Dir Spekulation hat sich bereits deS päpstlichen Jubeljahres be- mächtigt; um eine genußreiche Pilgerfahrt zu den Füßen des heil. Vaters zu veranstalten, hat sich, wie die „Germania" mittheilt, in der Rheinprovinz und Berlin eine Gesellschaft gebildet, welche den ablaßbedürftigen Wallfahrern durch RundreisebilletS Besorgung von Führern, Gepäckbeförderung u. dgl. Bequemlichkeiten des modernen Reifens unter die Arme greifen will.
— Berlin, 1. Febr. Der Bundesrath genehmigte gestern die Gesetzesentwürfc über den Landsturm, die Ausübung der militärischen Kontrole über die Mannschaften des Beurlaubtenstandes und das Groß« jährigkeitsalter; er setzte die Abstimmung über das Civilehegesetz bis zur nächsten Sitzung aus und ermächtigte den Reichskanzler zum Abschluß eines AusliefernngsvertragS mit der nordamerikanischen Union.
^— Einerder populärsten Abgeordneten im Reichstag ist (oder war) Herr Valentin, der Reichsschlußmacher. Sein Beruf ist es, den ReichSatg von der ungemessenen Redelust mancher Reichsbooten zu befreien und ihn von der Langweiligkeit mancher Debatte zu erlösen. Es gehört dazu guter Blick, Schick und Takt. Wenn ein Redner nach dem üblichen Eingänge: „Nur wenige Worte, meine Herren" die erste halbe Stunde seines Redeergusses hinter sich hat, wenn eine Debatte sich in endlose Ferne hinzuziehen droht, dann richten sich alle Blicke sehnsuchtsvoll nach Herrn Valentin, der aus den hintern Bänken der Nationalliberalen sitzt und schmunzelnd bemerkt, daß man eine rettende That von ihm erwartet. Endlich erhebt er sich, doch das Schicksal für die eifrigen Redner in der Gestalt des Herrn Valentin schreitet nicht schnell. Sehr behäbig nähert er sich den Häuptern des Fortschritts: ein Nicken stummer Zustimmung; denn man weiß, was er will. Bei den Nationalliberalen derselbe Vorgang; beim Centrum, wenn nicht gerade einer der lieben Ihrigen die Rednerbühne erschüttert, deßgleichen. Endlich gelangt er bis zur äußersten Rechten des Grafen Moltke, der als Schweiger von Beruf selten etwas dagegen hat, endlose Reden abzukürzen. Zuletzt nähert er sich dem Präsidenten; aus der Brieftasche zieht er einen der 200 mit „Ich beantrage Schluß der Debatte" bedruckten Zettel hervor, die ihm zu Weihnachten verehrt worden sind. Präsident von Forckenbeck hat schon längst das Lachen mit Mühe zurückgehalten, er steht auf und ruft: E» ist ein Antrag auf Schluß der Debatte gestellt! Das HauS stimmt zu und die unerbittliche Parze Valentin hat dem unglücklichen Redner den wohlgedrehten Faden ab geschnitten.
— Der kühne Nordpolfahrer Julius Payer in Wien, der "bekanntlich wegen einer Zurücksetzung aus seiner militärischen Stellung ausgc- schieden ist, wurde von der geographischen Gesellschaft zum Secretär mit einer ansehnlichen Besoldung ernannt.
— Der Mörder Freuth, der einen Handelsmann im Eisenbahnwa - gen ermordet hatte, ist in Olmütz hingerichtet worden. Er starb, möchte man sagen, mit einem Hoch auf den Kaiser. der sein Todes- urtheil bestätigt hatte. Eine halbe Stunde vor seinem Tode schrieb er auf ein Blatt Papier: „Gott beschütze Kaiser Franz Joseph mit seiner glorreichen Familie, der meine That die ich noch in letzter Minute bereue, gerechtmäßig strafte." Zwei Wiener Aerzte sind nach Olmütz gereist, um das Gehirn Freuths zu untersuchen.
— Wien, 28. Jan. Es ist die offizielle Meldung eingctroffen, daß der Fürst von Montenegro die von der Pforte concedirte Lösung der Podgoricza-Affaire vollinhaltlich acceptirt. Der Fürst hat gleichzeitig Anlaß genommen, zu erküren, daß er zur Zeit darauf verzichte, einen principiellen Anstrag derjenigen Gegensätze, welche im vorliegenden concreten Fall zum Ausdruck gekommen, zu provociren, daß er sich aber Vorbehalten müsse, im geeigneten Augenblick — und dann glaube er auf die wohlwollende Unterstützung der Mächte rech en zu dürfen — die definitive Regelung des Verhältnisses zwischen dem Ottomanischen Reich und Montenegro zur Sprache za bringen.
Schweiz. Bern, 29. Jan. Der katholische Schulrath von St. Gallen beschloß, da die Geistlichkeit sich dem Beschlüsse, betreffend Verbannung des Unfehlbarkeitsdogmas und des Syllabus aus dem Religionsunterrichte, nicht gefügt hat, den sogenannten Fastenunterricht den Lehrern zu übertragen und, falls die Pfarrgefftlichen solchen.Kindern die Beichte und Kommunion verweigern sollten, einen christkatho- lischen Geistlichen zu diesem Zwecke einzuberufen.
Frankreich. Versailles, 30. Jan. Die National-Versammlung, welche gestern den Antrag Laboulaye mit 359 gegen 335 Stimmen verworfen hatte (s. jetzte Nummer), ging heute an die Berathung des Amendements Wallen. Dasselbe bestimmt, daß der Präsident der Republik von den beioen Kammern auf 7 Jahre gewählt wird und wieder wählbar ist. Das Amendement wird mit 353 gegen 352 Stimmen angenommen. Alle Gruppen der Linken stimmten für das Amendement, weil dasselbe die Worte „Präsident der Republik" enthält. Diese Gruppen find der Ansicht) 'daß die Annahme des Amendements im Sinne der Republik sei.
