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Liese ließ, bei einem Briefträger Haussuchung thun. Da fanden sich in einer Kiste nicht weniger als 1035 Briete, 206 Postkarten, zahl­reiche Packete, Waarenproben und Drucksachen aller Art, die meisten noch gar nichtgeöffnet. Dem Briefträger war's nur zu unbequem gewesen, all das Zeug auszutragen.

Guben, 18. Juni. Der sozialdemokratische Agitator Meyer aus Mühlheim wurde vom hiesigen Kreisgcricht wegen der in einer Volksversammlung am 22. Mai gethanen Aeußerung:Die Staats- Anwälte fühlten den Instinkt in sich, einen Sozialdemokraten in An- klagezustand zu versetzen und zu verurtheilen, nur weil er eben So­zialdemokrat ist", obgleich er geltend machte, daß man' ihn den Nach­satz nicht habe aussprechen lassen, sondern ihm das Wort entzogen und die Versammlung aufgelöst, zu 3 Monaten Gefängniß und in die Kosten verurtheilt.

Dort mund, 19. Juni. Wie in Berlin und anderen Orten, hat man gestern auch hier bei den sozialdemokratischen Führern poli­zeiliche Haussuchvngen oorgenommen und dabei eine reiche Anzahl von Broschüren, Schriftstücken', Correspondenzen rc. mit Beschlag belegt.

Schweiz. Bern, 16. Juni. Laut dem Entwurf der neuen schweizerischen Militärorganisation, dessen Berarhung der Nationalrath morgen beginnen wird, soll die Bundesarmee in Zukunft nur noch aus Auszug und Landwehr bestehen. Ersterer hat eine Dienstzeit von 12 Jahren, die der letzteren dauert bis znm 45. Altersjahre. Ein- getheilt ist die Armee in 8 Divisionen, welche wiederum in Brigaden und Regimenter zerfallen. Jede Division verfügt über eine Vermal- tungskolonne. Im Nothfall kann das gesammte Telegraphen- und Eisenbahnwesen unter militärische Ordnung gestellt werden. Der Ge­neralstab ist bedeutend verringert und die Befreiung vom Militärdienst, von dem nur Kriminalisirte ausgeschlossen, außerordentlich erschwert. Am eidgenössischen Polytechnikum soll ein militärischer Lehrstuhl er­richtet werden.

Italien. Rom, 22. Juni. Gestern Abend fand zu Ehren des Jahrestages der Thronbesteigung des Papstes ein Tedeum in der Peterskirche statt. Der Papst erschien darauf an einem Fenster des Vatikans. Die ehemaligen päpstlichen Gendarmen riefen:Der Papstkönig lebe!" die Volksmenge erwiederte den Zuruf mit Pfeifen. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung erschien ein Detachement Versag- lieri, welches die Gendarmen verhaftete. Die Volksmenge ging dann uhig auseinander.

Rom, 22. Juni. Der Papst empfing gestern zur Feier sei­ner Thronbesteigung die eingetroffenen Repräsentanten der Diözesen und der römisch-katholischen Jugend, welche eine Adresse des katholi­schen Kongresses in Venedig überreichten. Der Papst sprach seine Anerkennung über die Arbeiten des Kongresses aus, ermahnte die ita­lienische Jugend, unablässig für das Gute zu wirken und drückte die Hoffnung aus, die gegenwärtigen Prüfungen des Pontifikats würden in Freuden verwandelt werden.

Spanien. Lodosa, 17. Juni. Die Truppen von Bilbao sind hier angekommen und untergebracht: die Brigade Garces in der Ge- sammtstärke von ungefähr 5000 Mann. Bereits seit 8 Tagen lang­ten beständig neue Geschütze hier an, durch welche die früherem»: vier Stücke zählenden Batterien auf sechs Geschütze gebracht worden sind. Zwei schwere Festungsgeschütze von 20 Centimeter haben vorgestern glücklich die hölzerne Nachdrücke passirt. Die Nordarmce ist jetzt an 40,000 Mann stark und besitzt 84 Kanonen verschiedenen Kalibers, Krupp'sche, bronzene von 10 Centimeter und Gebirgskanonen und einige Mitrailleusen. Die Stärke der Carlisten wird auf 34 Ba­taillone, zu etwa 700 Mann ein jedes, berechnet.

Die spanische Nordarmee hat den Angriff auf Estella des schlechten Wetters wegen aufgeschoben, doch soll eine Schlacht unmittel­bar bevorstehen. Die Karlisten stehen in der Position von Monte- Jurra, Alto, Discastillo und Pnenta la Reina konzentrirt, die Re­publikaner bei Logronno und auf dem rechten Ufer des Tafala. Bil­bao hat eine hinreichende Besatzung erhalten. Der von den Karlisten unternommene Versuch einer Diversion nach Aragon ist gescheitert. Nach einer Korrespondenz der Kölnischen Zeitung ist das vorläufige ^ Objekt der Bewegung Estella. Die Karlisten haben alle ihre Kräfte dahm konzentrirt, man sagt 30.000 Manu. Durango ist von ihnen so gnt wie preisgegeben. Estella liegt in einem Kessel, von drei mäch­tigen Gebirgen umgeben. Sämmtliche Wege, die nach der Stadt führen, sind von diesen Höhen beherrscht. Die unter allen Umständen gesicherte Rückzugslinie des Feindes geht in das Gebirgsthal der Amezcuas. Um gegen diese Stellungen einen kombinirten Angriff von verschiedenen Seiten her zu richten, steht die Armee Concha'S,! etwa 20,000 Mann stark, im Süden von Estella am Ebro, etwa! on BrioneS bis Lodosa. Wahrscheinlich fei eS, heißt es in demselben! erichte aus dem spanischen Hauptquartier, daß die unter General! oma in San Sebastian jetzt in Bildung begriffene kleine Armee be-!

