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Angeklagten auf größere Fügsamkeit gegen Instruktionen des Reichskanzlers und auf geringeres Maß selbstständiger Initiative Anspruch erhoben. AuS dem Inhalt der einzelnen Erlasse folgert die Anklage, daß alle Schriftstücke nicht bloß formell, sondern materiell amtlichen Charakter haben, daß dieselbe» nur dem Staate, nicht der Person des Angeklagten gehören können, daß die darin theilweise enthaltenen Vorhaltungen und Rektifikationen den amtlichen Charakter derselben nicht alteriren. Unter den sodann aufgesührten, zur dritten Rubrik gehörigen Schriftstücken, aus 11 Erlassen und 12 Berichten bestehend, von deren Verbleib Graf Arnim nicht» wissen will, sind hervvrzuhe- ven: Ein Memoire über eine Unterredung mit dem General Fleury. Ferner ein Erlaß, betreffend die Stellung des russischen Botschafters in Paris, Orloff, zu Deutschland. Ferner betreffend eine Unter«, düng Orloff's mit Thiers. Die Anklage begründet in längerer °,Aus> «inandersetzung, daß die Schriftstücke der dritten Rubrik von Arnim -gleichfalls nur absichtlich hätten zurückbehalten werden können. Die Anklage kommt zur Beleuchtung der Motive und Endzwecke Arnims und führt an, daß Graf Arnim bei der Verhaftung in Nassenheide angab, daß die gestindlich an sich genommenen Papiere unter Rubrik 1 und 2 sich im Ausland befänden. Er erbot sich sodann, dieselben herbeizuschaffen, sobald er auf freien Fuß gesetzt würde. Er erklärte zuletzt unter derselben Voraussetzung einem Beamten die Schriftstücke «achzuweisen, wenn dieser über die Person des Aufbewahrers Stillschweigen bewahrt. Die Anklage geht Uber zu den bekannten Pariser Mittheinngen des Brüsseler „Echo du Parlement" vom 21. September 1872, daß Arnim seinen Botschafterposten aufzugeben beabsichtige, deren Urheberschaft der Angeklagte ursprünglich in Abrede stellte, dann aber später zugab. ES folgt die Darstellung des Herganges bei der Publikation diplomatischer Enthüllungen in der „Wiener Presse". In Folge derselben wurde der Angeklagte auf Allerhöchsten Befehl unter Hinweisung auf die Bedeutung des Amtseides zur amtlichen und schriftlichen Aeußerung darüber aufgefordert, ob die Veröffentlichung in der Presse von ihm ausgegangen sei oder durch Mittheilung an Dritte hervorgerufen sei, oder aber ob er von den beabsichtigten Veröffentlichungen am 25. April vorher Kennlniß gehabt und ob er den in der Augsburger „Allgem. Ztg." publicirten Brief au Döllinger geschrieben und seine Veröffentlichung veranlaßt habe. Angeklagter erwiederte unterm 7. Mai, nur er bekenne sich zur Autorschaft des Briefes an Döllinger. Darauf durch Erlaß vom 10. Mai nochmals zur Aeußerung über die Publikation der „Wiener Presse" aufgesordert» erwiederte Angeklagter unterm .14. Mai, er sei für Enthüllungen der Presse unter keinem Gesichtspunkt verantwortlich und könne darüber auch keine Aufklärungen von Anderen verlangen» ebenso wenig könne er die Adressaten der beiden in der Presse veröffentlichten Briese bezeichnen. Die Anklage führt gegen die Mehrheit der vom Angeklagten angeführten Erklärungen Thatsachen auf, namentlich die bei dem Angeklagten in Nassenheide saisirtcn Notizen von Arnim und Briefe von dem Redakteur der „Presse", Lauser, und dem Pariser Journalisten Landsberg. Außerdem wurde der Entwurf des veröffentlichten Promemonas unter den saisirten Papieren