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reitschaft, welche das Nebel des Krieges zu einem bleibenden macht, welche an dem Marke der Völker zehrt, doch endlich beseitigt werden wird, und 'renn warmfühlende Patrioten auch dieses Ziel — die Frage der HeereSabriistung ins Auge soffen, und Volksvertreter in dieser Beziehung Schritte zu einer gemeinsamen Verständigung über diese Lebensfrage der Völker anzubahnen suchen, so verdient Ließ alle Anerkennung. — Reichenberg, 16. Mai. Ter „N. fr. Pr." wird von hier geschrieben: Große Aufregung verursacht hier folgender Vorfall: Bei dem Kugelfange der hiesigen militärischen Cchüßstätle war Sams tags Nachmittags der 15jährige Sohn einer hiesigen hochgeachteten Familie des Fabrikdirektors Palme im Vorbeigehen damit beschäftigt, einige der im Kugelfange und dem umliegenden Erdreich steckergeblie- denen Bleikugeln aufzulescn. Er mochte den Warnungsruf des etwas entfernt stehenden Wachtpostens überhört haben, denn Plötzlich begann der Soldat auf den erwähnten Knaben förmlich Jagd zu machen, gab zweimal Feuer und schoß endlich das Kind von hinten nieder. Der militärische Schütze, welcher für die Aneignung einer werthlosen Bleikugel einem Knaben als Strafe den Tod diktirte, gehört dem hier garnisonirenden Jäger-Bataillon an.
Frankreich. Paris, 21. Mai. Die Kammern gewähren in diesem Augenblick ein seltsames Schauspiel. Tie Feinde der Republik sind in offenem Ausstand gegen das Ministerium begriffen und sie geben sich komischer Weise den Anschein, für die Verfassung und Gesetzlichkeit zu streiten. Bislang hatten die Monarchisten und Bo- napartisten noch nicht alle Hoffnung verloren, daß auch keiner nach dem alten System weiter regiert werden würde. Die Ernennung Marcere'S zum Minister des Inner» hat sie eines Anderen belehrt und der friedliche Verlauf der Amnestiedebalte, der die Mehrheit der Kammer in voller Uebereinstimmung mit dem Ministerium zeigte, warf alle ihre Berechnungen über den Haufen.
Schweiz. Zürich, 20. Mai. DieZLricherischen öffentlichen Bauten der letzten Zeit sind schlecht ausgeführt. Die Jrrenhausbauten irr Burghölzli sind heute noch nicht ganz fertig und schon muß das Dach umgedeckt werden, und im Polytechnikum ist in den letzten Tag cn dir Decke des Aulasaales eingestürtzt. Glückicherweise war der Saal leer und so wurden nur Stühle und Bänke zertrümmert, keines Menschen Haupt beschädigt. Das Unglück ist die Folge des Regens, der den Eyps der Decken gelockert hat! Bekanntlich ist diese Decke von den herrlichen Semper'« schen Gemälden geziert; die dem Kopfe Jupiters entsteigende Minerva ist zwar noch vollständig erhalten, aber man fürchtet, da das Holzwerk total faul, den Einsturz der ganzen Decke. Die allgemeine Entrüstung über eine solche Art zu bauen ist groß. Beide Bauten Irrenhaus und Polytechnikum, fallen in die Zeit des früheren Staatsbauinspektors Wolf von Zürich.
Schweiz. Graubündrn. Bei Grono in Misox ist die gesammte linke Berglehne oberhalb Grono in einer Masse von vielen Millionen Kubikmetern, in fortwährender Bewegung, veranlaßt einestheils! durch die vom Berge herunterstürtzenden Wasser, die sich ,'in dieser! Schuttmasse verlieren, anderntheils durch den bei Grono in die^ Moesa einmündenden großen Wildbach Calancasca, der bei höherem! Wafferstande den aus Felsblöcken und Erde bestehenden Fuß der! -Berglehne unterwascht und so dieser den letzten Halt raubt.
