- 484
— Mannheim, 16. OK. Vor dem hiesigen Standesamte spielte sich heute Vormittag eine unerquickliche Szene ab. Ein hiesiger Arbeiter sollte eben mit einer Wittwe getraut werden,, als ein junges Mädchen, die frühere, nun verlassene Geliebte des Bräutigams, in den Saal stürzte und mit Berufung auf ihre beiden Kinder die Trauung zu verhindern suchte. Es mußte polizeiliche Hilfe requirirt werden» um die Unglückliche von ihrem Vorhaben abzubringen.
— München, 17. Okt. Der König wird heute von Hohenschwangau in Schloß Berg zurückerwartet und werden unzweifelhaft nunmehr unmittelbar die Entschließungen in der Adreßangelcgenheit und wegen der MinisterkrisiS ergehen. Der Sekretär des Königs, Staatsrath v. Eisenhart, welcher während der kurzen Abwesenheit des Königs von Berg zur Stadt hereingekommen war, um über die schwebenden Angelegenheiten des Näheren sich zu unterrichten, ist heute wieder dahin zurückgekehrt. Auch fällt es auf, daß General v. d. Tann, der zur Begleitung des Königs bei der Reise am Donnerstag Abend von Berg nach Hohenschwangau befohlen war, am Vormittag desselben TageS noch der Sitzung der Abgeordnetenkammer in der Hoftribüne anwohntc; wenn er etwa den Auftrag hatte, Bericht über die Adrcßdebatte zu erstatten, so hat es an drastischem Stoff dazu ihm allerdings nicht gefehlt. — Die Landtagsabgeordneten haben sich heute zum größten Theile in ihre Heimath zurückbegeben.
— München, 17. Okt. Die Minister werden den vom Staatsrath berathenen Gesetzentwurf wegen provisorischer Steuererhöhung den Kammern nicht vorlegen. Die Adresse der Abgeordnetenkammer ist noch nicht zur Weiterbeförderung übergeben.
— München, 18. Olt. In Abgeordnetenkreisen verlautet, daß die Kammer wahrscheinlich bereits Mittwoch vertagt wird.
— München, 17. Oktober. Gestern Abend ist in Ingolstadt in Folge des Zusammenstoßes zweier Züge der Wagenmeister Pfisterer getödtet worden; außerdem sind einige Verletzungen vorgekommen.
— Oberam mcrg au, 15. Okt. Unter großer Betheiligung von Einheimischen und Fremden wurde heute Mittags 11 Uhr die Ent- hüllnng und Benediktion der Kreuzigungsgruppe in feierlichster und würdigster Weise vollzogen. Die Wahl des Tages geschah durch den König zu Ehren des Geburtsfestes der Königin-Mutter.
— Berlin» 6. Okt. Wie es heißt, wird der Kaiser, der am 25. nach Berlin zurückkehrt, den Reichstag am 27. d. M. persönlich eröffnen.
— Flensburg, 15. Okt. Nach zweitägigem strömendem Regen und orkanartigem Wind aus Südost hatten wir gestern starke Sturm- fluth, die sich natürlich über die ganze schleswig.holsteimsche Ostküste und die dänische Küste verbreitet hat. Am Hafen drang das Wasser in viele Häuser. Angeschwommene Tonnen, Balken und Geräthschaften künden stets an, wie die Fluth auswärts gehaust hat. Wäre der Wind gestern Abend oder heute Nacht nach Norden gegangen, so war eine Schreckenszeit wie am 13. November 1872 zu befürchten. Tritt starkes Steigen des Wassers ein, so rufen die Wächter am Hafen „Hochwasser" und wer sich dann unter Umständen nicht sehr beeilt, kann sofort aus dem Bett ins Wasser steigen. (Der Sturm wüthete an der ganzen Ostseeknste und in gleich heftiger Macht an der Nord, küste des Mittelländischen Meeres.) — In der Nähe von Amru» an der Westküste ist vor wenigen Tagen ein englisches Dampfschiff Biskay mit einer Ladung Roggen von Kronstadt nach Bremen bestimmt, gescheitert. Von der Besatzung sind 10 gerettet, 11, darunter der Kapitän, ertrunken. Die Geretteten brachten drei andere Schiffbrüchige mit, die von einer dänischen Galleasse kamen, welche gleichfalls bei Amrum gestrandet war.