gesunden. Die Anklageschrift erwähnt ferner die Beschlagnahme des Concepts zu dem Artikel der „Kölnischen Zeitung" vom t:9. März 1872 über die Räumung«frage, worin Verhältnisse berührt wurden, welche der Angeklagte nur vermöge seiner amtlichen Stellung kennen konnte. Erwähnt wird ferner, daß der Angeklagte auch zu der Wiener „Neuen freien Presse" Beziehungen gesuebt habe. Die Anklageschrift hebt hervor, daß dse quästionirten amtlichen Schriftstücke dem Angeklagten nicht zu seiner Vertheidigung, sondern ;u erneuten Angriffen auf die derzeitige deutsche Reichspolitik besonders werthvoll waren- Die Anklage kommt zu dem Schluß, daß, da die fraglichen Schriftstücke in Form und Inhalt nach §. 348 Al. 2. des Strafgesetzbuches als Urkunden sich darstellen, der Thatbestand der Unterschlagung aber durch die Absicht rechtswidriger Zueignung, ohne daß er zugleich einer gewinnsüchtigen Absicht bedarf, bedingt wird und auf Sachen von Vermögens- (Tausch-) Werth nicht beschränkt ist, Arnim angeklagt wird, in dem deutschen Botschastshotel in Paris von 1872 bis 1874 durch ein und dieselbe Handlung als Beamter s) ihm amtlich anvertrante Urkunden vorsätzlich bei Seite geschafft; b) Sachen (die Urkunden sub u), die er in amtlicher Eigenschaft empfangen hatte, sich rechtswidrig zugeeignet zu haben, Vergehen gegen tztz. 348, 350, 73 des Strafgesetzbuches. Die Anklage behält sich für die mündliche Verhandlung Anträge auf Beschränkung der Oeffentlichkeit vor.
— Viele werden sich in diesen Tagen eines interessanten Bildes ans vem Jahre 187l erinnern, es stellt die deutschen und französischen Diplomaten in Frankfurt dar, welche den Frieden abschlrcßm. Ans diesem Bilde sitzen Bismarck und Arnim friedlich und groß neben einander am denkwürdigen Werke: Arnim ein stattlicher Mann von ohem Wüchse und ausdrucksvollem Gesichte mit dunklen Augen, in
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> schwarzem Vollbart und kurzem schwarzem Kopfhaar. Er ist jetzt 51 Jahre alt und sieht noch ebenso auS, nur daß er vor dn.: Gerichte nicht eine so stattliche Figur macht. In der 2. Gerichtssitzung in Berlin wurde der objektive Thatbestand festgestellt. Arnim hat auf einen Theil der zurückbehaltenen ia.se Bismarcks eigenhändig „Konflikts-Akten" geschrieben und Randbemerkungen hinzugefügt, als „Paule, o Paule!" — „Oho", „Nanu", „Jnspirirt eure Kosacken besser!" oder „Das sind wieder faule Klatschereien von Edwin." (General v. Manteuffel ist gemeint). — Als diese Dinge in öffentlicher Sitzung verlesen werden und allgemeine Heiterkeit Hervorrufen, macht der Graf keine glückliche Figur und bittet dringend, das Lesen einzu- stellen. Er wird von der Verlesung der Depeschen und Briefe sehr peinlich berührt und diese beziehen sich allerdings vielfach auf Verhältnisse, welche Arnim als persönliche auffassen durfte. AuS dem Schristenwechsel geht hervor, daß das persönliche Verhältniß zwischen ihm und Bismarck längst innerlich gebrochen und ein amtliches Zu- sammenwirken unmöglich war. Der Graf ist übrigens während der Dauer der Verhandlungen ein Gefangener im Criminalgebäude des Molkenmarktes, er wurde unmittelbar nach der Sitzung wieder verhaftet. Sein Verteidiger Munkel rügte das Verfahren des Gerichts und sagte, man müsse an das Spiel der Kotze mit der Maus
! denken, man verhafte den Grafen, lasse ihn frei und verhafte ihn wieder.
