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Calw seit einigen Tagen ein jüngerer Mann vermißt werde. (Dieses Gerücht ist grundlos, da hier in Calw Niemand vermißt wird. D. Red.)
— Karlsruhe, 22. Nov. Der badische Landtag ist heute durch den Großherzog in Person eröffnet worden. Die Thronrede spricht die Befriedigung des Großherzogs über das erstmalige Erscheinen des volljährig gewordenen ErbgroßherzogS unter den Volksvertretern aus, Petont den fortschreitenden Ausbau des Reiches, gibt der Hoffnung Aus- druck, daß die religiösen Beunruhigungen sich in Vertrauen verwandeln werden, und kündigt Gesetzentwürfe an über die Aufbesserung der Einkommen der Geistlichen beider christlichen Confessionen, die Vereinigung der konfessionell getrennten Volksschulen, die Benutzung der Gewässer, die Reform des Steuerwesens, die Oberrechnungskammer, die Versorgung der Beamtenwiltwen und die Sicherung der Diensffiel- lung der niederen Beamten. Die Thronrede berührt ferner die wirth- schaftliche Lage und ihren Einfluß auf das Staatsbudget und spricht die Hoffnung auf deren Besserung aus.
— Berlin, 22. Nov. Nachdem der Reichskanzler Fürst Bismarck Samstag Abend 6^/4 Uhr hier eingetroffen war, beteiligte er sich schon in der heutigen Reichstag ssitzung an der Debatte. Nachdem das Gesetz über die Telcgraphen-Anlcihc an die Etats-Kommis« sion verwiesen worden war, begann die erste Lesung des Brausteuer- gesctzeS , bei welcher Gelegenheit der Reichskanzler das Wort ergriff. Er bedauerte, der Eröffnung des Reichstags nicht haben beiwohnen zu können; seine schwankende Gesundheit habe ihn daran gehindert und hätte ihn vielleicht noch länger fern gehalten, wären nicht die Appellationen der Presse und des Reichstagsabgeordneten Richter so dringend gewesen. In der Steuerfrage stimme er mit dem Bundesbevollmächtigten, Finanzminister Camphavsen, darin überein, dnß die Recht des Reichstages darüber, ob Ausgaben durch neue Steuern oder durch Erhöhung der Matrikularbeiträge zu decken seien, nicht alterirt werden dürfen. Der Umstand, daß man keine radikale Steuer reform vorgenommen habe, sei kein Motiv für die Ablehnung der Steuergesetze. Man könne auch Abschlagszahlungen, annehmen. Eine Radikalreform sei eine Hcrkulesarbeit, bei welcher der Partikularismus der Einzclsiaaten die Lösung der Ausgabe e: schwere. Die Kleinstaaten dürfen nicht durch Matrikularbeiträge übei bürdet werden. Nach seiner Ansicht empfehlen sich für das Reich indirekte Steuern. Direkte Steuern seien zu drückend und ungerecht. Frankreich und England, wo meist indirekte Steuern seien, trügen die Steuerlasten leichter. Die Steuern müßten auf Luxus- und Genußmittcl fallen. Die Bieisteuer empfehle sich namentlich deßhalb, weil sie von allen Handwerken gleichmäßig durch Preiserhöhung getragen werde. Es sei nicht angezeigt, die Sache auf das Gebiet der parlamentarischen Machtsrage hinüberzuspielen. Es handle sich um einen Schritt zur allgemeinen Steuerreform. Die Frage sei gewiß auch nicht dazu an- gethan, dem alten Wunsche auf Errichtung von Reichsmi- n ister i e n mehr Nachdruck zu geben; ein verantwortliches Kollegium sei ein Unding. Die Ressortminister seien zu selbstständig, um dem Einzelnen die Verantwortung zu überlassen, die Ressorts der Reichsminister seien überdieß in der Entwickelung begriffen; das auswärtige Amt, die Marine, Eisenbahn, Post und Telegraphie hätten eine selbstständige Verwaltung; auch denke er sich die Verwaltung von Elsaß Lothringen einst als ebenso geordnet. Das Reich würde an Aktionsfähigkeit verlieren, wenn die gegenwärtige Ordnung der Dinge einem kollegialischen System weichen sollte. Die Börsensteuer sei ein einfacher Akt der Gerechtigkeit: mobiles Kapital müsse wie immobiles Stempel zahlen „Wenn Sic unseren wohlge meinten Steuerresormverfuch ablebnen, müssen wir ihn im nächsten Jahre erneuern, wenigstens glaube ich mich dazu verpflü tet. Von Empfindlichkeit und kabmetssrage kann hier nicvt dir Rede sein. Ich möchte bitten, zunächst das Braustenergesetz anzunehmen, namentlich auch, um in Norddeutschland gleichmäßige Einnahmen wie in Süddcutschland zu erzielen." Nach längerer Debatte, wobei Löwe, Windthorst und Liebknecht gegen, Lucius für die Steucrgesetze sprach, wurden beide Vorlagen an dir Bndgetkommission verwiesen.
