frühen Morgen und Vormittag der Schauplatz von Arbeiter Unruhen, welche eine Zeitlang größere Dimensionen anzunehmen drohten, jedoch schnell unterdrückt wurden. Es sollten nämlich gestern früh um 6 Uhr in der genannten Straße die Kanalisationsarbeiten begonnen werden. Der Magistrat hat im Submisfionsverfahren die Herstellung der betreffenden Strecke an bestimmte Unternehmer übertragen, und diese hatten einige polnische Arbeiter zu diesem Zwecke angestellt. Als die letzteren aber begonnen hatten, das Straßenpflaster oufzuretßen und die Erde für das Hauptkanalrohr auSzuschippen, erschien plötzlich eine Anzahl hiesiger Arbeiter aus dem Schauplätze, welche die polnischen Arbeiter belästigten, auf den Magistrat schimpften und erklärten, sie würden die Arbeit zu denselben billigen Lohnsätzen ausführen wie di« Fremden. Gleichzeitig machte» sie sich daran, die Erde eben so schnell wieder in die Gräben hineinzuwerfen, wie die polnischen Arbeiter sie ausschippten. Natürlich wurde aus dem nahe belegenen 50. Polizei« revier Hilfe requirirt. Damit aber nahm die Sache eine bedenklichere Wendung. Es wurde den Schutzleuten zuerst passiver, sodann auch aktiver Widerstand entgegengesetzt, so daß es um so mehr eines sehr energischen Einschreitens bedurfte, als die Menschenmenge durch Zu­strömen Neugieriger bald auf einige Tausend angeschwollen war. Die ärgsten Schreier, etwa 20 an der Zahl, wurden verhaftet. Bei dieser Gelegenheit erhielt ein Schutzmann von wütheoden Arbeitern einige Verletzungen. Inzwischen wurde die Dragonerstraße und die von der Schönhaußerstraße in sie hineiuführendr Schendelgasse voll­ständig abgcsperrt, während starke Patrouillen die Umgegend säuberten. In dieser Weise gelang eS, bis um 1 Uhr die Ruhe völlig wieder herzuftellen.

Berlin, 29. April. In nationalliberalcu Kreisen wird, da die Nachversteurung des Tabaks allgemeine Mißbilligung findet, ein Ge­setzentwurf besprochen, welcher darauf hinauslaufen würde, daß von dem Tage seiner Veröffentlichung an der im deutschen Zollgebiet riu« gehende Tabak dem ganzen demnächst zu beschließenden Zolle unter» liegen soll. Zu diesem Zwecke würde dieser Tabak einstweilen den bestehenden Etngang-zoll zu entrichten haben, außerdem aber sich einer Kontrole unterwerfen müssen, mit Hülfe deren er später, bei Ein­führung des erhöhten Zolles, zur nachträglichen Erlegung der Differenz herangezogen würde. Auf diese Weise würde alle weitere Spekulation, und solche würde bei wachsender Sicherheit der Ablehnung des Nach- versteuerungSentwurfS durch den Reichstag gewiß nicht ausbleiben, wirksam vermieden werden.

B e rli n, 29. April. Der engere Ausschuß de» deutschen Land« wirthschaftSrathS war am Montag in Berlin versammelt, um zu den dem Reichstage vorliegenden Zoll- und Steuerentwürfen Stellung zu nehmen. Der Ausschuß erklärt, daß die in dem Tarifentwurf für die Landwirthschaft in Aussicht genommenen Zollsätze nicht entfernt im Verhältuiß stehen zu den für die Industrie, besonders für gewisse Zweige derselben geplanten Schutzzöllen, und daß daher, da eine höhere Normirung der landwirthschaft!. Zölle nicht angehe, die industriellen Zölle sehr erheblich herabzumindern seien. Im Prinzip erklärte sich der Ausschuß einstimmig gegen die schutzMnerische Tendenz der Tarif- Vorlage. Um das Verhältuiß der Zollsätze zu dem Werth der zoll­pflichtigen Gegenstände zu ermitteln und dadurch die Unterlagen für eine vergleichende Ueberficht zu gewinnen, hat der Ausschuß eine besondere Kommission niedergesetzt. Nach diesem Maßstabe hat man sich u. a. für eine Herabsetzung des Roheisenzolles von 1 ^6 auf 50 L pro 100 Klgr. erklärt.