Spanien. Madrid, 20. Mai. In der heutigen Sitzung bes Senats legte der Ministerpräsident den Gesetzentwurf, betreffend die Aufhebung der Fueros ron Catalonien, Navarra, Biscaya und Guipuzcoa vor. Die Motive des Gesetzes erläuternd erklärte Cano- vaS del Castillo, die konstitutionelle Einheit Spaniens dürfte nicht länger in Frage gestellt werden. Der erste Artikel des Entwurfes verpflichtet siimmtliche Provinzen zum Militärdienste. Im zweiten Artikel behält sich die Regierung gewisse Maßregeln für den Fall vor, daß Provinzen das Kontingent verweigern. Der dritte Artikel bestimmt, daß die Provinzen nach ihren VermögenSverhältniffen Steuern zahlen.
Türkei. Konstantinop el, 12. Mai. Den Petitionen und Demonstrationen der Sofias, (Studenten der Theologie und Jura) nachgebend, hat der Sultan Meschemed Rüschdi zum Großvezier, Hussein Avni zum Kriegsminister, und Abdul Kerim zum General- issimo ernannt. Der Sheik ül Islam ist ebenfalls verändert. Eine große Umwälzung ist mithin bewirkt worden. Es ist das erste Mal seit der Zeit der Janitscharen, daß der Sultan dem populären Drucke nachgegeben hat. Die Sofias, eine gebildete Klaffe, so weit die Bildung in der Türkei geht, sind eine Macht im Staate geworden. 400 der kühnsten wandten sich nach dem Serail. Der Sultan war eben spazieren gefahren; sie giengen ihm nach, umringten den Wagen und brachten ihr Anliegen vor: 1—2) Absetzung des Scheik-ül-Jslam und des Großvezirs, 3) eine Verfassung mit Landesvertretung, 4) Abschaffung der Serailwirthschaft. Sie übergaben hierauf ihre Anträge
schriftlich und drangen auf Bescheid innerhalb drei Stunden, worauf sie sich entfernten. Wo man hinhört, ist Niemand, der die Sofias tadelt. „Aferim" (Bravo), sagte ein Militärkommandant, »die Jungem haben noch Muth, wir besitzen keinen!" Schon um 3 Uhr gestern Nachmittag war der Scheik-ül-Jslam und Mahmud abgesetzt und die Papiere stiegen an der Börse um 1i>/z pCt. Wie wir schon sagten, ist die ganze Revolution bis jetzt ein ruhiger, waffenloser Schritt gewesen, aber es ist der erste. Wer kann sagen, was folgen wird?
Konstantinopel, 16. Mai. Von den in Salonichi verhafteten sind 58 an Bord des Kriegsschiffes „Selimie" gebracht wor- den, wo das Verhör derselben stattfindet. Die Verhaftungen werden fortgesetzt. Tie Bevölkerung verhält sich durchaus ruhig.
B uckarest, 20. Mai, Morg. Ein furchtbarer Schneesturm hat hier großen Schaden angerichtet. Das Thermometer sank aus Null, nachdem es kurz zuvor noch 25 Grad Wärme gezeigt hatte.
Salo nicht, 16. Mai. Die 6 Hauptschuldigen sind heute zum Tod verurtheilt und sofort hingerichtet worden. Die Untersuchung gegen die übrigen dauert fort, cs herrscht vollständige Ruhe.
Amerika. Philadelphia, 22. Mai. Der durchschnittliche Tagesbesuch der Welt-Ansstellung in Philadelphia beziffert sich (wenn die Zahl nicht etwas amerikanisch übertrieben ist) auf 18,000 Personen, von denen zwei Drittel Eintrittsgeld bezahlen und ein Drittel Freikarten besitzt. Das Wetter war in letzter Zeit sehr ungünstig.
Vermischtes.