— Straßburg, 20. N v. Nach bei d-r Behörde ein egangener Meldung sind gestern auf der Steinkohlcngrube bei Carlingen (Kreis Forbach), der Aktienoes Uswast „Saar und Mosel" gehörig, zehn Bergleute mit dem Fö.derg, stell in dm Schacht gestürzt. Das Unglück ist dadurch veranlaßt, daß durch emen Schraubenbruch beide Bobinen, um welche sich das Drahtseil w'ckelt, zerstört wurden und in Folge davon das eine Fördergestell bei 365 Nieter Tiefe im Schachte hängen blieb, während das andere mit den darauf befindlichen Leuten hinabstürzte. Da die Maschine betriebsunfähig geworden ist, konnten die Leichen noch nicht zu Tage gefördert werden.
Schweiz. St Gallen. In der Sitzung des Großen RatheS vom 19. d. veranlqßte das Bürgerrechtsgesuch von zwei Württemberg«« eine längere Diecusfion, indem hinter demselben von einer Seite rin Versuch voll Fahnenflucht vermuthet wurde. Schließlich
wurde beschlossen, die Entscheidung zu verschieben, bis Klarheit über die Niederlassung vorliege. Die beiden Petenten sind im Alter von 13 und 16 Jahren und es soll ihre Mutter sich mit ihnen im Kan» ton niederzulaffen beabsichtigen.
England. London, «20. Nov. Hiesige Kaufleute haben dem auswärtigen Amte eine Vorstellung eingcreicht, welche den Nachweis enthält, daß Rußlands Vordringen in Central-Asien den englischen Handel in Persien, namentlich in Jspahan, schon jetzt erheblich ge« schädigt habe und daß eine weitere Schädigung drohe, indem die Russen die Engländer sogar aus den Hafenorten verdrängen. Die Kaufleute schlagen die Unterstützung der Dampserlinie Schuster-Mahom« merah aus Staatsmitteln vor.
London, 22. Nov. Ein Telegramm der „Times" aus .Wien bezeichnet alle Gerüchte englischer Blätter über eine Intervention Oesterreichs in der Herzegowina als völlig erfunden. — Dem „Globe" zufolge sollen an der westafrikanischen Küste kriegerische Verwicklungen bcvorstehen. Die Afflowhos, ein eingeborener Stamm, haben das Lager des englischen Polizeikorps in Addafio überfallen, wofür ihnen die gebührende Züchtigung wird zu Theil werden müssen. Für den Augenblick scheinen die Angreifer dieß keineswegs zu befürchien, denn sie drohten bei Abgang der Nachricht mit Zerstörung von Addafio. In Ouettah herrschte darüber einige Bestürzung.
Dover, 20. Nov. In der vergangenen Nacht herrschte an der Küste heftiges Unwetter, wobei, wie man berechnet, etwa 13 Fahrzeuge auf die Dünen gestrandet und 40 bis 50 Menschen umgekommen sind.