— Trient, 18. Okt. Kaiser Wilhelm traf gestern Abend hier ein und ist heute Morgen 8Vz Uhr bei günstigem Wetter nach Mai- land weitergereist. Der Kaiser wurde auf dem Bahnhofe von einer großen Volksmenge jubelnd begrüßt.
Italien. Ala, 18. Okt. Der deutsche Kaiser ist um halb zehn Uhr hier eingetroffen und von dem deutschen Gesandten v. Keudell, den Generalen Cialdini und Balegno und dem Fürsten Giovanelli empfangen worden. Er verweilte hiersclbft 10 Minuten.
Mailand, 18. Okt. Kaiser Wilhelm ist heute Nachmittags 4 Uhr 20 Min. eingelroffen und wurde am Bahnhof von dem Könige, den Prinzen und Ministern, vom den Präfekten, dem Syndifus und den Spitzen der Civil- und Militärbehörden empfangen. Die Monarchen begrüßten sich aufs herzlichste unter den enthusiastischen Zurufen der ungeheuer zahlreich anwesenden Bevölkerung. Artilleriesalven ertönten, die Musik der Ehrenwache spielte die preußische Volkshymne. Der Kaiser bestieg mit dem König einen Hofwagen, und fuhr durch die mit italienischen und deutschen Fahnen reichgeschmückte Stadt nach dem Schlosse. Dem Wagen des Kaisers folgten in mehreren Wägers die Prinzen von Savoyen, die Generale Graf y. Moltke und Cial-s dini, Staatssekretär von Bülow, sowie das übrige Gefolge, sodann! noch z ahlreich e Privatfuhrwerke. Alle Straßen, welche der Zug pas-
sirte, waren auf einer Seite von Militär, auf der andern von einer Volksmenge besetzt; überall waren Tribünen errichtet, die Häuser mit Teppichen geschmückt. In der ganzen Stadt herrscht die freudigste Erregung. Nach der Ankunft im Schlosse fand um 5(^ Uhr Empfang der Minister, der Hofchargen, sowie der Präsidenten der Senats- und Deputirtenkammer statt. Hierauf wurde Familientafel gehalten. Vor dem Schloß sammelte sich eine dichtgedrängte Volksmenge, welche unaufhörlich Ovationen darbrachte. — Der Kaiser und der König erschienen wiederholt auf dem Balkon und wurden enthusiastisch begrüßt. Das Wetter ist trübe aber warm.
Mailand, 18. Okt., Abends. Die Illumination des Domes und des Domplatzes glänzend ausgefallen. Die preußische und die italienische Volkshymne wurden lebhaft applaudirt. Der Kaiser und der König betrachteten die Illumination vom Balkon des Schlosses aus.
Turin, 13. Okt. Ein großes Eisenbahnunglück hat sich zu Castcl San Giovanni zwischen Piacenza und Stradella' zugetragcn. Zwei Züge stießen zusammen; ein Kuri erzuz, der aus Turin kam, und ein Güterzug, der von Piacenza abgelasscn wurde. Die Maschinen der beiden Züge wurden zerschmettert, die Wagen stießen mit solcher Heftigkeit auf einander, daß sie sämmtlich zertrümmert wurden. Bis jetzt sind 3 Todesfälle und zahlreiche schwere Verletzungen konstatirl.
Spanien. Madrid, '18. Okt. König Alfons ist an der Bronchitisjftrkrankl; sein Zustand flößt keine Besorgniß ein. — Die Carlisten haben gestern noch einige Bomben aus San Sebastian geschleudert.
