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deutschen Brüder in Norddcutschland von dem Beitritt Süddeutsch lands geradezu das Hincintrageii freiheitlicher Elemente in dieselbe erwarten, so darf doch nicht vergessen werden, daß dieser Ausbau der neuen Verfassung ini Geiste der Freiheit so gut wie unmög­lich gemacht ist durch die Bestimmung, daß Verfassungsänderun­gen statt bisher 2 /^ künftig ^ der Stimmen des Bundesraths erfordern. Noch mehr aber muß die Hoffnung, daß später, wenn der Vertrag einmal abgeschlossen und von unfern Ständen genehmigt ist, überhaupt noch etwas erreicht werden könne, schwin­den, wenn man sich an die allen constitutionellen Begriffen Hohn sprechenden Gebräuche Bismarcks erinnert, der, wenn z. B. der Landtag kein Geld geben will, einfach damit droht, daß er das­selbe dann eben da nehme, wo er es finde, und der sich nicht scheute, dem Reichstag bei der Berathung über die Abschaffung der Todesstrafe anzukündigen, daß er sich, wenn der Reichstag die Abschaffung beschließen würde, an diesen Beschluß nicht hal­ten werde!

Wenn auch andererseits zugegeben werden muß, daß die norddeutsche Bundesverfassung uns viele wünschenswerthe gute Einrichtungen bringen würde, wie z. B. die Freizügigkeit, die ge­meinsame Gesetzgebung in allen Rechtsgebieten, die gemeinsame Vertretung nach Außen und Schutz im Auslande und dgl., so kann doch nicht geläugnet werden, daß es Angesichts der genann­ten Beispiele aus dem norddeutschen Verfassungsleben ein sehr zweifelhafter Trost ist, wenn man uns, die wir um unserer poli­tischen Freiheiten und um unsere ausgebildeteren constitutionellen Zustände bei dem uns zugemutheten und von Hrn. Schuldt befürworteten unbedingten Eintritt in den Nordbund mit Recht besorgt sind, sagt, daß wir dieselben nur momentan, der Einheit zu liebe, opfern dürfen, später aber gewiß wieder erkämpfen können. Fünfzig Jahre lang haben wir in Württemberg darum gekämpft; wie lange mußten wir wohl im Nordbunde wieder darum kämpfen?

Wohl legt man uns dieses zähe Festhalten an unserem guten Rechte so aus, als ob wir damit die Einheit hindern woll­ten, und auch Hr. Schuldt spricht von einheitsfeindlichen Bestrebungen. Es ist dieß ein ebenso schwerer, als ungerechter Vorwurf. Wir können Niemand das Recht zugestehen, zu be­haupten, daß wir die Einheit nicht ebenso sehr herbeisehnen, als er und seine Freunde, nur können wir keinen Geschmack finden an dieser Einheit um jeden Preis, wie sie von der deut­schen Partei in krampfhafter Aufregung geschaffen werden will. Wir erinnern uns noch recht wohl der Aeußerungen nationalli­beraler Blätter im Anfänge des Krieges, in denen unsere freudige Thcilnahme am Kampfe über Alles belobt und gesagt war, daß Preußen in demselben Nichts für sich wolle und suche, daß es vielmehr nur daran denke, wie es den süddeutschen Brüdern ihre treue Hilfe lohnen könne.

Wohlan! Wenn überhaupt von einem Lohne für diese Bun­destreue gesprochen werden kann, so ist die rechte Zeit, denselben einzufordern, jetzt da, aber es darf derselbe kein Judaslohn sein, bei dem unsere Liebe zum Vaterlande mit dem Verrathe an un­serer Freiheit gelohnt würde, sondern nur verlangen als ächten, vollwiegenden Lohn die Vereinigung aller Bundesge­nossen unter einer gemeinsamen, unsere Freiheiten schütz enden, uicht dies elb en zerstörenden Ve rsassung. Nicht markten wollen wir dabei um ein größeres oder kleineres Maß von Freiheit, nicht ein Schacherhandel soll darüber ent­stehen, wie viel oder wie wenig wir opfern sollen, sondern das volle Maß, wie wir es bis jetzt nach jahrelangen Kämpfen seit Kurzem erst besitzen, soll uns verbleiben, und entstünde dadurch eine Ungleichheit unter den künftigen deutschen Bundesbrüdern, so fasse König Wilhelm den hochherzigen Gedanken, und bringe seinem Lande als Lohn für die unsäglichen Opfer an Gut und Blut, als Balsam auf die schmerzvollen Wunden, aus denen der Staat, wie die Familie noch lange Jahre bluten werden, die Freiheit, die volle bürgerliche Freiheit mit, wie das ganze deutsche Volk sie in den Grundrechten, diesem kostbaren An­gebinde an eine kurze Periode nationalen Aufschwungs, als Ge­genstand seiner stillen Sehnsucht im Herzen trägt und wir haben das in Freiheit geeinigte Vaterland.

Im Sinns dieses vorsorglichen Schutzes unserer Frei­heiten spricht sich das Programm des Herrn

<H. F. Wagner

aus, der zugleich die großen, unfern constitutionellen Begriffen wider' strebenden Mängel benennt, an denen die norddeutsche Bundesver- saffung leidet, und von denen im nächsten Blatte dis' Rede sein soll.

An die Wähler in Stadt und Land.