Amerika. New-Jork, 20. Nov. Nach einer Depesche aus Washington richtete der Gesandte der Vereinigten Staaten in Madrid an einen Freund in Washington einen Brief, worin er ausführt, daß kein Grund die Bcsorgniß rechtfertige, daß der Friede zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten gestört werden würde. Die Depesche bemerkt, daß die Regierung von anderwärts her Meldungen desselben Sinnes erhielt.
— In einem Städtchen amMain fand ein Reisender am Wirths- Haus das Wort „Wafferhöhe 1844" sehr hoch am Hause angeschrieben. Jst's denn möglich, daß da« Wasser so hoch stieg? fragte er den Wirth, da muß ja der ganze Ort fast unter Wasser gestanden sein! So hoch ist das Wasser eigentlich nicht gegangen, antwortete der Wirth, die Inschrift stand früher weiter unten, aber da haben sie mir die Buben immer herausgekratzt; jetzt habe ich sie höher hinaufsetzen lassen, wo sie dieselbe nicht mehr erreichen können.
— Berlin. Das „Berl. Fr.-Bl." erzählte kürzlich: Zu dem Burschen eines von außerhalb hieher kommandirten Offiziers, der sich früh aus seiner Wohnung in den Dienst begeben hatte, kam ein anständig gekleideter Mensch und sagte ihm unten auf dem Hausflur: „Sie sind der Bursche des Herrn Lieutenants v. O., ich bin von demselben beauftragt, ihm sogleich den Waffenrock, Helm und Schärpe zu überbringen, wie dieser Zettel von des Herrn Lieutenants Hand besagt." Der Bursche sieht den Zettel an, er fordert den Ueberbrin- ger auf, mit in seine Stube zu kommen, wo er den Unbekannten tüchtig mit dem flachen Faschinenmesser bearbeitet und ihn dann die Treppe hinunter befördert. Als der zurückgekchrte Herr Meldung des Vorgefallenen erhalten, konnte er natürlich die Vorsicht und Klugheit des Burschen nur lobend anerkennen, mußte ihn aber doch fragen, woraus er denn das Betrügerische erkannt und warum er den Schwindler nicht lieber zu gesetzlicher Bestrafung gebracht habe. Darauf erfolgte die Antwort: „Daß der Kerl ein Betrüger war, habe ich auS Vielem gesehen; erstens hatte ich in der kurzen Zeit doch säon Herrn Lieutenants Handschrift als eine andere kennen gelernt, und dann dachte ich, wenn der Herr Helm und Waffenrock braucht, danv muß er auch die Epauletten und die Orden haben» und davon stand auf dem Zettel nichts. Auch ärgerte mir, daß mich der Kerl für so dumm hielt, darum habe ich ihn durchgehauen und ihm einen Denkzettel gegeben, der viele Wochen länger dauern wird, als wenn er acht Tage in's Loch gekommen wäre."
Die Fahrt eine» toiten Postillons. Ein entsetzliches Verbrechen ist dieser Tage in der Nähe von Temesvar verübt worden. In der Nacht vom 15. auf der, 16. Nov. wurde der von Lippa nach TemeS. var verkehrende Postkarren von Räubern überfallen, der Postillon ermordet und der Briefkasten erbrochen und ausgeraubt. Die Raubmörder legten hierauf den Leichnam wieder in den Karren und gaben dem Pferde die Direktion nach Allios, wohin dasselbe, der Gewohnheit gemäß, auch richtig seinen Weg fand und ruhig vor der Poststation stehen blieb Der Postmeister, welcher die Post bereits mit Ungeduld erwartet hatte, wollte seinen Augen kaum trauen, als er den Wagen mit dem tobten Postillon und dem leeren Briefkasten erblickte. ES find umfassende Recherchen eingeleitet worden, die jedoch bisher ohne Resultat blieben.
"Redigirt, gedruckt und verlegt vou Hk. OelschlSge r