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war, noch auch die Autorität zur Verfügung hatte, welche Herrn Stadtschultheiß Schuldt in dieser seiner Eigenschaft zu Gebot steht.
Die Art und Weise des Auftretens des Herrn Stadtschultheiß Schuldt sowohl, als seines Tochtermanns, des Herrn Rathsschreiber Haffner, welch' Letzterer sogar im Hause des Herrn Georgii wohnt, erregt allgemeines Aufsehen.
Vom Lande emgesendet.
Der Calwer Vürgerverein hat in der Beilage zum Wochenblatt No. 71 ein Programm seiner Ansichten kundgegeben, welches dem Einsender dieß Veranlassung gibt, sich etwas näher darüber anszu- sprechen. Es ist ihm dabei vor Allem aufgefallen, daß der Bürgerverein Herrn Horlacher zum Vorwurf macht, daß er nicht gesagt habe: „seit 20 Jahren bekämpfe er tue bestehenden Verhältnisse." Es liegt darin offenbar der weitere Vorwurf, daß die bestehenden Verhältnisse überhaupt seit 20 Jahren bekämpft werden, und soll damit wohl gesagt werden, daß die Verhältnisse in Calw vor20 Jahren so befriedigender Natur gewesen seien, daß die Bekämpfung derselben ein reiner Uebermnth war, u. daß es den unzufriedenen Geistern, welche diesen Kamps eröffnet haben, allein zuzuschreiben sei, wenn „das Gift der politi- tischen Leidenschaften" in Calw Schaden gestiftet habe. Einsender verfolgt schon seit Jahrzehnten den Kampf der politischen Parteien in Ealw mit vielem Interesse, und glaubt deßhalb in dieser Sache auch ein Wort mitsprecheu zu dürfen, um so mehr, als es sich hier um eine Abgeordnetenwahl handelt, die den ganzen Bezirk angeht. Vor allen Dingen mußte es nun seine Aufgabe sein, sich um die Namen der Mitglieder, und namentlich der Ausschußmitglieder des Bürger- vereins zu erkundigen, und fand er hier zu seinem Erstaunen 'Namen darunter, die sich anno 1848 als die Röthesten in Calw geriet hatten, neben andern Namen, von denen freilich auch anno 1848 nicht zu erwarten war, daß sie selbst gegen die damals noch bestehenden Verhältnisse kämpfen würden. Wenn es somit einerseits Leute sind, die ihre Ansichten seit 1848 vollständig geändert haben, und die man sonst Renegaten nennt, so sind es anderseits auch Leutes welche vielleicht heute noch einen Angriff auf die Lebenslänglichkeit der Gemeinderäthe mit derselben Bitterkeit bekämpfen würden, wie sie heute die Agitation gegen die Lcbenslänglichkeit der Ortsvorsteher bekämpfen, trotzdem im Musterstaat Preußen die Ortsvorsteher auch nicht auf Lebensdauer gewählt werden. Daß diese Leute es für einen besonders frechen Eingriff ansehen, wenn die Herrschaft, welche sie lange Jahre ans dem Rathhause ausgeübt haben, von Andern, welche das Zeug auch in sich fühlen, in Gemeindesachen mitzurathen, angegriffen wird, ist zu natürlich, als daß nicht schon daraus der Vorwurf, welcher der andern Partei gemacht wird, „sie bekämpfe seit 20 Jahren die bestehenden Verhältnisse" erklärlich wäre. Diesen Leuten, welche am Alten hängen bleiben und denen alles Neue ein Dorn im Auge ist, muß sogar auch die Eisen- bahn zum Verdrösse werden, denn sie sprechen von der „schnelllebenden Zeit" in einer Weise, welche solcher Vermuthung Raum gibt. Woher kommt denn die schnellebende Zeit? Bloß von Eisenbahnen und Telegraphen, wodurch in allen Verhältnissen mächtige Veränderungen hervorgernfen worden sind, und mit Hilfe welcher Geschäfte, Reisen u. s. w. viel schneller abgewickelt werden können, als vor 20 Jahren. Ans diesem Hang ain Alten erklärt sich auch die Vorliebe für die stehenden Heere, diesen Krebsschaden unserer Zeit, welchen der Bürgeroerein so sehr zur Schau trägt, und womit er mit der ungeheuren Mehrzahl der Staatsangehörigen im Widerspruch sich befindet, was im Landtag noch zu jeder Zeit beredten Ausdruck gefunden hat. Der Calwer Bürgerverein huldigt dem gemäßigten Fortschritt, ja einem sehr gemäßigten, so gemäßigt, daß man versucht ist, den andern Parteien zuzurufen:
„Nur immer langsam voran,
Daß der Calwer Bürgerverein auch nache kommen kann!"
TaqeSneniqkeiteu.