Berühmter noch als die Florentiner- und Panama Hüte sind die Frauen-Doktor-Hüte der Universität Zürich. Siekosten nicht nur ein schönes Stück Geld, sondern auch ein strenges Examen vor den Professoren. Am gesuchtesten sind die Doktorhüte der Meinem, die jüngst an 11 junge Damen verliehen wurden, an 6 Russinnen, 3 Engländerinnen, je eine Amerikanerin und Schweizerin und 2 Deutsche, ein Fräulein Lemus aus Fürth und ein Fräulein Tiburtius von der Insel Rügen.
— Duisburg, 20. Mai. Gestern fand der Hausknecht deS Hotels zum Prinzregcntm aus einem Orte, welchen „selbst die hoch» sten Herrschaften höchsteigenhändig zu Fuß besuchen", in höchst gefährlicher Lage eine Geldtasche, in welcher sich außer Anderm auch 400 Mark in Papier befanden. Der Verlierer, der den Verlust am Abend, als er von einem Ausgang zurückkehrte, »och nicht bemerkt hatte, war höchst erfreut, griff in die Tasche und gab dem braven, ehrlichen Finder die fürstliche Belohnung von 100 — nicht Mark, sondern Pfennigen. Leider befand sich hierunter noch ein Fünfgroschenstück, welches unter dem Namen „Polack" nicht ganz kursfähig ist.
Zur Beleuchtung über die Auffassung des Standesamtsgesetzes in einzelnen Kreisen der Bevölkerung mag folgender Vorfall dienen: In die Sakristei des Meining'schen Städtchens X. trat vor Kurzem nach dem Gottesdienst die Hebamme mit einem kleinen Erdenbürger auf den Armen und begann: Hier, Herr Superndent, habe ich das Kind des Meisters N. — Bei dem Standesbeamten hat es schon seinen Namen bekommen, und soll nun auch getauft werden; aber, hat der Vater gesagt, wenn es was kostet, soll ich es gleich wieder mitnehmen! —
Literarisches.
Die beiden neuesten Nummern der Jllustrirten Frauen-Zeitung (vierteljährl. Abonnementspreis 2. 50 ) enthalten: 1. Die Modennummer (19): Reise-Anzüge mit Staubmantel und Paletot, Mull- Linon- und Percal Kleider, hohe Schooßlaillen, einzelne Röcke und Aermel. Hüte für ältere Damen und junge Mädchen, Fichüs, Barben, Cravaten und Ccavatenschleifen, Morgenhäubchen, Frisirmantel und Unterrock mit Schleppe. Kinderkleider. Gestrickte Decke, Streifen-Decke (russische Stickerei). Decke auf Leinwand (venetianische Stickerei), Schreibtisch-Teppich nebst Ausführungen, gestickte Bordüre (Tapisserie-Arbeit), Bordüre zur Ausstattung von Möbeln (Oeldruckauf Segeltuch mit Steppstichstickerei), Franze (Knüpfarbeit), irische Spitzen« und Häckelarbeiten, Bunt- und Weißstickereien rc. rc. mit 57 Abbildungen und einem großen colorirten Modenkupfer. II. Die Unterhaltunzsnummer (20): Die Nothhelferin. Novellette von Levin Schücking. Schluß. — Gedichte in oberbaierischer Mundart. Von Karl Stieler. — II. — Großfürstin Maria Paulowna, die Mutter der deutschen Kaiserin. Von Fr. Helbig. — Alfred Rethels Hannibalzug. Von Adolph Rosenberg. — Die Orang-Utans im Berliner Aquarium. Von vr. Otto Hermes. — Verschiedenes. — Briefmappe. —Frauen-Gedenk- tage. — Ferner folgende Illustrationen: Großfürstin Maria Paulowna, die Mutter der deutschen Kaiserin. — Alfred Rethels Hannibalzug. — Viertes Blatt. — Die Orang-Utans im Berliner Aquarium. Von H. Leutemann.
in Calw.