Wie der ,Nat.-Ztg.' mitgetheilt wird, beabsichtigt der Reichs­kanzler Fürst v. Bismarck nicht bis zum Schluß de» Reichstages in Berlin zu bleiben, sondern nur der Generaldebatte über den neuen Zolltarif und einigen wichtigeren Debatten, z. B. über den Zoll aus Vieh und Getreide, beizuwohnen, die minder wichtigen Positionen da­gegen den dazu berufenen Vertretern zu überlassen. Ueber den Sommer­aufenthalt hat der Reichskanzler noch feine Dispositionen getroffen.

Berlin, 29. April. Bon den Mitgliedern des Reichstags find fünf zu ReichSgerichtSräthen ernannt, Bähr (Kassel), v. Forcade und v. Grävenitz, Mitglieder des ObertribunalS in Berlin, der württ. Obertrib.R. Geß und drr Reich»oberhandelsgerichtS>R. Dreher (Abg. für Lahr). Da die genannten Sbg. mit ihrer Ernennung zu ReichSgerichtSräthen rm höheres Gehalt beziehen, so erlischt ihr Man­dat zum Reichstage. ES fragt sich nun, ob diese MandatSnirdrr- legung sofort erfolgen muß oder erst später, indem dieselben ihr neues Amt erst am 1. Oktober antreten. Diese Frage wird durch die Geschäfts« ordnungskommisfion de» Reichstages alsbald entschieden werden.

Berlin, 30. Apnl. Der ReichSanz. veröffentlicht die Er- neuunng SimsonS zum Präsidenten de« Reichsgerichts und Drechsler», HrnriciS, HochederS, UkertS, Drenkmann«, Beyerle« und BinguerS zu Senat-Präsidenten de« Reichsgerichts, ferner die Ernennung von 60 ReichSgerichtSräthen, darunter befinden sich 19 bisherige Reichsober-

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handel«gerichtSräthe, 23 bisherige preuß. ObertribunolSräthe, 2 ander- preußische höhere Justizbeamte, die württ. Obertribunalräthe Gmelin, Streich und Geh rc. Nach einer weitere» Brkanntmachung wird Simson zum wirklichen Geheimrath mit dem Prädikat Exzellenz ernannt.

Wien, 28. April. Ein hiesiger Korrespondent erzählt mit Bezug auf die nun verflossenen Festtage u. a. Folgendes: E« stellt« sich heraus, daß manche Hotels schon vor zwei Monaten für die Festtage gänzlich ausvermiethet waren. Was noch übrig blieb, wurde unter den seltsamsten Vorbehalten abgegeben, sehr häufig z. B. ohne die Fenster, deren Nutznießung schon von anderer Seite erworben war. Einem Bekannten, der in einem Hotel Garni untergekommen, passirte eS in der ersten Nacht, als er sich der Wand entlang zu seinem Belte Hintasten wollte, daß er über einen Stuhl stolperte und mitten durch die Wand in's Nebenzimmer hinüberfiel, wo etliche Dame» aus dem Schlafe geschreckt, Räuber und Mörder schrieen, die Klingel in Bewegung setzten rc. Der Hotelier hatte nämlich die glänzende Idee gehabt, jede» seiner Zimmer mit zwei Fenstern durch eine einfache Papierwaud entzwei zu theilen. Die Insassen ahnten gar nicht, daß sie ein papierenes Gehäuse bezogen, und schliefen in voller Sicherheit, gegen die gefährlichen Anschläge der Verbrecherwelt einer Weltstadt geschützt durch ... ein Blatt Papier.