— Das Bien Public erwähnt des Gerüchtes, daß die Ex-Kaiserin Eugenie eine Aneihe von sieben und einer halben Million gemacht habe, welche nach Herstellung des Kaiserthums zehnsältig (mit 75
" Redigirt,
Millionen) zurückgezahlt werden soll und fügt hinzu: „Wenn die Ex» kaiserin eine Anleihe macht, so thut sie eS, weil ihr das Geld fehlte um die Ergebenheit ihrer Getreuen zu unterhalten, und wenn sie heute kein Geld hat, mit welchem Gelde wird sie die 75 Millionen bezahlen, wenn ihr Sohn den Thron bestiegen haben wird? Ganz einfach mit dem unsrigen, mit dem der französischen Steuerzahler, mit den Ersparnissen, welche der Bauer, der Arbeiter für ihre alten Tage zurücklegen und welche man ihnen abnehmen wird unter der Form von Steuern oder Anleihen, was ganz auf dasselbe herauskommt, da sie die Zinsen der Anleihen bezahlen müssen. So wird bei dieser seltsamen Transaktion Frankreich im Voraus geplündert.
England. London, 1. Febr. Dem Vernehmen nach sagte die Regierung die Einbringung eines Gesetzes zu, welches strenge Prügelstrafe für die überhand nehmenden brutalen Mißhandlungen wieder einführen wird.
Italien. Gleich nach seinem Einzuge in Rom hat Garibaldi da« rothe Hemd ausgczogen, im Parlament seinen Eid auf die Verfassung abgelegt und dann dem König Victor Emanuel seinen Besuch gemacht. Die beiden Herren sahen sich tief in die Augen und hätten sich wohl viel zu sagen gehabt, sie unterhielten sich aber nur über die Trockenlegung der römischen Sümpfe.
Spanien. Madrid, 1. Februar. „Gaceta" veröffentlicht ein amtliches Dekret, welches den Journalen die Besprechung aller Handlungen des Ministeriums gestattet; dagegen verbietet es, Mitglieder der königlichen Familie, die konstitutionelle Monarchie und die Religion anzugreifen oder Nachrichten zu verbreiten, welche den Kar» listen irgendwie nützen. Jedes Journal, das nach dreimaliger temporärer Suspension diesen Bestimmungen zuwiderhandelt, wird unter» drückt. Ein weiteres Dekret bestimmt eine besondere Rechnungsführung für die schwebende Schuld. Dasselbe Blatt meldet, daß Kuba, Portoriko und die Philippinen sich durch Delegiere für AlfonS ausgesprochen haben.
Santander, 29. Jan. Die Carlisten zogen sich auf das linke Ufer des Orialflusses (Provinz Guipuzcoa) zurück und die Brigade Salcedo hat im Verein mit Miquelets den Flecken Usurbil genommen. Die Generale Loma und Blanko besetzten den Oria und werden morgen über diesen Fluß eine Schiffbrücke schlagen. Die Brigade Jnfanzon setzt die Operationen gegen Guetaria und Zarautz erfolgreich fort. Die Verluste sind gering.
Santander, 29. Jan. Die deutschen Schiffe „Augusta" und „Nautilus" sind hier eingetroffen. — Der Kapitän Zepplin und einzelne Matrosen der Brigg „Gustav" sind noch in karlistischer Gefangenschaft. — Die alphonsiistische Sache gewinnt dem Vernehmen nach in Navarra Anhänger.
— Ein Telegramm der „Times" aus Madrid vom 29. Januar besagt: Es sind lebhafte Verhandlungen im Gange über einen Waffenstillstand zwischen Carlisten und.Alfonsisten, welcher die Grundlagen eines künftigen Friedens bilden und nöthigenfalls auch ohne Mitwirkung des Don Carlos abgeschlossen werden soll. Letzterer soll die Stellung eines Jnfanten von Spanien erhalten.
Ta fall«, 30. Jan. Moriones hat heute Tafalla mit sehr bedeutenden Streitkräften verlassen, um die Karlisten zu umgehen. Das Hauptquartier des Königs Alfons ist noch in Tafalla. Man glaubt, daß ein Zusammenstoß der beiden Armeen nicht vor einigen Tagen stattfinden wird.
Tafalla, fl. Febr. Moriones zog in Monreal ein. Lapor- Die Karlisten gaben die Straße von Pampelona Entsatz steht bevor. Der König rückt mit dem
tilla besetzte Berga, widerstandslos auf. Hauptquartier vor.
Vermischtes.
(SchulfuchS.) Dieses noch jetzt berühmte Epitheton verdankt seinen Ursprung dem Professor Brißmann, welcher von der lateinischen Schule zu Naumburg nach Jena berufen worden war. Er trug als ein gravitätischer Pedant selbst im Sommer einen mit einem Fuchspelz verbrämten Mantel, und so nannten ihn die Studenten einen Schulfuchs, was hernach auf jeden frisch aus der Schule kommenden Neustudenten überging.
— Nach amtlichen Mittheilungen sind während der letzten vier Jahre Todesurt heile gefällt worden
1871
in
Preußen Baiern Sachsen Württemberg Baden
Von diesen Todesurtheilen sind nur 2, in 1873, zum Voll-ug gekommen, gedruckt und verlegt von A. Oeljchläger.
23
12
5
3
3
1872
29
1873
36
1k
l
3
1874
41
9
4
3
4
Baiern im
Jahr