. Das Auge verliert an Sehkraft, und das Gehirn leidet Mangel au richtigen Vorstellungen und bunten Bildern. ES bleibt gedanken- und ideenarm. Fast in der ganzen Welt werden Kinderwagen vorwärts bewegt (beispielsweise sei England, Frankreich, Belgien, Italien, Nordamerika rc. rc. rc. erwähnt.) wie es eben auch bei großen Wagen Brauch ist. Nur in Deutschland wurde die Unsitte eingeführt, solche rückwärts zu schieben, indem man behauptete das Kind auf diese Weise besser im Auge zu haben, was jedoch eigentlich nicht der Fall ist, denn in den meisten Fällen ist der Vor­hang heruntergelaffen, so daß man das Kind doch nicht sehen kann. Bei dem neuen automatischen Linderwageodach, womit alle Wagen der Firma Louis Schmetzer und Cie. jetzt versehen find, ist eS möglich, das im Wagen sitzende oder liegende Kind auch beim Vorwärts- schieben zu sehen, indem durch dru Schnitt der beiden Leinentheile welche die Seiten und Rückentheile bilden, die Enden in Vorhänge au«- laufen, in welche elastische Einlagen eingeniiht find, und die durch angebrachte Knöpfe und Knopflöcher fest verschlossen werden können» die aber auch wenn sie au« den Knöpfen auSgehängt werden, von selbst zurückspringen und sich offen erhalten.

Die Firma verkauft oicht an Private sondern nur an Kinder» Wagenhändler.