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Unterhaltendes.

Der Seher.

Linc Lrzthlunz von L. v. L.

(Unterh.-Bl. des Bad. Beob.)

In einem mittelgroßen Dorfe an der Niederelbe lebte zu Anfang dieses Jahrhunderts ein Mann mit Namen Conrad War­ner, wegen der Lage seines Hauses, inmitten einer weiten Wiese, gewöhnlich der Wiesenbau» genannt, den alle Leute weit und breit mit einem aus Scheu und Hochachtung gemischten Gefühle betrachteten, weil das Gerede ging, er besitze eine Art von Seher­gabe. Diese sollte darin bestehen, daß er den Ausgang jedes Unternehmens vorher wisse uns aus das Genaueste sagen könne, in wie weit es glücklich oder unglücklich ablaufen werde.

Obgleich man keinen einzigen bestimmten Fall angeben konnte, wo er etwas Geschehenes zuvor mit klaren Worten vorausgesagt hatte und obgleich er selbst bei jeder Gelegenheit auf's nachdrück­lichste erklärte, er wisse nicht mehr von der Zukunft als die übri­gen Menschen und dringend bat. ihn mit unnützen Fragereien zu verschonen, so ließen sich die geringeren Leuts dennoch nicht von ihrem Glauben abbringen, sondern beobachteten alle seine Schritte und Tritte nur desto genauer, um daraus auf das Gelingen oder Mißlingen irgend eines Werkes zu schließen Als das sicherste Zeichen des Mißlingens aber ward es angesehen, wenn der Wie­senbauer sich häufig in der Nähe des Ortes blicken ließ, wo irgend etwas unternommen worden war, ;. B. der Bau eines Hauses oder einer Brücke, die Anlegung einer Straße, eines Teiches u. dgl

Dieser Garten, seine Wiesen und einige Morgen Ackerlandes nahmen fast ausschließlich seine Thätigkeit in Anspruch. In jeder Morgenfrühe sab man ihn mit einem Rechen in der Hand und mit der brennenden Pfeife im Mund aus seinem Häuschen tre­ten und nach einer kurzen Besichtigung des Gartens seinen abseits oom Dorfe liegenden Feldern zuschreiten, wo er bis zum Mittage blieb Die übrigen Stunden des Tages pflegte er mit Gängen durch das Dorf und mit Wanderungen zu den benachbarten Or­ten zu verbringe»; Abends saß er gewöhnlich zu Hause und lei­stete seiner uralten 86jäbrigen Mutter und seiner jugendlichen Tochter Elisabeth Gesellschaft.

Außer dieser Tochter besaß er noch eine andere, um 4 Jahre ältere, welche in einem der umliegenden Dörfer verheirathet war. Seine Frau war schon lange, lange Jahre todt.

Elisabeth galt allgemein für das schönste Mädchen in Neuen­rode und da man sich heimlich zustüsterte, der Wiesenbauer habe mehr klingende Münze, als irgend ein Bauer 6 Meilen in der Runde, so bewarben sich Viele um sie. Indessen war es nicht allein die Hoffnung auf eine reiche Mitgift, welche die junge» Burschen anlockte, ihre klaren, blauen Augen, ihr schönes dunkel­blondes Haar, ihre frischen rothen Wangen, ihre schlanke, zierliche Gestalt und ihr anmuthiges freundliches Wesen würde alle Her­zen erobert haben, auch wenn sie das ärmste Mädchen des Dor­fes gewesen wäre. Bislang hatte sich jedoch Niemand rühmen können, irgend einen besonderen Beweis ihrer Gunst empfangen zu haben. Sie war gegen den Einen so freundlich wie gegen

Die Honoratioren von Neuenrode so hieß das DorfIden Andern, und als den Wiesenbauer eines Tags sein reicher

machten sich über diesen Glauben der Leute lustig und wußten hundert Geschichten zu erzählen, wo der Wiesenbauer gerade das Gegcntheil von dem vorausgesagt hatte, was sich begeben hatte. Ost redeten sie ihn auch selbst auf seine vermeintliche Sehergabe und hielten ihm lachend vor, wie gröblich er sich da und da geirrt habe.

Dergleichen Spöttereien glitten aber wirkungslos an ihm ab. Hm das hat seine Richtigkeit!" waren die Worte, die er be­ständig auf solche Vorwürfe und Sticheleien erwiederte, wobei ein seltsames Lächeln seinen Mund zu umspielen Pflegte. Die Gleich

Nachbar fragte, ob er nicht daran denke, seine Elisabeth zu ver- heirakhen, so lächelte Jener verschmitzt und erwiederte:Geduld Geduld s' sind böse Zeiten! Freien und Kriegsgeschrei 's paßt nicht zusammen!* (Forts folgt)

Ein eigenthümlicher Prozeß wurde kürzlich in Berlin ge­gen ein junges Ehepaar verhandelt Der Vater des jungen Mannes hatte demselben, da die projektirte Schwiegertochter sich seines Beifalls nickt zu erfreuen hatte, den väterlichen Consens

qiltigkeit, mit welcher er alle über ihn gefällten Urtheile anbörte, verweigert, ohne den nach dem preußischen Gesetze kein Geistlicher diente nur dazu, den Glauben der Bauern anseine geheimnißvolle^die Trauung eines Menschen vornehmen darf, dessen Vater noch

