Die Tübinger Gisenbahn Versammlung
am 20. November,
- ! - - >
Wir haben im letzten Blatte mit der Abhcmdlnng über die Prioritätsfrage der auf der Tübinger Vermmmlnng zur Sprache gebrachten „Neste" geschlossen, und dabei unsere Ueberzcugung ausgesprochen, daß eine Stuttgart-Leonberg-Calwer Linie als Stammbahn der Schwarzwaldbahnen betrachtet, die Bahnlinie weit früher in den Schwarz wald selbst führen würde, als die Stammiinie Stuttgart- Böblingen und dicß muß doch jedenfalls die Hauptsache cm. Es sind aber noch andere Gedanken und Beweggründe, die uns dabei beschäftigen. Wie aus der Resoluti.n ersichtlich, ist nicht nur ein Ast Böblingen-Calw-Nago d-(Horb), sondern auch vv vblingen-Herrenberg- Horb vorgesehen. Dieß wären mm 2 Parallelbahnen, welche in einer Entfernung von 2—3 Stunden nebeneinander herianfen würden. Es wäre ganz schön, wenn dem Schwarzwald ein so reiches Geschenk zu Theil würde, und wir sind weit entfernt, irgend einem Bezirke e ne Bahnverbindung zu mißgönnen, allein ist der «schwarzwald allein da? Sind im ganzen Lande Württemberg die gerechten Wunsche nach Eisenbahnverb mdungen schon soweit erfüllt, um es zu rechtfertigen, daß im Schwarzwalde innerhalb einer so kleinen Entfernung zwei Parallclbahnen gebaut werden? Wir sind nicht so anspruchsvoll. W.r streben allerdings auch dahin, daß die Hauptplätze des Schwarzwaldes baldmöglichst an die Linie kommen, und dieß ließe sich in der von uns im letzecn Blatte angcd uteten Weise sehr gut, und nach unserer Ueberzcugung weit schneller erreichen, als mit einem vorläufigen Bau von Stuttgart nach Böblingen. Mehr können wir aber vor der Hand, solange noch andere Landestheile ebensoberechtigte Forderungen ausstcUcn tonnen, billigerweise nicht verlangen. Auch sind wir überzeugt, daß weder Regierung noch Kammer in den nächsteil 20 Jahren auf eine solche Forderung eingehen würden. Es liegt deßhalb gewiß nur iui Jure resse aller Schwarzwaldbezirke, welche aus die Berbindung mit Stuttgart und Pforzheim abheben, unsere ans m ö g- lichst raschen Bau der Bahn ins Herz des Schwarzwalds — also von hier an nach Freudenstadt und zur Oberneckarbahn — gerichteten Bestrebungen zu unterstützen! Nicht mit einem Bahnbau von Stuttgart nach Böblingen, und von da in unbestimmter Zeit wieder um einen Ast weiter, sondern nur mit einer direkten Linie in den Schwarzwald wird diesem geholfen. Wir glauben auch sicher, daß die Vertreter des oberen Schwarzwaldes, d.nen es hauptsächlich um den möglichst raschen Weiterbau der Oberneckarthaldahn zu thnn ist, hierin m:t uns übereinstimmcn, und ebensogerne der von uns angestreblen Bahnrichtung, wenn solche vom Eomite vorgeschlagen gewesen wäre, zugestimmt hätten, als dem Böblinger Projekt. —
Doch kehren wir zu den Verhandlungen zurück. —
Nachdem der Herr Berichterstatter mit einer Ermahnung zur Einmüthigteit geschlossen hatte, ergriff Herr Finanzrath Zeller das Wort, um über die finanzielle Frage zu chrechen. Er führte in dieser Beziehung a s, daß wenn auch der Bau dieser Bahnen sehr viel Geld in Anspruch nehmen werde, doch nicht zu befürchten sei, daß Württemberg dadurch in Uebcrschnldung gerathc, denn incht nur glaube er nach Beendigung des Bahnnetzcs an eine noch größere Rentabllität der Eisenbahnen, sondern es werde durch dieselben auch die Produetiv- kraft gesteigert, so daß selbst im ungünstigsten Falle ein Nachtheil nicht zu bezürchten sei. — Da sich zur allgemeinen Diseussion über die angeregten Fragen kein Redner mehr meldete, so ging man zur Speeialberathung der einzelnen Punkte und zur Abstimmung über. Die Abstimmung erfolgte durch Handaufheben.
Punkt 1. wurde ohne Debatte angenommen, bei 2. sff beantragte Rechtseons. Gutheinz v. Oberndorf die ursprüngliche schärfere Fassung, es solle gesagt werden, es dürfe nur im Thalwege gebaut werden. Diesem Redner wurde aber von Prof. Schasste sogleich der Kopf zurecht gesetzt, indem Letzterer der Versammlung in spöttischer Weise mittheilte, der Berg —- nämlich die Rede des Herrn Gutheinz, — habe eimMaus geboren, übrigens solle sich die Versammlung dadurch nicht verfüh.cn lassen, eine andere als die gedruckte Resolution anzu- nchinen, denn sie könne weder der Negierung noch der Kammer vor- schreibcn, was sie thnn oder nicht thnn dürfe. Es wurde denn auch i bei der Abstimmung die beantragte Fassung in der gedruckten Resolution beibehaltcn. 2 Ich wurde ebenfalls angenommen, ebenso hintereinander 2. c) und 2 rch. Bei 2. <ch, welcher Punkt den Leitern der Versamm
lung offenbar am Meisten ani Herzen lag, da er ihr Schoßkind, den i Böblinger „Stamm" betraf, wurde die Gegenprobe gemacht, wobei ! der heitere nur leider! Wencgcn sichtbare Zwischenfall einlrat, daß ein wackerer Theilnehmer der Verkämmung, welcher für den Antrag die rechte Hand erhoben hatte, auf Zureden eines Spaßvogels bei der Gegenprobe die linke Hand erhob. Hievon kann man sich einen Begriff von der Qualität eines Theils der Mitstimmcndcn machen.