— Ulm, 23. Juni. Der dießjährige Wollmarkt war sowohl von Verkäufern als Käufern um die Hälfte stärker besucht, als der vorjährige, und lieferte bezüglich des ebhaften und raschen Verkehrs ein sehe günstiges Resultat, was zu der Hoffnung berechtigt, daß Ulm von den süddeutschen Wollmärkten bald eine erste Stelle einnehmeu wird. Die neuen Einrichtungen, insbesondere die Ueberdachungen
der freien Plätze, sowie das Angenehme, die größten Quantitäten parterrre gelagert zu haben, fanden großen Beifall. Von den Zufuhren, welche 4800 Ctr. betrugen, war am dritten Markttage nur noch V» zu kaufen, und auch dieses fand bis auf Weniges scim Käufer. In Folge der in neuester Zeit stattfindenden Einfuhren von billiger Colonialwolle war eine Preisreduktion unvermeidlich, und es stellten sich die Preise folgendermaßen: feine Bastard 118—133 fl., Bastard 100—114 fl., deutsche 76—94 fl. Der Preis differirt hiernach gegen den vorjährigen um 10—15 pCt.
— Worms, 25. Juni. (Luthertag.) Der König von Preußen traf heute Morgen um 9>/- Uhr ein. Die Fürsten fuhren hierauf sogleich durch die in vollem Festschmnck prangenden', mit Tausenden von Menschen angefüllten Straßen, zur Dreifaltigkeitskirche, ws Generalsuperintendent Hoffmann aus Berlin die Festrede hielt. Nach der Festpredigt nahmen die Fürsten ein Dejeuner. Dann wurde zur . Enthüllung des Denkmals geschritten. Um l2'/- Uhr traf die Spitze des Festzuges aus dem Festplatze ein. Voran gingen zahlreiche Gesangvereine mit ihren Emblemen, es folgten weißgekleidete Jungfrauen niit Kränzen, die Schuljugend, 2000 Geistliche, dann zahlreiche Deputationen von Städten und Fakultäten, die auf den Tribünen Platz nahmen. Den Festzug füllten circa 15,000 Menschen (in der Stadt sind 80—90,000 Fremde). Um 1 Uhr fuhren die Fürsten, von Hochrufen begrüßt, auf den Festplatz. Der Groß- herzog von Hessen-Darmstadt saß neben dem König Wilhelm; der Großherzog von Sachsen-Weimar neben dem König von Württemberg; der Kronprinz von Preußen neben den: Prinzen Wilhelm von Badem Die Einleitnngsrede Oppermann's gab eine Geschichte des Denkmals, mit Beziehungen auf die Gegenwart. Um 2 Uhr füllt der Vorhang, welcher das Lutherdenkmal umgab, unter Kanonendonner. Ein Sturm des Beifalls erhebt sich und der Choral „Eine feste Burg ist unser Gott", von 20,000 Menschen gesungen, braust wie ein gewaltiger . Ocean dahin. Die Fürsten nehmen unter dem Zujauchzen des Publikums das Monument in Augenschein. Prälat Dr. Zimmerman» aus Darmstadt übergab nun das Denkmal an die Stadt. Herr Brück, de: Bürgermeister von Worms, ein Katholik, erwieLerte, indem er Lnther's Verdienste um die Menschheit verherrlichte und ihn als „Ehrenbürger von Worms" pries. Die Feier schloß um 3 Uhr mit einen: allgemeinen Gesang.
Italien. Rom, 23. Juni. In der Allocntion über die kirchlichen Angelegenheiten in Oesterreich sagt der Papst: er hätte nach Abschluß des Concordats mit dem Kaiser nicht geglaubt, daß er eines Tags das Unglück der österreichischen Kirche beklagen müßte. Die Feinde der Religion haben gewaltige Anstrengungen gemacht, das Concordat zu zerstören. Die erlassenen Gesetze seien höchst ta- delnswerth und verwerflich. Sie stehen im Widerspruch mit den Lehren, den Rechten und der Verfassung der Kirche, mit der Macht des heil. Stuhls, dem Concordat und dem Naturrecht. Der Papst verdammt diese Gesetze und beschwört Diejenigen, welche sie vorletzten nnd billigten, sich der geistlichen Strafen zu erinnern, welche auf die Angreifer der Rechte der Kirche fallen. Er belobt die österreichischen Bischöfe wegen ihrer Haltung, er hofft, die ungarischen werden es ihnen gleich thun und bittet schließlich Gott, den Anstrengungen der Feinde der Kirche ein Ende zu machen und sie auf den rechten Weg zurückzuführen.
Aus Mexiko kommen traurige Nachrichten, das ganze Land ist wieder in den erbittertsten Bürgerkrieg verwickelt. Auf allen Seiten tauchen Präsidenten auf: Juarez, Ortega, Sannta Anna, Diaz und ^ wie sie alle heißen. Jeder will das Volk nnt seiner Person beglücken, und beginnt damit Andersdenkende bestmöglichst auszurotten.
Thierkalender. Auf den Erbsen und Ackerbohnen machen ^ sich jetzt die Samenkäfer viel zu schaffen, um ihre Eier abzulegen, inan schöpfe deßhalb fleißig ab. — Bei der Nepsernte achte man darauf, ob viele Stengel wurmig sind, was man auf dem Schmtt leicht sieht. Ist dieß der Fall, so ackere man die Stoppeln nicht ein, sondern jäte sie aus, was bei feuchtem Boden von Kindern besorgt werden kann und verbrenne sie, denn der Wurm, aus den: schon im , Herbst ein grünes reißkorngroßes Käferchen wird, steckt immer in der Stoppel, überwintert dort nnd sucht im Frühjahr fliegend als Käfer wieder den Reps auf. (St A.)^
Rediqirt, gedruckt und verlegt von A. OelschlLger.