— Die Zahl der Geistlichen der Provinz Posen welche, wegen ihrer Weigerung, mit den erzbischöflichen Vermög ensoerwaltern zu korrespondiren, mit Disziplinarstrafen belegt oder bedroht worden sind, beläuft sich auf ca. 300.
— Wien, II. Dez. Aus Prag wird telegraphisch gemeldet, daß in dem Krankheitözustand des ehemaligen Kurfürsten von Hessen Kassel -eine Verschlimmerung ringetrcten sei; die Schwäche nehme überhand bei wenig Schlaf und Eßlust.
Spanien. M adrid, 1l. Dez. Serrano besuchte Espartero in Logronno. Er wurde von den Truppen enthusiastisch ausgenommen.
Hendaye» II. Dez. Am Montag und Dienstag fand unweit Tolosa eine Schlacht zwischen den Regierungstruppen und Carlisten statt. Erste« besetzten am Montag Hrrnani und nahmen am Diens- tag Urnieta ein. Der rechte Flügel avancirte bis Andora, aber das Centrum wurde zurückgeworfen, so daß der Rückzug nöthig wurde. Die verfolgenden Carlisten machten mehrere Bajonnctangrisfe, wobei sie erhebliche Verluste erlitten. Der Carlistenchef Mongrooeyo wurde verwundet. Der Verlust der Rcgierungstruppen beträgt 700 Mann. General Lonia kehrte nach San Sebastian zu rück. Don Carlos befinde sich in Vcrgara.
— Der Vor üb er gang der Venus vor der Sonn en scheibe am 9. Dezember d. I. wurde von vielen astronomischen Gesellschaften beobachtet. Die genaue Beobachtung dieser seltenen Erscheinung ist für die Wissenschaft deßhalb von großem Werlhe, weil sie für die genauere Berechnung der Entfernung der Erde von der Sonne maßgebend ist. Seither wurde die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne aus20,682,329 geographische Meilen— 153,742,000 Kilometer berechnet. Es gibt 3 Methoden, durch welche der Zweck der Beobachtungen» die genaue Feststellung der Entfernung der Erde von der Sonne zu erreichen, gesucht wird, 1) di: von E. Halley angegebene Beobachtung der Zeitdauer des Vorübergangs, in welcher Absicht
! die Ein- und Austritte genau beobachtet werden, 2) mikrometrische Beobachtungen» welche den Ort, wo die Vcnusscheibe ans der Sonnenscheibe zu verschiedenen Zeiten des Vorübergangs sichtbar ist, unmittelbar feststellen, 3) photographische Aufnahmen, welche den Zweck der mikrometrischen Beobachtungen durch nachträgliche an den Photographien angestellte Messungen mit einer bisher noch nicht erreichten Genauigkeit zu erreichen gestatten. Ucbcr die Erfolge der Beobachtungen liegen Depeschen aus London vor: Die mikrometrische und teleskopischc Beobachtung des Venus-Durchganges, sowie die photographische Aufnahme desselben in Kairo, Suez und Theben waren erfolgreich; in Shanghai war die Sonne überwölkt, in Calcutta dagegen war sie den Beobachtungen sehr günstig. Der Einiritt der s Venus erfolgte um 7 Uhr 56 Minuten Morgens, die Mitte erreichte ! sie um 10 Uhr 5 Minute», und der Austritt erfolgte um 12 Uhr i l3 Minuten. In Madras war die Sonne bewölkt. In Kurrachee ! erfolgte der Außencontact mit der Sonne um 6 Uhr 10 Minuten
> Morgens, der erste Jnnencontact um 6 Uhr 47 Minuten,*der zweite !um 10 Uhr 33 Minuten und endlich der Austritt um 11 Uhr 3 ! Minuten. Die Expedition des Newyork Heraid in Nangasatt beob- ! achtete den zweiten Contact erfolgreich; der erste und dritte war durch
! Wolken verhüllt. Die Expedition hat 60 gute photographische Auf:
, nahmen gemacht.
ittediglrt. aedruckt verlegt von A. O el schlag er.