Vergebens wartete sie von Stunde zu Stunde auf Pauls Heimkehr. Der Abend brach herein und sie erwartete ihn immer noch. Von Ungeduld getrieben verließ sie das Schloß, ihm entgegen zu gehen.
Die Abcndluft that ihr wohl. Ihre Stirn brannte nach der schlaflos durchbracbtrn Nacht und den innern Ovalen dieses Tages. Sic schritt weiter und weiter den Berg hinab. Ringsum war Alles still, sie hatte nichts zu befürchten. An einer Scheidung des Weges setzte sie sich nieder. Sie wollte Paul erwarten und verlor sich in den Gedanken, welche sie den ganzen Tag über bcschästigt hatten. Die Nacht war hereingebrochen, ohne daß sie es bemerkte.
Ein Geräusch in ihrer unmittelbaren Nähe schreckte sie auf. Sie wollte cmporspnngcn, in demselben Augenblicke fühlte sie sich von zwei kräftigen Armen umschlungen. Ein lauter Angstschrei entrang sich ihrer Brust. Ehe sie denselben wiederholen konnte, war eine zweite Gestalt herbeigesprungen und preßte ihr ein^Tuch vor den Mund. Vergebens strengte sie sich an, sich von den um schlingenden Annen zu befreien.
Sie erkannte keinen der beiden Männer. Mit Gewalt wurde sie auf einem Seitenwege fortgesührt. Ein Wagen hielt in einiger Entfernung und sie wurde hineingehoben, ohne daß es ihr möglich wurde, ihren Mund von dem Tuche zu befreien und um Hilfe zu rufen.
In größter Eile ging es fort. Das Dämmerlicht der Nacht, der verschlossene Wagen, ihre Angst, dieß Alles bewirkte, daß sie nicht einmal die Richtung wußte, in der sie fortgesührt wurde.
Keine Aufklärung über ihr zu erwartendes Geschick wurde ihr und die Angst ließ ihr nicht Ruhe, um darüber besonnen nach- zudcnken. Ter Wagen fuhr langsamer, weil die Wege zum Theil! fast unwegbar schienen.
Nach mehreren Stunden fuhr der Wagen in den Hof eines großen finsteren Gebäudes ein. Wieder wurde sie fast gewaltsam aus dem Wagen gehoben. Sie rief um Hilfe — es blieb alles still ringsum. Ein großes Gemach nahm sie auf. Ohne daß die beiden Männer ein Wort zu ihr gesprochen hatten, schloffen sie die Thür hinter ihr.
Sie war allein In fast fieberhafter Aufregung eilte sie an die Fenster — sie waren durch starke Eisengitter verschlossen. Sie rüttelte mit der Kraft der Verzweiflung an der Thür — dieselbe gab nicht nach; sie schrie laut auf, — Niemand antwortete oder kam. Bewußtlos sank sie endlich auf einem Ruhebette nieder.
Als sie wieder erwachte, brach der Morgen bereits herein. Schwer fand sie sich in die Wirklichkeit hinein. Das wirklich Erlebte erschien ihr wie ein wüster Traum. Sie hatte gehofft, durch das Fenster vielleicht die Gegend, iu welcher sie sich befand, zu erkennen. Ihr Blick siel nur auf einen stillen, öden Hof, rings von einer hohen Mauer umschlossen.
Jetzt erst war sie ruhig genug, um zu erkennen, daß sie nur auf Bcfebl ihres Vaters hierher gebracht war. Sie hatte keinen Grund mebr, für ihr eigenes Geschick besorgt zu sein, aber eine namenlose Angst erfaßte sie, als sie daran dachte, daß ihr Vater seine verrätheriscben Pläne nun ungestört aussühren, daß er dieselben vielleicht auch gegen Paul richten werde.
Um des Geliebten willen nahm sie ihre Kräfte zusammen und sann auf einen Ausweg — sie fand keinen. Eine Gefangene wie sie war, mußte sie Alles der Zukunft anheim geben.
Eine bejahrte Frau trat bald daraus ein und theilte ihr mit, daß sie beauftragt sei, für ihre Bedürfnisse Sorge zu tragen.
Sie drang in die Frau, um den Ort, an dem sie sich befand, um zu erfahren, auf wessen Befehl sie hierher gebracht sei. Die Alte behauptete nichts von alledem zu wissen, selbst nicht einmal, wem dieß Gebäude gehöre.
In aufgeregter, verzweifelter Stimmung riß Anna einen reichen Goldschmuck, den sie am Halse trug, herab und bot ihn ^dcr Frau — diese wies ihn ruhig zurück, verließ das Gemach pnd verschloß die 'Thür wieder sorgfältig. _
Wiercr war Anna allein. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand; selbst wie weit sie ungefähr vom Schlosse ihres Vaters entfernt sein konnte, wußte sie nicht mehr, da sie vergessen, wie lange sie in der Nacht zuvor gefahren war.