Redig-rt, --et ruckt und vci!

stimmt werde, über Tvlosa ans Alsüsna zu oprrircn, und daß Concha. alsdann beabsichtige, die rechte Flanke der Karlisten auf den AmezcuaS zu umgehen, Loma die Hand zu reichen und so seine Gegner von den baSkischen Provinzen abzusperren.

Vermischtes.

Der heurige Komet wird am 8. Juli in die Sonnennähe kom­men und alsdann von der Sonne 13>/2 Millionen geogr. Meilen entfernt sein. Eine prächtige Erscheinung wird er nack dem Voll­monde in der ersten Hälfte des Juli darbieten, und bis zum 15. Juli bleibt er circumpolar, d. h. er ist die ganze Nacht sichtbar. Er steht jetzt noch im Sternbilde des Bichs, welches er durchläuft, und verschwindet schließlich am 17. Juli für unsere Breiten im Stern­bilde der Zwillinge, nicht weit von dem Sterne Pollux. Seine Ent­fernung beträgt am 26. Juni 16 Mill., am 3. Juli 12 Mill., am 11. Juli 9 Mill., am 15. Juli 7 Mill., am 19. Juli 6 Mill. nnd am 23. Juli, wo er der Erde am nächsten, für uns aber nicht mehr sichtbar ist, 5^2 Mill. Meilen. Er ist gegenwärtig 7mal Heller als bei seiner Entdeckung am 18. April, am 25. Juni wird er schon 21mal, am 3. Juli 40mal, am 7. Juli 58mal, am 11. Juli 84mal, an, 15. Juli 128mal, am 19. Juli, in seinem größ­ten Glanze, 150mal Heller sein.

(Spott, Witz, Ir 0 nie und Hum 0 r.) Selten schreibt der Literarhistoriker Hermann Markgraf werden ähnlich lautende Be­griffe häufiger miteinander verwechselt, alsSpott, Witz, Ironie und Humor", trotzdem sie scharf von einander geschieden sind. Spott ist der Witz eines dummen oder gemeinen Menschen; Witz der Spott eines feinen Kopfes oder Gefells cbaslsmannes; Ironie der Witz eines lieferen Denkers und Humor die Ironie eines Poeten. Spott ist ein plumper Faustschlag, der Beulen zurückläßt; Witz ist ein Nadelstich, der mehr oder weniger tief m da» Fleisch dringt; Ironie em Ritz, wie von Dornen unter Rosen; Humor das Pflaster, das gegen alle diese Wunden hilft. Gegen den Spott hat der geistreiche Mann keine Waffen; der Witz fordert ihn zum Widerstand heraus; mit der Ironie unterhandelt er auf Capitulation; der Humor bringt ihn zur freiwilligen Unterwerfung. Der Spott kommt aus dem Fleischlichen, der Witz aus dem Verstände; die Ironie aus dem Geiste, und der Humor aus dem Gemüthe, er ist ein Lächeln durch Thränen!

In Düsseldorf wollte kürzlich ein auswärtiger Schuster seine Leder-Einkäufe machen, trat aber vorerst in ein WirthshauS, um sich an einem Glas Bier zu stärken. In der Wirthsstube be­fand sich außer ihm noch ein Gast, der neben ihm auf der Bank Nüsse aufklopfte. Der Schuster zog seine Börse und zählte den In­halt auf den Tisch, um ferne Einkäufe zu bestimmen. Als er mit dem Zählen fcrtig war, stand der andere Gast auf, strich das Geld ein und sprang mit den Worten:Del stimmt!" zur Thüre hinaus. Der erstaunte Schuster sah ihm zuerst verdutzt nach, sprang dann auf, um ihm nachzueilen, siel jedoch sofort auf die Bank zurück? der Gauner hatte den Rockschoß des Schusters auf die Bank festge­nagelt und fand Zeit, mit dem Gelde zu entkommen.

Literarisches.

Das soeben erschienene fünfzehnte Heft vonJll»strikte Welt" (Stuttgart, Verlag von Eduard Hallberger), hat nachstehen­den mannigfaltigen und interessanten Inhalt:

Text:

Vermißt. Eine Erzählung von Johannes van Dewall.

Die beuligc Photographie. Von Paul Kummer.

Der fliegende Holländer. Von F. Meister.

Kurt Kollermann. Ein heiteres Gedicht von Ludwig Kieke ns. Fortsetzung. Falkenjagden in Japan.

Cousine Agnes. Novelle von Earlott. Schluß.

Theater-Erinnerungen aus Alt-Wien. Memoirenbruchstücke von Franz Wallner.

Jüdische Historien. Bon Karl Emil Franzos. III. Reb Mendel's Braut. Ans Wissenschaft und Leben. Aus Master Wilhelm's Schublade. Zur Er­nährung der Kinder bei Verdauungs-Störungen. Ersatz für Cichorien. König Kossee's Regenschirm. Ein Central-Friedhos bei Paris. Interessante Bücher.

Weltpost und Luftschifffahrt.

Unsere Bilder. Räthsel. - Bilderräthsel. Rösselsprung. Kleine Kor­respondenz.

z k l n ft r a t i o n « n:

Derwittwet und kinderlos. Gemälde der Kronprinzessin von Preußen.

Der Elfeubcinmarkt in GrahamSlown.

Frühstück im Atelier.

Eine Falkenjagd in Japan. Aus dem PrachtwerkJapan" von W. Heine. Poststation in einem steierischen Gebirgsdorfe.

Ein verhängnißvcll-r Augenblick.

Maigeister. Z "

Die Enlsührustg r Europa. Nenn humoristische Bilder von W . Mecher. egt rcn A Oel chlägcr. tl li