London, 30. April. (Oberhaus.) Bäte mann beantragt eine Resolution zu Gunsten der Reziprozität in allen zukünftigen Handelsverträgen und Untersuchung der Ursachen des im Handel zu beklagenden NothstandeS. Lord Beaconsfield bekämpft die Resolution: Reziprozität sei unmöglich wegen der zahlreichen bestehenden Handels­verträge. Die Untersuchung sei zwecklos, da sie ohne ein bestimmtes Ziel sei. Er glaubt, der Handel werde sich schon wieder beleben. Der Antrag wurde ohne Abstimmung verworfen.

Petersburg, 30. April. In der Stadt Orenburg ist am Montag. Morgens 10 Uhr, ein große« Feuer ausgebrochen, das bei starkem Sturm Tag und Nacht und einen Theil des folgenden Tage» dauerte. Der größte Theil der Stadt «st vernichtet. Die Krougelder und die meisten Aktenstücke sind gerettet. Ueber die Hälfte der Be­völkerung ist obdachlos und ohne Nahrungsmittel. Bis jetzt sind drei Verbrannte aufgefunden. Während des Brandes sind keinerlei Aus­schreitungen vorgekommen. Der Gouverneur ersuchte den Minister um schleunige Geldunterstützung; der Minister wies sofort vorläufig 10,000 Rubel an. Der Brand dauerte bei starkem Sturm den ganzen gestrigen Tag und die ganze Nacht fort. Heule Lauert der Brand einzelner Häuser auf der gesammten Brandstätte noch fort. Der Sturm hat aufgehört. Niedergebrannt sind: zwei Kirchen, die Artil- lerickaserne, die Gebäude des Bezirksstabes, der Stadtduma und der Jngenicurverwaltung, der Kaufhof, die Telegraphenstation, bas Lehrer- linstitut, der Kameralhof, der Kontrolhof, das Kreiskriegsgericht und die besten Stadttheile. Der die Bevölkerung treffende Schaden ist enorm. Die durch den Braod beschädigten Bewohner werden in Baracken hinter der Stadtlini: sowie im Sommcrlokal des Gymna­siums untergebracht.

Tirnowa, 29 April, Mittags. Der Prinz von Battenberg wurde einstimmig durch Akklamation unter dem Namen Alexander I. zum Fürsten von Bulgarien gewählt.

Der zum Finsten von Bulgarien erwählte Prinz Alexander Joseph von Battenberg ist einer morganatischen Ehe seine» Vater» des Prinzen Alexander von Hessen Darmstadt mit einer deutsch-polnischen Gräfin Julie Haucke, nachmals zur Prinzessin von Battenberg erhoben, entsprossen. In Hessen sind die Kinder aus jener Ehe nicht succes« sionsberechtigt. Prinz Alexander entspricht demnach der in dem Berliner Vertrag für die Färstenwahl aufgestellten Bestimmung, welche alle Mit­glieder der regierenden Dynastien der Großmächte von der Wahl ausschließt. Prinz Alexander ist das dritte Kind und der zweite Sohn aus jener Ehe, am 5. April 1857 geboren, Sekondelieutenant im zweiten hessischen Dragonerregiment Nr. 24 und noch unverhei­ratet. Der Prinz Alexander von Heffen-Darmstadt ist der Bruder der Kaiserin von Rußland; auf seinem Schlosse in Jugenheim hat der Kaiser von Rußland schon oft sein Absteigequartier genommen.

Afrika. Die Kapkolonisten habm neuesten Berichten zufolge ernstliche Anstalten getroffen, sich fähig zur Selbstverteidigung zu machen. Nicht weniger als 5 Gesetze sind zu dem Zwecke erlassen worden. Eines derselben setzt die Formation eine» Korps berittener Schützen von 1000 Mann fest. Durch da» Aeamanrygesetz wird die Regierung ermächtigt, 3000 Mann auzuwerbrn, au»zurüsten und zu organifiren. Da« Freiwilligengesetz bestimmt die Bildung von Freiwilligenkorps. Da» Bürgergesetz 'endlich setzt die allgemeine Wehrpflicht für jeden mäanlichrn Einwohner innerhalb gewiffrr Alters­grenzen fest. Die ganze verfügbare Macht beträgt gegenwärtig 6000

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