Begabung zu befestigen. Am meisten wurde er von einem reichen Kaufmann und Oekonomen, Namens Baumann, verhöhnt, der sich nickt allein über seine geistigen, sondern auch über seine kör­perlichen Eigenschaften lustig machte

Die äußere Erscheinung des Wiesenbauers oder des Pseifen- Conrads wie er auch genannt wurde, weil er fast den gan­zen Tag die brennende Pfeife trug, war allerdings auffallend. Er maß kaum 5 Schuhe und ging gewöhnlich ein wenig gebückt, nur bei besonderen Gelegenheiten, z B. wenn er des Sonn­tags zur Kirche schritt, warf er den Kopf höher und stolzer, seine

am Leben ist. Liebe kennt nun aber bekanntlich keine Hinder­nisse. Der junge Mann fälschte einen ConsenS mit dem Namen seines Vaters und ließ, da ein solches Schriftstück durch eine Be­hörde beglaubigt sein muß, die betreffende Formel durch seine Braut schreiben und mit dem Namen des Sckulzen desjenigen Torfes, in dem sein Vater wohnt, ebenfalls fälschen. Auf die­sem Wege erreickten die Liebenden in der That ihr Ziel, denn der betreffende Geistliche vollzog, den väterlichen Consens und die dorfgerichlliche Beglaubigung für echt haltend, den Akt der Trau­ung Die Folge war nun eine auf Veranlassung des Vaters des

Gesichtszüge waren mit Ausnahme einiger starken Runzeln auf-jungen Mannes gemachte Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und

der Stirn für einen angehenden Sechziger noch ziemlich voll und frisch; das spärliche graue Haupthaar fiel weit über die Stirn herab und reichte fast bis an die buscki en Braunen, unter denen

zwar von dem Beamten, dessen Namen mißbraucht worden war. Gegen die jungen Eheleute ward denn auch die Anklage wegen Urkundenfälschung erhoben. Ter junge hemann entschuldigte

ein grünlich blitzendes Augenpaar hervorschaute. Er sprach sehr - sich einfach damit, daß er seine junge Frau, die er innig geliebt, wenig und meistens in abgerissenen Sätzen, blickte immer nach-! nickt habe sitzen lassen wollen, nachdem er ihr die Ehe verspro- denklich und grübelnd vor sich hm und vermied so viel wie mög--chen. Der Vertheidiger bestritt, daß die fraglichen Fälschungen lich alle Berührung mit seinen Nachbarn und den übrigen Bewoh-> strafbar seien, und motivirte diesen Einwand in folgender origi- nern des Dorfes. Der Gruodzuz seines Charakters war eine! neller Weise: Zu dem strafrechtlichen Thatbestande der Urkunden­unendliche Gutmüthigkeit und Versöhnlichkeit, selbst die schwersten i fälsckung gehöre neben den anderen Kriterien auch das einer ge- Beleidigungen, die Andere ihm in der Hitze des Zornes zugefügt, ^winnsichtigen Absicht Seitens des Fälschers. Niemand werde be- hatte er vergeben und vergessen. Nur sehr wenige wußten sichihauplen können, daß im concreten Falle eine solche vorliege, eines Falles zu erinnern, wo er selbst in Zorn gerathen war, Wenn es auch die Angeklagten als einen Gewinn betrachtet haben

man behauptete indessen, daß er, einmal in Wuth versetzt, ärger sei denn ein grimmiger Löwe

Seine Kleidung wich von der in Niedersachsen üblichen

möchten, sich ehelich zu verbinden, so sei doch dieser Gewinn zwei­felsohne ein bloß moralischer, während das Strafgesetz einen ma­teriellen im Auge habe. Daß nun aber beim Heirathen in ma-

Tracht nicht ab, jedoch hegte er eine besondere Vorliebe für dunkle! terieller Beziehung nichts zu verdienen, resp. zu gewinnen sei, werde Farben. Er wohnte am äußersten Ende des Dorfes in einem f Jeder wissen, der eine Frau habe und der aus Erfahrung kennet kleinen freundlichen Häuschen , welches auf einer Seite von wei-! was eine solche koste. Es fehle hiernach an dem Requisit der gewinn- ten Wiesen , auf der andern Seite von einem hübschen Garten sichtigen Absicht, und die fraglichen Fälschungen seien daher anch nicht umgeben war, in welchem hauptsächlich Obstbäume und Gemüse als strafbar zu erachten. Die Geschworenen müssen wohl auch der gezogen wurden ; nur einige wenige Beele waren für Blumen Praktischen Ansicht gewesen sein, daß Heirathen keinen Gewinn bringe,

und Zierpflanzen bestimmt_ _ _ denn sie ha ben die Angeklagten ni chtschuld i g erklärt. _

Htevi-irl, gevruckt unv verle-I von A L> il s chl ö g»r.