Sie dachte an Flucht, untersuchte das Zimmer, — dasselbe bol keinen Ausgang als die starke, wohl verschlossene Thür dar. Ihr blieb nichts weiter übrig, als in Geduld sich in ihr Geschick zu ergeben und die Gelegenheit abzuwarten, durch welche sie die Freiheit wieder erringen konnte.
Einige Stunden später theilte der Graf Venini Paul mit, daß seine Tochter am Tage zuvor unerwartet verreist sei. Sie habe bedauert, ihm nicht Lebewohl sagen zu können, habe indeß die wärmsten Grüße an ihn hinterlassen.
Paul war erstaunt. Er begriff nicht, daß Anna verreisen konnte, ohne ihn vorher gesehen und gesprochen zu haben. ,,Un» sie hat nicht eine Zeile für mich hinterlassen ?" fragte er unüberlegt
Ter Graf zuckte die Achseln. „Ich weiß nichts davon — auch bin ich nicht in dem Grade ihr Vertrauter."
Er sprach diese Worte lächelnd, indeß leuchtete nur zu deut^ lich eine scharfe Bitterkeit hindurch, die Paul nur deßhalb nicht bemerkte, weil diese Nachricht ihn zu sehr aufgeregt hatte.
„Wann wird sie zurückkehre» ?" fragte er halb in Gedanken. Der Graf schien über die Fragen die Geduld zu verlieren, indeß antwortete er möglichst ruhig: „Das ist schwer zu bestimmen. Sie ist an das Krankenbett einer Freundin geeilt und wird dasselbe schwerlich früher wieder verlassen, bis die Kranke völlig wieder hergestellt ist. Mir ist die Entfernung meiner Tochter unter den jetzigen Verhältnissen eine große Beruhigung. Es wird eine Besatzung hieher gelegt werben, und wenn Sie nicht dazu aus- ersehen sind. Herr Obrist, so befürchte ick, werde ick sehr die aufmerksame Berücksichtigung, welche meine Tochter sowohl wie ich durch lsie erfahren haben, vermissen."
Paul hatte nur halb zugehört. „Ich werde heute noch ab- marschiren," erwiederte er, „um so schmerzlicher ist es mir, daß ich Ihre Tochter nickt noch einmal gesprochen habe; wer weiß",, fügte er wie von einer finsteren Ahnung getrieben hinzu, „wer weiß, wohin das Kriegsgeschick mich führt und wann es mir vergönnt sein wird, sie wieder zu sehen. Ich fürchte, es wird ein erbitterter Kampf werden. Ich kenne den maßlosen Ehrgeiz des General Buonaparte. Ein Sieg macht ihn hockmüthig nnd eine Niederlage vermag ihn nicht zu beuge». Der Krieg wird sich in die Länge ziehen."
Venini errieth, daß Paul sich iu einer Stimmung und Aufregung befand, in welcher er leicht einige unüberlegte Aeußerungen sich entschlüpfen lassen konnte. Er versuchte, sie zu benutzen. ES lag ihm daran, zu erfahren, auf welchem Wege die Oesterreicher die genauen Nachrichten über das französische Heer erhielten und ziemlich offen fragte er darnach.
„Das ist nicht mein Geheimniß," entgegnete Paul kurz, „ich habe deßhalb auch kein Recht, mich darüber auszulassen. Ueber- haupt können wir nicht vorsichtig genug sein. Die Franzosen werden durch ihre Kundschafter über alles, was hier vergeht, gut unterrichtet. Sie haben sogar einige Großen dieses Landes gewonnen. welche sich nicht scheuen, zu Verrächern zu werden!"
Ter Graf erbleichte. Er schloß feine Augen halt,, um Paul desto schärfer beobachten zu können. Sollte er Verdacht schöpfen? Sollte Anna — er hatte nicht Zeit, diesen Gedanken weiter nachzuhängen, weil Alles darauf ankam, daß er feine Ruhe und Fassung behauptete.
„Auch ich gehöre zu den Großen dieses Landes," wars der Graf stolz, herausfordernd ein.
„Meine Worte können Sie nicht treffen, Herr Graf/ erwie- dcrte Paul ruhig.
„Ick glaube auch, daß meine Gesinnung hinreichend bekannt ist," sprach Venini.
Paul erwiederte nichts. Noch an demselben Tage zog die Besatzung auf dem Schlosse ein und er schied. Der Gras drückte ihm beim Abschiede so warm die Hand, als ob er sein eifrigster Freund gewesen wäre.
_ (Fortsetzung folgt.)
vcplgir«, gedruckt ui» verlegt von A. BeltidI »ger