Madrid, 18. Okt. Die Division Delatre hat den Carlisten, welche von Catalonicn durch Arragonien nach Navarra ziehen wollten, den Weg verlegt. Der Carlistenführer Paraiso wurde gefangen genommen und seine Abtheilung ausgelöst. Das Amtsblatt veröffentlicht eine Bekanntmachung der Regierung, wonach ausländische Schiffe, deren Papiere nicht mit dem Visa des betreffenden spanischen Konsuls versehen sind, erheblichen Geldstrafen unterliegen.
Frankreich. Paris, 16. Okt. Der > von dem Minister des Auswärtigen inspirirte „Moniteur" sagt: In den Kommentaren zur Reise des Kaisers Wilhelm spiegeln sich Ansichten wieder, welche für die allgemeine Politik nur als beruhigend gelten können. Früher würde die Zusammenkunft der Souoeraine Deutschlands und Italiens gewisse Unruhen erzeugt haben, heute betrachtet die ganze europäische Presse die Zusammenkunft in Mailand als eine ivesenttich friedliche- Thatsache, welche Frankreich also nicht erregen kann. Dieß ist ein günstiges Anzeichen, von welchem wir gerne Kenntniß nehmen.
Das unter der Präsidentschaft der Marschallin Mac Mahon stehende Komite für die Ueberschwemmten im Süden sandte seiner Zeit 6000 Matratzen nach Toulouse zur Vertheilung an die Armen. Dieselben sollen nun aber fast noch alle auf dem Stadthause zu Toulouse liege», da der Maire sie nur au solche Leute abgab, welche klerikatkouservative Empfehlungen aufzuweisen hatten.
Schweiz. Basel, 11. Okt. Ein Korrespondent der „Aar. Nachr." berichtet, daß gegenwärtig im Kanton Zürich Wurzeln von Herbstzeitlosen in Masse angekauft werden zu dem ausgesprochenen und erwiesenen Zweck, dieselben zu Verwendung bei der Bierfabrikation nach Deutschland zu exportireu; der Korrespondent wünscht, daß die deutschen Behörden sich bemühen möchten, diesem Handel ein Ziel zu setzen.
Serbien. Belgrad, 17. Okt. Die Trauung des Fürsten Milan fand heute Nachmittag statt; nach derselben Gratulationscour, bei welcher sämmtliche Vertreter erschienen.
Vermischtes.
— In Rcgensburg traf ein Wunderdoktor Müller ein. An allen Mauern und Häusern war zu lesen, daß er Mittel habe wider alle Uebei. Einem Polizeisergeant nahm er 3 Thlr. ab für ein Mittel wider Kopfweh, aber das Kopfweh nahm nicht ab und schließlich verdonnerte ihn das Gericht zu 30 Thlr. Strafe. Er verduftete und tauchte in Straubing wieder auf, wo man ihn festmachte.
Nur des Reimes halber. Ein reisender Haudwerksbursche wurde in Ungarn wegen Paßlosigkcit vor den Stuhlrichter geführt. „Sie heißen?" „Eduard Ranzig." „Ihr Alter?" „Vierundzwanzig." „Woher?" „Von Danzig." „Gendarm' — (Richter drohend auf den Delinquenten zeigend) — Fünfundzwanzig."
In den meisten Ländern und Städten hat der ehemalige lärmvolle orthodoxe Gottesdienst der Juden längst ausgehört und einer stilleren Feier Platz gemacht. Man erzählt schon vom alten Fritz, den jüdische Bewohner einer Provinzstadt zum Besuche der nett gebauten Synagoge bewogen hatten, daß er einem alten Hebräer, welcher seine Gebete mörderisch laut schrie, freundlich ans die Schulter klopfte, und dem verzückt gen Himmel blickenden Eiferer sagte: „Mit Gewalt richten Sie da gar nichts aus, lieber Freund". Jetzt gehts viel leiser in den Synagogen her und Orgelklang und Chorgesänge erfreuen das Ohr des alten Jehovah.
cttrdrxirt, qc-ruckt
ve-.trLt
rü-l) eIschlL g r r.