Wir hören und das letzte Wochenblatt bestätigt uns dieß daß gegen die Wahl des Herrn Schuldt gleich wie vor 8 Jahren die Einwendung gemacht wird,der Stadtschultheiß gehört auf's Rathhaus".

Wir sind erstaunt, auch dieses Mal solchen Worten und solchen Umtrieben zu begegnen. Ist es denn so schnell vergessen, welch große Verdienste sich Herr Schuldt in der Eisenbahn-Angelegenheit Erlangung des Kreisstrafgerichts, Anbahnung von Verträgen u.' s. w. für Stadt und Bezirk erworben, wie er sich auch sonst auf mancherlei Weise der Interessen der Bezirks-Angehörigen ange­nommen hat, und ist es nicht Jedermann klar, daß er diese nütz, liche Thätigkeit nur entfalten konnte, weil er neben seiner Stellung als Ortsvorsteher auch noch die eines Abgeordneten einnahm? Jedermann weiß aber auch, daß in der nächsten Zeit noch manche für Stadt und Bezirk gleich wichtige Fragen ihrer Erledigung harren, wir erinnern insbesondere an die Reparatur-Werkstätte und sonstige verschiedenartige Abmachungen mit der Eisenbahnbau. und Betriebs-Direktion. Zu Vertretung dieser Angelegenheit, deren Wichtigkeit Niemand unterschätzen möge, hat Herr Schuldt eine solche Begabung und praktisches Geschick, seine amtliche Stell lung, seine vieljährigen und vielseitigen Erfahrungen befähigen ihn so sehr hiezu, daß sich wohl kein Anderer aus dem Bezirk wird mit ihm messen wollen.

Aus diesen Gründen hätten wir schon vor zwei Jahren ge­wünscht, daß er ein Mandat wieder angenommen hätte, was da­mals auch manche Angehörige der Volkspartei ausgesprochen haben; es wäre dem Bezirk dadurch Manches erspart geblieben. Daß Herr Schuldt jetzt den dringenden Wünschen nachgegeben hat, dafür gebühren ihm keine Vorwürfe, sondern Dank. Daß eine Abwesenheit des Orts-Vorstehers, wie sie die Einberufung zum Landtag mit sich bringt, ein schwerer Nachtheil für die Gemeinde sei, das wird uns schwer zu begreifen. Kann dieß wohl Jemand mit den Erfahrungen beweisen, die er in den Jahren 1862 bis 1868, während welcher Herr Schuldt den Bezirk vertreten, ge­macht hat?

Lassen wir uns deßhalb nicht bethören durch die Stimmen, welche aus unversöhnlicher politischer Gegnerschaft alles Andere übersehen, und wählen wir einen Mann, dem wir nicht nur die materiellen Interessen des Bezirks ruhig anvertrauen können, durch den wir auch die noch werthvolleren politischen Güter in volksfreundlichem, unabhängigem und ächt deutschem Sinne ver­treten wissen und dieser Mann ist

Stadtschiiltheiß Schuldt.

Calw, den 26. November 1870.

Das Wahlcomitö für Fr. Schuldt:

Julius Stälin. vr. Müller. Louis Wagner.

Eduard Zahn. Rühm. I! Pfleger.

Emil Dreiß. Emil Zahn.

Casnz. den 27. Nov., 1870.

E.,-Korb ach.er ^

Ncdigirt, > cdruckl Mo verlegt von Äl. Oechchlägcr,

Tagssneuigkciten

Calw, 28. Nov. Heute wurde ein braver sehr beliebter Eisen­bahnarbeiter (Italiener) begraben, welcher am Freitag Mittag bei der Felscnsprengung im Welzberg verunglückte. Ans dem zu spren­genden Felsen stehend, wurde er von dem Schüsse überrascht und 0 Fuß hoch emporgeworfen, worauf er in die nicht unbedeutende Tiefe stürzte. Samstag früh gab er den Geist auf.

Hirsau. Auf letzten Sonntag (20> Novbr.) Abend waren die hiesigen Einwohner zu einer Gesangsprodukrion, welche vom Lieder- kranz zum Besten der von hier ausmarschirten Soldaten gegeben wurde, eingeladen. Die Bctheiligung war eine über alle Erwartung große und dieser entsprechend das Ergebniß der Kollekte; 42 fl. 60 kr. fanden sich in der aufgestellten Büchse vor und wurden bereits an die betreffenden Vertheidiger unseres theuren Vaterlandes versendet. Diese Opstrwilligceit, die hier von Anfang an eine so außerordentlich rege war, läßt erwarten, daß auch bei einer spätern Produktion, die für die Jnvaliden-Stiftung gegeben werden soll, ein ähnliches erfreuliches Resultat erzielt werde. (Obige Produktion wurde durch Herrn Schulm. E. mit einem Prolog eingeleitet, welcher im nächsten Unter­haltungsblatt Raum finden soll. Die Red.)

Stuttgart. Nach Sr. Königl. Maj. von HöchstJhren Be­vollmächtigten gemachter telegraphischer Anzeige wurden in Berlin gestern Abend um 8 Uhr die Dokumente über den Eintritt Württem­bergs in den deutschen Bund unterzeichnet.

Berlin, 24. Nov., Mittags 1 Uhr. Der Reichstag ist so­eben von Staatsminister Delbrück eröffnet worden.

Metz, 24. November. Soeben ^apitnlirte Thionville. U'lnrmbe erfocht um 1 I Uhr Vormittags.