Nach erfolgter Abstimmung über 2. «ch trat ein k.eiues Intermezzo ein. Es wurden nämlich dem Präsidenten 2 Erklärungen übergeben. Die eine, von den Vertretern der Bezirke Ealw, Leonberg, Nagold unterzeichnet, welche unten abgedruckt ist, wurde vom Präsidenten unter athemiosem Schweigen der Versammlung verlesen, die. andere vom Eomite des Bezirks Nottcnburg wurde dieser Ehre nickst gewürdigt, sondern der Präsident checkte der Versammlung nur mit, daß die Rot enburger Vertrerer sich deshalb an der Berathnng und Beschlußfassung" der Versammlung nicht betheiligcn zu können glauben, weil sic für dcn Nothfall eine Fortsetzung der Oberneckarbahn über Sckwpckoch einer gänzlichen Sistirung des Baues noch vorzichen. ES meldeee sich hierauf ein Redner aus Rottcnburg zum Wort, der es denn nach verschiedenem Hin- und Hcrredcn auch erhielt. Derselbe gab sich als Domkaplan Hepp zu erkennen, und begann damit, dem Rvtienburger Eomite vorzuwerfen, cs verdanke sein Dasein lediglich dmi Nottenbnrger Gcmeinderathe, die Bürgerschaft wolle sich mit ihm nicht identifiziren; nach dieser Einleitung kam er sehr ins Feuer, und versicherte die erstaunte Versammlung, es stehen mehr als 500,< >00 Schwarzwülder hinter ihm, die alle seiner Ansicht seien. Nachderp der taofere Redner noch mit vielen Phrasen um sich geworfen, trat er unter dem Becfallklatscheu der Versammlung ab. Nun mochten aber die anwesenden Vertreter des Rottenburgcr Eomite's die ihnen angethane Schmach nicht auf sich sitzen lassen, und einer derselben, Freiherr E. v. Ow verlangte das Wort. Das Präsidium mochte sich wohl in Folge der vorher abgegebenen Erklärung für ineompetent halten, ihm das Wort zu geben und legte es der Versammlung zur Entscheidung vor, welche jedoch nicht für gut befand, dm angenehmen Eindruck der feurigen Rede des Herrn Domkaplan sich abschwächen zu lassen, und ihm daher das Wort versagte.
Die übrigen Punkte wurden hierauf ohne weitere Diseussion angenommen, wwanf dann der Präsident daö Wort ergriff, der Ver- samm'ung vvrstellce, welch' erhebendes Werk der Einmüthigteit sie eben vollbracht habe, und ihr dafür dankie. Er schlug nun vor, eine Deputation mit dcn gefaßten Beschlüssen an Se. Maj. dcn König abzuordncn, und zur Leitung der Neschäfce im Sinne dieser Beschlüsse ein Eomite zu wählen, worein jeder hier vertretene Bezirk, der für die Resolutionen gestimmt habe, einen Vertreter wählen solle.
! Nachdem wir somit dm Schluß der Versammlung mitangehörl hatten, cnifernten wir uns, um dem Austausch unserer Gedanken und Eindrücke freien Lauf zu lassen.
^ ES dürfte nun von manchen Seiten die Frage aufgeworfen werden, warum habt Ihr die Linie Leonberg-Calw nicht öffentlich vertreten, warum seid Ihr den oben gerügten Einstellungen nicht sogleich öffentlich entgegengetrecen? Wir verdenken diese Fragen Niemand, und wollen auch offenherzig sagen, warum cs nicht geschah. Vorher aber müssen wir einen Blick hinter die Eoulissen lhun. Wir finden hier die Tags zuvor stattgchabte Vorversammlung, bestehend aus den Hauptwortführcrn der Böblinger Linie, nebst einem Thcile Derjenigen, welche die Einladung zum Besuche der Versammlmig unterzeichnet haben. In dieser Vorversammlung wurden die Resolutionen, welche der Versammlung zur Berathnng vorgclegt wurden, festgestcllt. Wie aber in der Hauptversammlung Alles so schön cingcfiidelt war, daß es nur so am Schnürchen ablicf, so war auch durch vorherige Privatbcsprechung der eigentlichen Veranstalter der Versammlung für die Vorversammlung Alles vorbereitet. Da war schon der Präsident und der Berichterstatter bestimmt, da waren schon die weiteren Rollen vcrthcilt, wer aufzutrcten habe, um etwaige Einreden zu widerlegen, da war der ganze Plan durchbcsprochen und fcstgestellt. Mit diesen Vorbereitungen ging man in die Vorversammlung; wurden hier Aen- dcrungen beantragt, so ging man nur im Nothfalle darauf ein, sonst aber sollte das ursprüngliche Programm möglichst unverändert angenommen werden. Das Gleiche Ivar bei der Hauptversa in in lung der Fall. Wehe dem, der sich erlaubte, eine Aenderung der einmal vcn den Matadoren des Tages aufgestellten Resolutionen zu beantra»